Hebamme 2006; 19(3): 145
DOI: 10.1055/s-2006-954940
Editorial

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Wissen und Erfahrung

Birte Luther
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Publication Date:
05 December 2006 (online)

Im letzten Editorial ging es um das Prinzip des evidenzbasierten Arbeitens. Dies ist eine sehr effektive Methode, um herauszufinden, welches das bestmögliche Mittel oder die bestmögliche Maßnahme für ein bestimmtes z.B. schwangerschaftsbedingtes Problem ist. Die Einbeziehung von evidenzbasierten Daten in unser tägliches Handeln ist somit also geradezu elementar, damit wir Hebammen unsere Arbeit weiter professionalisieren.

Dies geschieht im Wesentlichen über zwei wichtige Nutzeffekte. Einerseits könnten Hebammen die Methoden und Mittel, die sie anwenden, über eine Sichtung der jeweils aktuellen Datenlage immer wieder optimieren. Andererseits haben sie über evidenzbasierte Ergebnisse zugleich auch entsprechende Argumente in der Hand, die z.B. nachweisen könnten, dass ihre eher interventionsarmen Vorgehensweisen, bei denen sie versuchen, so wenig wie möglich in das Schwangerschafts- oder Geburtsgeschehen einzugreifen, manchmal wirksamer sind, als die oft sehr invasiven Methoden der Geburtsmedizin.

Bei allem Nutzen darf die Evidenzbasierung jedoch nicht mit einem Antwortschlüssel für alle Hebammenfragen verwechselt werden, denn nicht alles, was Hebammen tun, ist objektiv überprüfbar. Viele Arbeitsprozesse (wie z.B. die Gesprächsführung mit der Frau oder die Adaption der Maßnahmen an die konkrete Situation) müssen interaktiv validiert und reflektiert werden. Hierbei gilt dann der altbekannte Satz: „Viele Wege führen nach Rom” und der bestmögliche Weg ist eben gerade nicht bzw. nicht allein über objektive Forschung zu ermitteln, sondern immer eine Sache der Aushandlung zwischen der Frau oder dem Paar und der betreuenden Hebamme.

Insofern birgt Hebammenarbeit immer beide Anteile - also den objektiv-wissenschaftlichen und den individuell-konstruierten - in sich, denn jede Frau ist einmalig und jeder Körper spricht eine ganz spezifische Sprache.

Dieses spannende Thema wird gleich im ersten Beitrag des Heftes aufgegriffen, wenn der Autor nach einem neuen Motto für die Geburtshilfe der Zukunft sucht. Auch in den übrigen Heftbeiträgen finden sich diese unterschiedlichen Schwerpunkte der Hebammenarbeit wieder.

Ein Beispiel für ein Gebiet, das sich nie vollständig mit objektivierbaren Daten messen lassen wird, ist die Supervision. Mit dem Einführungsartikel von Sabine Krauss zu der Frage „Welchen Nutzen haben Hebammen von der Supervision?” beginnen wir eine neue Beitragsreihe zur Supervision, mit der wir dieses wichtige Thema für die Reflexion der eigenen Arbeit stärker in das Bewusstsein rücken möchten. Das erste Fallbeispiel in diesem Heft (und die folgenden Fallbeispiele in den nächsten Ausgaben) sollen zum Nachdenken und Erfahrungsaustausch anregen.

Forschung ist unverzichtbar und neue Forschungsergebnisse müssen publiziert werden. Dass die in unserer Zeitschrift veröffentlichten Beiträge und Forschungsprojekte von Hebammen auch außerhalb unserer Berufsgruppe gelesen werden und Beachtung finden, zeigt u.a. der Leserbrief auf S. 204.

Diese Ausgabe liefert Ihnen eine Auswahl dessen, was Hebammenarbeit ausmacht und zeigt auf, dass Forschung ohne Praxisrelevanz genauso sinnlos wäre, wie die Nutzung von Erfahrungshorizonten, ohne sie entsprechend zu hinterfragen und zu überprüfen. Vielmehr ergeben erst diese beiden Säulen einen tragenden Grundstock, auf dem jede Hebamme ihr eigenes Arbeitskonzept aufbauen kann.

Ich wünsche Ihnen beim Lesen dieses Heftes viel Freude und vor allem viele Anregungen für eine sinnvolle Verknüpfung beider Säulen in Ihrer täglichen Arbeit mit den Frauen, Paaren und Kindern.

Birte Luther