Der Klinikarzt 2007; 36(8): 425
DOI: 10.1055/s-2007-986460
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Arroganz als Hypothek und Strategie

Matthias Leschke
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. August 2007 (online)

Ein Chefarzt ist schon jemand. Zumindest war er es früher. Ein Billroth, ein von Bergmann, ein Sauerbruch - das waren Götter ihrer Kliniken. Die Gesellschaft respektierte sie und billigte ihnen einen Sonderstatus zu. Und wie gaben sie sich, diese Klinikchefs? Je nach Naturell: bescheiden, kurz angebunden, aufbrausend, ungerecht, ja geradezu brutal. Gleich welcher Meinung sie waren, sie hatten immer Recht.

Als Werner Forssmann seinem Chef an der Charité, Geheimrat Sauerbruch, von seinem Experiment mit einem zum Herzen vorgeschobenen Blasenkatheter berichtete, empfahl ihm dieser, sich damit doch besser im Zirkus zu habilitieren, und warf ihn auf der Stelle raus. Der große Sauerbruch hatte sich, wie wir heute wissen, geirrt. Die Arroganz der einstigen Chefs - war sie ein Schutzmechanismus, mit dem sie ihre Unsicherheit kaschierten? Das traf für die Großen der Medizin sicher nicht zu. Sie waren sich ihrer Bedeutung nur allzu bewusst und spielten diese Karte gegenüber ihren Mitmenschen unterschiedslos aus. Arroganz als Überheblichkeit also.

Die neuen Chefs können sich dies nicht mehr leisten. Zum einen kann auch keine Koryphäe sicher sein, alles zu wissen - in der Medizin hat sich das längst herumgesprochen. Heute hat sich sogar eine gewisse Demut eingestellt. Zuallererst und ausschließlich sind wir für unsere Patienten da - nicht diese für uns. Das war nicht immer so klar. Wenn jetzt etwas schief läuft - und das kann immer passieren, wenn Menschen am Werk sind -, gibt auch der Chef dies unumwunden zu und entschuldigt sich. Der Chefarzt ist für die anderen da, nicht die anderen für ihn. Er steht an der Seite seiner Patienten. Er muss seine Mitarbeiter führen, kritisieren, weiterentwickeln. Das ist nicht immer angenehm, denn Kritik darf nie von der hohen Warte herab kommen. Das alles ist schon ein Paradigmenwandel chefärztlichen Verhaltens - aber ein durchaus zeitgemäßer.

Und wie steht es um die chefärztliche Arroganz gegenüber der Verwaltung? Ein Blick zurück: Die Administration war bei den Ärzten nie beliebt, sie war immer notwendiges Übel. Inzwischen hat sich dies grundlegend verändert. Das medizinische Angebot hat sich dramatisch weiterentwickelt, auch kostenmäßig. Die Städte und Gemeinden als Träger unserer Kliniken haben selbst kein Geld mehr und sind immer weniger bereit, ihre Krankenhäuser zu subventionieren, wie sie es bisher stillschweigend getan haben.

Bis vorgestern galt Gesundheitspflege noch als öffentliche Aufgabe, ohne Wenn und Aber. Jetzt muss sich plötzlich alles rentieren. Die Politik etablierte als Vehikel die sogenannten DRGs („diagnosis related groups”), die unsere Medizin mit einer Autoreparaturwerkstatt vergleichbar machen. Da war es nur konsequent, dass die Ärzte in die zweite Reihe gerückt wurden und man den Betriebswirten das Zepter und die Weisungsbefugnis in die Hand drückte. Medizin droht damit jedoch zum Konsumgut zu werden und der Patient zum Kunden. Wir Ärzte werden zu Dienstleistern, Gewerbetreibenden, Anbietern diverser Gesundheitsleistungen. Wer's preiswerter macht und schneller, kriegt den Zuschlag.

Doch Medizin ist mehr als Produktion und Vertrieb von Konsumartikeln. Unsere Bevölkerung kommt nach wie vor zu uns, weil sie leidet. Und deshalb sollten wir uns dem Management gegenüber wieder ein wenig unserer „Arroganz” bedienen, womit ich unser ärztliches Selbstbewusstsein meine - als Signal, dass wir uns qua Amt für mehr stark machen müssen als für die bloße Erfüllung eines Umsatzplans. Dies ist absolut keine Kritik am notwendigen Paradigmenwechsel eines zeitgemäßen Klinikmanagements, das im Grunde ja ebenfalls dem Wohl unserer Patienten verpflichtet ist. Und wenn wir uns dafür einsetzen und man dies als ärztliche Überheblichkeit wertet, dann wollen wir damit gerne leben.

Prof. Dr. Matthias Leschke

Esslingen

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