Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1998; 33(11): 699-714
DOI: 10.1055/s-2007-994841
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hämoglobin-Lösungen: Volumenersatzmittel oder Sauerstofftherapeutika?

Haemoglobin Solutions: Volume Replacement or Oxygen Therapeutics?Th. Standl
  • Klinik für Anästhesiologie Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, Hamburg
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Publication Date:
22 January 2008 (online)

Zusammenfassung

Aufgrund einer in den nächsten Jahrzehnten drohenden Verknappung von homologen Blutpräparaten und durch die zunehmend kritische Einstellung von Patienten und Ärzten gegenüber der Transfusion von Fremdblut ist die Entwicklung der Hämoglobin-Lösungen in den letzten Jahren entscheidend vorangekommen. Tierexperimentelle Studien haben gezeigt, daß moderne ultragereinigte und chemisch modifizierte Hämoglobin-Lösungen keine gravierenden toxischen Nebenwirkungen besitzen, einen meßbaren intravasalen Volumeneffekt bewirken und durch NO-Bindung einen systemischen vasokonstriktorischen Effekt ausüben. Hämoglobin-Lösungen wurden tierexperimentell sowohl zur Substitution größerer Blutverluste nach hämorrhagischem Schock als auch in Blutaustauschmodellen erfolgreich eingesetzt. Die Auswirkungen der Hämoglobin-Lösungen auf die Mikrozirkulation sind abhängig von den jeweils untersuchten Organen und Spezies sowie vom Purifikationsgrad und der chemischen Modifikation des entsprechenden Präparates. Aufgrund der im Vergleich zu korpuskularen Sauerstoffträgern unterschiedlichen physikochemischen Eigenschaften scheint eine adäquate Gewebsoxygenierung durch Hämoglobin-Lösungen bei Applikation von vergleichsweise geringen Volumina und in Cewebsarealen mit kompromittierter Sauerstoffversorgung möglich zu sein. Die ersten klinischen Anwendungen konnten die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Hämoglobin-Lösungen als Ersatz für zelluläre O2-Träger im Rahmen einer präoperativen Hämodilution oder bei perioperativen Blutverlusten belegen. Der Metabolismus von chemisch modifiziertem Hämoglobin und eine mögliche Immunisierung bzw. Immunsuppression durch Hämoglobin-Lösungen sind derzeit noch unzureichend geklärt. Technische Schwierigkeiten im klinischen Einsatz von Hämoglobin-Lösungen ergeben sich durch die Interferenz von plasmatisch gelöstem Hämoglobin mit photometrischen Meßverfahren. Da für den Einsatz von Hämoglobin-Lösungen als O2-transportierende Medikamente deutlich geringe Dosen als für die Blutsubstitution notwendig sind, würde durch die Anwendung dieser Substrate als O2-Therapeutika eine Reihe von Problemen vermieden oder deutlich reduziert. Welche Indikationen sich für Hämoglobin-Lösungen über die präklinische oder perioperative Blutsubstitution hinaus in den nächsten Jahren ergeben werden hängt davon ab, ob sich die Unbedenklichkeit und Effektivität der Präparate in weiteren Studien mit großen Patientenzahlen bestätigen lassen.

Summary

The development of haemoglobin solutions has progressed significantly in the last 15 years because of a perceived short fall in allogeneic blood within the next decades and increased concern about transmitted infectious diseases. Animal studies have shown that modern highly purified and chemically modified haemoglobin preparations are free of toxic side effects, provide adequate volume replacement and have vasoconstrictive effects that enhance systemic vascular resistance and mean arterial pressures after haemorrhage and in models of nearly complete blood replacement. Microcirculatory effects of haemoglobin-based oxygen carriers are dependent on the respective organ and species in which they are applied and on their degree of purification and chemical modification. Because of different physico-chemical properties in comparison with red cells, haemoglobin solutions provide sufficient tissue oxygenation in areas with critically restricted perfusion even when applied in small doses. First studies in volunteers and patients showed efficacy and tolerability of different newly developed haemoglobin solutions during acute normovolaemic haemodilution and in perioperative blood replacement. However, only little information exists to date in terms of metabolism of haemoglobin preparations and their potential immunogenicity and immunosuppressive side effects. Technical problems with the clinical use of haemoglobin solutions arise because of interference of plasma haemoglobin with routine laboratory tests and oximetry. Future indications for haemoglobin solutions as an oxygen therapeutic allow for application of small doses of such preparations and may help to avoid major technical problems. More clinical studies have to be undertaken to confirm the effectivity and safety of the different haemoglobin solutions and to find out the optimal indications beyond acute preclinical and perioperative blood replacement.

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