Z Orthop Ihre Grenzgeb 2005; 143(3): 302-310
DOI: 10.1055/s-2005-836633
Rückenschmerz

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der FADI-Score - eine Möglichkeit zur quantifizierten Differenzialdiagnose des diskogenen Schmerzes

The FADI Score - A Means for the Quantified Differential Diagnosis of Discogenic PainM. Legat1 , R. Brandmaier2 , H.-R. Casser1
  • 1DRK-Schmerzzentrum Mainz
  • 2Statistik-Abteilung der Schön-Kliniken, Prien
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Publication Date:
24 June 2005 (online)

Einführung

Betrachtet man die Literatur hinsichtlich der Ursachen des „einfachen unspezifischen Rückenschmerzes”, so werden unterschiedliche funktionelle wie auch strukturelle Ursachen angeführt. Dabei vermischen sich diese Entitäten und eine Differenzierung wird nicht immer deutlich. Als strukturelle Ursachen werden die segmentale Gefügelockerung, eine Fehlstatik (Beinlängendifferenzen, Hyperlordose, Hyperkyphose, Skoliose), Ligamentosen und Ansatztendinosen, Facettenreizungen und Iliosakralgelenk-Blockierungen sowie eine Diskusruptur (innerer Anulusriss) angegeben. Als funktionelle Ursachen werden ebenfalls Blockierungen unter der Begrifflichkeit der reversiblen Funktionsstörungen der Wirbelgelenke, die Muskeldysbalance und Muskelinsuffizienz angegeben.

Letztlich äußern sich strukturelle und funktionelle Entitäten in Bewegungseinschränkungen und Schmerzen. Dabei ist Ursache und Folge nicht streng trennbar.

Laut Literatur [2] werden ca. 60 bis 70 % der Entitäten an der lumbalen Wirbelsäule durch das Facettensyndrom, die innere Diskusruptur (Anulusruptur), sowie eine SIG-Symptomatik ausgelöst.

Während das SIG-Syndrom relativ wenig diagnostische Probleme bereitet - eine Verwechslung kann hier allenfalls mit einer radikulären Symptomatik erfolgen, wobei eine neurologische Untersuchung hier wegweisend ist - können Facettensyndrom und Diskusruptur ähnliche Beschwerden auslösen und sind nicht streng zu trennen.

Hinsichtlich des Facettensyndroms bereitet bereits die Definition Probleme. So wird das Facettensyndrom als Schmerzbild definiert, das seinen Ursprung in den kleinen Wirbelgelenken hat (Lenz u. Schulz, 1980) und zu den chronisch rezidivierenden mechanischen Kreuzschmerzen gehört (Krämer 1986). Dabei werden sowohl biomechanische Ursachen als Folge einer Höhenminderung des Bewegungssegmentes (Degeneration, Bandscheiben-OP) sowie Mobilitätszunahme des Bewegungssegmentes mit Instabilität im Segment und dadurch bedingte Über- und Fehlbeanspruchung der Wirbelgelenkskapsel (Hedtmann et al. 1995) angeführt. Da neben Schmerzen auch Beeinträchtigungen der Muskulatur vorliegen, die ebenfalls wie die Facettengelenke durch den Ramus dorsalis innerviert werden, wird auch als so genannte klassische Definition der Begriff des Ramus-dorsalis-Syndrom verwendet (Bogduk 1980).

Hinsichtlich des Terminus „diskogener Schmerz” besteht eine Definition der IASP (International Association for the Study of Pain) wie folgt: „lumbale diskogene Schmerzen und interne Diskusrupturen sind definiert als lumbale Rückenschmerzen mit oder ohne (nichtradikuläre) Ausstrahlung, die aus einer Bandscheibe entstammen, hervorgerufen durch eine interne Zerrüttung der normalen strukturellen und biochemischen Integrität der symptomatischen Bandscheibe”[11].

Hinsichtlich der klinischen Untersuchung beider Entitäten ist in der internationalen Literatur wenig bekannt, man muss sich hier auf manualtherapeutische, teilweise osteopathische Lehrbücher konzentrieren [8] [19].

Beim Facettensyndrom lassen sich hinsichtlich der Bildgebung allenfalls Anhalte betreffend degenerativer Veränderungen finden. Dies geht jedoch naturgemäß nicht immer mit einem Facettensyndrom einher.

In der invasiven Diagnostik ist die Rolle des diagnostischen Blockes des medialen Ast des Ramus dorsalis betreffend das Facettensyndrom unbestritten. Dabei besteht unter der selektiven Bildwandler gesteuerten Blockade mit einer kleinen Menge Lokalanästhetikums, 0,3-0,4 ml, eine hohe diagnostische Sicherheit. Das Schmerzreduktion muss mehr als 50 % vom Ausgangswert betragen und die pharmakologische Wirkdauer des Lokalanästhetikums darf nicht überschritten werden. Eine mindestens zweimalige Testung mit Lokalanästhetikas unterschiedlicher Wirkdauer ist obligat [2].

Bezüglich der Bildgebung in der diskalen Diagnostik ergeben sich unterschiedliche Angaben.

Boos et al. fanden in einer vergleichenden Untersuchung mittels MRT zwischen einer asymptomatischen Population und einer Rückenschmerz-Population, dass 76 % aller Personen Diskusauffälligkeiten in mehr als zwei Segmenten hatten. Dies unterstrich ihrer Meinung nach die Wichtigkeit der Provokation durch eine diskographische Evaluation einschließlich Diskusstimulation [3].

Ito et al. stellten nur eine Übereinstimmung von 57,4 % zwischen Signalverlust der Bandscheiben in der Kernspintomographie und positiver Diskusstimulation derselben fest. Die Sensitivität der Kernspintomographie hinsichtlich der Diagnostik einer inneren Anulusruptur betrug lediglich 34,8 % gegenüber einer kombinierten CT/Diskographie-Untersuchung [9].

Millette et al. fanden, dass 26 % nicht pathologischer Bandscheiben (MRT) eine diskographisch nachgewiesene mittel- bis schwergradige Diskusruptur hatten. 15 % der Bandscheiben mit normaler zentraler Intensität und 37 % mit normalen peripherem Signal (MRT) hatten mittel- bis schwergradige Diskusrupturen. Außerdem berichteten sie, dass teilweise in der MRT diagnostizierte so genannte Bulging-Discs (27 %) und protrudierte Bandscheiben (20 %) keinen provozierbaren Schmerz unter Diskusstimulation zeigten [12].

Braithwaite et al. berichteten in ihrer Studie, dass das Auftreten von Endplattenveränderungen die Wahrscheinlichkeit von diskogenem Schmerz erhöht, dass man aber bei Abwesenheit solcher Veränderungen eine diskogene Ursache nicht ausschließen könne [4].

Unterschiedliche Autoren haben sich mit der Beziehung der High Intensity Zone (HIZ) in der MRT zur Diskographie beschäftigt, dabei handelt es sich um ein umschriebenes Ödem am dorsalen Anulus. Die meisten dieser Arbeiten bestätigen, dass die Anwesenheit einer HIZ ein Indikator für eine symptomatische Diskusruptur ist, dass aber die Abwesenheit eines HIZ eine solche Pathologie nicht ausschließt.

Invasiver sind die Methoden zur Diagnostik des diskogenen Schmerzes. Hier kann einmal die Technik der L2-Wurzelblockade angeführt werden. Laut Literatur führt insbesondere diese Nervenwurzel sehr viele sympathische Fasern mit, welche teilweise für die nozizeptive Versorgung der unteren Bandscheibensegmente zuständig sind [17]. Eine andere Möglichkeit ist die segmentale Sympathikusblockade, welche direkt über dem Segment der betroffenen Bandscheibe erfolgen soll. Damit soll hauptsächlich die sympathische neuronale Versorgung der Bandscheibe, welche von ventral erfolgt, beeinflusst werden [17].

Die Diskographie wird von der „International Association for the Study of Pain” (IASP) als bestes Diagnostikum betreffend den diskogenen Schmerz herausgestellt, wenn diese nach den vorgeschriebenen Richtlinien erfolgt [6]. In der Literatur finden sich mehrere Untersuchungen, welche insbesondere die Rolle der Diskusstimulation hervorheben. So fanden Simmons et al., dass die Diskographie kombiniert mit Diskusstimulation die besten diagnostischen bzw. die wenigsten falschpositiven Resultate ergab [16].

Insbesondere gibt es mehrere Untersuchungen, welche die positive Rolle der Diskographie, bewertet durch das Outcome anschließender minimalinvasiver Verfahren, herausstellen. Edwards et al. fanden positive Ergebnisse bei der Chemonukleolyse, ebenso Troisier und Cypel [7] [18]. Dies gilt auch für minimalinvasive Verfahren wie der Laserdekompression und dem IDET-Katheter .

Block AR et al. berichteten 1996 über die Einflüsse psychologischer Faktoren betreffend die Reaktion auf eine Diskographie und Diskusstimulation. Sie berichteten von übermäßiger Darstellung der Schmerzen insbesondere bei Patienten mit Hypochondrie, Hysterie und Depressionen und damit eingeschränkter Aussagekraft bei dieser Patientengruppe [1].

Carragee et al. stellten insbesondere die Häufigkeit von falschpositiven Diskographien bei Persönlichkeitsveränderungen fest [5].

In einer Studie, veröffentlicht 1994 von Schwarzer et al. wird interessanter Weise herausgestellt, dass die Kombination von diskogenem Schmerz und Facettengelenkschmerz ungewöhnlich ist. Dabei fanden sie nur bei 3 von 92 untersuchten Patienten eine positive Reaktion auf Diskographie und Facettenblockade [14].

Literatur

  • 1 Block A R, Vanharanta H, Ohnmeiss D D, Guyer R D. Discographic pain report. Influence of psychological factors.  Spine. 1996;  21 334-338
  • 2 Bogduk N. Klinische Anatomie von Lendenwirbelsäule und Sakrum. Springer, Berlin, Heidelberg 2000
  • 3 Boos N, Rieder R, Schade V. et al . The diagnostic accuracy of magnetic resonance imaging, work perception, and psychological factorsin identifying symptomatic disc herniations.  Spine. 1995;  20 2613-2625
  • 4 Braithwaite I, White J, Saifuddin A. et al . Vertebral end-plate (Modic) changes on lumbar spine MRI: correlation with pain reproduction at lumbar discography.  Eur Spine J. 1998;  7 363-368
  • 5 Carragee E, Tanner C, Khurana S K. et al .False positive lumbar discography: Reliability of pain response and subjective concordancy assessment during provocative disc injection. International Society for the Study of the Lumbar Spine. Hawaii; June 1999
  • 6 Endres S. Practice guidelines and protocols: Lumbar disc stimulation. ISIS 9th Annual Scientific Meeting. Syllabus 2001; 1456-1475
  • 7 Edwards W C, Orme T J, Orr-Edwards G. CT Discography: Prognostic value in the selection of patient for chemonucleolysis.  Spine. 1987;  12 792-795
  • 8 Greenbaum P E. Lehrbuch der Osteopathischen Medizin. Haug, Heidelberg 1998
  • 9 Ito M, Incorvaia K M, Yu S F. et al . Predictive signs of discogenic lumbar pain on magnetic resonance imaging with discography correlation.  Spine. 1998;  23 1252-1258
  • 10 McNally D S, Shackleford I M, Goodship A E, Mulholland R C. Department of Anatomy, University of Bristol, UK . In vivo stress measurement can predict pain on discography.  Spine. 1996;  21 2580-2587
  • 11 Merskey H. Classification of Chronic Pain. Description of Chronic Pain Syndroms and Definition of Pain Terms. 2nd edn. IASP Press, Seattle 1994; 180-181
  • 12 Milette P C, Fontaine S, Lepanto L. et al . Differentiating lumbar disc protrusions, disc bulges, and discs with normal contour but abnormal signal intensity. Magnetic resonance imaging with discographic correlations.  Spine. 1999;  24 44-53
  • 13 Mochida J, Arima T. Percutaneous nucleotomy in lumbar disc herniation. A prospective study.  Spine. 1993;  18 2063-2068
  • 14 Schwarzer A C, Aprill C N, Derby R, Fortin J, Kine G, Bogduk N. The relative contributions of the disc and zygapophyseal joint in chronic low back pain.  Spine. 1994;  19 801-806
  • 15 Schwarzer A C, Aprill C N, Derby R, Fortin J, Kine G, Bogduk N. The prevalence and clinical features of internal disc disruption in patients with chronic low back pain.  Spine. 1995;  20 1878-1883
  • 16 Simmons E H, Segil C M. An evaluation of discography in the localization of symptomatic levels in discogenic disease of the spine.  Clin Orthop. 1975;  108 57-69
  • 17 Sluijter M E. Radiofrequency, Part 1. Flivopress, Switzerland 2001
  • 18 Troisier O, Cypel D. Discography: An element of decision. Surgery vs. chemonucleolysis.  Clin Orthop. 1986;  206 70-78
  • 19 van der El A. Manuelle Diagnostik. Wirbelsäule. Manthel, Rotterdam 1995

Dr. M Legat

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