Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(8/09): 413
DOI: 10.1055/s-0029-1241067
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Komplementärmedizin in der Hausarztpraxis

Martin Schencking
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Publication Date:
11 September 2009 (online)

Die „Top Ten“ der häufigsten hausärztlichen Beratungsanlässe wird in Deutschland angeführt von der „essenziellen (primären) Hypertonie“ – dicht gefolgt von „Störungen des Lipoproteinstoffwechsels“ und „Rückenschmerzen“. Auf Platz 5 und 7 der Liste folgen der „nicht insulinpflichtige Diabetes mellitus Typ 2“ und die „Adipositas“. All diese Indikationen erfordern ein multimodales und komplexes Beratungs- und Therapiemanagement, in dem zum Beispiel auch die 3 wesentlichen Elemente der Naturheilkunde wie Bewegungs-, Ernährungs- und Ordnungstherapie eine wesentliche Rolle spielen sollten, sozusagen „adjuvant“ zur evidenzbasierten Pharmakotherapie.

Dass der behandelnde Hausarzt eben nicht nur – von den Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gerne gehört – als „case manager“ und „Leistungserbringer“, sondern vor allem von seinen Patienten auch als Vermittler einer differenzierten, ganzheitlichen Therapie gesehen wird, bestätigt zum Beispiel eine repräsentative Erhebung von Härtel et al. aus dem Jahr 2004: Demzufolge hatten 62,3  % der befragten Bundesbürger in den vergangenen 12 Monaten mindestens ein naturheilkundliches oder komplementäres Verfahren angewendet, wobei die Phytotherapie (26,6  %) und Homöopathie (14,8  %) vor der manuellen Therapie (14,3  %) und der Akupunktur (8,7  %) lagen.

Hauptindikationen für den Einsatz naturheilkundlicher Therapieverfahren waren laut Härtels Umfrage Rückenschmerzen (57  %), gefolgt von Erkältungs- und Atemwegsinfekten (29  %), Verspannungen (15  %) sowie gastrointestinalen Beschwerden (12  %). Dabei wünschten sich 58  % der befragten Patienten, naturheilkundliche Therapieformen öfter verschrieben zu bekommen, und 48  % der Befragten würden von ihrem behandelnden Arzt mehr Aufklärung rund um naturheilkundliche Therapieoptionen erwarten.

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, widmet sich diese Ausgabe der Notfall & Hausarztmedizin den wichtigsten und am einfachsten in praxi umzusetzenden naturheilkundlichen Therapieverfahren – dargestellt von ausgewiesenen klinischen und praktischen Kennern der Naturheilkunde und der Komplementärmedizin. Als Gasteditor würde ich mir wünschen, dass diese Arbeiten mit ihrem hohen praktischen Umsetzungsbezug bei noch mehr hausärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen die Begeisterung für die klassischen Naturheilverfahren wecken würden. Vielleicht wagen dann manche den ersten Schritt und behandeln zum Beispiel eine hartnäckige Myogelose mittels Schröpfen effizient, preisgünstig und einfach. Der erste Behandlungserfolg und eine rasche Beschwerdeminderung des Patienten lassen dann vielleicht auch mehr zu ... (was wir immer wieder in den Ärztekursen für Naturheilverfahren an unserer Klinik beobachten können).

Schon 1931 konstatierte Bernhard Aschner, der Vorreiter, Wegbereiter und „Übersetzer“ der ausleitenden Therapieverfahren in die „moderne“ Naturheilkunde und Integrative Medizin, zum Stellenwert der Naturheilkunde und der Medizin: „Wir stehen heute in der Medizin vor der merkwürdigen Tatsache, dass unsere derzeitige Wissenschaft nicht so wie man glauben sollte, organisch mit ihrer Geschichte verwachsen ist. Sie hat vielmehr nicht nur die Anschauungsweise der alten klassischen Medizin, sondern auch damit viele unschätzbar therapeutisch-empirische Erfahrungen einfach über Bord geworfen, weil sie in unser heutiges, mit Unrecht für unfehlbar gehaltenes System nicht mehr hineinpassten (...). Diese Einsicht von der immer deutlicher werdenden Unzulänglichkeit und Einseitigkeit des heutigen offiziellen medizinischen Systems ergreift immer weitere Kreise der Ärzteschaft selbst.“

Dr. med. Martin Schencking

Bad Wörishofen

(Gasteditor)