Fortschr Neurol Psychiatr 2001; 69(SH2): 141-144
DOI: 10.1055/s-2001-16546
LAUDATIO
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

8. Verleihung des Kurt-Schneider-Wissenschaftspreises

G. Huber
  • Universitäts-Nervenklinik, Bonn
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Publication Date:
21 August 2001 (online)

Der von der Firma Janssen gestiftete Kurt-Schneider-Preis für herausragende wissenschaftliche Leistungen, vorrangig auf dem Gebiet der Schizophrenieforschung, wurde erstmals 1984 beim 6. Weißenauer Symposion und anlässlich des 13. Weißenauer Symposions zum achten Mal verliehen. Bei den vorausgegangenen Symposien wurde dargelegt, warum dieser Wissenschaftspreis den Namen Kurt Schneiders trägt [3, 6, 7, 9, 10, 11, 15]. Kurt Schneider ist heute neben Kraepelin weltweit der am meisten zitierte klassische Psychiater; sein Hauptwerk, die „Klinische Psychopathologie”, die in der 14. deutschsprachigen Auflage vorliegt [18], wurde, zum Teil wiederholt, in alle wichtigen Weltsprachen übersetzt, zuletzt 1999 ins Russische. Leider ist, seit die erste Auflage der „Clinical Psychopathology” von 1959 sehr rasch vergriffen war, keine neue englischsprachige Übersetzung verfügbar. Damit hängt zusammen, dass, wie der kanadische Psychiater Hoenig schrieb [8], ein wirkliches und umfassendes Verständnis des wissenschaftlichen Werkes von Kurt Schneider, das erst die Voraussetzung für eine fruchtbare Diskussion seiner Positionen hätte schaffen können, nicht erreicht wurde [S. 12].

Kurt Schneiders Lehre mutet nur auf den ersten Blick geschlossen an. Bei näherem Hinsehen ist sie undogmatisch und bedeutet nicht Abschluss und Kodifizierung. Schon seit seiner Kölner Zeit und nach der Berufung als Direktor des klinischen Instituts der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie 1931, als er bereits als einer der führenden Psychiater der kontinentaleuropäischen, lateinamerikanischen und japanischen Psychiatrie galt, rang er immer wieder mit kritischen Zweifeln an den eigenen Positionen. Er distanzierte sich von früheren Arbeiten, korrigierte seine Ansichten unablässig nach der täglichen klinischen Erfahrung und gab vielfältige Anregungen zum Weiterdenken von Grundproblemen der Psychiatrie, wie auch die weitgehenden Veränderungen in jeder Auflage seiner „Klinischen Psychopathologie” zeigen. Die künftige psychiatrische Forschung wird die zum Teil verlorene psychopathologische und psychiatrische Kompetenz und die Kontinuität eigenen Methodenbewusstseins eher wiedergewinnen, wenn sie sich in enger Berührung mit ihrer Tradition auch mit der Schneiderschen Psychiatrie in Zustimmung und Widerspruch gründlicher und unbefangener auseinander setzt als es bisher geschah, auch wenn sie dann von dort aus eigene Wege einschlägt.

Wir danken Dr. Cermak, dass Janssen-Cilag eine lange, nunmehr 30-jährige Tradition, die Weißenauer Symposien zu unterstützen, beibehält. Bei der nach wie vor leider marginalen Situation der psychisch Kranken ist es eine weitsichtige Entscheidung, Mittel für den Preis und unsere Schizophrenie-Symposien weiter bereitzustellen und so die lange, bis zum Firmengründer Dr. Dr. h. c. mult. Paul Janssen und Dr. Hubertus von Loeper zurückreichende Verbindung mit der Psychiatrie erneut zum Ausdruck zu bringen. Das Engagement für unsere Patienten und unser Fach hat eine, von der Öffentlichkeit und unseren Politikern immer noch viel zu wenig erkannte soziale und gesundheitspolitische Relevanz. Immer noch wird nur eine Minderzahl der an Schizophrenie Erkrankten adäquat behandelt, so dass es zu Rückfällen und Chronifizierung kommt, die bei dem heutigen Wissensstand entsprechender Behandlung vermieden werden könnten. Es war von Anfang an ein mit der Einrichtung der Symposien und Stiftung des Preises verfolgtes Ziel, Vorurteile gegenüber psychisch Kranken zu korrigieren. Stigmatisierung, Diskriminierung und Tabuierung sind auch, aber nicht nur durch die Konsequenzen der nationalsozialistischen Ideologie, durch ausmerzende Maßnahmen von der Zwangssterilisation bis zur systematischen Vernichtung bedingt. Auch die sog. Studentenrevolte mit ihren antipsychiatrischen Irrealitäten beeinflusste die Einstellung der Öffentlichkeit negativ. Dass alte Voreingenommenheiten und Klischees mit Kampagnen für „Auflösung der Bettenpsychiatrie” und Ablehnung von Diagnostik und Psychopharmakotherapie keineswegs überwunden sind, wird deutlich, wenn z. B. bündnisgrüne Politiker die „Abschaffung und Überwindung der Psychiatrie” fordern und noch 1998 ein Berliner „Weglaufhaus aus der Psychiatrie” unterstützten. Bis heute gibt es keine Gleichstellung von körperlich und psychisch Kranken und Reste des sog. „Halbierungserlasses” von 1942 leben bis in die heutige Zeit fort [s. 17]. Es ist leider symptomatisch, dass in Deutschland kein führender Politiker dem Gemeinwesen seine Verantwortung für Therapie und Prävention psychiatrischer Erkrankungen und Behandlung der Schizophrenie ins Bewusstsein rief, wie es 1963 John F. Kennedy in seiner Sonderbotschaft an die amerikanische Nation tat [13, S. 648ff].

Mit dem Kurt-Schneider-Preis wurden Untersuchungen ausgezeichnet, die mit der Arbeit von Kurt Schneider zusammenhängen, auch wenn es - mit Ausnahme von 1986 - nicht klinisch-psychiatrische, sondern biologisch-psychiatrische und humangenetische Studien waren. Denn die somatologische Fundierung der Psychosen muss nach K. Schneider Ziel der Psychiatrie sein. Dieses Ziel liegt heute nicht mehr in so „unabsehbarer Ferne”, wie K. Schneider meinte [18], auch wenn die optimistische Prognose unseres Preisträgers von 1992, Irving I. Gottesman, schon im nächsten Dezennium seien die offenen Probleme der Schizophrenie (und der Alzheimerschen Erkrankung) gelöst [2], sich nicht erfüllen.

Auch bei den diesjährigen Preisträgern sehen wir uns in der Kontinuität der Arbeit von Forschern, die bisher für wesentliche Studien zur Psychosenforschung ausgezeichnet wurden.

Das Kuratorium, dem Peter Berner, Werner F. Cermak, Gisela Gross, Werner Janzarik, Hubertus von Loeper, Henning Saß, Lilo Süllwold und ich angehören, hat den Preis zu gleichen Teilen Helmut Beckmann und Ernst Franzek aus Würzburg, Preben Mortensen aus Aarhus und Ulrich Supprian aus Hamburg zuerkannt. Die beiden deutschen und die dänische Arbeitsgruppe legten die Ergebnisse von über Jahrzehnte konsequent verfolgten Untersuchungen an Patienten mit schizophrenen, zykloiden und affektiven Erkrankungen vor.

Professor Beckmann und Dr. Franzek erhalten den Preis für ihre Arbeit „Different genetic background of schizophrenia spectrum psychoses: A twin study” [1]. Die Autoren gehen davon aus, dass die Dichotomie der endogenen Psychosen in ein affektives und schizophrenes Spektrum und eine Zwischengruppe (mit wahnhaften, schizoaffektiven, schizophreniformen und akuten, vorübergehenden, polymorphen psychotischen Störungen) bis heute weder in der Praxis noch in der Wissenschaft trotz des enormen Fortschritts durch die Entwicklung neuer biochemischer, pharmakologischer, histologischer und bildgebender Verfahren einen entscheidenden Durchbruch brachte. Diesen erwarten sie von der Leonhardschen Aufteilung der endogenen Psychosen in sechs, als nosologische Entitäten angesehene Hauptgruppen: Die unipolaren Manien und Depressionen, die bipolare manisch-depressive Krankheit, die zykloiden Psychosen, die unsystematischen und die systematischen Schizophrenien. Die Gruppe von Beckmann findet durch eigenen Untersuchungen die Leonhardsche Klassifikation bestätigt. Das initiale psychopathologische Querschnittssyndrom erlaubt danach die Diagnose einer zykloiden Psychose, unsystematischen oder systematischen Schizophrenie und damit auch eine Prognose des langfristigen Ausgangs. Während die zykloiden Psychosen stets defektfrei heilen, führen die unsystematischen Schizophrenien zu mittelgradigen, die systematischen zu schweren Defektsyndromen. Nach den Autoren kann die Aufteilung der Bleuler- und Schneider-Schizophrenien in die Leonhardschen Entitäten der zykloiden Psychosen, der unsystematischen und der systematischen Schizophrenien durch neuere eigene Befunde validiert werden. Eine gegenüber den übrigen Schizophrenien hochsignifikant günstigere Langzeitprognose der zykloiden Psychosen wurde auch durch die Bonner Schizophrenie-Studie [14] und weitere Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe nachgewiesen. Andererseits konnte der Befund, dass die zykloiden Psychosen stets defektfrei remittieren, nicht in vollem Umfang bestätigt werden, weil auch hier persistierende, besonders reine Defizienzsyndrome vorkommen [4, 5].

Ein genetischer Befund von Leonhard könnte, wenn repliziert, weiter für die Leonhard-Beckmannsche Konzeption sprechen. Leonhard fand bei den unsystematischen Schizophrenien eine hohe Belastungsrate mit gleichsinnigen Erkrankungen, dagegen bei systematischen Schizophrenien und zykloiden Psychosen keine solche genetische Belastung. Diese Befunde veranlassten die Autoren zu der jetzt ausgezeichneten Zwillingsstudie. Sie untersuchten alle nach 1930 geborenen und zumindest einmal psychiatrisch hospitalisierten Zwillinge von Unterfranken, insgesamt 22 monozygote und 23 dizygote Zwillingspaare, die von ihnen nach DSM-III-R und Leonhards Nosologie rediagnostiziert wurden und fanden sehr unterschiedliche Konkordanzraten in den diagnostischen Gruppen: Eine höhere Konkordanz der monozygoten Zwillinge bei den unsystematischen Schizophrenien (89 : 25 %), nicht aber bei systematischen Schizophrenien und den zykloiden Psychosen. Keiner der monozygoten Zwillinge wurde als systematische Schizophrenie diagnostiziert, dagegen 6 von 25 dizygoten Zwillingen. Außerdem fanden sich in der Gruppe der zykloiden Psychosen signifikant mehr schwere Geburtskomplikationen bei den erkrankten im Vergleich mit den gesunden Zwillingspartnern. Die Autoren finden so bestätigt, dass die Psychosen des Schizophreniespektrum aus klinisch und ätiologisch unterschiedlichen diagnostischen Gruppen bestehen: Bei den zykloiden Psychosen und den systematischen Schizophrenien haben genetische Faktoren eine ganz untergeordnete Bedeutung, während hier exogene Einflüssen (mütterliche Schwangerschaftsinfektionen und Geburtskomplikationen) eine große Rolle spielen; dagegen sind die unsystematischen Schizophrenien ganz überwiegend genetisch determiniert. Bei den vorwiegend exogen bedingten zykloiden Psychosen und systematischen Schizophrenien spricht nach den Autoren auch die hohe Rate von Wintergeburten für ihr Konzept. Die perinatalen Komplikationen könnten hier auch sekundär, dagegen die als Hirnentwicklungsstörung im 2. Trimester gedeuteten Veränderungen in der Entorhinalregion des Gyrus parahippocampus (Jakob und Beckmann) primär sein.

Dr. Mortensen nutzte in seinen epidemiologischen Studien die einzigartigen Möglichkeiten des dänischen psychiatrischen Fallregisters [16]. Auf diese Weise konnte er, in Zusammenarbeit mit anderen Kollegen der Abteilung für psychiatrische Demographie in Aarhus, seit 1986 eine Reihe von wichtigen Daten zur Epidemiologie der Schizophrenien erheben. Als preiswürdig wurden vom Kuratorium dabei seine Arbeiten „The occurrence of cancer in first admitted schizophrenic patients” und „Effects of family history and place and season of birth on the risk of schizophrenia” zusammen mit einer Studie über das Schizophrenierisiko durch pränatale und Infektionen im Kindesalter erachtet. Nach der ersten Studie ist das Karzinomrisiko besonders bei Männern und in bezug auf Hoden- und Hautkrebs reduziert, das Brustkrebsrisiko bei Frauen nicht erhöht. Die Befunde könnten auch die Hypothese einer antineoplastischen Wirksamkeit von Neuroleptika stützen. In der zweiten Studie (1999) fand die Arbeitsgruppe von Mortensen eine Assoziation des Schizophrenierisikos mit der Jahreszeit der Geburt. Bei einer Stichprobe von 1,75 Mill. Menschen, deren Mütter zwischen 1935 und 1978 geborene dänische Frauen waren, ist das Schizophrenierisiko für Geburten im Februar und März am höchsten, für solche im August und September am niedrigsten. Die Befunde entsprechen älteren Literaturangaben. Dagegen konnte die Hypothese einer Assoziation zwischen Schizophrenierisiko und pränataler Influenzaprävalenz nicht bestätigt werden. Eher sprechen einige Befunde dafür, dass Infektionen in der Kindheit ein Risikofaktor sind.

Von Interesse sind auch die bei über 9000 Patienten erhobenen Befunde eines erhöhten Suizidrisikos in den ersten fünf Tagen nach der Klinikentlassung, nach mehrfachen Aufnahmen im vorausgegangenen Jahr und nach früheren Suizidversuchen, weiter einer Assoziation mit dem männlichen Geschlecht (doch nicht mit dem Lebensalter) und einer Zunahme während vorübergehender Beurlaubung. Sie bestätigen zum Teil die Befunde anderer Autoren, so auch einer Koinzidenz von Akuität der Erkrankung und suizidalen Handlungen [19]. Zur Frage einer motivischen Verknüpfung mit bestimmten psychotischen Erlebnissen und zum Suizidrisiko im späteren Verlauf (das nach dem 8. Kj. in der Bonn-Studie noch höher ist als vorher) erlaubt die Studie keine Aussagen.

Professor Ulrich Supprian von der psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg erhält den Preis für seine Arbeiten zur Begründung einer chronopathologischen Theorie phasischer Psychosen, deren Ergebnisse zuletzt (1998) in einer zusammenfassenden monographischen Darstellung „Endogene Psychosen und ihre Zeitordnungen”, in den Schriften „Chronobiologische Gestalten endogener Psychosen” und „Studien zur Zeitstruktur manisch-depressiver Phasenkalender” und in der auch therapeutisch relevanten Arbeit „Über das Konzept einer Kurzschlaftherapie bei phasischen Psychosen” niedergelegt sind [20]. Supprian hat sich seit über 30 Jahren in einer außerordentlich intensiven und konsequenten Forschungsarbeit mit dem Thema beschäftigt. Das Forschungswerk von Supprian intendiert eine reduktive naturwissenschaftliche Annäherung an die Phasen, Zyklen und Biorhythmusstörungen bei manisch-depressiven Erkrankungen, die erstmals durch ihn eine in vergleichbarer Weise vorher noch nicht versuchte mathematisch-statistische Behandlung erfahren. Supprian geht dabei von einer sehr umfangreichen, an der Klinik von Bürger-Prinz entstandenen Sammlung von Krankengeschichten mit auch psychopathologisch sehr eindrucksvollen Analysen von z. T. lebenslangen Einzelfallverläufen aus, die er in dem von ihm geleiteten Hamburger Zyklothymiearchiv zusammenstellte. Auf dieser Grundlage entwickelt er eine Syndromatik phasischer Psychosen, in der er agitierte, ekstatische, psychotische, hyperaktive, passive, melancholische und euphorische Bildtypen strukturanalytisch auf dem Hintergrund von Dysregulationen eines systemisolierten Stimmungs-Antriebs-Systems sieht, sie mit dem zugehörigen Zeitpunkt (Kalenderdatum und Stunde des Tages und der Nacht) ihres Auftretens koppelt und so einen den Verlauf abbildenden Datensatz erhält.

Die Verlaufsdynamik ist weder verstehenspsychologisch noch aus Therapieeffekten herleitbar; sie kommt durch die Fluktuation des Stimmungs- und des Antriebssystems mit einer Fülle von Schwankungen in der Schweregradausprägung und psychopathologisch-typologischen Gestaltung im Ablauf der Tage (und selbst der 24 Stunden des Tages) zustande. Die mathematische Modellvorstellung führt auf ein System streng periodischer Zyklen mit einer intraindividuell lebenslang konstanten Länge von 48 Stunden bis zu 156 Tagen. Die Reihe der Phasen und Intervalle bildet ein Kontinuum aufeinander folgender, jeweils genau gleich langer Zyklen, die eine akut psychotische oder intervalläre Erscheinungsoberfläche haben. Wo der Kliniker in den depressiven oder manischen Phasen Vorgänge einer Entordnung und Chaotisierung sieht, ist nach Supprian im Gegenteil eine deterministisch strenge, ultrastabile und starre Ordnung mit berechenbaren Abläufen vorhanden: Wenn ein Zyklus „läuft” und seine rhythmologischen Parameter bekannt sind, kann für alle restlichen Tage des Zyklus das psychopathologische Erscheinungsbild vorhergesagt werden. Andererseits ist am Zyklusende kontingent offen, ob der folgende Zyklus psychotisch oder intervallär werden wird. Mit dem Supprianschen Modell könnte ein Durchbruch erreicht sein, der viele im Begriff des Endogenen vorgestalthaft erfasste Momente einer quantitativen Behandlung zugänglich macht. Weil phasische Psychosen nach der chronopathologischen Theorie ohne auch nur eine pathologisch abgewandelte Hirnfunktion eine „nur” numerisch fassbare Zeitordnungsstörung sind, kann diese unter bestimmten künstlichen Bedingungen (im gegen die Außenwelt völlig isolierten Schlaflabor) mit einer von Supprian entwickelten Kurzschlaftherapie aufgelöst, die alte Zeitordnung wiederhergestellt und so - über den Effekt des therapeutischen Schlafentzugs hinaus - eine Remission der Phase erreicht werden.

Die Supprianschen Forschungen fanden bisher, sicher auch wegen der - so vorher noch nicht - verwendeten, sehr komplizierten mathematischen Methodik, in der biologischen Psychiatrie zu wenig Resonanz. Vor allem fehlt ein breit angelegter Versuch, seine Theorie und die in ihrem Rahmen publizierten zahlreichen Einzelergebnisse, ganz oder in Teilen zu replizieren. Da nach Meinung auch sehr skeptischer kompetenter Kritiker (Bochnik) die riesige Fülle der Befunde und Analysen, des Gedachten und logisch Exemplifizierten zweifellos „wissenschaftliche Goldkörner” enthält, möchte die Zuerkennung des Preises auch dazu anregen, in sicher sehr aufwändigen systematischen Studien zu versuchen, die chronopathologischen Theorie Supprians zu bestätigen oder zu widerlegen.

Die Mitglieder des Kuratoriums glauben, dass die Untersuchungen der Arbeitsgruppen aus Würzburg, Aarhus und Hamburg den Preis verdient haben, zumal sie insbesondere auch in einer Hinsicht ganz ungewöhnlich und anachronistisch sind. Wir leben in einer Zeit, in der zunehmend die Zahl der Publikationen, die Adaptation an die dominierenden Trends der internationalen Forschung und ihre nicht immer transparenten Ranking-, Peer-Review- und Impact-Systeme und sicher auch die Zugehörigkeit zu bestimmten Zitier- und Lobekartellen von Bedeutung für die Anerkennung wissenschaftlicher Arbeit sind. In dieser Situation sind nonkonformistische Arbeiten, wie die heute ausgezeichneten, die über viele Jahrzehnte bestimmte, nicht im Trend liegende Forschungsziele unbeirrbar verfolgen und deren Konzepte und Ergebnisse noch nicht rezipiert und anderswo, zumal in den USA, abgesegnet und „durchgekaut” sind, vorbildlich und herausragend. Dies gilt auch dann, wenn sie bis heute nicht repliziert sind, eben weil ernsthafte Versuche einer Replikation fehlen. Hier soll die Zuerkennung des Preises auch dazu beitragen, andere Arbeitsgruppen zu solchen, allerdings sehr langwierigen, mühsamen und entsagungsvollen Untersuchungen zu veranlassen, weil so gewonnene Einsichten für die zukünftige Forschung bei schizophrenen und affektiven Psychosen von Bedeutung sein könnten. Auch wenn offen ist, was von den Befunden Bestand haben und überdauern wird, können die Arbeiten der Preisträger am fruchtbarsten werden, wenn die „scientific community”, und zwar dem Doppelsinn dieses Wortes gemäß, sie als „Anstoß” nimmt.

Literatur

  • 1 Franzek E, Beckmann H. Different genetic background of schizophrenia spectrum psychoses: A twin study.  Am J Psychiatry. 1998;  153 (1) 76-83
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  • 3 Gross G. (Hrsg) . Perspektiven psychiatrischer Forschung und Praxis. 9. Weißenauer Schizophrenie-Symposion. Stuttgart, New York: Schattauer 1994
  • 4 Gross G, Huber G, Armbruster B. Schizoaffective psychoses - long-term prognosis and symptomatology. In: Marneros A, Tsuang MT (eds). The schizoaffective psychoses Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1986: 188-203
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  • 7 Gross G, Huber G, Saß H. (Hrsg) .Moderne psychiatrische Klassifikationssysteme: Implikationen für Diagnose und Therapie, Forschung und Praxis. 11. Weißenauer Schizophrenie-Symposion. Stuttgart, New York: Schattauer 1998: 253-261
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  • 9 Huber G. (Hrsg) .Basisstadien endogener Psychosen und das Borderline-Problem. 6. Weißenauer Schizophrenie-Symposion. Stuttgart, New York: Schattauer 1985: 81-98
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  • 11 Huber G. (Hrsg) .Idiopathische Psychosen. Psychopathologie - Neurobiologie - Therapie. 8. Weißenauer Schizophrenie-Symposion. Stuttgart, New York: Schattauer 1990: 283-304
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  • 13 Huber G. Psychiatrie. Lehrbuch für Studium und Weiterbildung. 6. Aufl. Stuttgart, New York: Schattauer 1999
  • 14 Huber G, Gross G, Schüttler R. Schizophrenie. Verlaufs- und sozialpsychiatrische Langzeituntersuchungen. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie, Bd. 21. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1979, Reprint 1984
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  • 18 Schneider K. Klinische Psychopathologie. 14. unveränd. Aufl. Mit einem Kommentar von Huber G und Gross G. Stuttgart: Thieme 1992
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  • 20 Supprian U. Endogene Psychosen und Ihre Zeitordnungen. Wien, New York: Springer 1998

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Gerd Huber

Universitäts-Nervenklinik

53105 Bonn (Venusberg)