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DOI: 10.1055/s-0041-105907
Kann Forschung schädlich für die Phytotherapie sein?
Eine hypothetische GeschichtePublication History
Publication Date:
15 October 2015 (online)
Das wird sich nun mancher Forscher erstaunt fragen! Ich glaube, dass Forschung nicht nur kontraproduktiv für die Phytotherapie sein kann, sondern sogar gefährlich. Mögen die Leser entscheiden, ob sie folgende Geschichte für zu konstruiert halten:
Forscher PD Dr. rer. nat. Noname arbeitet auf dem Gebiet der Antioxidanzien bzw. Radikalfänger und hat hierzu einige In-vitro-Modelle aufgebaut. Er bekommt einen Auftrag von der Firma Phytogold, die Pflanze „Goldblatt“ zu untersuchen und stellt fest, dass der Pflanzenextrakt mit seinen Flavonoiden ausgesprochen deutliche und konsistente Effekte in seinen Modellen (zu denen auch ein Zellstamm Krebszellen gehört) zeigt. Begeistert schreibt er eine Publikation, in deren Diskussion er auf die Bedeutung von Antioxidanzien für die Vorbeugung von Krebs hinweist. Seine erste Überschrift wird vom Herausgeber als zu lang empfunden und schließlich so gekürzt: „Goldblatt vielversprechend gegen Krebs.“ Dr. Nonames Arbeit wird von der Presse aufgegriffen − ein neues pflanzliches Krebsmittel ist gefunden. Das entsprechende Präparat „Goldblatt-Kapseln Antiox“ der Firma Geldmacher ist zwar eigentlich nur ein Nahrungsergänzungsmittel, die Aufmachung unterscheidet sich kaum von einem Arzneimittel − und es verkauft sich ausgezeichnet. Unter den kritischen Augen der Überwachungsbehörde ist die Auslobung nur indirekt in den beschreibenden Texten auf die Vorbeugung von Krebs bezogen.
Die Lehrerin Sabine Müller hatte einen Knoten in der Brust getastet, der sich als bösartig herausstellte und mitsamt etlichen Lymphknoten entfernt wurde. Ihr Onkologe hält eine Chemotherapie für sinnvoll, um etwaige Metastasen zu „erledigen“. Sabine Müller hatte schon immer Interesse an der Naturheilkunde gezeigt und fragt ihren Heilpraktiker. Der empfiehlt „Goldblatt-Kapseln Antiox“ und meint, diese Phytotherapie sei völlig ausreichend, um einem Wiederaufflackern des Krebses vorzubeugen. Frau Müller erklärt ihrem Onkologen Dr. med. Schulz, dass sie auf die Phytotherapie setzen und auf die Chemotherapie verzichten wird. Der Onkologe kann mit Phytotherapie nicht viel anfangen und ist entsetzt, als er einige Internetseiten über Goldblatt-Kapseln Antiox liest. Er findet in PubMed keine einzige klinische Arbeit über Goldblatt in onkologischem Zusammenhang. Die Arbeit von Dr. Noname findet er überhaupt nicht, da über verschiedene Inhaltsstoffe aus Goldblatt insgesamt 12 384 Arbeiten auftauchen. Als beim nächsten Onkologenkongress ein Vortrag über phytotherapeutische Begleitbehandlung gehalten wird, greift Dr. Schulz den vortragenden Phytotherapeuten Prof. Dr. med. Kraut an und stellt die Phytotherapie als üblen Schwindel und Geldmacherei dar. Prof. Kraut kann hier den Angriffen gegen die Phytotherapie nichts entgegensetzen. Bei der Nachuntersuchung von Frau Müller stellt sich heraus, dass eine Metastasierung der Leber erfolgt und die Prognose infaust ist.
Eine Einteilung von präklinischen Arbeiten nach „Wert“ für die Phytotherapie könnte also folgende Klassen enthalten:
-
hochwertig für die Phytotherapie
-
mäßig wertig für die Phytotherapie
-
gering nützlich für die Phytotherapie
-
nicht nützlich oder schädigend für die Phytotherapie