Z Sex Forsch 2006; 19(3): 234 -240
DOI: 10.1055/s-2006-942158
Debatte

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kann die neosexuelle Revolution ohne Neoliberalismus gedacht werden?

Eine Antwort auf Daniela Klimke und Rüdiger LautmannV. Sigusch1
  • 1Institut für Sexualwissenschaft, Klinikum der J. W. Goethe-Universität
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Publication Date:
15 September 2006 (online)

Die Kritik von Daniela Klimke und Rüdiger Lautmann (2006) an meinem Buch „Neosexualitäten” (2005) hat mich beschäftigt. Ich dachte, das ist ja das größte anzunehmende Missverständnis. Wie kommen sie dazu, mich nicht mehr für einen Kritiker des Neoliberalismus zu halten?

Lautmann, den ich als Verfasser der Anti-Schelsky-„Soziologie der Sexualität” (2002) bewundere (vgl. auch das Gespräch von Gunter Schmidt mit ihm in Heft 4/2003 dieser Zeitschrift), hat doch, wenn ich das recht erinnere, meine „Mystifikation des Sexuellen” (1984) in einem Seminar behandelt, weiß also, dass in meinem Denken seit Jahrzehnten eine Kategorie wie der Warenfetischismus zentral steht. Außerdem habe ich doch in dem Artikel, der diese Zeitschrift eröffnet hat, behauptet, dass die historische Geburt unserer Sexualität als gesellschaftliche Form und als Begriff - ich nenne sie Paläosexualität - vor wenigen Jahrhunderten erfolgte. Damals sei unsere Sexualität als theoretisches, ästhetisches und moralisch-praktisches Problem zum Bestandteil einer profanen Kultur geworden, die an jener Schnittstelle entstand, welche der Zerfall der religiösen Weltsicht „und das Aufkommen des Kapitalismus im Abendland bilden” (1988: 1; Hervorh. neu).

Literatur

  • 1 Foucault M. Histoire de la sexualité. Tome 1: La volonté de savoir. Paris: Gallimard, 1976 (dt.: Sexualität und Wahrheit. Bd. 1: Der Wille zum Wissen. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1977)
  • 2 Horkheimer M, Adorno T W. Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Amsterdam: Querido, 1947 (Neuausgabe: Frankfurt/M.: Fischer, 1969)
  • 3 Klimke D, Lautmann R. Die neoliberale Ethik und der Geist des Sexualstrafrechts.  Z Sexualforsch. 2006;  19 97-117
  • 4 Lautmann R. Soziologie der Sexualität. Erotischer Körper, intimes Handeln und Sexualkultur. Weinheim, München: Juventa, 2002
  • 5 Lautmann R. „Ich schreibe einen Anti-Schelsky!” Im Gespräch mit G. Schmidt.  Z Sexualforsch. 2003;  16 362-371
  • 6 Sichtermann B. Der tote Hund beißt. Karl Marx, neu gelesen. Berlin: Wagenbach, 1990
  • 7 Sigusch V. Die Mystifikation des Sexuellen. Frankfurt/M., New York: Campus, 1984
  • 8 Sigusch V. Was heißt kritische Sexualwissenschaft?.  Z Sexualforsch. 1988;  1 1-29
  • 9 Sigusch V. Die neosexuelle Revolution. Über gesellschaftliche Transformationen der Sexualität in den letzten Jahrzehnten.  Psyche - Z Psychoanal. 1998;  52 1192-1234 , (zit. als 1998 a)
  • 10 Sigusch V. Kritische Sexualwissenschaft und die Große Erzählung vom Wandel.  Z Sexualforsch. 1998;  11 17-29 ,  (zit. als 1998 b)
  • 11 Sigusch V. Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion. Frankfurt/M., New York: Campus, 2005

Prof. Dr. med. V. Sigusch

Institut für Sexualwissenschaft
Klinikum der J. W. Goethe-Universität

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt am Main

Email: Sigusch@em.uni-frankfurt.de

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