Psychother Psychosom Med Psychol 2003; 53(7): 285-286
DOI: 10.1055/s-2003-40497
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kann eine wegen ihrer „Heimlichkeit” kritisierte wissenschaftliche Tagung dennoch zu guten Hoffnungen Anlass gaben?

Is a Symposion which has been Criticized for its Secrecy Still Able to Evoke Hope?Sven  Olaf  Hoffmann
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Publication Date:
07 July 2003 (online)

Von der wissenschaftlichen Öffentlichkeit kaum bemerkt fand am 20. und 21. Juni dieses Jahres in Mainz ein Symposium mit dem unauffälligen Titel „Symposium for the advancement of psychotherapy research” statt. Lokaler Organisator war die Psychosomatische Mainzer Universitätsklinik, die thematische Ausrichtung hatte der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie verantwortet und das Geld stammte vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, von dem auch die eigentliche Anregung ausgegangen war. Was war der Hintergrund gewesen?

Psychotherapieforschung ist verglichen mit der Forschung zur Wirkung von Psychopharmaka in einem erschreckenden Ausmaß „unterfördert”. Obgleich die Abklärung von erwünschten und unerwünschten (Neben-)Wirkungen für jedes Psychopharmakon vor der Zulassung eine gesetzlich garantierte Bedingung ist, gibt es Vergleichbares für die Einführung von Psychotherapien nicht. Dazu genügte bis in die jüngste Zeit, so möchte man manchmal annehmen, ein neuer Name, eine rasch rekrutierte Anhängerschaft und ein gutes Gespür für public relations. Wirkungsnachweise, in seriösen Studien belegt, schienen weit gehend entbehrlich. Mit dem Psychotherapeutengesetzt (1998, PsychThG), das die Zulassung von psychologischen Psychotherapeuten endlich gesetzlich regelte, entstand auch der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP), der bisher bei der Bundesärztekammer angesiedelt ist. Diesem Gremium wurde es übertragen, die Wissenschaftlichkeit von Psychotherapieformen, die als Verfahren für eine Ausbildung anerkannt werden sollten, zu beurteilen. In diesem Sinne berät der WBP die Länderbehörden, in deren Verantwortlichkeit die Zulassung von Psychotherapieverfahren zur Ausbildung liegt.

Der WBP besteht überwiegend aus erfahrenen Psychotherapieforschern, denen die Forschungsdefizite in der Psychotherapie vertraut sind. Auch die Ursachen für die defizitäre Forschungsförderung sind bekannt:

Psychotherapieforschung steht ohne jegliche Industrieförderung da. Psychotherapieforschung ist wegen der hohen Personalkosten teurer als Pharmaforschung. Psychotherapieforschung erfordert eine komplexere Methodik als Pharmaforschung. Psychotherapieforschung wird nicht vom Verbraucher mitfinanziert, während die Pharmaindustrie über die hohen Preise während der Zeit des Patentschutzes die Forschungsinvestitionen am Markt wieder hereinholen kann.

Diese erheblichen Benachteiligungen der Psychotherapieforschung führten u. a. zu einer Reihe von Desideraten:

Für eine Reihe angewandter Psychotherapieverfahren fehlen befriedigende Wirksamkeitsstudien. Für fast alle Psychotherapieverfahren fehlen Klärungen der unerwünschten und schädlichen Wirkungen. Für fast alle Psychotherapieverfahren gibt es nur verhältnismäßig kurze Katamnesezeiträume - der Standard der besseren Studien liegt bei 6 - 12 Monaten. Die Prozessforschung (Wie kommt die Wirkung zustande?) ist gegenüber der Ergebnisforschung (Wie ist die Wirkung?) bisher noch unzureichender vertreten. Die Erforschung der biopsychosozialen Wechselwirkung beim Wirksamwerden von Psychotherapie steht gerade erst in den Anfängen.

Anzumerken ist, dass diese Forschungsdefizite nicht nur mit mangelnder Förderung, sondern auch mit dem Desinteresse vieler Psychotherapeuten an Überprüfung ihres Handelns zu tun haben. So verteilen sich die Forschungsrückstände über die verschiedenen Psychotherapieverfahren durchaus nicht gleich. Dieses Thema wäre einen Kurzroman wert, soll aber an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Wie kam es nun zu dem Symposium?

Seit Jahren hatten sich Mitglieder des WBP intensiv darum bemüht, Drittmittelgeber für die Verbesserung der Lage der Psychotherapieforschung zu interessieren. Die DFG hatte schon in den vergangenen Jahren mehr Psychotherapieforschung als früher gefördert, was aber weniger auf einen Paradigmenwechsel bei der DFG als auf die größere „Psychotherapiefreundlichkeit” der gewählten Fachgutachter zurückging. Dennoch blieb die Grundlagenpriorität der DFG immer eine Schwierigkeit. Zahlreiche weitere und wiederholte Gespräche fanden mit Krankenkassen, mit Berufsverbänden, mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) statt. Pläne zur Gründung einer Stiftung wurden erwogen, mangels Interesse von Sponsoren aber wieder fallen gelassen. So war es schließlich eine Abstimmung zwischen dem BMG und dem BMBF, über die erstmals eine begrenzte Förderung der Psychotherapieforschung in Aussicht kam. Das Symposium sollte für diese Initiative so etwas wie ein Rational zur Verfügung stellen.

Vier Rahmenthemen waren vom WBP erarbeitet worden (um den ausländischen Gästen die Teilnahme an der Diskussion zu ermöglichen, war die Kongresssprache Englisch):

Developmental and sex related dimensions of psychotherapy. Specific outcome- and process research according to nosological indications. Interaction of neurobiological and psychosocial factors. Institutional conditions, transfer and psychotherapy providing research.

Die Einladung ausländischer Experten gestaltete sich nicht ganz einfach. Ein US-Amerikaner teilte süffisant mit, dass seine Regierung ihm empfohlen habe, ein politisch unzuverlässiges Land wie Deutschland nicht zu besuchen (die Invasion des Irak wurde noch vorbereitet!). Aber die dann kamen, erfüllten die ihnen gestellte Aufgabe, jeweils den Stand der Kunst und die Desiderate für die Zukunft zu entwickeln, in hervorragender Weise. Es waren - in der Reihenfolge der Rahmenthemen - R. Rapee aus Sidney, P. Fonagy aus London, M. E. Thase aus Pittsburgh und U. Koch aus Hamburg. Koreferate deutscher Experten/-innen schlossen sich jedem Überblick an, so dass die 200 Teilnehmer einen Wissensstand von hoher Dichte und Aktualität vermittelt bekamen.

Dass 90 Minuten Diskussion für jeden Schwerpunkt vorgesehen waren, gehörte sicher zu den Besonderheiten der Veranstaltung. Denn der sich anschließende hochkompetente und teilweise produktiv pointierte Meinungsaustausch von Plenum und Panel war ein auf Kongressen seltenes Ereignis. Tatsächlich waren fast alle, die in Deutschland mit Psychotherapieforschung zu tun haben, gekommen oder hatten Mitarbeiter gesandt. Das gemeinsame Anliegen der Psychotherapie und ihrer wissenschaftlichen Untersuchung hatte hohe Verbindlichkeit. So sprachen klinische Psychologen, Medizinpsychologen, Kinder- und Jugendpsychiater, Psychiater und Psychosomatiker (die letzten drei führen den Begriff der Psychotherapie auch in ihrer Facharztbezeichnung) miteinander und nicht gegeneinander. Dass man manchmal deutlich vernehmen konnte, welches Thema der eine oder andere Diskutant am liebsten gefördert sähe, widerspricht dem nicht. Rückblickend rechtfertigt sich damit die Auffassung des WBP, dass ein Teilnehmerkreis, der wesentlich über 200 Personen hinausginge, eine so fundierte Aussprache und Meinungsbildung nicht zuließe. Tatsächlich konnte jeder, der etwas zu sagen hatte, dies auch tun. Ausschließlich aus diesem Grund - und nicht aus Heimlichtuerei oder zur Wahrung von „Herrschaftswissen” (der polemische Gehalt der 68er-Terminologie bleibt doch unerreicht!) - war die Veranstaltung nicht öffentlich angekündigt oder gar für sie geworben worden. Eine doppelt oder dreimal so hohe Beteiligung wäre mühelos zu erreichen gewesen.

Was ergibt sich nun an Konsequenzen für die Forschungsförderung? Erst einmal ein Stufenplan, der für Ende dieses Jahres eine Ausschreibung, für 2004 Bewerbung und Bewertung und für 2005 den Förderungsbeginn vorsieht. Das bisher genannte Förderungsvolumen ist angesichts der realen Rückstände und der berechtigten Erwartungen vergleichbar klein, aber es ist deutlich mehr als wenn man „einem nackten Mann in die Tasche fasst” - um einmal die bildreiche norddeutsche Volkssprache zu benützen. Und angesichts der desolaten Lage der öffentlichen Haushalte kann man die Verantwortungsübernahme durch das BMBF kaum überschätzen. Dennoch sind das Ausmaß und die Dauer der Förderung noch in der Diskussion. Der WBP wird versuchen, die Ergebnisse des Symposiums rasch in Empfehlungen umzuformulieren. Deren Umsetzung im BMBF unterliegt natürlich noch einmal anderen Bedingungen, von denen sich Wissenschaftler oft keine rechte Vorstellung machen. Und noch etwas ist anzumerken: In Abstimmung mit dem BMBF bereitet die DFG einen neuen Förderschwerpunkt „Klinische Studien” vor, der zwar 10 Mio. € pro Jahr enthalten soll, aber dafür dem ganzen Feld der klinischen Forschung von der Chirurgie bis zur Zahnheilkunde offen steht. Anträge zur Psychotherapieforschung - sinnvollerweise vermutlich eher solche mit stärker somatischen Parametern - könnten auch hier eingereicht werden. Ein gedämpfter Optimismus, dass es Schritte in eine notwendige Richtung gibt, ist erlaubt und angebracht. (Ich bitte zu beachten, mit welcher Sorgfalt ich vermeide von der „richtigen Richtung” zu sprechen, die so vielen Vertretern in der somatischen Medizin angesichts der reichlichen Forschungsförderung mühelos über die Lippen geht.)

Prof. Dr. Sven Olaf Hoffmann

Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Mainz

Untere Zahlbacher Straße 8

55131 Mainz

Email: hoffmann@psychosomatik.klinik.uni-mainz.de