Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(10): 646-648
DOI: 10.1055/s-2001-17679
MINI-SYMPOSIUM - 200 JAHRE LACHGAS - AUCH DAS ENDE EINER ÄRA?
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Alternativen zu Lachgas -
Desfluran

Alternatives to Nitrous Oxide-DesfluraneG. Fröba
  • Universitätsklinik für Anästhesiologie, Universität Ulm, Ulm
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. Oktober 2001 (online)

150 Jahre nach seiner Einführung ist Lachgas trotz einiger Kontraindikationen immer noch das meistens verwendete Anästhetikum. Bedingt durch die lange Anwendung und die große Zahl an behandelten Patienten liegen langjährige Erfahrungen vor, so dass hohe Anforderungen an ein alternatives Narkosemedikament gestellt werden. Im folgenden sollen Eigenschaften von Desfluran, als mögliche Alternative zu Lachgas, nach heutigem Wissenstand dargestellt werden.

Aufgrund des niedrigen Blut-Gaskoeffizienten von Desfluran (0,45) ist die Ein- und Auswaschkinetik der von Lachgas, vergleichbar [1]. Die Aufnahme von Desfluran wird zwar durch die Kombination mit Lachgas beschleunigt (Second-Gas-Effekt) [2], spielt aber im klinischen Alltag eine eher untergeordnete Rolle [3].

Hinsichtlich der Steuerbarkeit ist Desfluran, einerseits durch den niedrigen Blut-Gaskoeffizienten und andererseits durch die hohe Vaporen-Abgabeleistung, alternativen lnhalationsanästhetika überlegen, insbesondere beim Einsatz im Low- und Minimal-Flow Bereich. Nach der initialen Einwaschphase mit hohem Frischgasfluss, in der Regel für 10 min, kann die erreichte Desflurankonzentration ohne Veränderung der Verdampfereinstelllung (Low-Flow-Anästhesie; 1 l/min) bzw. einer Erhöhung um 1 - 2 Vol% (Minimal-Flow-Anästhesie; 0,5 l/min) aufrechterhalten werden. Unter Ausnutzung der maximalen Abgabeleistung des Vapors von 18 Vol% lassen sich Konzentrationssteigerungen auch bei Minimal-Flow-Anästhesie ohne Erhöhung des Frischgasflusses schnell erreichen [4].

Bei Verzicht auf Lachgas ist eine Steigerung der Desflurankonzentration um 0,2 - 0,25 MAC erforderlich. In der Einwaschphase (1 l/min O2 und 3 l/min Luft) kann mit einer Vaporeinstellung von 6 Vol% nach 10 Minuten eine ausreichende Desflurankonzentration im Kreissystem etabliert werden. In der nachfolgenden Minimal-Flow-Phase (0,3 l/min O2 und 0,2 l/min Luft) kann mit einer Verdampfereinstellung von 8 Vol%, die angestrebte endexspiratorische Konzentration von 4,5 Vol% aufrechterhalten werden.

Bei der Inhalation von Lachgas wie auch von Desfluran kommt es zu einer Stimulation des Sympathikus. Bei Desfluran geschieht dies besonders bei sprunghaften Dosissteigerungen von z. B. 4 Vol% auf 8 Vol%. Dieses Phänomen unterliegt jedoch einer Tachyphylaxie und kann, bei klinischem Verdacht auf mangelnde Narkosetiefe durch die Gabe von Opioiden an Stelle einer schnellen Dosissteigerung von Desfluran unterdrückt werden. Die Gabe von Propofol, β-Blockern oder Clonidin ist wenig bis gar nicht effektiv [5].

Ein Hauptargument für den Verzicht auf Lachgas, ist seine Organtoxizität, gerade bei chronischer Exposition, was in der Vergangenheit auch zur Einführung einer Maximalen Arbeitsplatzkonzentration führte. Eine direkte Organtoxizität ist für Desfluran in nur einem Fallbericht einer immunvermittelten Hepatitis beschrieben: 16 Tage nach einer Desflurannarkose kam es bei einer Patientin zu einer Hepatitis. Im Rahmen des stationären Aufenthaltes konnten bei der Patientin spezifische Antikörper gegen mit Trifluoressigsäure behaftete Lebermikrosomen nachgewiesen werden. Diese Patientin hatte in der Vorgeschichte wiederholt Halothananästhesien, was eine entsprechende Sensibilisierung nahelegt [6]. Die volatilen Anästhetika Halothan, Enfluran, Isofluran und Desfluran werden in der Leber über das Cytochrome P450 2E1 abgebaut. Dabei können Trifluoressigsäureverbindungen (TFA) entstehen, die in Kontakt mit Hepatocyten wiederum eine Immunantwort über Exprimierung von TFA-Antigene an Lebermikrosomen im Sinne einer Hepatitis induzieren können. Njoku et al. zeigten in einer immunhistochemischen Untersuchung einen direkten Zusammenhang mit der Metabolisierungsrate der o. g. volatilen Anästhetika und der Anzahl an Leberzellen die TFA-Antigene exprimieren. Bei Desfluran mit der geringsten Metabolisierungsrate (< 0,02 %) war die Anzahl der mit Markern behafteten Leberzellen mit der Sauerstoffkontrollgruppe vergleichbar. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Desfluran hinsichtlich einer immun vermittelten Hepatitis als am sichersten einzustufen ist [7]. Diese Aussage wird durch die absolute Inzidenz von Auto-Immun-Hepatitiden nach Inhalationsanästhesien unterstützt. Bislang sind in der Literatur mehrere hundert Fälle einer Auto-Immun-Hepatitis für Halothan, rund 20 für Enfluran, 5 für Isofluran und nur ein Fall für Desfluran beschrieben [7]. Schließlich führte der Einsatz von Desfluran bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung zu keiner messbaren Verschlechterung der Leberfunktion [5].

Die Inhalationsanästhetika Desfuran, wie auch Enfluran und Isofluran reagieren mit trockenem Atemkalk unter Bildung von Kohlenmonoxid. Die aktuelle Literatur berichtet jedoch über keine dauerhaften Schäden von Patienten durch den Abbau volatiler Anästhetika zu Kohlenmonoxid. Unter normalen Bedingungen ist der Patient die einzige Kohlenmonoxidquelle. Gesundheitsgefährdende Kohlenmonoxidkonzentrationen werden bei der Verwendung von Desfluran nicht erreicht, weder während Minimal-Flow noch bei Anästhesien im geschlossenen System. Zur nennenswerten Bildung von Kohlenmonoxid ist, zudem ein weitestgehendes Austrocknen des Atemkalks erforderlich, was nur bei fahrlässiger Handhabung stattfinden kann [4] [8].

Durch den Verzicht auf Lachgas ist eine Dosissteigerung entweder von Desfluran oder von Opioiden erforderlich. Dies führt im allgemeinen jedoch nicht zur Verlängerung der postoperativen Aufwachphase. Vanacker et al. fanden keinen Unterschied in den Aufwachzeiten bei Frauen nach Desflurannarkosen, wohl aber einen höheren Bedarf an Desfluran, im Mittel 5,6 Vol.% gegenüber 3,2 Vol.% mit Lachgas, bei identischem Bedarf an Fentanyl. Der Verzicht von Lachgas wirkte sich darüber hinaus in dieser Studie positiv auf die Inzidenz von Übelkeit und Erbrechen aus [9]. Sowohl Einarsson et al. als auch Kuhn et al. berichten über vergleichbare Aufwachzeiten nach Desflurannarkosen mit und ohne Lachgas, bei Erwachsenen bzw. bei Kindern [10] [11].

Aufgrund des stechenden Geruchs ist Desfuran zur inhalativen Narkoseeinleitung nicht geeignet [5]. Die Narkoseaufrechterhaltung, gerade ohne Lachgas, ist bei Kindern und Neonaten mit Desfluran durch eine signifikant schnellere Erholung von Vitalparametern im Vergleich zu anderen Narkoseregimen gekennzeichnet. O'Brien beobachtete eine signifikant kürzere Zeit bis zur Extubation in der Gruppe von Neugeborenen die eine Narkose mit Halothaneinleitung/Desfluranaufrechterhaltung (14 ± 5 min) bzw. Thiopentaleinleitung/Desfluranaufrechterhaltung (14 ± 6 min) erhalten hatten gegenüber reinen Halothan (24 ± 8 min) - oder Sevoflurannarkosen (20 ± 6 min) [12]. Welborn bestätigt diese Ergebnisse nach Narkosen mit Halothan/Desfluran im Vergleich zu Halothan/Sevofluran, reinen Halothan- oder Sevoflurannarkosen bei älteren Kindern [13]. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Desfluran eine Alternative zu anderen volatilen Anästhetika zur Narkoseaufrechterhaltung darstellt, gerade bei Kindern, die durch eine postoperative Atemdepression gefährdet sind [12] [13]. Eine aktuelle Untersuchung stellt zudem den Einsatz von Lachgas gerade bei Neonaten und Säuglingen in Frage: Fujinaga et al. fanden nämlich keinen antinozizeptiven Effekt von Lachgas bei neugeborenen Ratten. Die Unterdrückung des experimentellen Schmerzreizes war erst ab einem Lebensalter von 21 Tagen voll ausgeprägt [14]. Die Autoren führen dieses Ergebnisses darauf zurück, dass für die antinozizeptive Wirkung Lachgas die vollständige Ausbildung absteigender, noradrenerger Bahnen im Rückenmark erforderlich ist [14] [15]. Diese Bahnen sind aber bei neugeborenen Versuchstieren noch nicht ausgebildet, sondern entwickeln sich erst im Lauf der ersten drei Lebenswochen. Beachtet man die erst verzögerte Entwicklung des sympathischen Nervensystems in den ersten zwei Lebensjahren beim Menschen, so können möglicherweise gerade unsere kleinsten Patienten nicht vom analgetischen Effekt von Lachgas profitieren [14].

Der Verzicht auf Lachgas erfordert eine Umstellung der Narkosetechnik; kann der Patient bis zur letzten chirurgischen Manipulation mit Lachgas noch in einem Stadium der Toleranz gehalten werden, muss dieser Zeitraum nun mit einem anderem, in der Wirkung schnell abklingenden, Narkosemedikament überbrückt werden. Desfluran eignet sich, bedingt durch seine hervorragende Steuerbarkeit, ausgezeichnet dazu, zumal die zusätzliche muskelrelaxierende Wirkung bis Operationsende genutzt werden kann [16].

Stellt man die Kontraindikation für Lachgas (akutes Schädel-Hirn-Trauma, manifeste Herzinsuffizienz, pulmonale Hypertonie, Ileus und Pneumothorax) denen von Desfluran gegenüber (maligne Hyperthermie, positive Anamnese einer Leberfunktionsstörung nach halogenierten Anästhetika und Mono-Substanz zur Narkoseeinleitung) so kann mit Desfluran ein deutlich breiteres Patientengut anästhesiert werden. Außerdem hat Lachgas bei einem MAC von 1,01 bar und einer Maximalkonzentration von 79 % unter atmosphärischen Bedingungen eine deutlich geringere therapeutische Breite, so dass eine suffiziente Mono-Anästhesie mit Lachgas in den wenigsten Fällen möglich ist.

Desfluran stellt aufgrund einer vergleichbaren Steuerbarkeit, geringeren Organtoxizität, höheren therapeutischen Breite und größerem Spektrum an Patienten, eine echte Alternative zu Lachgas dar. Aus ökonomischen Gründen sollte die routinemäßige Anwendung von Desfluran aber nur bei konsequenter Durchführung von Niedrigflussnarkosen erfolgen.

Literatur

  • 1 Yasuda Y, Lockhart S H, Eger II E, Weiskopf R B, Laster M, Taheri S, Peterson N A. Comparison of Kinetics of Sevoflurane and Isoflurane in Humans.  Anesth Analg. 1991;  72 316-324
  • 2 Taheri S, Eger II E. A Demonstration of the Concentration and Second Gas Effects in Humans Anesthetized with Nitrous Oxide and Desflurane.  Anesth Analg. 1999;  89 774-780
  • 3 Sun X, Feng S, Shi Y Q, Lee C. The “Second Gas Effect” is not a Valid Concept.  Anesth Analg. 1999;  88 188-192
  • 4 Baum J, Berghoff M, Stanke H G, Petermeyer M, Kalff G. Niedrigflussnarkosen mit Desfluran.  Anaesthesist. 1997;  46 287-293
  • 5 Conzen P, Nuscheler M. Neu Inhalationsanästhetika.  Anaesthesist. 1996;  45 674-693
  • 6 Martin J L, Plevak D J, Flannery K D, Charlton M, Poterucha J J, Humphreys C E, Derfus G, Pohl L R. Hepatotoxicity after Desflurane Anesthesia.  Anesthesiology. 1995;  83 1125-1129
  • 7 Njoku D, Laster M J, Gong D H, Eger II E, Reed G F, Martin J L. Biotransformation of Halothane, Enflurane, Isoflurane, and Desflurane to Trifluoroacetylated liver Proteins: Association Between Protein Acylation and Hepatic Injury.  Anesth Analg. 1977;  84 173-178
  • 8 Funk W, Roth G, Gruber M, Hobbhahn J. Kohlenmonoxid - Hämoglobin und Inhalationsanästhesie - Ein neues Problem?. Anästhesiologie und Intensivmedizin 1999 4: 195-200
  • 9 Vanacker B F. The impact of nitrous oxide on postoperative nausea and vomiting after desflurane anaesthesia for brest surgery.  Acta Anaesthesiol Belg. 1999;  50 77-81
  • 10 Einarsson S G, Cerne A, Bengtsson A, Stenquist O, Bengtson J P. Respiration during emergence from anaesthesia with desflurane/N2O vs. Desflurane/air for gynaecological laparoscopy.  Act Anaesthesiol Scand. 1998;  42 1192-1198
  • 11 Kuhn I, Scheifler G, Wissing H. Incidence of nausea and vomiting in children after strabismus surgery following desflurane anaesthesia.  Ped Anaesth. 1999;  9 521-526
  • 12 O'Brien K, Robinson D N, Notron N S. Induction and emergencein infants less than 60 weeks post-conceptual age: comparison of thiopental, halothane, sevoflurane and desflurane.  Br J Anaesth. 1998;  80 456-459
  • 13 Welborn L G, Hannallah R S, Norden J M, Ruttimann E UE, Callan C N. Comparison of Emergence and Recovery Characteristics of Seflofurane, Desflurane, and Halothane in Pediatric Ambulatory Patients.  Anesth Analg. 1996;  83 917-920
  • 14 Fujinaga M, Doone R, Davies M F, Maze M. Nitrous oxide lacks the antinociceptive effect on the tail flick test in newborn rats.  Anesth Analg. 2000;  91 6-10
  • 15 Zhang C, Davies M F, Guo T Z, Maze M. The analgesic action of nitrous oxide is dependent on the release of norepinephrine in the dorsal horn of the spinal cord.  Anesthesiology. 1999;  91 1401-1407
  • 16 Tinker J H. Desflurane: First New Volatile Anesthetic in Almost 20 Years.  Anesth Analg. 1992;  75 S1-S2

Dr. med. G. Fröba

Universität Ulm
Universitätsklinik für Anästhesiologie

Postfach 3880

89075 Ulm

    >