Klin Monbl Augenheilkd 2001; 218(6): 466-467
DOI: 10.1055/s-2001-16265
OFFENE KORRESPONDENZ

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Brief an die Herausgeber

zum Beitrag von: Velten IM, Bergua A, Horn FK, Jünemann A, Korth M. „Zentrale Hornhautdicke bei Normalen, Patienten mit okulärer Hypertension, Normaldruck- und Offenwinkelglaukomen - eine klinische Studie”.Klin Monatsbl Augenheilkd 2000; 217: 219 - 224.
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

In der Diskussion der Ergebnisse schreiben die Autoren auf Seite 223 in Spalte 2, 2. Absatz: „… kann man aus den Ergebnissen folgern, dass bei der Mehrzahl der Glaukompatienten die Messung der zentralen Hornhautdicke von untergeordneter Bedeutung für die Feststellung erhöhter Augendruckwerte ist, da anzunehmen ist, dass mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Hornhautdicke in einem Bereich liegt, der eine Korrektur der applanatorisch gemessenen Augendruckwerte nur bezogen auf die Hornhautdicke überflüssig macht.” (Ende des Zitats). Dieser Schluss wird gezogen, weil in den Ergebnissen kein signifikanter Unterschied in der zentralen Hornhautdicke zwischen Normalprobanden, Patienten mit Normaldruck- und Offenwinkelglaukom gefunden wurde.

Hier möchte ich zu bedenken geben, dass die Hornhautdicke bei diesen Patienten dennoch physiologisch schwanken und damit nach den Ergebnissen von Ehlers et al. [1] das Ergebnis der Applanationstonometrie beeinflussen kann. In einer Tabelle, gezeigt dieses Jahr bei der Tagung der American Glaucoma Society in San Antonio, habe ich die Korrektionswerte berechnet nach Ehlers et al. [1] getrennt nach Gesunden und nach Patienten mit okulärer Hypertension aufgetragen. Diese Werte basieren auf Ergebnissen einer unserer früheren Studien [10].

Nimmt man an, dass sich die mittlere Hornhautdicke bei Gesunden und Patienten mit Normaldruck- und Offenwinkelglaukom nicht unterscheiden, wie Velten u. Mitarb. gefunden haben, so muss nach der Tabelle 1 in 7 % der Fälle der Augeninnendruck um 4 mm Hg nach oben korrigiert werden.

Eine Differenz von 4 mm Hg ist klinisch bedeutungsvoll, wenn sie mit dem gleichen Maßstab wie die Drucksenkung durch Glaukomtherapeutika beurteilt wird, für die jährlich in Deutschland Millionenbeträge ausgegeben werden. Es ist eine Sache des Konsenses zwischen Ärzten, Patienten und Krankenkassen, welche Ungenauigkeit bei der Augeninnendruckmessung hingenommen werden kann. Es erscheint widersprüchlich, bei der Messung des Augeninnendruckes eine mit einer Wahrscheinlichkeit von 7 % mögliche Differenz von 4 mm Hg als vernachlässigbar hinzunehmen, sie aber bei der Therapie z. B. mit Betablockern als Therapieerfolg anzusehen.

Wenn sich die Mittelwerte einer Stichprobe von Gesunden und von Patienten mit Normaldruck- und von Patienten mit Offenwinkelglaukom nicht unterscheiden, so können wir aufgrund dieser Erkenntnis im Prozess der Diagnosestellung nicht sagen, welchen Einfluß die Hornhautdicke auf das Ergebnis der Applanationstonometrie bei dem einzelnen, gerade vor uns sitzenden Patienten/in hat. Die Notwendigkeit einer Korrektur darf hier nicht ex post betrachtet werden.

Aus den dargelegten Gründen halte ich die Kenntnis der Hornhautdicke bei allen von einem Augenarzt mit der Applanationstonometrie untersuchten Patienten für wichtig. Wenn wir auf die wenig belastende Pachymetrie verzichten, nehmen wir eine Ungenauigkeit hin, die in der gleichen Größenordnung liegt, wie sie bei der Schiøtz-Tonometrie durch die Sklerarigidität bedingt ist [11] (p. 346). Meiner Ansicht nach wäre dies eine Handlungsweise, die mit unserem Selbstverständnis als naturwissenschaftlich orientierten Ärzten schwerlich vereinbar ist. Zudem ist zu bedenken, dass bei den strengen medikolegalen Anforderungen, wie sie heute vertreten werden, eine so große, leicht vermeidbare Ungenauigkeit als nachteilig für uns Augenärzte ausgelegt werden kann. Zumal bei der Diagnosestellung nach der Empfehlung der Europäischen Glaukomgesellschaft nur in wenigen Fällen auf die Beurteilung des Augeninnendruckes verzichtet werden kann [2].

Velten u. Mitarb. weisen darauf hin, dass die Dickenmessung der Hornhaut keine Rückschlüsse auf die Rigidität zulasse und fordern weitere Studien. Die Ergebnisse von Ehlers et al. [1] sind jedoch so überzeugend, dass von weiteren Ergebnissen keine wesentlichen Änderung der Korrekturfaktoren zu erwarten sind, zumal die Ehlers'schen Ergebnisse gut mit den heutigen Vorstellungen über die Biomechanik der Hornhaut zu vereinbaren sind [7]. Bis weitere Studien veröffentlicht sind, können wir nach den heute akzeptierten Regeln wissenschaftlicher Erkenntnis die applanatorischen Werte korrigieren. Dass unser jetzt verfügbares Wissen in der Zukunft ergänzt werden kann, liegt in der Logik der Forschung [8]. Das sollte uns aber nicht zur Untätigkeit verleiten.

Es sind weitere Untersuchungen zu dem hier behandelten Problem veröffentlicht worden. Ihre Ergebnisse können jedoch nach einer Methodenkritik nicht als überzeugend angesehen werden:

Die Ergebnisse von Whitacre et al. [12] stützen sich auf zu wenige Beobachtungen und die Korrelationskoeffizienten sind zu gering, um damit die Ergebnisse von Ehlers et al. in Frage zu stellen [5]. In den Diagrammen von Marx et al. [6] lässt sich kein Gegenbeweis zu den Ehlers'schen Ergebnissen finden. Feltgen et al. [3] geben zwar in einer Vortragszusammenfassung eine deutlich andere Regressionsgleichung als Ehlers et al. [1] an, es fehlen aber weitere Angaben , ohne die eine Regression nicht beurteilt werden darf [5] [9]. Dasselbe gilt auch für die Ergebnisse von Foster et al. [4].

Aus den dargelegten Gründen geht somit hervor, dass nicht nur, wie Velten u. Mitarb. es empfehlen, die Hornhautdicke bei Patienten mit okulärer Hypertension gemessen werden sollte. Die Indikation zur Pachymetrie ist nach dem Messfehler zu beurteilen, der als akzeptabel vereinbart wird. Bisher ist man davon ausgegangen, dass mit der Applanationstonometrie der Augeninnendruck auf ein mm Hg genau bestimmt wird. Es wäre konsequent, die Wahrscheinlichkeit, dass ein größere Messfehler die klinische Diagnose beeinflusst, gering gehalten wird. Die hier gezeigte Tabelle[*] kann als Hilfe bei diesen Überlegungen dienen.

Literatur

  • 01 Ehlers  N, Bramsen  T, Sperling  S. Applanation tonometry and central corneal thickness.  Acta Ophthalmol (Copenh.). 1975;  53 34-43
  • 02 European Glaucoma Society Terminologie und Handlungsrichtlinien zum Glaukom.  Dogma, Savona. 1999; 
  • 03 Feltgen  N, Asbeck  D, Funk  J. Zusammenhang zwischen zentraler Hornhautdicke, Applanationstonometrie und direkt bestimmten intraokularen Druckwerten.  Busse H. 1999;  96, Suppl. 1 83 Heidelberg, Springer. Der Ophthalmologe.
  • 04 Foster  J P, Wong  S J, Wong  E, Chen  G F, Machin  D, Chew  T P. Accuracy of clinical estimates of intraocular pressure in Chinese eyes.  Ophthalmology. 2000;  107 (10) 1816 21. 107 1816-1821
  • 05 Klemm  G P. Keine Angst vor Biomathematik.  Ullstein Mosby, Berlin. 1993; 
  • 06 Marx  W, Madjlessi  F, Reinhard  T, Althaus  C, Sundmacher  R. Mehr als vier Jahre Erfahrung mit der elektronischen intraokularen Nadel-Druckmessung bei irregularen Hornhauten.  Ophthalmologe. 1999;  96 498-502
  • 07 Orssengo  J G, Pye  C D. Determination of the true intraocular pressure and modulus of elasticity of the human cornea in vivo.  Bull Mathematical Biol. 1999;  61 551-572
  • 08 Popper  R K. Logik der Forschung.  J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen. 1984; 
  • 09 Sokal  R R, Rohlf  J F. Biometry.   Freeman, New York . 1981; 
  • 10 Stodtmeister  R. Applanation tonometry and correction according to corneal thickness.  Acta Ophthalmol Scand. 1998;  76 319-324
  • 11 Weekers  R, Prijot  E. Tonometrie und Tonographie.  In: Straub, W (eds) Die ophthalmologischen Untersuchungsmethoden. Ferdinand Enke, Stuttgart  1970;  309-382
  • 12 Whitacre  M M, Stein  A R, Hassanein  K. The effect of corneal thickness on applanation tonometry.   Am J Ophthalmol. 1993;  115 592-596

R. Stodtmeister

Pirmasens

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