Der Nuklearmediziner 2005; 28(2): 78-79
DOI: 10.1055/s-2005-836834
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schilddrüse - Update 2005

Thyroid - Update 2005Chr. Reiners1
  • 1Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Universität Würzburg, Germany
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Publication Date:
27 July 2005 (online)

Die Arbeitsgemeinschaft Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin trifft sich in zweijährigen Abständen zu einer Arbeitstagung in Würzburg. Das vorliegende Heft fasst die Vorträge der Würzburger Tagung vom 15.-16.10.2004 zusammen. Renommierte Referenten aus dem In- und Ausland beleuchten die Diagnostik und Therapie unter unterschiedlichen Aspekten, wobei die Radioiodtherapie von Schilddrüsenerkrankungen im Vordergrund steht.

In jüngster Zeit werden latente Schilddrüsenfunktionsstörungen im internationalen Schrifttum neu bewertet. In diesem Zusammenhang spielt die Festlegung von Referenzbereichen für das TSH eine große Rolle. Georg Brabant und George Kahaly (Hannover/Mainz) diskutieren diese Thematik vor allem im Hinblick auf die „subklinische” Hypothyreose. Sie schlagen vor, die seit Jahren gültige und bewährte Obergrenze des TSH-Referenzbereichs von 4,0 mU/l nicht leichtfertig zu senken. Latente Hypothyreosen haben jedoch auch eine psychiatrische Dimension. Martin Lauer u. Mitarb. aus Würzburg weisen auf Studien hin, nach denen vor allem depressive Patienten mit latenter Hypothyreose von einer Levothyroxinsubstitution profitieren. In einem systematischen Beitrag der Kölner Arbeitsgruppe von Peter Theissen u. Mitarb. werden verschiedene pathophysiologische Aspekte der latenten Hypo- und Hyperthyreose vor allem auf den Energiestoffwechsel und die Elektrophysiologie bzw. die Genexpression am Skelettmuskel und am Kardiomyozyten dargestellt. Auch diese Übersicht zeigt, dass latente Schilddrüsenfunktionsstörungen Krankheitswert besitzen und somit eine Therapie - zumindest bei symptomatischen Patienten - indiziert ist.

In einem kurzen Übersichtsbeitrag befassen sich Markus Luster u. Mitarb. von der Würzburger Arbeitsgruppe mit „Inzidentalomen” als zufällig entdeckten Tumoren der Schilddrüse (unabhängig von Funktionslage und Dignität). Im Rahmen der Schilddrüseninitiative Papillon unterzogen sich in den Jahren 2001-2002 mehr als 95 000 Freiwillige einer Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse. Danach waren Knoten bei rund 23 % der Untersuchten zu finden, wobei die Häufigkeit von nodulären Veränderungen mit dem Alter stark zunimmt. Eine aktuelle multizentrische Erhebung anhand von mehr als 450 Szintigrammen von Patienten aus Sachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen mit Knotendurchmesser größer 1 cm ergibt interessanterweise, dass mehrspeichernde Knoten (heiß bzw. warm) mit 34 % in Deutschland deutlich häufiger sind als kalte Knoten mit 23 %. Diese Beobachtung macht noch einmal deutlich, dass ein nicht unerheblicher Teil der knotigen Schilddrüsenerkrankungen prinzipiell einer Radioiodtherapie zugänglich ist.

Ein „Highlight” stellt der Beitrag von Steen Bonnema und Laszlo Hegedüs aus Odense in Dänemark dar. Die Arbeitsgruppe hat sich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit der Therapie der Struma befasst und bestehende Therapiekonzepte kritisch hinterfragt. Die TSH-suppressive Therapie mit Levothyroxin wird zwar häufig zur Behandlung der Struma eingesetzt; ihre Effektivität ist jedoch bisher bei der Struma nodosa wenig belegt. Eine Iodsupplementation zeigt nach der bisherigen Studienlage keine besseren Effekte. Konsens besteht allerdings darin, dass die Operation die Therapie der ersten Wahl bei großen Strumen oder Verdacht auf Malignität ist. Aber auch die Radioiodtherapie führt nach einem Jahr zu einer Reduktion des Strumavolumens um rund 50 % bei multinodulären und um 70 % bei diffusen Strumen. Bei zunehmender Strumagröße nimmt dieser positive Effekt jedoch ab, wobei aktuelle Daten der dänischen und einer holländischen Arbeitsgruppe zeigen, dass eine Stimulation des 131I-Uptake durch rekombinantes humanes TSH die absorbierte Schilddrüsendosis deutlich steigern kann.

Seit vielen Jahren ist die Radioiodtherapie als eine zuverlässige und kosteneffektive Alternative zur medikamentösen Therapie der Basedow-Hyperthyreose etabliert. Michael Reinhardt aus Bonn stellt heraus, dass der Radioiodtherapie bei Patienten unter 40 Jahren, männlichen Geschlechts, Schilddrüsenvolumen über 40 ml und TSH-Rezeptor-Antikörpern über 10 U/l der Vorzug vor der medikamentösen Therapie gegeben werden sollte. Wichtig ist die aktuelle Erkenntnis, dass eine Anpassung der Herddosis an das prätherapeutische Schilddrüsenvolumen unter Verwendung der Marinelli-Formel die Erfolgsrate der Radioiodtherapie bei Morbus Basedow erhöhen kann.

Mindestens so effektiv wie beim Morbus Basedow ist die Radioiodtherapie bei der Behandlung der funktionellen Autonomie. Simone Dunkelmann aus Rostock stellt heraus, dass die derzeit angewendeten Konzepte Heilungsraten von 75-100 % ermöglichen, sich jedoch zum Teil erheblich in den erzielten Hypothyreoseraten unterscheiden. Bei multifokaler und disseminierter Autonomie erlauben TcTU-basierte Dosiskonzepte die Ermittlung des „funktionellen” autonomen Volumens und damit eine hohe Erfolgsquote bei gleichzeitig niedriger Hypothyreoserate.

Die Radioiodtherapie als effiziente Behandlungsmethode gutartiger Schilddrüsenerkrankungen muss sich unter Kosten-Nutzen-Aspekten mit den anderen Behandlungsverfahren (Medikamente, Operation) messen. Auch präventive Aspekte spielen bei der Betrachtung der Effektivität verschiedener Behandlungsverfahren natürlich eine wichtige Rolle. Markus Dietlein und Harald Schicha aus Köln analysieren diese Gesichtspunkte anhand einer Kosten-Effektivitäts-Analyse mit einem lebenslangen Zeithorizont zur Behandlung der Immunhyperthyreose bei Morbus Basedow. Die Daten sprechen für den primären Einsatz der Radioiodtherapie bei Patienten, deren Rezidivrisiko nach thyreostatischer Behandlung über 60 % liegt. Eine Kosten-Vergleichs-Analyse zwischen Strumaresektion und Radioiodtherapie ergibt, dass Strumavolumina bei der funktionellen Autonomie bis etwa 100 ml und bei Morbus Basedow bis etwa 60 ml kostengünstiger mit Radioiod als chirurgisch behandelt werden können.

Für die Abrechnung wird seit dem Jahre 2004 die bisherige Verweildauer-basierte Refinanzierung durch ein diagnosebezogenes Fallpauschalensystem (DRG-System) ersetzt. Reinhard Lorenz und Jochen Dressler geben in einem Übersichtsbeitrag Hinweise zur Kodierung der Diagnosen und Prozeduren sowie zu den im DRG-System des Jahres 2005 erzielbaren Fallpauschalen bei der Radioiodtherapie verschiedener Schilddrüsenerkrankungen. In einem abschließenden Ausblick machen sie Anpassungsvorschläge bezüglich der Weiterentwicklung der DRGs über das Jahr 2005 hinaus.

Prof. Dr. Chr. Reiners

Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der Universität Würzburg

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