Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(11): 698-700
DOI: 10.1055/s-2001-18049
ORIGINALIA
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Stellenwert zerebraler
Überwachungsmaßnahmen
in der Karotischirurgie.
Ergebnisse einer Umfrage

Stellungnahme des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Neuroanästhesie der DGAIRole of Cerebral Monitoring in Carotic SurgeryWissenschaftlicher Arbeitskreis Neuroanästhesie der DGAI
  • 1. Sprecher: J.-P. Jantzen, 2. Sprecher: C. Werner,
    Schriftführer: E. Pfenninger
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
26. Oktober 2001 (online)

Durch kontrollierte prospektive Studien ist mit hoher Evidenz gesichert, dass die Desobliteration hochgradiger (>70 %iger) Stenosen der A. carotis der konservativen Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern überlegen ist. Die Operation reduziert bei symptomatischen Patienten das Gesamtrisiko (Mortalität oder schwerer Apoplex) um 48 %.

Karotisoperationen zählen daher nicht nur zu den klar indizierten sondern auch häufigsten gefäßchirurgischen Eingriffen. Aufgrund der Multimorbidität der Patienten und der besonderen Risiken der Operation stellen sie den Anästhesisten vor besondere Herausforderungen.

Vor diesem Hintergrund ist Thiel für seine Mühe zu danken, alle deutschen Anästhesieabteilungen, die gefäßchirurgische Eingriffe betreuen, nach ihrem Prozedere bei Karotisoperationen befragt zu haben. Die hohe Rücklaufquote erlaubt eine Bestandsaufnahme der Anästhesieverfahren, der Shuntanlage sowie des Neuromonitorings bei Karotisrekonstruktionen. Die Ergebnisse belegen die übliche klinische Praxis und helfen der einzelnen Anästhesieabteilung, ihr Vorgehen im innerdeutschen Vergleich einzuordnen.

Der tatsächliche (Stellen)Wert der verschiedenen Verfahren, insbesondere des Neuromonitorings, kann durch diese Befragung nicht belegt werden. Dazu fehlen vor allem der Bezug zum Ergebnis und zu den Komplikationen. Aus gleichem Grund lassen sich auch keine Empfehlungen zu einer bestimmten Vorgehensweise ableiten.

Dennoch finden sich einige bemerkenswerte Ergebnisse:

Mehr als 95 % der teilnehmenden Krankenhäuser führen Karotisoperationen in Allgemeinanästhesie durch und schätzen offensichtlich die Vorteile dieses Verfahrens (einfache, sichere Technik; optimale Operationsbedingungen durch bewegungsfreies Operationsgebiet; Kontrolle der Atemwege und Optimierung der Oxygenierung…).

Bei zwei Drittel der Allgemeinanästhesien werden überwiegend Inhalationsanästhetika, bei einem Drittel intravenöse Anästhetika verwendet. Sie werden in 65 bzw. 89 % der Fälle mit Stickoxydul supplementiert. Einem möglicherweise vasodilatierendem Effekt mit zerebralem Stealphänomen, einer potenziellen Erhöhung des zerebralen Sauerstoffverbrauchs sowie der allgemeinen Kritik am N2O (fragliche Wirkung, erhöhte Inzidenz an Nausea…) wurde zumindest 1998 keine richtungsweisende Bedeutung beigemessen. Allerdings existieren keine Untersuchungen, die eine nachteilige Wirkung des Stickoxiduls speziell bei Karotisoperationen belegen.

Sevofluran und Desfluran, die aufgrund ihrer Pharmakokinetik ein rasches Erwachen und eine frühzeitige Beurteilung des Neurostatus ermöglichen, werden nur bei 34 % der Operationen verwendet.

Aus den Daten lässt sich nicht beantworten, mit welchen Verfahren die Ziele einer Narkose bei Karotisoperationen (hämodynamische Stabilität, günstige zerebrale und myokardiale O2-Bilanz, rasche postoperative neurologische Beurteilbarkeit) am besten erreicht werden. Wichtiger als die Auswahl eines bestimmten Verfahrens ist eine adäquate Narkoseführung, die den genannten Zielen gerecht wird.

Weniger als 5 % der Karotisoperationen werden in Lokal- bzw. Regionalanästhesie durchgeführt. Diesen Verfahren wird in Deutschland eine weit geringere Bedeutung beigemessen als in anderen Ländern (z. B. Australien, Frankreich, USA). Evidenzbasierte Daten, die eine geringere Apoplex- bzw Myokardinfarktrate unter Regionalanästhesie und damit die Überlegenheit gegenüber der Allgemeinanästhesie belegen, gibt es allerdings nicht.

Der Verzicht auf eine Regionalanästhesie bedeutet den Verzicht auf die klinisch neurologische Überwachung zur Objektivierung einer abklemmbedingten Ischämie und zur gezielten Shuntanlage. Bei Eingriffen in Allgemeinanästhesie stellt sich die Frage nach der Strategie zur Vermeidung einer Minderperfusion nach dem Abklemmen der A. carotis, d. h. die Frage kein Shunt, immer Shunt oder gezielte Shuntanlage. In der Praxis findet man alle Varianten. 44,7 % der Chirurgen legen immer einen Shunt ein und setzen alle Patienten dessen Risiken aus, obwohl nur 5 - 10 % wegen ungenügender Kollateralzirkulation einen Shunt brauchen und obwohl der Shunt keinen Schutz vor abklemmbedingter Ischämie bietet, wenn ein ungenügender Shuntblutfluss nicht erkannt wird. Es ist deshalb erfreulich, dass 29 von 93 Kliniken trotz genereller Shuntanlage ein Neuromonitoring durchführen.

Über 7 % legen nie einen Shunt ein und nehmen das Risiko eines abklemmbedingten Schlaganfalls in Kauf. Die größte Gruppe (48,6 %) praktiziert eine gezielte Shuntanlage bei den Patienten, die das Abklemmen nachweislich oder vermutlich nicht tolerieren. Die Indikation zur selektiven Shuntanlage wird in erster Linie vom Operateur gestellt, obwohl keine objektiven Kriterien existieren, die ischämiegefährdete Patienten zuverlässig identifizieren.

Hinsichtlich des Neuromonitorings wird uneinheitlich verfahren: 43 % der Kliniken, vermutlich hauptsächlich diejenigen, die immer einen Shunt anlegen, führen kein Neuromonitoring durch. Dies deckt sich mit den Erfahrungen der Kommission Qualitätssicherung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, wonach 46 % der Kliniken kein Neuromonitoring anwenden.

Unter denjenigen, die Neuromonitoring einsetzen, messen 33,8 % den Karotisstumpfdruck. Auch wenn nicht klar ist, ob aus dem Stumpfdruck therapeutische Konsequenzen gezogen werden, überrascht die hohe Inzidenz der Stumpfdruckmessung. Es existieren zahlreiche kontrollierte prospektive Studien, die zeigen, dass es mit Hilfe der Stumpfdruckmessung nicht möglich ist, Patienten ohne ausreichende Kollateralzirkulation nach dem Abklemmen der A.carotis zuverlässig zu erkennen.

33,0 % der Kliniken ziehen eine konventionelle oder computerunterstützte EEG-Aufzeichnung zur Ischämiedetektion heran. Abgesehen von der relativ hohen Störanfälligkeit und mangelnden Spezifität der Veränderungen besteht das Hauptproblem des EEG-Monitorings darin, dass subkortikale Ischämien im Bereich der besonders ischämiegefährdeten Marklagerarterien nicht erkannt werden und keine objektiven Kriterien vorhanden sind, die eine Ischämie der Großhirnrinde frühzeitig erkennen lassen.

Dies gilt noch viel mehr für die jugularvenöse und transkranielle Oximetrie. Aufgrund der zahlreichen Faktoren, die den Hirnstoffwechsel beeinflussen, zeigen die Patienten eine erhebliche interindividuelle Streubreite der jugularvenösen und regionalen zerebralen Sauerstoffsättigung. Dies verhindert die Objektivierung einer kritischen Ischämie mit der Notwendigkeit zur Shuntanlage im Einzelfall und macht beide Verfahren für die klinische Routine untauglich.

Nur 6,8 % der Kliniken setzen die transkranielle Dopplersonographie zur Überwachung ein. Dies ist vor allem auf die schwierige Anwendung und hohe Versagerrate dieser Methode zurückzuführen. Bei 10 - 30 % der meist sehr alten Patienten findet sich kein Flusssignal in der A. cerebri media; bei Patienten, die während der Abklemmphase eine kritische Ischämie erleiden, beträgt der Anteil über 50 %. Die transkranielle Dopplersonographie ist deshalb als alleiniges Ischämiemonitoring in der Karotischirurgie unzureichend.

Mehr als die Hälfte, nach der Erhebung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie sogar 73 % aller Kliniken, die ein Neuromonitoring anwenden, setzen Medianus-SSEP ein. Gründe sind die einfache Anwendung und Handhabung, klare Ischämiekriterien, geringe Störanfälligkeit und hohe Sensitivität und Spezifität in Hinblick auf eine abklemmbedingte Ischämie. Die Sensitivität beträgt in großen Kollektiven 100 %. Es gibt allerdings einzelne Fallberichte, wonach SSEP bei Patienten, die nach einem Schlaganfall zur Operation kommen, eine Minderperfusion möglicherweise nicht zuverlässig anzeigen.

Trotz jahrezehntelanger Diskussion bleibt die Frage letztlich offen, welches Vorgehen (kein Shunt, immer Shunt, gezielte - monitorgesteuerte - Shuntanlage) mit der niedrigsten Apoplexrate einhergeht.

Es gibt zwar Untersuchungen, die belegen, dass durch eine selektive monitorgesteuerte Shuntanlage die Apoplexrate bis um das Zehnfache reduziert wird. Dabei handelt es sich aber um retrospektive Analysen und Vergleiche mit historischen Kontrollgruppen, die das Neuromonitoring als alleinige Ursache für das günstige Ergebnis fraglich erscheinen lassen.

In prospektiven Untersuchungen, z. B. der Erhebung zur Qualitätssicherung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie findet sich zwischen den drei Optionen zur Shuntanlage kein Unterschied im neurologischen Ergebnis; eine Aussage über den Wert des Neuromonitoring läßt sich daraus nicht ableiten. Dazu sind die neurologischen Komplikationen zu selten, das Spektrum der eingesetzten Verfahren zu breit und die übrigen Voraussetzungen (Operationsindikation, Operationsfrequenz usw.) zu heterogen.

Die Frage nach dem Wert des Neuromonitorings könnte nur durch eine randomisierte prospektive Studie geklärt werden. Allerdings wird eine derartige Untersuchung nicht durchführbar sein, weil es ethisch nicht vertretbar wäre, Patienten mit pathologischem Monitorbefund während der Abklemmphase einen Shunt vorzuenthalten.

Dennoch sprechen überzeugende Gründe für den Einsatz des Neuromonitoring und eine gezielte Shuntanlage:

Durch die hohe Sensitivität, insbesondere somatosensorisch evozierter Potentiale, ist es möglich, alle ischämiegefährdeten Patienten, die von einem Shunt profitieren, zu erkennen. Bei der Mehrzahl der Patienten (90 - 95 %) lassen sich die Risiken einer Shuntanlage vermeiden. Eine Shuntfehlfunktion kann zeitnah erkannt und ein ungenügender Shuntblutfluss behoben werden. Das Neuromonitoring macht deshalb auch in Kliniken Sinn,die eine generelle Shuntanlage präferieren.

Das Neuromonitoring bietet dem Operateur die Möglichkeit, das Gefäß ohne Zeitdruck zu desobliterieren. Zusätzliche Maßnahmen, z. B. die intraoperative Angioplastie einer Karotissiphonstenose, erfordern den Verzicht auf einen Shunt und sollten nur unter Monitorkontrolle durchgeführt werden.

Das Neuromonitoring bietet auch für die Narkoseführung Vorteile. Solange der Monitorbefund unauffällig bleibt, kann man ohne Gefahr einer zerebralen Ischämie einen normalen oder erniedrigten Blutdruck tolerieren und damit das Myokard zu entlasten.

Schließlich werden durch das Neuromonitoring die Pathomechanismen neurologischer Defizite transparent. Diskussionen darüber, ob ein postoperatives Defizit auf einen Blutdruckabfall oder eine abklemmbedingte Ischämie zurückzuführen ist, entfallen. Ein neues neurologisches Defizit ohne intraoperativen pathologischen Monitorbefund, das sich protrahiert im Aufwachraum oder (selten) unmittelbar nach der Extubation manifestiert, weist auf eine Thrombemboliequelle und die Notwendigkeit zur sofortigen Revision hin.

Auch wenn überzeugende Gründe für das Neuromonitoring sprechen, muss man sich bewusst sein, dass intraoperatives Monitoring nur ein (allerdings sehr wertvoller) Baustein im gesamten Management einer Karotisoperation ist. Genauso wichtig sind jedoch z. B. die Kenntnisse möglicher Risiken im Aufwachraum.

Entscheidend für den Erfolg einer Karotisoperation sind ein eingespieltes Team und ein transparentes, schlüssiges Gesamtkonzept, das sich im Rahmen externer qualitätssichernder Maßnahmen nachprüfen lässt. Wenn die vorliegende Bestandsaufnahme die Diskussion dazu anregt, hat sie ihr Ziel erreicht.

Literatur

  • 1 Dinkel M. Funktionelles, hämodynamisches und metabolisches Neuromonitoring in der Karotischirurgie. Wissenschaftliche Verlagsabteilung Wiesbaden 1995
  • 2 Lanier W L. Cerebral function monitoring during carotid endarterectomy.  J Neurosurg Anesthesiol. 1989;  1 207-212

Für den Arbeitskreis:

Priv.-Doz. Dr. med. M. Dinkel

Klinik für Anästhesiologie
Universität Erlangen-Nürnberg

Krankenhausstraße 12

91054 Erlangen

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