Diabetologie und Stoffwechsel 2019; 14(03): 193-203
DOI: 10.1055/a-0868-7758
Positionspapier
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Motivation und Diabetes – Zeit für einen Paradigmenwechsel? – Ein Positionspapier –

Motivation and Diabetes: Time for a Paradigm Shift? – A Position Paper –
Frank Petrak
1   Zentrum für Psychotherapie Wiesbaden, Germany
5   Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Universitätsklinikum Bochum der Ruhr-Universität Bochum, Germany
,
Juris J. Meier
2   Diabeteszentrum Bochum/Hattingen, Katholisches Klinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum, Bochum/Hattingen, Germany
,
Christian Albus
3   Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Uniklinik Köln, Germany
,
Petra Grewe
4   Praxis für Psychologische Psychotherapie, Dortmund, Germany
,
Jan Dieris-Hirche
5   Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Universitätsklinikum Bochum der Ruhr-Universität Bochum, Germany
,
Rainer Paust
6   Institut für Psychosoziale Medizin, Elisabeth-Krankenhaus Essen, Germany
,
Alexander Risse
7   Klinikzentrum Nord, Dortmund, Germany
,
Bonnie Röhrig
5   Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Universitätsklinikum Bochum der Ruhr-Universität Bochum, Germany
,
Stephan Herpertz
5   Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Universitätsklinikum Bochum der Ruhr-Universität Bochum, Germany
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Publikationsverlauf

19. Oktober 2018

05. März 2019

Publikationsdatum:
27. März 2019 (online)

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Zusammenfassung

Ärztliche Behandlungsempfehlungen bei Patienten mit Diabetes werden von den Betroffenen zu einem großen Teil nicht umgesetzt. Dies betrifft sowohl die Medikamenteneinnahme als auch Empfehlungen zu einem gesundheitsförderlichen Lebensstil mit entsprechender körperlicher Aktivierung, gesunder Ernährung, ggf. Beendigung des Rauchens und angemessener Gewichtskontrolle. Das Nichtbefolgen dieser Empfehlungen führt nachweislich zu einer deutlichen Risikoerhöhung für Diabeteskomplikationen, Morbidität und eine vorzeitige Mortalität. Ärztliche Reaktionen auf dieses Patientenverhalten umfassen verstärkte Bemühungen um „Therapietreue“ und resultieren langfristig nicht selten in einem Gefühl von Ohnmacht und Resignation. Forschungsbemühungen konzentrieren sich auf eine zunehmende Zahl von Interventionen zur Förderung der Therapieadhärenz, wobei die Ergebnisse von Metaanalysen auf einen nur mäßigen Erfolg hinweisen.

Mit dem vorliegenden Positionspapier wird ein praxisorientierter Ansatz zur Diskussion gestellt, der auf eine Verbesserung der beschriebenen Problematik abzielt. Zentral ist dabei die Reflexion der verschiedenen Rollen sowie der Verantwortungsübernahme der Patienten auf der einen Seite und der Ärzte bzw. anderer Berufsgruppen (Diabetesberater, Psychotherapeuten) auf der anderen Seite. Es wird eine neue Klassifikation verschiedener Arten der Therapieadhärenz bzw. Non-Adhärenz vorgeschlagen. Diese bilden den Ausgangspunkt zu einem praxisbezogenen Algorithmus zum ärztlichen Umgang mit unterschiedlichen Arten der Therapieadhärenz, bei dem die Rollen und die Verantwortungen für Behandler und Patienten explizit geklärt werden. Dabei wird keine Therapieadhärenz von Patienten forciert. Vielmehr wird darauf abgezielt, dass Patienten eine informierte, tragfähige und eigenverantwortete Entscheidung für oder gegen einen ärztlichen Vorschlag treffen und dass dies von Behandlerseite akzeptiert werden kann, sodass Frustrationen und Ohnmachtsempfinden vermieden werden. Abschließend werden Thesen zum Umgang mit „Motivationsproblemen bei Diabetes“ zur Diskussion gestellt.

Abstract

Non-adherence to treatment recommendations for patients with diabetes is widespread. This applies to medication as well as recommendations for a healthy lifestyle with appropriate physical activity, a healthy diet, and, if necessary, an end to smoking and weight control. Disregard of these recommendations has been shown to increase the risk of diabetes complications, morbidity and premature mortality. Physiciansʼ responses to this patient behavior include increased efforts to improve adherence to therapy and often result in a feeling of resignation in the long term. Research efforts focus on an increasing number of interventions to improve therapy adherence, with the results of meta-analyses indicating only moderate success.

This position paper presents a practice-oriented approach for discussion that aims to improve the problems described. We reflect on the different roles and responsibilities of patients on the one hand and physicians and other professional groups (diabetes counsellors, nurses, and psychotherapists) on the other. A new classification of different types of non-adherence to therapy is proposed. These constitute the starting point for a practice-related algorithm for the medical handling of the different types of non-adherence, in which the roles and responsibilities of practitioners and patients are explicitly clarified. Thereby no adherence to therapy of patients is pushed. Rather, the aim is for patients to make an informed and responsible decision for or against a doctorʼs suggestion and for this to be accepted by the physician so that frustrations on both sides are avoided. Finally, theses regarding “motivation problems in diabetes” will be presented for discussion.