PPH 2005; 11(4): 202-203
DOI: 10.1055/s-2005-858499
Psychiatrie - Erfahrene

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Aggressionen in der Psychiatrie - eine Anklage

Der Name der Autorin ist der Schriftleitung bekannt.
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. August 2005 (online)

Ich zitiere § 20 Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (Psych KG):

Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Bei einer gegenwärtigen erheblichen Selbstgefährdung oder einer gegenwärtig erheblichen Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer können

Beschränkungen des Aufenthalts im Freien Unterbringung in einem besonderen Raum Fixierungen (Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch mechanische Hilfsmittel)

angeordnet werden, soweit und solange die Gefahr nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen abgewendet werden kann.

(2) Maßnahmen nach Absatz 1 sind den Betroffenen vorher anzudrohen und zu begründen. Von der Androhung kann bei einer Fixierung ausnahmsweise abgesehen werden, wenn die Umstände sie nicht zulassen, insbesondere wenn die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer Gefahr notwendig ist. Sie bedürfen der ärztlichen Anordnung und Überwachung. Sie sind zu befristen und sofort aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für ihre Anordnung entfallen. Bei Fixierungen ist eine ständige Beobachtung sicherzustellen.

Als ich Ende März 2005 in einer Nacht auf einer geschlossenen psychiatrischen gerontologischen Station noch nicht ins Bett wollte und in einem Sessel vor der verschlossenen Stationstür Platz genommen hatte, wurde ich von zwei Krankenschwestern und einem Pfleger, den man hinzugerufen hatte, den Flur entlanggeschleift, auf mein Bett gehievt und an fünf Punkten fixiert.

Dass eine ärztliche Anordnung zu dieser Maßnahme erfolgte oder eine Androhung, habe ich nicht bemerkt. Eine der Krankenschwestern rieb mir 2 - 3 Tabletten durch meine zusammengebissenen Zähne. Während des gesamten Vorganges habe ich mich nicht gewehrt, nur die Tabletten hab ich versucht auszuspucken. Eine ständige Beobachtung, während ich dann 2 - 3 Tage in dieser misslichen Lage zubringen musste, wobei die Fußfesseln ziemlich schmerzten, erfolgte nicht. Am nächsten Tag wurden dann lediglich meine Arme befreit, aber der Bauchgurt und die Fußfesseln verblieben.

Es kam auch nur bei Beendigung der Maßnahme ein Arzt vorbei. Dieser Arzt fragte mich bloß, was ich nun zu tun gedenke, und gab sich erst zufrieden, als ich erklärte, ich werde diesbezüglich eine Klage einreichen. Ein weiteres Gespräch zu diesem Vorfall gab es nicht. Das muss ich nun alles mit mir selbst aufarbeiten.

Schon 1996 war ich, als ich mit einer Reisetasche unterwegs zum Bahnhof war, auf Veranlassung eines Angehörigen von den Sanitätern aus zwei Rettungswagen auf der Straße überwältigt worden. Dabei hatte ich noch geschrien: „Ich will nicht in die Psychiatrie!” Diese Zwangseinweisung endete in einer 6-wöchigen Zwangsunterbringung. Fast eine ganze Woche lang war ich in den ersten Tagen ganz alleine in einem Isolationszimmer mit großer Glasscheibe eingeschlossen. Meine beginnende Psychose eskalierte dort enorm. Auch dieses Ereignis wurde mit mir in der Psychiatrie nicht aufgearbeitet. Nur der behandelnde Stationsarzt sagte einmal zu mir, wir müssten uns mal eingehender miteinander unterhalten. Damals wusste ich aber nicht, dass ich mich zu einem solchen Gespräch hätte anmelden müssen. Also erfolgte nichts und bei den Visiten wurde lediglich meine Medikamentendosierung besprochen. Als ich dann starke Nebenwirkungen hatte, bekam ich zusätzlich „Akineton”, was aber auch nicht half.

Anfang 2000 hatte ich dann noch mal einen kurzen freiwilligen psychiatrischen Aufenthalt, diesmal in einer gerontologischen geschlossenen Station. Ich hatte damals Todesängste auszuhalten. Mit dem Stationspfleger war ich wegen einer anstehenden Verlegung in Streit geraten. Er gab mir dann eine mir unbekannte Tablette, die ich auch brav hinunterschluckte. Als ich wissen wollte, was das denn für ein Medikament war, meinte er nur: „Dann müssen Sie mir schon die Nummer sagen, die auf der Tablette steht. Jetzt kann ich Ihnen das auch nicht mehr sagen.” Ich habe dann literweise Leitungswasser getrunken. Ich bat um ein Gespräch mit dem diensthabenden Arzt, auf den ich dann noch stundenlang warten musste. Nach einem sehr anstrengenden Gespräch mit ihm verließ ich dann gegen ärztlichen Rat diese Station fluchtartig. Ich begab mich im Taxi zum hiesigen Polizeipräsidium. Dort wollte ich die versuchte Vergiftung durch den verärgerten Stationspfleger anzeigen. Mir wurde lediglich ein Taxi für die Weiterfahrt bestellt und die Adresse des Ordnungsamtes mitgegeben.

2005 in dem anfangs hier beschriebenen psychiatrischen Aufenthalt in einer geschlossenen Gerontologie hatte ich über Bedrohungs-, Verfolgungsideen und Vergiftungsangst etwas gesagt. Und da kam es dann nach einigen Tagen zu dem Fixierungsvorfall mit Zwangsverabreichung von mir unbekannten Tabletten. Meine beiden davorliegenden Psychosen 2002 und 2003 klangen durch Begleitung von Freunden im privaten Bereich und in einem Fall versuchsweise auch ohne zusätzliche Medikamente innerhalb von wenigen Tagen ab.

1975 war ich noch als Krankenschwester ca. ein Jahr lang auf einer akut psychiatrischen geschlossenen Station in München-Haar tätig. Dort hatte ich des Öfteren alleine Nachtwache und auch eine schlaflose Patientin zum stundenlangen Gespräch in meiner Wachkanzel. Während dieses ganzen Jahres wurde nur einmal ein heftig randalierender Patient an fünf Punkten fixiert und in einem Isolierzimmer 1 - 2 Tage eingeschlossen.

In der Fixierungsstation kürzlich, einige andere Patienten waren des Nachts ebenso ans Bett gefesselt, hatten immerhin zwei Krankenschwestern Nachtwache. Es scheint, jetzt werden Fixierungen auch ohne Grund durchgeführt.

Wer arbeitet da eigentlich seine Aggressionen zum Schaden dieser wehrlosen Folteropfer ab? Und wer soll diese traumatischen Erlebnisse der Patienten, die gar nicht erst hätten sein müssen, auffangen?

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