Fortschr Neurol Psychiatr 1996; 64(9): 327-343
DOI: 10.1055/s-2007-996402
ORIGINALARBEIT

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ernst Rüdin - ein Schweizer Psychiater als ,,Führer" der Nazipsychiatrie - die ,,Endlösung" als Ziel

Ernst Rudin - a Swiss Psychiatrist as "Führer" of Nazi Psychiatry - the "Final Solution" as AimU. H. Peters
  • Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Köln
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Publication Date:
10 January 2008 (online)

Abstract

The study of work and life of the Swiss-German psychiatrist Ernst Rüdin, honoured up to our time as "father of psychiatric genealogy", lead to different views. Rüdin early in his life became a racial fanatic, and as a propagandist for the purity of the "Germanic people" he constantly demanded preventive coercive measures against the reproduction of the mentally ill and other, in the racist's view, undesirable persons. With this objective in mind he started his psychiatric research. The results of Rudin's monograph about the genetics of dementia precox do not withstand scientific criticism but confirmed his preexisting opinions. They served however as scientific reasoning for the forced sterilisation by the Nazis, for which Rüdin's comments were obligatory. The next step, to the holocaust of the mentally ill and the undesirable, was not only tacitly agreed with by Rüdin. - Max Weber, Karl Jaspers and others realised at an early time the dangers arising from racial hygienics and voiced their warnings in a plain language. - The surviving victims are still waiting for compensation.

Zusammenfassung

Werk und Leben des Deutsch-Schweizer Psychiaters Ernst Rüdin, der bis in die Gegenwart hinein als ,,Vater der psychiatrischen Genealogie" geehrt wurde, führen bei einem Studium der Quellen zu einem anderen Bild. Rüdin wurde frühzeitig Rassenfanatiker und forderte als Propagandist für die Reinheit des ,,germanischen Volkes" unablässig Zwangsmaßnahmen zur Verhinderung der Fortpflanzung von psychisch Kranken und anderer rassisch unerwünschter Personen. Mit solcher Zielsetzung wandte er sich der psychiatrischen Forschung zu. Die in Rüdins Monographie über die Vererbung der Dementia praecox vorgelegten Ergebnisse halten auch wissenschaftlich einer Kritik nicht stand, sondern bestätigen nur das vorher bereits vorhanden gewesene Vorurteil. Sie dienten jedoch als wissenschaftliche Begründung für die Zwangssterilisierung durch die Nazis, für welche Rüdins Kommentare obligatorisch waren. Der nächste Schritt zum Holocaust an psychisch Kranken und Unerwünschten wurde von Rüdin nicht nur stillschweigend mitgetragen. - Max Weber, Karl Jaspers und andere haben die von den Rassenhygienikern ausgehenden Gefahren frühzeitig erkannt und in klarer Sprache davor gewarnt. - Die überlebenden Opfer warten noch immer auf Entschädigung.

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