Aktuelle Neurologie 2001; 28: 253-255
DOI: 10.1055/s-2001-18911
WORKSHOP 3
Workshop 3
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Therapie von Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom

Therapy for Patients with Idiopathic Parkinson's DiseaseH. Reichmann1 , A. Becker2 , G.  A. Fuchs3 , L. Lachenmeyer4 , D. Müller4 , M. Müngersdorf5 , M. Schwarz6
  • 1Klinik und Poliklinik für Neurologie, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden
  • 2Marburg
  • 3Wolfach
  • 4Hamburg
  • 5Dresden
  • 6Dortmund
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Publication Date:
06 December 2001 (online)

Wann und wie soll ein Patient mit einem de-novo-Parkinson-Syndrom therapiert werden?

Unter Heranziehung der Kriterien der evidence-based medicine gibt es noch keine ausreichenden Hinweise für Neuroprotektion unter einem der gängigen Antiparkinson-Präparate. Bezüglich der Dopaminagonisten ist allerdings festzuhalten, dass dort mittels Bildgebung (β-CIT-SPECT, Flurodopa-PET) für die Agonisten Ropinirol [1], Pramipexol [2] und Pergolid [3] jeweils ein Trend dahingehend festgestellt werden konnte, dass im Gegensatz zur Levodopa-Monotherapie der jeweilige Dopaminagonist mit einer Verlangsamung der Absterberate der nigrostriatalen Neurone verknüpft war. In diesem Zusammenhang warten wir alle auf eine Studie mit Ropinirol, die wohl zu Beginn des Jahres 2002 aus der Londoner Arbeitsgruppe um David Brooks publiziert werden wird und die dann erstmals eine ausreichende Anzahl an Patienten vergleichen wird, die entweder Levodopa-Monotherapie oder Ropinirol-Monotherapie erhielten. Sollte dann Neuroprotektion mittels Bildgebung beim Menschen erstmals bewiesen worden sein, wäre die Therapieempfehlung, wie wir sie im Folgenden darstellen, dahingehend zu revidieren, dass sofort nach Diagnosestellung mit dem Einsatz eines Dopaminagonisten begonnen werden müsste.

Bis zum Vorliegen dieser erhofften Daten ist unsere Empfehlung, dass Patienten dann behandelt werden sollen, wenn sie in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt sind, d. h. ein Uhrmachermeister mit einem leichten Tremor wird eher behandelt werden müssen als z. B. ein Landwirt mit demselben Tremor, oder ein am Schreibtisch Tätiger wird eher eine leichte Hypokinese akzeptieren als ein Postzusteller. Um den richtigen Zeitpunkt des Therapiebeginns festzulegen, ist eine enge Kooperation zwischen Hausarzt und Fachneurologen unabdingbar, und es ist unsere Meinung, dass die Entscheidung über den Therapiebeginn wegen der möglichen Spätkomplikationen in neurologische Hände gehört.

Problematisch ist eine Dichotomie in Patienten jünger bzw. älter als ein vorgegebenes Alter, weil das biologische Alter unserer Patienten außerordentlich variabel ist. Trotz dessen würden wir aufgrund der Rascol-Daten [1] empfehlen, dass insbesondere Patienten mit guter Lebensqualität und unter 70 Jahren bevorzugt mit einem Dopaminagonisten und Patienten mit einer schlechten Lebensqualität und hoher Komorbidität und über 70 Jahren bevorzugt mit Levodopa behandelt werden sollten. Kontraindikationen gegen den Einsatz eines Dopaminagonisten sind selbstverständlich Psychosen, eine entsprechende Komorbidität mit z. B. Stenokardie bei Ergolinderivaten oder Leberstörungen (Ergolinderivate) bzw. Nierenfunktionsstörungen (Nichtergotderivate). Wichtig ist auch, bezüglich der Überlegung, ob ein Dopaminagonist bzw. Levodopa eingesetzt wird, zu prüfen, wie die individuelle Lebenserwartung sein dürfte. Patienten, die aus ärztlicher Sicht eine kürzere Lebenserwartung haben, sollten bevorzugt mit dem etwas besser tolerablen und schneller wirksamen Levodopa therapiert werden als Patienten, die in jüngeren Jahren und mit guter Lebensqualität und guter primärer Lebenserwartung erkranken, die wiederum bevorzugt mit einem Dopaminagonisten therapiert werden sollten. Die Bevorzugung des Dopaminagonisten aus heutiger Sicht beruht darauf, dass Dopaminagonisten nicht nur, was sie besonders gut leisten, das Auftreten von Dyskinesien hinauszuzögern und zu reduzieren (z. B. [1] [2] [3]), sondern auch motorische Fluktuationen, wie z. B. on-off-Phänomene, wearing-off, end-of-dose-Dyskinesia, positiv beeinflussen können, da sie im Gegensatz zu Levodopa mit seiner Halbwertszeit von 1,5 bis 2,5 Stunden Halbwertzeiten bis zu 67 Stunden (Cabergolin) aufweisen.

Der Einsatz von Selegilin ist unseres Erachtens in der Frühphase der Erkrankung auch aus heutiger Sicht weiter gerechtfertigt. Nachdem man nach der DATATOP-Studie [4] zunächst an Neuroprotektion unter Selegilin glaubte, weil damals Patienten mit Selegilin 6 - 9 Monate später erst Levodopa benötigten, sieht man dieses Ergebnis heute als Ausdruck der Hemmung der Monoaminooxidase B durch Selegilin und der damit verknüpften besseren Verfügbarkeit von Dopamin am Dopaminrezeptor. Andererseits besteht aber eine umfangreiche Literatur bezüglich neuroprotektiver Eigenschaften von Selegilin sowohl in der Zellkultur als auch im Tiermodell [5]. Besonders bemerkenswert sind aus unserer Sicht zwei Studien von Olanow [6] und Larsen [7], die folgendes in einer doppelblinden, randomisierten Studie geprüft haben: Es wurden de-novo-Patienten von Olanow in vier Gruppen à 20 Patienten eingeteilt, von denen die erste Gruppe Levodopa ohne Selegilin, die zweite Gruppe Levodopa mit Selegilin, die dritte Gruppe Bromocriptin mit Selegilin und die vierte Gruppe Bromocriptin ohne Selegilin erhielt. Diese Therapie wurde doppelblind für ein Jahr durchgeführt und dann Selegilin abgesetzt. Einen Monat später führte man eine sorgfältige klinisch neurologische Untersuchung mit UPDRS durch und nahm dann den Patienten für die nächsten sieben Tage Levodopa bzw. den Dopaminagonisten weg. Nach diesen sieben Tagen wurde erneut klinisch neurologisch inklusive UPDRS untersucht und die prozentuale Verschlechterung analysiert. Überzeugendes Resultat dieser kleinen Studie war, dass alle Patienten, die unabhängig davon, ob sie Levodopa oder einen Dopaminagonisten eingenommen hatten, sich dann weniger verschlechterten, wenn sie dieses eine Jahr lang Selegilin erhalten hatten. Nachdem die Halbwertszeit von Selegilin ca. zwei Stunden beträgt, ist eine Auswaschphase von vier Wochen sicherlich ausreichend. Zu nahezu identischen Ergebnissen führte eine jüngere Studie von Larsen u. Mitarb., der ebenfalls nachweisen konnte, dass Patienten, die zuvor Selegilin erhalten hatten, eine geringere klinische Verschlechterung erfuhren, was man durchaus als Neuroprotektion unter Selegilin werten kann. Der zweite Grund, der für Selegilin sprechen würde, ist die Tatsache, dass man unter dem Einsatz von Selegilin bei manchen de-novo-Patienten kein weiteres Medikament einsetzen muss. Durch die einmalige morgendliche Gabe ist der Patient somit in der glücklichen Lage, dass er nur einmal, bevor er z. B. zur Arbeit geht, das Präparat Selegilin einnehmen muss.

Aus dem Gesagten ist abzuleiten, dass wir beim Äquivalenztyp und beim Rigor-Akinese-Typ somit empfehlen würden, Selegilin primär einzusetzen und dann einen Dopaminagonisten hinzuzufügen.

Unseres Erachtens ist auch der Einsatz von Amantadin neben dem Selegilin durchaus gerechtfertigt. Diese Überlegung stammt von der pharmakologischen Erkenntnis her, dass Amantadin zu einer Hemmung der NMDA-Rezeptoren im Striatum führt. Aufgrund der dopaminergen Minderstimulation käme es ansonsten zu einer relativen glutamatergen Überstimulation am Striatum. Diese 2-Zügel-Betrachtungsweise würde nahe legen, dass für das Funktionieren im Striatum entweder eine Stimulation des dopaminergen Systems und/oder eine Blockierung des glutamatergen Systems überzeugende Therapierationale darstellen. Aus diesem Grunde wäre durchaus neben Selegilin der frühe Einsatz von Amantadin zu prüfen, wozu es aber leider noch keine überzeugenden Studien gibt.

Selbst die Betrachtungsweise, dass man eine 3er-Kombination aus Selegilin, einem Dopaminagonisten und Amantadin wählt, ist unseres Erachtens durchaus berechtigt. Wenn man dieses Therapieregime durchführt, ist auch davon auszugehen, dass die Präparate Amantadin und Dopaminagonist relativ niedrig zu Beginn dosiert werden können und somit auch wenig Nebenwirkungen verursachen werden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die modernen Dopaminagonisten-Studien zumindest für diese Präparate nachgewiesen haben, dass die Nebenwirkungsfrequenz gegenüber Levodopa nur zum Teil (Psychosen) nennenswert erhöht ist. Die viel diskutierten plötzlichen Schlafattacken, gastrointestinale Nebenwirkungen, Schwindel und Blutdruckprobleme treten beim Studium der Daten der modernen Studien meist gleich häufig unter Levodopa bzw. einem Dopaminagonisten auf. Auch bezüglich des Therapieerfolges konnte z. B. in der Studie von Rascol u. Mitarb. [1] nachgewiesen werden, dass Patienten bis zum Stadium Hoehn u. Yahr 2.5 gleich gut unter einem Dopaminagonisten profitieren wie unter Levodopa-Therapie.

Sollten die bis dato eingenommenen Medikamente nicht mehr zur Symptomkupierung ausreichen, d. h. das Ende des Honeymoons beginnen, wäre das konsequente Hochdosieren bis zu den in den Langzeitstudien erreichten Dosen der bis dahin gewählten Medikamente aus unserer Sicht anzuraten.

Beim tremordominanten Typ hat sich im Vergleich zu unseren Vorjahresempfehlungen [8] eine wesentliche Änderung bezüglich des lediglich in Deutschland zur Verfügung stehenden Budipin ergeben. Wie der Leser wissen wird, wurde unter Budipin, wie unter vielen anderen Medikamenten, vereinzelt das Auftreten von Torsades de pointes beschrieben. Der Hersteller von Budipin hat daraufhin beschlossen, den Einsatz von Budipin an den Ausschluss bestimmter Rhythmusstörungen, das Vorliegen von EKGs und die Überwachung unter die besondere Sorgfaltspflicht des behandelnden Neurologen zu stellen. Andererseits ist Budipin nach modernen Kriterien untersucht und zumindest für den Tremor als hochwirksam nachgewiesen worden [9]. Trotz dessen ist es uns klar, dass der Einsatz von Budipin insbesondere bei niedergelassenen Neurologen und noch mehr bei Allgemeinärzten und Internisten, die sehr häufig Parkinson-Patienten behandeln, zu gewissen Vorbehalten führen würde. Aus diesem Grunde würden wir für den Tremor-Dominanz-Typ den Einsatz von Levodopa bzw. Dopaminagonisten oder deren Kombination empfehlen. Wir würden nicht so weit gehen, zum jetzigen Zeitpunkt einen speziellen Dopaminagonisten vorzuschlagen, obwohl Pramipexol in einer kleinen Studie [10] als effizient bei Tremor beschrieben wurde. Es bleibt aber zu prüfen, ob nicht auch andere Dopaminagonisten einen ähnlich positiven Effekt auf den Tremor beim idiopathischen Parkinson-Syndrom haben. Deshalb bleibt die Empfehlung eher allgemein gehalten und die Entscheidung zwischen Levodopa bzw. dem Dopaminagonisten sollte wie oben geschildert getroffen werden. Falls der Einsatz von Levodopa und einem Dopaminagonisten zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis führt, würden wir auch aus heutiger Sicht dringlich den Einsatz von Budipin, meist in Kombination zu dem bisher verwendeten Levodopa bzw. Dopaminagonisten, empfehlen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass Budipin in 10-mg-Schritten pro Woche eindosiert werden muss, dass man mindestens eine Dosis von 60 mg für sechs Wochen gibt, bevor man von einer Unwirksamkeit spricht. Genauso wichtig ist darauf hinzuweisen, dass unter Budipin der Patient regelmäßig zu EKG- und Elektrolytkontrollen gehen sollte und dass man dem Patienten eine Liste von Medikamenten mitgibt, die zu einer bevorzugten Genese von Torsades de pointes führen. Als Medikament der 3. Wahl würden wir Anticholinergika propagieren, wobei wir auf kognitive Störungen, die unter Anticholinergika auftreten können [11], ausdrücklich aufmerksam machen wollen. Unserer Kenntnis nach ist es noch nicht klar, ob unter Anticholinergika auftretende kognitive Störungen, d. h. eine beginnende Demenz, reversibel sind oder nicht. Aus diesem Grunde würden wir Patienten unter Anticholinergika bezüglich ihrer kognitiven Funktionsfähigkeit engmaschig monitoren. Als Medikament der 4. Wahl wäre Leponex zu nennen, bei dem man engmaschige Blutbildkontrollen wegen der möglichen Agranulozytose durchführen sollte, und letzten Endes wäre noch die Tiefenhirnstimulation zu erwähnen.

Literatur

  • 1 Rascol O, Brooks D J, Korczyn A D. et al . A five-year study of the incidence of dyskinesia in patients with early Parkinson's disease who were treated with ropinirole or levodopa. 056 Study Group.  N Engl J Med. 2000;  342 1484-1491
  • 2 The Parkinson Study Group. Pramipexole versus levodopa as initial treatment for Parkinson disease.  JAMA. 2000;  284 1931-1938
  • 3 Oertel W H. Pergolide versus levo-dopa (PELMOPET). Abstrakt (ohne Text).  Mov Disord. 2000;  15, Suppl 3 4
  • 4 The Parkinson Study Group. Effects of tocopherol and deprenyl on the progression of disability in early Parkinson's disease.  N Engl J Med. 1993;  328 176-183
  • 5 Fahn S. Is levodopa toxic?.  Neurology. 1996;  47, Suppl 3 184-195
  • 6 Olanow C W, Hauser R A, Gauger L. et al . The effect of deprenyl and levodopa on the progression of Parkinson's disease.  Ann Neurol. 1995;  38 771-777
  • 7 Larsen J P, Boas J, Erdal J E. and the Norwegian-Danish Study Group . Does selegiline modify the progression of early Parkinson's disease? Results from a five-year study.  Eur J Neurol. 1999;  6 539-547
  • 8 Reichmann H, Sommer U, Fuchs G. et al . Workshop IV: Drug treatment guidelines for the long-term management of Parkinson's disease.  J Neurol. 2000;  247, Suppl 4 S IV/40-IV/41
  • 9 Spieker S, Loschmann P, Jentgens C. et al . Tremorlytic activity of budipine; a quantitative study with long-term tremor recordings.  Clin Neuropharmacol. 1995;  18 266-272
  • 10 Künig G, Pogarell O, Möller J C. et al . Pramipexol, a nonergot dopamine agonist, is effective against rest tremor in intermediate to advanced Parkinson's disease.  Clin Neuropharmacol. 1999;  22 301-305
  • 11 Dubois B, Pillon B, Lhermitte F, Agid Y. Cholinergic deficiency and frontal dysfunction in Parkinson's disease.  Ann Neurol. 1990;  28 117-121
  • 12 Mouradian M M, Heuser I JE, Baronti F. et al . Modification of central dopaminergic mechanisms by continous levodopa therapy for advanced Parkinson's disease.  Ann Neurol. 1990;  27 18-23
  • 13 Kostic V, Przedborski S, Flaster E, Sternic N. Early development of levodopa-induced dyskinesias and response fluctuations in young-onset Parkinson's disease.  Neurology. 1991;  41 202-205
  • 14 Koller W C, Hutton J T, Tolosa E, Capilldeo R. Immediate-release and controlled-release carbidopa/levodopa in PD: a 5-year randomized multicenter study. Carbidopa/Levodopa Study Group.  Neurology. 1999;  53 1012-1019

Prof. Dr. med. Heinz Reichmann

Klinik und Poliklinik für Neurologie
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
Technische Universität Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

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