Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2005; 37(3): 132-134
DOI: 10.1055/s-2005-862590
Praxis
Das Interview
Karl F. Haug Verlag, in: MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Immunmodulation bedeutet immer eine individuelle nicht polypragmatische Therapie, die die persönliche Gesamtsituation des Patienten berücksichtigt.

•Immunmodulation in der Praxis
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Publication Date:
04 October 2005 (online)

Unser Gesprächspartner: Dott. Paolo Bavastro

Über 25-jährige Tätigkeit im Krankenhaus, zuletzt 13 Jahre Chefarzt der Inneren Abteilung der Filderklinik; seit 2003 in eigener Praxis tätig.

Über 20-jährige Beschäftigung und Erfahrung, in Theorie und Praxis, mit komplementären Tumortherapien.

Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Ernährungsmedizin (DGEM); Anerkennung als anthroposophischer Arzt.

Autor verschiedener Sachbücher und zahlreicher Veröffentlichungen, Inhaber des Bundesverdienstkreuzes.

DZO:

Welchen Stellenwert messen Sie komplementären Therapiemaßnahmen in der Betreuung von Krebspatienten zu?

Dott. Bavastro:

Wir wissen aus Erfahrung und aus wissenschaftlichen Arbeiten um die Bedeutung der Therapie mit Mistelextrakten: sie führen zu einer Verlängerung der Lebenserwartung. Die Lebensqualität steigt: Allgemeinbefinden, Appetit und Schlaf verbessern sich; Schmerzen nehmen ab, begleitende Depressionen ebenso. Bedeutsam für das Wohlbefinden des Patienten ist insbesondere die Abnahme der Fatigue-Symptomatik, die bei vielen Tumorpatienten eine große Rolle spielt.

Sehr wichtig ist die Behandlung mit komplementären Therapiemaßnahmen während Chemo- und Strahlentherapie: die Nebenwirkungen nehmen ab, die Übelkeit verringert sich, der Appetit nimmt zu, der Leukozyten-Abfall fällt geringer aus.

Am besten ist es, den Patienten schon vor der notwendigen Operation zu behandeln. Leider sieht die Wirklichkeit anders aus: die Diagnose Tumor versetzt den Patienten in ein Schockzustand, und es werden dann meist unter Zeitdruck Operation, Chemo- oder/und Strahlentherapie durchgeführt. Erst danach kommen bei vielen Patienten Fragen auf.

Es wäre sehr wichtig, dass die Ärzte vom ersten Moment an diese Therapiemöglichkeit ansprechen und den Patienten zu einem Arzt schicken, der Erfahrung damit hat. Diese Therapien lassen sich ohne Schwierigkeiten ambulant durchführen. In aller Regel ist es nicht notwendig, diese begleitenden Therapien in einem Krankenhaus durchzuführen.

DZO:

Welche Konzepte einer immunmodulierenden Therapie wenden Sie in der Praxis an?

Dott. Bavastro:

Es handelt sich immer um eine individuelle Therapie, die die persönliche Gesamtsituation des Patienten berücksichtigt. Folgende Elemente sind wichtig: eine ausführliche Ernährungsberatung; die Mistel steht im Mittelpunkt der immunmodulierenden Therapie - unter die Haut gespritzt jeden 2. Tag oder/und als Infusion 1-mal die Woche. Mistelinfusionen sollten nur von Ärzten durchgeführt werden, die über Erfahrung darüber verfügen. Mistel ist aber mehr als „nur” immunstimulierend. Hinzu kommen weitere Möglichkeiten: Vitamin C, auch als Hochdosisinfusion, Selen (besonders als Infusion bei Chemo und Radiatio), evtl. standardisierte Thymuspeptide, eine Stimulation des Darmassoziierten Immunsystem sowie eine orthomolekulare Therapie.

Es handelt sich nicht um ein Standardschema, sondern um Elemente, die je nach Situation des Patienten angewandt werden können. Bei Pleuraergüssen empfiehlt es sich, nach der Entleerung Mistel in den Pleuraspalt zu injizieren - auch das kann ambulant geschehen.

DZO:

Wie bewerten Sie die Diskussion von lektinnormierten Mistelpräparaten versus Mistelgesamtextrakten?

Dott. Bavastro:

Auf der wissenschaftlichen Ebene ist nahezu jede sachliche Diskussion wichtig. Unter den vielen Inhaltsstoffen der Mistel spielen die Lektine sicher eine bedeutende Rolle. Das Wissen ist um ein wichtiges Kapitel erweitert und vertieft worden. Es wäre jedoch ein nicht adäquater Reduktionismus, die Wirkung der Mistel alleine auf die Lektine zu reduzieren. In der Praxis haben sich die Gesamtextrakte gegenüber den isolierten Lektinen besser bewährt. Die diversen Mistelarten haben sehr unterschiedliche Lektin-Konzentrationen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Gesamtextrakte mit normiertem Lektingehalt für Risikopatienten indiziert sind. Die Forschung muss hier noch viele Fragen beantworten.

DZO:

Wie beurteilen Sie den klinischen Nutzen zum Einsatz von Thymuspeptiden?

Dott. Bavastro:

Thymuspeptide - ich würde nur standardisierte Präparate empfehlen - können je nach immunologischer Situation eine hilfreiche Ergänzung in der Therapie sein. Vor einer generellen Polypragmasie ist jedoch zu warnen.

An dieser Stelle erlaube ich mir auf ein generelles Problem von Studien hinzuweisen: Viele Studien im Bereich der komplementären Tumortherapie sind nicht besser und nicht schlechter als bei sog. konventionellen Therapien. Wir stoßen aber auf eine besondere Schwierigkeit: viele Patienten sind so motiviert, dass sie sich nicht „randomisieren” und schon gar nicht „verblinden” lassen: wenn Sie beispielsweise Mistel als „Verum” spritzen, merkt es der Patient sofort. Man muss also andere Studienkriterien entwickeln und akzeptieren, die der Methode adäquat und angemessen sind.

DZO:

Welche anderen immunmodulierenden Verfahren halten Sie noch für die Behandlung von onkologischen Patienten für geeignet?

Dott. Bavastro:

Weitere Verfahren, außer den bisher genannten, würde ich nicht generell befürworten. Bei allen komplementären Therapien von Tumorpatienten müssen wir darauf achten, nicht dem Prinzip der unkritischen Polypragmasie, des „Viel-hilft-viel” zu verfallen: dies kann dem Patienten auch schaden! Es ist für den Patienten besser, einige gut dokumentierte und in sich schlüssige Konzepte bzw. Medikamente anzuwenden; es ist zwar verständlich, dass Patienten in ihrer Verzweiflung und Hoffnung zugleich möglichst „alles” machen möchten - in den allermeisten Fällen wird aber der Patient keinen zusätzlichen Nutzen davon haben. Es ist Aufgabe des erfahrenen Arztes, den Patienten so zu beraten und zu „führen” (ich benutze diesen Ausdruck ganz bewusst, wohl wissend, dass diese Haltung ethisch nicht „in” ist, aber in der Realität mehr als notwendig), dass er nicht zu viel Medikamente bekommt. Oft ist Polypragmasie ein Symptom von Hilflosigkeit.

DZO:

Wie kann eine Überstimulierung durch verschiedene immunmodulierende Maßnahmen in der Praxis festgestellt und weitestgehend vermieden werden?

Dott. Bavastro:

Auch zu diesem Thema ist es wichtig, eine unkritische Polypragmasie unbedingt zu vermeiden. Hinweise auf eine Überstimulierung bekommen wir aus dem Befinden des Patienten, aus seiner Temperaturkurve. Eine etwas genauere Auskunft gibt uns die Messung der Leukozyten: wenn diese fallen, ebenso wie Granulozyten und Eosinophile, können sie ein Zeichen einer Überstimulierung sein. Die Bestimmung der Subpopulationen der Lymphozyten gibt das genauste Messinstrument, das wir zurzeit zur Verfügung haben. Dabei stoßen wir auch hier an Grenzen: selbst ein sehr gut stimuliertes und aktiviertes Immunsystem ist keine Erfolgsgarantie. Treten Phänomene des „immunological Escape” auf, gelingt es also dem Tumor sich immunologisch zu „verstecken”, ist unsere Therapie leider nur begrenzt wirksam.

DZO:

Stichwort: Immunfunktionsaustestung: Was halten Sie von diesen neuen diagnostischen Verfahren?

Dott. Bavastro:

Es liegt in der Logik des Therapieansatzes, nach Möglichkeiten zu suchen, vor Therapiebeginn die Reagibilität des Systems und das geeignete Mittel, z.B. welche Mistelart, zu testen. Allen diesen Testverfahren (seit einigen Jahren wird von verschiedenen Seiten die Lymphozytentransformation propagiert) liegt dieser Wunsch zugrunde. Die klinische Relevanz diese Testmethoden ist jedoch aufgrund der noch spärlichen und nicht belastbaren Datenlage nicht nachgewiesen: wir können darüber noch nichts Abschließendes sagen.

DZO:

Was raten Sie Hausärzten, wie eine Misteltherapie praktisch durchgeführt werden sollte? Was sollte dabei dringend beachtet werden?

Dott. Bavastro:

Wenn ein Arzt auf dem Gebiet sachkundig ist und über eine langjährige Erfahrung verfügt, kann er eine Mistelbehandlung beginnen und begleiten. Ich erlebe jedoch nicht selten eine insuffiziente Behandlung; komplementäre Therapien sowie die Misteltherapie sind heute sehr differenziert; es sind mehrere wichtige Dinge zu beachten, so dass ich dringend empfehle, einen sachkundigen Arzt zu konsultieren, der darüber hinaus auch über die organisatorischen und räumlichen Möglichkeiten verfügt, die zur Mistel-Infusionsbehandlung notwendig sind.

DZO:

Wie lange sollte Ihrer Meinung nach eine Immunmodulation mit z.B. Mistel durchgeführt werden?

Dott. Bavastro:

Da mit einer Mistelbehandlung eine Aktivierung und eine Stimulierung des Immunsystems intendiert wird, handelt es sich um eine Dauerbehandlung. Je nach Erkrankung und individueller Situation sind es subkutane Injektionen 2- bis 3-mal die Woche, jeden zweiten Tag oder täglich, in unterschiedlicher Dosis. Erst nach etwa 5 Jahren kann man die Injektionshäufigkeit langsam reduzieren; ich setze die Mistelbehandlung nicht ganz ab. Viele Patienten fühlen sich unter Mistel so gut, dass sie von sich aus weitermachen wollen. Regelmäßige Pausen, die von manchen Herstellern empfohlen werden, halte ich nicht für angebracht - auch hier besteht noch Forschungsbedarf. Eine Infusionsbehandlung muss im Zeitablauf nach anderen Kriterien gehandhabt werden.

DZO:

Was halten Sie in diesem Zusammenhang davon, den Immunstatus mithilfe der Lymphozytensubpopulationsmessung zu überprüfen?

Dott. Bavastro:

Je nach Verlauf und Befinden des Patienten kann 1- bis 2-mal im Jahr der Immunstatus überprüft werden. Außer den klinischen Parametern, einschließlich Temperaturverlauf, ist die Bestimmung der Lymphozytensubpopulationen angebracht. Das Ergebnis muss jedoch in der Gesamtheit der Situation des Patienten gewürdigt werden.

DZO:

Herr Dr. Bavastro, zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Dott. Bavastro:

Es gibt Faktoren, die wir nicht ändern können, so z.B. eine familiäre Belastung, das Geschlecht und das Alter. Umso wichtiger ist es, die Dinge die wir verändern und beeinflussen können, zu beachten. Auch wenn es den Finanzminister ärgert: das Aufgeben des Rauchens oder gar nicht erst anfangen ist sehr wichtig. Übergewicht ist für sich alleine schon ein Risikofaktor, auch für die Tumorentstehung. In diesem Zusammenhang sollte jeder auf seine Ernährungsgewohnheiten achten: viel Obst, viel Salate, viel Gemüse, wenig Konserviertes, 1- bis max. 2-mal die Woche Fleisch, dafür 2- bis 3-mal die Woche Fisch, wenig Fett, Vollkornprodukte, wenn möglich Bioland- oder Demeter-Produkte. Zum gesunden Leben gehört natürlich Bewegung: ich gehe fast jeden Abend eine halbe oder ganze Stunde spazieren. Jeden Abend vor dem Fernseher zu verbringen, ist bereits ein Risikofaktor - ich habe keinen Fernseher! Außerdem nehme ich regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine und Arginin zu mir.

DZO:

Herr Dott. Bavastro, vielen Dank für das Gespräch.

Korrespondenzadresse

Dott. Paolo Bavastro

Internist-Kardiologe Ernährungsmedizin DGEM

Löffelstraße 3

70597 Stuttgart

URL: http://www.bavastro-praxis.de

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