PiD - Psychotherapie im Dialog 2004; 5(2): 196-197
DOI: 10.1055/s-2003-814968
Resümee
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Täter

Steffen  Fliegel, Jochen  Schweitzer
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Publication Date:
28 May 2004 (online)

Täterbehandlung ohne Einbezug gesellschaftlicher und institutioneller Bedingungen durchzuführen greift zu kurz.

In zahlreichen Beiträgen wird die Bedeutung gesellschaftlicher Haltungen und Einflüsse und der daraus resultierenden Behandlungsstrukturen beschrieben. Diese spiegeln sich zum Beispiel darin wider, dass die Sicherung der Unterbringung höher gewichtet ist als die Behandlung. Auch Therapeutinnen und Therapeuten sind dem gesellschaftlichen und institutionellen Druck ausgesetzt, zum Beispiel dadurch, dass sie neben ihrer therapeutischen Aufgabe Begutachtungen vorzunehmen haben (Sabine Nowara). Peter Fiedler beschreibt, dass auch trotz oder mit diesem Spagat, so es transparent ist, effektive Behandlungen möglich sind.

Bislang stellen die Sexualstraftäter die „Pioniergruppe” in der Tätertherapie dar.

In unseren Beiträgen sind sie proportional stärker repräsentiert als im Maßregelvollzug und nur ca. 5 % der Sexualstraftäter sind in Kliniken untergebracht, ca. 95 % in den Justizvollzugsanstalten. Unser Auftrag an verschiedene Autorinnen und Autoren lautete: Tätertherapie. Das Ergebnis: Befassung mit der Behandlung von Sexualstraftätern. Es scheint, dass es mehr über Behandlungskonzepte zu berichten gibt, wenn Sexualstraftaten und nicht Mord, Totschlag, Brandstiftung, Körperverletzung, Eigentumsdelikte usw. im Vordergrund stehen. Auch die Forschung hat sich den Sexualdelikten mehr angenommen, und in der öffentlichen Diskussion rangieren sie ebenfalls auf Platz 1. Hinrichs und Mitarbeiter zeigen jedoch, dass die Ansätze in der Täterbehandlung insgesamt ganz ähnliche und in ihrer Methodik vergleichbar sind. Mit anderen Worten: Die Behandlung von Sexualstraftätern ist weitreichend und bietet viele Übertragungsmöglichkeiten für die Therapie von Täterinnen und Tätern.

Tätertherapie ist bislang vorwiegend Gruppentherapie.

Offensichtlich ist in einer Gruppe von Tätern, die sich alle mit solchen Taten auskennen, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung und vor allem zur Konfrontation höher als in Einzeltherapien - unter der Voraussetzung eines zuvor geschaffenen kooperativen Gruppenklimas (so zwei unserer Hauptbeiträge von Wolfgang Berner und Mitarbeitern und Klaus Elsner). Zeuge der Bekenntnisse der anderen Gruppenmitglieder zu sein, erleichtert das eigene Bekennen. Der Streit um den Begriff „Konfrontation” löst sich möglicherweise auf, wenn man auf das Klima in der Therapie(-gruppe) schaut: Wird der Täter auf dem Hintergrund einer annehmend-empathischen Haltung auf Widersprüche zwischen seiner Selbst- und Fremdwahrnehmung hingewiesen, oder wird er in einer beschämenden Weise mit seinen Vergehen zwangskonfrontiert? Viele der in den Gruppenkonzepten beschriebenen Verfahren lassen sich auch in der Einzeltherapie anwenden.

Auffällig ist auch der relativ geringe Anteil von Familientherapien in unseren Beiträgen. Nur Fraenkel und Kollegen machen dies konsequent bei Inzestfamilien, allerdings auch nur bei noch jugendlichen Tätern und in Fällen, in denen Opfer und Nichttatbeteiligte dem zustimmen, weil sie neben dem Ärger und Abscheu über die inzestuösen Handlungen dem Täter zugleich in Zuneigung verbunden sind. Wahrscheinlich wird der Anteil an Familientherapie aber in dem Umfang zunehmen, in dem ambulant gearbeitet wird.

Motivation ist in der Tätertherapie ein zentrales Thema. Hier gilt es, anfänglichen äußeren (Veränderungs-)Druck in spätere innere (Veränderungs-)Bereitschaft zu wandeln.

Wie kann das gelingen? Der Veränderungsdruck wird in der Regel durch eine kontrollierende, Auflagen erteilende Instanz bewirkt. Rotthaus und Gruber weisen darauf hin, dass die Therapeutinnen und Therapeuten manchmal gegenüber Jugendamt oder Gericht entsprechende Forderungen stellen müssen. Den Psychotherapeuten obliegt es dann, Kontext und Erwartungen mit dem Klienten in einer transparenten Weise zu klären und auch die Skepsis des Klienten gegenüber der Therapie als selbstverständlich zu akzeptieren und zu würdigen.

Umstritten ist bei der Motivierung die Rolle der „Konfrontation” des Täters - einerseits mit seiner Tat und deren Folgen, andererseits mit seinen sonstigen schwarzen Seiten. Heilemann etwa verwendet darauf große Sorgfalt, Fiedler plädiert dafür, den Begriff zu streichen. Im weiter fortgeschrittenen Stadium der Therapie hingegen gilt es dann, auch „das Opfer im Täter” anzusprechen - viele Täter, besonders bei Körperdelikten, wurden früher selbst misshandelt.

Der Wunsch des Täters, auf sich (auf irgendetwas im eigenen Leben) auch stolz sein zu können, oder die zunehmende Aussicht auf ein menschenwürdiges, schädigungsfreies und positives Leben nach der Unterbringung können in den späteren Therapiephasen zum treibenden Motiv werden.

„Geschichten der Scham - Geschichten des Stolzes”

Der narrative Ansatz weist darauf hin, dass in jedem (tatbegehenden) Menschen und jeder Familie „Geschichten des Stolzes” mit „Geschichten der Scham” im Konflikt stehen. Die meisten Inzestopfer sind entsetzt über den ihnen sexuelle Kontakte aufzwingenden Verwandten, den sie gleichzeitig in ambivalenter Weise aber auch mögen und mit dem sie auch positive Erfahrungen haben. Erfolgreiche Therapie verlangt, dass beide Geschichten ihren Platz finden. Deshalb kann es wichtig sein, sprachlich zu unterscheiden zwischen „dem Täter” und „der Person, die die Tat beging”, auch wenn wir dies in diesem Heft nicht umsetzen konnten.

Tätertherapie ist erfolgreicher, als Volksglaube und Politik dies derzeit darstellen.

Peter Fiedler wie auch Klaus Elsner weisen darauf hin, dass für Sexualstraftäter durch Psychotherapie 15 % der Rückfälle verhindert werden können: „75 % werden auch ohne Psychotherapie nicht rückfällig. Mit guter Psychotherapie kann man dies auf über 90 % erhöhen”, verbreitet Peter Fiedler Optimismus. Besonders durch „Therapiemodule” zum Aufbau von Beziehungskompetenzen, zur Rückfallprophylaxe, zur Empathie für Opfer sowie durch weitere Module für bestimmte Tätergruppen (Umgang mit sozialen Belastungen; Behandlung psychischer Störungen, Impulskontrolle, Umgang mit sexuellen Ängsten) sei ein deutlicher Fortschritt in der Wirksamkeit von Tätertherapie erzielt worden. Dieser „Silberstreifen am Horizont” ermöglicht eine positive Vision von Psychotherapie, die alte bestrafende Ansätze, wie etwa die Aversionstherapie, hinter sich lassen. Vom „Wegtherapieren” unangemessenen Verhaltens entwickelt sich eine Therapiephilosophie, die das „Empowerment” von (Sexual-)Straftätern in den Blick nimmt.

Dies kontrastiert scharf dazu, dass derzeit in fast allen Industrieländern das einseitige Strafbedürfnis der Gesellschaft statistisch messbar zunimmt. Die Strafurteilszahlen und die Gefängnisbelegung steigen. Die Therapiebereitschaft zumindest gegenüber forensischen Patientinnen und Patienten scheint in Politik und Bevölkerung zu sinken. Zugleich verschätzen sich die Menschen so krass wie noch nie in ihrer Beurteilung der Kriminalitätslage (wie Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen jüngst nachwies): Sie vermuten eine steigende Zahl von Straftaten, die aber (im Vergleich zwischen 1993 und 2003 in Deutschland) objektiv gesunken ist.

In der Forschung gibt es eine bislang einseitig dominierende Evaluierung der Praxismodelle zugunsten verhaltenstherapeutischer Ansätze.

Dies wird aus den Beiträgen von Peter Fiedler und Klaus Elsner deutlich und gestützt durch das analytisch-behaviorale Kombinationsmodell von Wolfgang Berner und Mitarbeitern. Das ist angesichts der Besetzung der entsprechenden universitären Lehrstühle verständlich, aber auch bedauerlich. Es steht zu wünschen, dass humanistische, psychoanalytische und systemische Ansätze ähnlich gut untersucht werden könnten, was allerdings teilweise andere Forschungsdesigns voraussetzt (längere, komplexere, nicht randomisierte). Allerdings weist Fiedler auch darauf hin, dass integrative Ansätze durch die besondere Berücksichtigung frühkindlicher Entwicklungen einerseits und der therapeutischen Beziehungsgestaltung andererseits zu bevorzugen sind. Zugleich ist interessant zu beobachten, dass die verhaltenstherapeutischen Autoren viele systemische Praxiselemente sehr gekonnt in ihre „Module” integriert haben.

Es gibt wahrscheinlich wenige Bereiche psychotherapeutischer Tätigkeit, in denen Prävention eine so klare Funktion und Wirkweise hat wie bei der Verhinderung von Gewaltdelikten, insbesondere auch in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Unter den sehr zahlreichen möglichen Präventionsansätzen (die in Form der Konfliktmediation schon in Grundschulen inzwischen hohe Verbreitung gefunden haben) stellen wir mit „Faustlos” ein besonders strukturiertes und professionell geplantes und organisiertes Vorgehen dar. Mit den Strategien der Gemeinde Neulußheim haben wir ein aus einer dramatischen Situation heraus entstandenes Vorgehen ausgewählt, in dem Professionelle nur am Rande assistierend mitwirken. „Faustlos” ist niedrigschwellig, beginnt früh, ist hochstrukturiert und didaktisch gut bearbeitet, ein quasi „professionelles Programm”. Die Versammlungen in der Gemeinde Neulußheim (IBgm. Greiner) hingegen sind aus dem Schock heraus entstanden. Man tastet sich, zögernd und oft ambivalent, in ein Erkunden der eigenen Mitverantwortung hinein, mit vollständig offenem Ausgang.

Gewaltbereitschaft wird oft bereits in frühen Kindesjahren geprägt, daher sind präventive und therapeutische Ansätze besonders wichtig, die Kindern und Jugendlichen helfen, die Gewaltspirale zu verlassen. Der professionellen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben wir daher in dieser Ausgabe von PID einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt.

Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten benötigen eine spezielle Fort- und Weiterbildung zur Täterbehandlung.

Auf den Grundberuf und eine psychotherapeutische Weiterbildung aufbauende Spezialisierung erscheint uns nach der Lektüre der verschiedenen Praxisbeiträge notwendig. Nicht nur spezielle Methoden, zum Beispiel für die Auseinandersetzung des Täters mit der Tat oder die Schaffung von Opferempathie, oder rechtliche Kenntnisse bedürfen spezieller Kompetenzen, zu fordern ist auch eine themenzentrierte Selbsterfahrung: prüfen, ob die Täterarbeit als berufliche Herausforderung angenommen werden kann; in der Lage sein, sich ohne Scheu und Wut mit den zum Teil sehr aggressiven Taten zu befassen; sich an die Seite der Täter in der Behandlung stellen, auch mit den juristisch begründeten Aufträgen; die grauenhaften Taten und ihre Konsequenzen ansprechen können; motiviert sein auch in dem Wissen, dass es in dieser Gruppe zahlreiche nicht behandelbare Menschen gibt.

Wir stellen drei uns bekannt gewordene Weiterbildungsangebote vor, denn einen großen Bedarf an qualifizierten Behandlerinnen und Behandlern gibt es allemal.

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