PPH 2003; 9(1): 1
DOI: 10.1055/s-2003-37177
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

S.  Schoppmann
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Februar 2003 (online)

In einer Stadt mitten in Deutschland lebt eine demente alte Dame. Sie ist alleine und hat keine Angehörigen mehr. Während eines stationären Aufenthaltes in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung wird deutlich, dass sie nur mit entsprechender Unterstützung auch weiterhin alleine in ihrer Wohnung leben kann. Sie ist häufig desorientiert, verwechselt die Wohnungstüren und lässt überall brennende Zigaretten herumliegen.

Die alte Dame hat Glück: Sie bekommt einen engagierten gesetzlichen Betreuer, der sich mit ihrem Hausarzt und dem behandelnden Psychiater abspricht und darum kümmert, dass sie die notwendige Hilfe in Form von ambulanter psychiatrischer Fachpflege bekommt. Die Kosten für diese Unterstützung werden zunächst von der Krankenversicherung der alten Dame übernommen.

Nach einiger Zeit jedoch wird, nach einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst, die Finanzierung der ambulanten psychiatrischen Behandlungspflege abgelehnt mit der Begründung, dass die alte Dame aufgrund ihrer Erkrankung und ihres hohen Lebensalters nicht zielführend zu pflegen sei.

Betreuer, Hausarzt und Psychiater sind über den Ablehnungsbescheid aber vor allem über dessen Begründung empört. Für sie steht die Erhaltung der Eigenständigkeit der alten Dame im Vordergrund. Der Betreuer legt sofort Widerspruch ein und sowohl der Hausarzt als auch der Psychiater legen Stellungnahmen vor, warum nach ihrer Einschätzung die ambulante psychiatrische Fachpflege fortzuführen sei. In diesen Stellungnahmen ist von der Notwendigkeit tagesstrukturierender Maßnahmen, die dazu beitragen die situative Orientierung der Patientin zu erhalten und Fremdheitserfahrungen zu vermeiden, sowie von Maßnahmen zur Unterstützung bei alltagspraktischen Erfordernissen die Rede.

Daraufhin erstellt nun ein anderer Facharzt des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen erneut ein Gutachten, mit dem Ergebnis, dass die Kostenübernahme für die ambulante psychiatrische Pflege weiterhin abgelehnt wird. Dieses Mal begründet der Gutachter die Ablehnung mit Zitaten aus der Dokumentation der bislang bei der alten Dame durchgeführten Pflege. Dort findet man festgehalten, dass die Patientin weiterhin Unterstützungsbedarf habe, dass sich die Pflegenden um einen Beziehungsaufbau zu ihr bemühen und dass sich die alte Dame über die Besuche des Pflegedienstes zu freuen scheine. Der Gutachter stellt fest, dass über besondere Pflegetechniken, wie sie in der Stellungnahme des behandelnden Psychiaters beschrieben worden seien, nichts dokumentiert wurde. Daraufhin verzichten sowohl der Betreuer als auch die beiden Ärzte auf Stellungnahmen oder Widersprüche. Diese Reaktion kann ich gut verstehen.

Was war mit diesen Pflegenden los? Warum haben sie so ungenau dokumentiert? Welchen Unterstützungsbedarf haben sie bei der alten Damen gesehen und mit welchen Maßnahmen haben sie darauf reagiert? Welchen Erfolg hatte das? Kommunizieren sie solche Informationen, Überlegungen und Beobachtungen mündlich miteinander und schreiben es nur nicht auf?

Haben sie also nur noch nicht begriffen welchen Zweck eine schriftliche Dokumentation erfüllen soll? Oder handeln sie genauso, wie sie es auch dokumentiert haben?

Wie auch im juristischen Sinn üblich geht der Gutachter in diesem Fall davon aus, dass etwas, was nicht dokumentiert ist, weder beobachtet, noch berücksichtigt noch als Leistung erbracht wurde und lehnt deswegen eine weitere Finanzierung ambulanter psychiatrischer Behandlungspflege ab. Für die Finanzierung von Freude ist die Krankenversicherung, nach meiner Auffassung auch zu Recht, nicht zuständig.

Anhand solch bitterer Beispiele muss auch die psychiatrische Pflege lernen, dass ihr Tun, aber auch ihr Lassen Konsequenzen hat und, dass der gute Wille alleine nicht ausreicht, um auch gut zu pflegen. Dazu sind eben auch Fachwissen, Reflexion und die Fähigkeit, das eine wie das andere in einer verständlichen Fachsprache zu kommunizieren, notwendig. Alles Kompetenzen, für die Sie in diesem Heft gute Beispiele finden.

 





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