Fortschr Neurol Psychiatr 1988; 56(1): 1-7
DOI: 10.1055/s-2007-1001212
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Über den strukturellen Zusammenhang schizophrener Denk- und Sprachstörungen mit wahnhaftem Erleben und Abwandlungen der Intentionalität

Structural Links Between Schizophrenic Disturbances of Thinking and Speech, Paranoid Experiences, and Disordered IntentionalityR.  Holm-Hadulla
  • Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg
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Publication Date:
10 January 2008 (online)

Abstract

This study originated from a phenomenological and speech-act theoretical concept of schizophrenic concretism. An experimental study was performed showing a highly significant lack in the schizophrenic patients' ability to use metaphors correctly.

Based on the interpretation of proverbs, the hypothesis is rejected that false interpretations of schizophrenic patients are due to intermingling of personal conflicts. On the other hand, it could be shown that concretistic interpretations of proverbs represent an avoidance of conflicts. The concepts of "substitution" and "transfer" enabled us to measure pathological concreteness and "deconflictualisation". The differentiation between schizophrenic and nonpsychotic patients was found to be highly significant.

In a complementary study it could be shown that the chronic schizophrenics' disability to transfer images of proverbs to an interpersonally relevant context does not differ significantly from that of patients with their first schizophrenic episode.

Discussing our empirical findings, we try to show that the concretistic reduction of thought and speech is also a paradigm of delusion. The "incorrigibility" of schizophrenic delusion was seen to be based on reification of verbal signs and metaphors.

After trying to show a connection between the concretistic "Lebensform" (Wittgenstein) and the disordered intentionality of schizophrenic patients, pointers towards psychotherapeutic implications are given.

Zusammenfassung

Ausgehend von einem phänomenologischen und sprechakttheoretischen Konzept des schizophrenen Konkretismus wird eine experimentalpsychologische Untersuchung referiert, die sich - im Gruppenvergleich gegenüber nicht-psychotischen Patienten - als eine hochsignifikante Einschränkung schizophrener Patienten, mit sprachlichen Symbolen umzugehen, erweist.

Mittels der Interpretationsaufgabe von Sprichwörtern wird in der vorstehenden Arbeit die Hypothese geprüft, ob die Fehlinterpretationen schizophrener Patienten in einem ,,Überschwemmtwerden" von persönlichen Konfliktthemen begründet sind, oder ob an dem unkonventionellen Umgang mit sprachlichen Zeichen eher eine konkretistische Dekonfliktualisierung ablesbar ist.

Es ergibt sich, daß das von Harrow entwickelte Konstrukt ,,lntermingling" als Operätionalisierung von bizarren Interpretationen, die auf dem ,,Einmischen" persönlicher Konfliktthemen beruhen, nicht geeignet ist, schizophrene Patienten von nicht-psychotischen Patienten zu unterscheiden. Demgegenüber läßt sich durch die Fähigkeiten bzw. Unfähigkeit, das im Sprichwort bildhaft Gegebene in einen intersubjektiv relevanten Kontext zu übertragen, eine Gruppe schizophrener Patienten von nicht-psychotischen Patienten unterscheiden. Mit den hierzu entwickelten Kategorien ,Substitution' und ,Transfer' als Maß für eine pathologische Konkretheit und Dekonfliktualisierung im Denken und Sprechen läßt sich eine hohe Übereinstimmung zwischen verschiedenen Untersuchern erreichen.

Aus einer ergänzenden Untersuchung ergibt sich, daß bezüglich der Übertragungsfähigkeit des bildlich im Sprichwort Gegebenen in einen interpersonal bedeutsamen Kontext, chronisch schizophrene Patienten von schizophren Ersterkrankten nicht zu unterscheiden sind.

Der Mangel an ,,Substitution" und ,,Transfer" bei der Interpretation von Sprichwörtern kann als differentialdiagnostisches Hilfskriterium gegenüber Konfliktreaktionen, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen herangezogen werden.

In der Diskussion wird versucht herauszuarbeiten, daß die konkretistische Verengung von Denken und Sprechen auch ein Grundmuster der Wahnbildung darstellt. Die ,,Unkorrigierbarkeit" des schizophrenen Wahnes wird auf eine Reifizierung von sprachlichen Zeichen zurückgeführt.

Nach einem Versuch, die konkretistische Lebensform mancher schizophrener Patienten mit ihrer veränderten Intentionalität in Verbindung zu bringen, werden psychotherapeutische Implikationen kurz angedeutet.