Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(10): 597-598
DOI: 10.1055/s-2001-17680
EDITORIAL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur Diskussion über das Ende der Lachgas-Ära in Deutschland -
emotionales Meinungsbild oder zwingende Notwendigkeit?

Nitrous Oxide - End of an Era - a Specific German DiscussionJ.  Schulte am Esch1 , J.  Scholz2
  • 1Hamburg
  • 2Kiel
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 October 2001 (online)

Seit einigen Jahren befinden sich eine Reihe von Meinungsführern in der deutschen Anästhesiologie in einer zum Teil emotional geführten Trenddiskussion über die Abschaffung von Lachgas in der Inhalationsanästhesie. Diese Diskussion stützt sich überwiegend auf die Entwicklung von der High-Flow zur Narkosemittel reduzierten Low Flow Inhalationsnarkose und den damit in Zusammenhang stehenden Gefahren hypoxischer Gasgemische. Darüber hinaus werden bekannte Argumente über Nebenwirkungen der Lachgasanästhesie erneut hervorgehoben wie die physikalischen, pharmakologischen, toxischen und umweltbelastenden Wirkungen des Lachgases.

In dem Minisymposion von Schüttler und Schwilden in diesem Heft „200 Jahre Lachgas - auch das Ende einer Ära?” [3] sind hierzu die grundlegenden Daten bezüglich der Toxizität von Lachgas, der klinischen Pharmakologie von Lachgas sowie alternativer Inhalationsanästhetika wie Desfluran, Sevofluran und möglicherweise zukünftig Xenon wieder gegeben und darüber hinaus die Low Flow-Anästhesie mit und ohne Lachgas dargestellt. In ihrem begleitenden Editorial stellen Schüttler und Schwilden fest „Wenn das Ende der Lachgas-Ära noch nicht da ist, so scheint doch aber spätestens mit der Jahrhundertwende der Anfang vom Ende eingeläutet zu sein”.

Derartige Betrachtungen sind vom Grundsatz her nicht neu, schon 1987 wurde in einem Beitrag „Stand und Perspektiven der Anwendung von Stickoxidul und Luft in der Anästhesie” [2] diskutiert, dass in Zukunft auch ein so weit verbreitetes Anästhetikum wie Lachgas seinen festen Platz in der Routinenarkose verlieren könnte, dieses insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es offenbar toxischer als andere Anästhetika ist. Vielenorts sind möglicherweise noch die Vorteile von Lachgas von Bedeutung wie eine gewisse analgetische Potenz, seine schnelle Pharmakokinetik und die relativ niedrigen Kosten. Die Abwägung von Vor- und Nachteilen des Lachgases sollten in jedem Falle berücksichtigen, welche Vor- und Nachteile alternative Verfahren mit sich brächten.

Eine von der European Academy of Anaesthesiology (EAA) initiierte „Working Group on the Use of Nitrous Oxide in Europe” ermittelte auf der Grundlage eines kürzlich abgehaltenen Workshops und eines von allen Mitgliedern beantworteten detaillierten Fragebogens einen konkreten Einblick in den derzeitigen Stellenwert von Lachgas in Europa. Die Working Group war sich über die Vorteile sowie die Nebenwirkungen und Risiken des Lachgases einig.

In nahezu allen Ländern Europas wird heute noch in 70 - 80 % der Inhalationsnarkosen Lachgas angewendet, so dass von den meisten Repräsentanten europäischer Anästhesiegesellschaften für deren Länder eine Abschaffung des Lachgases nicht befürwortet wird. Deutlich wurde, dass es in Europa keine lachgasspezifischen Guidelines gibt. Man war sich einig, dass durch routinemäßig eingesetzte Narkosegas-Absauganlagen die Arbeitsplatzbelastung gering und damit problemlos ist. Es wurde keine Indikation für den Einsatz von Lachgas beispielsweise im Bereich der kardiovaskulären Chirurgie oder in der Neurochirurgie gesehen. Dagegen wird bei der Inhalationseinleitung zu Kindernarkosen von 50 % der europäischen Anästhesisten Lachgas verwendet. Neben einer Fülle weiterer interessanter Statements war die Einschätzung zum Stellenwert des Lachgases für eine ökonomische Narkoseführung überraschend, hier war sich die überwiegende Anzahl der Mitglieder der Working Group über ein klares „Ja” zur Kostensenkung durch Lachgas sicher.

Aus der Stellungnahme der Mitglieder der Working Group konnten die folgenden Schlussfolgerungen zur derzeitigen Situation gezogen werden :

Es gibt kein europäisches Lachgas-Problem; allgemein ist Lachgas als eine sichere Substanz zu betrachten, wenn bestimmte Kriterien eingehalten werden. Hierzu gehört vor allem die inspiratorische Sauerstoff-Messungen, die Pulsoxymetrie und vor allem die effektive Narkosegas-Absauganlage am Anästhesie-Arbeitsplatz und die Beachtung der Kontraindikationen. Nach der Präsentation dieser Ergebnisse auf der Senatssitzung der EAA im September dieses Jahres wurde die Working Group aufgefordert, in nächster Zukunft die Ergebnisse zu publizieren und Empfehlungen für den Gebrauch von Lachgas zu formulieren.

Auch unter Berücksichtigung aller Präs und Cons das Lachgas betreffend ergibt sich derzeit keine zwingende Herausforderung, auf Lachgas in der Inhalationsnarkose routinemäßig zu verzichten. Die sachliche Standortbestimmung über den Umgang mit Lachgas in den europäischen Anästhesiegesellschaften und auf wissenschaftlichen Kongressen sollte fortgeführt werden.

Wir befinden uns in Deutschland mitten in einer Diskussion über die Anwendung von Lachgas, die jedoch europaweit noch nicht in vergleichbarer Intensität geführt wird. Das Schicksal von Lachgas muss erst im Verlauf der nächsten Jahre entschieden werden, wenn alternative Verfahren verfügbar sind, die angepasst an die jeweilige wirtschaftliche Situation von Staaten bzw. deren Krankenhäusern umgesetzt werden können.

Ein Ende der Lachgas-Ära wird auch nicht durch die einschlägige Literatur auf nationaler und internationaler Ebene belegt. Lachgas und FCKW-haltige Narkosemittel unterliegen derzeit bezüglich ihrer Anwendung keinerlei Restriktionen. Inwieweit in den nächsten Jahrzehnten möglicherweise weitere Regulierungen oder Einschränkungen beschlossen werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht abgeschätzt werden [1] [4].

Somit sollte eine Diskussion über die zukünftige Anwendung von Lachgas mit Augenmaß geführt werden, vor allem vor dem Hintergrund, dass weltweit nur in relativ wenigen Kliniken und Bereichen adäquate, finanzierbare und somit verantwortbare Möglichkeiten existieren, auf Lachgas komplett zu verzichten.

Literatur

  • 1 Bundesgesetzblatt I (6. 05. 1991 S. 1090 ff) Verordnung zum Verbot von bestimmten, die Ozonschicht abbauenden halogenen Kohlenwasserstoffen (FCKW-Halon-Verbotsverordnung)
  • 2 Schulte am Esch J. Standort und Perspektiven der Anwendung von Stickoxidul und Luft in der Anästhesie. In: Die Inhalationsnarkose - Steuerung und Überwachung, Hrsg.: H. Schwilden und H. Stoeckel. S. 57 - 67, Thieme-Verlag Stuttgart; 1987
  • 3 Schüttler J, Schwilden H. Editorial 200 Jahre Lachgas - auch das Ende einer Ära?. Minisymposium, AINS 2001 36: 640
  • 4 Verordnung Nr. 2037/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000, die zum Abbau der Ozonschicht führen. 

Prof. Dr. med. J. Schulte am Esch

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistraße 52

20246 Hamburg