Fortschr Neurol Psychiatr 2001; 69(SH2): 75-80
DOI: 10.1055/s-2001-16534
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das Stigma der Schizophrenie: Versuche zu dessen Überwindung

Attempts to Overcome the Stigma of SchizophreniaU. Meise, H. Sulzenbacher, H. Hinterhuber
  • Psychiatrische Universitätsklinik Innsbruck, Österreich
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Publication Date:
21 August 2001 (online)

Zusammenfassung:

Die Ergebnisse der Einstellungsforschung zeigen ganz deutlich, dass das Wissen, die Einstellungen und Haltungen unserer Gesellschaft gegenüber psychiatrischen Themen die psychiatrische Versorgungspraxis ganz wesentlich beeinflussen. Betroffene berichten, dass sie auch heute noch in hohem Ausmaß mit Vorurteilen und Ausgrenzungen konfrontiert sind, was ihre Genesung, Integration und Lebensqualität erheblich beeinträchtigt.

Besonders Menschen mit schizophrenen Erkrankungen sind von Stigmatisierung und Ausgrenzung betroffen. Diese beruhen nicht nur einfach auf Informationsdefiziten; Vorurteile und Fehlmeinungen sind in unserer kulturellen Tradition tief verwurzelt. Die negativen Auswirkungen auf die Behandlung und den Lebensvollzug von Betroffenen sind so ausgeprägt, dass Asmus Finzen von einer „zweiten Krankheit” spricht, die als Folge von Stigmatisierung entstehen kann.

Vor dem Hintergrund des Vulnerabilitäts-Stress-Paradigmas können diese sozialen Folgen als Stressoren wirksam werden. Benachteiligungen in verschiedenen Belangen der gesellschaftlichen Teilhabe, negative Bewertungen und kränkende Diskriminierungen können Selbstvertrauen, Coping-Fähigkeit und Compliance untergraben und somit den Genesungsprozess behindern bzw. Erkrankungsrezidive fördern. Nachdem das fundierte Wissen über die Problematik groß ist, geht es nunmehr auch zunehmend um Fragen, was die Psychiatrie bzw. die in der Psychiatrie Tätigen beitragen können, um diese negative Sicht zu verändern.

In diese Richtung zielt z. B. eine internationale Aufklärungskampagne der „World Psychiatric Association”, die unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationstechniken darauf abzielt, den Mythen und Missverständnissen, mit denen die Krankheit bzw. der Krankheitsname „Schizophrenie” umgeben ist, zu entgegnen.

Im Rahmen dieses Beitrages wird auch eine Untersuchung vorgestellt, die gemeinsam mit der Gesellschaft für psychische Gesundheit - Psychohygiene Tirol - durchgeführt wurden und die uns als Grundlage für Projekte einer Anti-Stigma-Arbeit dienen. Dabei handelt es sich um „Ein Programm gegen Stigmatisierung von Schizophrenie in Schulen”: Es wurde versucht, herauszuarbeiten, wie Information vermittelt werden sollte, damit es bei Schülerinnen und Schülern zu Veränderungen in ihrer Einstellung kommt. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse haben wir nunmehr begonnen, tirolweit in Schulen Informationsveranstaltungen anzubieten.

Attempts to Overcome the Stigma of Schizophrenia:

The results of research into attitudes show clearly that the knowledge, the attitudes and views of our society towards psychiatric topics strongly influence practical psychiatric services. Those affected report that they are confronted with a high degree of prejudice and exclusion which considerably inhibits their recovery, their integration and their quality of life even today.

Especially people with schizophrenic illnesses are affected by stigmatisation and exclusion. These are not just caused by a lack of information. Prejudices and misconceptions are deeply rooted in our cultural tradition.

The negative consequences for the treatment and way of life of those affected are such that Asmus Finzen spoke of a “second illness” which may be caused by stigmatisation.

Set against the background of the vulnerability-stress-paradigm, the social consequences can result in stressors. Disadvantages in terms of societal participation, negative assessments and humiliating discrimination can undermine self-esteem, ability to cope and compliance and thereby hinder the recovery process and strengthen remaining marks of the illness.

Since there is extensive informed understanding about these problems, the discussion focuses increasinlgy on questions about what psychiatry and those working in psychiatry can contribute to reverse this negative attitude.

This is the aim, for example, of the World Psychiatric Association's international awareness campaign, which uses modern communication techniques to try to counter the myths and misunderstandings surrounding the schizophrenic illness and its name.

The study being introduced here was carried out in conjunction with the Society for Mental Health Tyrol. It was attempted to discover how information should be conveyed in order to change the attitudes of school pupils.

On the basis of these results, we have begun to offer information sessions in schools throughout the Tyrol.

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Prof. Dr. med. Hartmann Hinterhuber

Universitätsklinik für Psychiatrie

Anichstr. 30

6020 Innsbruck

Österreich