Einleitung
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
Die ADHS oder hyperkinetische Störung gehört wie die Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zu den neuronalen Entwicklungsstörungen, die sich im frühen Lebensalter der Betroffenen manifestieren und ist eine der häufigsten Störungen im Kindes- und Jugendalter. Beide Störungen sind jeweils als auf einem Spektrum liegend anzusehen und befinden sich auf einem Kontinuum zwischen leichtgradiger (teils ohne Krankheitswert) und schwergradiger Ausprägung.
Im Kindesalter wird bei der ADHS von einer Prävalenz von ca. 3–5 % ausgegangen, wobei Jungen wahrscheinlich 3- bis 4-mal häufiger als Mädchen betroffen sind [1], [2]. Die männliche Dominanz verringert sich allerdings deutlich, wenn epidemiologische anstatt klinische Stichproben betrachtet werden, sowie im weiteren Lebensverlauf (2:1) [3], [4]. Ca. 40–50 % der Betroffenen sind auch weiterhin im Erwachsenenalter betroffen, sodass von einer Prävalenz der adulten ADHS von ca. 2,5 % ausgegangen wird [5]. Die Betroffenen zeigen aufgrund der vorhandenen Symptomatik fortlaufende Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen in einer für das Alter, den Entwicklungsstand und die Intelligenz unangemessenen Ausprägung [6]. Die Heritabilität wird mit ungefähr 75 % angegeben [7]. Wenn ein Familienmitglied an ADHS erkrankt ist, so steigt das Risiko selbst eine ADHS zu haben bei erstgradig Verwandten auf das 5- bis 9-Fache [8] an. Eine familiäre Häufung zeigt sich zudem nicht nur in Form weiterer ADHS-Diagnosen in der Familie, sondern auch dadurch, dass häufig Familienmitglieder subklinische ADHS-Züge („broader ADHD phenotype“) aufweisen. Häufig erreichen Betroffene trotz eigentlich guter kognitiver Voraussetzungen nicht ihre beruflichen Ziele und scheitern aufgrund der mit ADHS einhergehenden Besonderheiten im beruflichen und privaten Bereich.
Autismus-Spektrum-Störungen
In den letzten Jahren ist das Interesse an ASS deutlich gestiegen, sodass auch immer mehr Erwachsene sich zur Diagnostik vorstellen, bzw. diagnostiziert werden [9], [10]. Während schwer betroffene Kinder häufig früh auffällig sind und erkannt werden (bei ca. 30–50 % der Betroffenen liegt zusätzlich eine Intelligenzminderung vor, oft mit früh zu bemerkenden Verhaltensauffälligkeiten), wird gerade bei hochfunktionalen Menschen mit ASS mit einer durchschnittlichen oder überdurchschnittlichen Intelligenz häufig die autistische Basisstörung übersehen oder „hinter“ den augenscheinlichen Komorbiditäten nicht erkannt [11]. Während man früher annahm, dass es sich um ein seltenes Störungsbild handele (Prävalenzannahme 1975 bei 0,02 %), wird aktuell von einer Lebenszeitprävalenz für ASS von ca. 1 % ausgegangen [9]. Jungen scheinen hierbei deutlich häufiger (2–3:1) als Mädchen betroffen zu sein, wobei sich dieser Unterschied in den letzten Jahren, auch abhängig von der gewählten Stichprobe, reduzierte [12]. Während die Gründe für den Anstieg unterschiedlich sind (z. B. bessere und genauere Diagnostik, Alter der Eltern, veränderte Umwelteinflüsse) liegt eine Ursache für den Anstieg auch in der zunehmend besseren Erkennung von geringer ausgeprägten autistischen Störungen, wie dem Asperger-Syndrom oder hochfunktionalem Autismus gerade bei den spät zur Diagnostik kommenden erwachsenen Betroffenen [13], [14].
Ähnlich wie bei der ADHS ist die Erblichkeit sehr hoch und wird mit 74–93 % angegeben [15]. Die hohe Heritabilität zeigt sich auch bei den Geschwistern von Betroffenen. Autismus als Folge monogenetischer Erkrankungen (wie z. B. bei Fragile X bei ASS: 2 %) ist bei ca. 10–15 % der Betroffenen festzustellen, wobei insgesamt von einem multifaktoriellen Vererbungsmodell ausgegangen wird [16]. In den Familien der Betroffenen finden sich infolgedessen häufig andere Menschen mit ASS oder zumindest mit autistischen Zügen („broad autism phenotype“) [17]. Häufig zeigen sich gerade bei diesen hochfunktionalen Autisten die Einschränkungen, die sie in verschiedenen Lebensbereichen haben, nicht offensichtlich, dennoch können diese aufgrund der Basisstörung in verschiedenen Lebensbereichen Bereichen scheitern.
Diagnostische Besonderheiten und Komorbiditäten
Während die Diagnostik und Behandlung von beiden Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter gut etabliert ist, stehen viele Erwachsene – besonders in der Transitionsphase am Übergang von der Adoleszenz ins Erwachsenenalter – vor der Herausforderung, geeignete Anlaufstellen für Diagnostik und Therapie zu finden [4], [18], [19].
ADHS
Im ICD-10 und DSM-5 [20] wird die Kernsymptomatik der ADHS mit der Symptomtrias Unaufmerksamkeit, Impulsivität und/oder motorischer Unruhe beschrieben, wobei es Unterschiede zwischen den Klassifikationssystemen gibt. Während die ICD-10 (F90.0) keine Subtypen unterscheidet, wird im DSM-5 diese Subklassifizierung in der Beschreibung als „Erscheinungsbilder“ vorgenommen. Zudem wurde stärker das Erwachsenenalter berücksichtigt und die Anzahl der für die Diagnose erforderlichen Symptome ab dem 17. Lebensjahr reduziert und die Altersgrenze für das Erstauftreten der Symptomatik vom 7. auf das 12. Lebensjahr erhöht. Außerdem können nun ASS als komorbide Störungen diagnostiziert werden und stellen kein Ausschlusskriterium mehr dar.
Die Symptomatik ändert sich im Laufe der Zeit häufig mit einer Abnahme von (äußerlich sichtbarer) motorischer Unruhe im Erwachsenenalter bei jedoch meist nur gering veränderter Konzentrationsstörung [21]. Die Diagnostik im Erwachsenenalter stellt den Untersucher oft vor Herausforderungen, da zum einen Symptome aus der Kindheit schwerlich erinnert werden, Erwachsene mit ADHS häufig eine schlechte Selbstwahrnehmung haben und zu wenig Symptome berichten und z. B. funktionelle Beeinträchtigungen nicht mit Symptomen in Verbindung gebracht werden oder eine Fremdanamnese durch die Eltern nicht möglich ist [22]–[27]. Entstandene Komorbiditäten, wie Suchterkrankungen, können den Blick auf die ADHS-Symptomatik verdecken, zudem haben viele (häufig sehr intelligente) Erwachsene gelernt, die Symptome zu kompensieren, sodass diese überdeckt werden [22], [23], [27], [28].
Das Vorliegen einer ADHS ist häufig mit Komorbiditäten verbunden, wobei mindestens eine zusätzliche Störung bei bis zu 85 % der Betroffenen und mehrere Komorbiditäten bei ca. 60 % vorkommen [29], [30]. Die jeweils auftretenden komorbiden Störungen sind alters- und entwicklungsabhängig und bedingen sich teilweise gegenseitig in ihrem sequenziellen Auftreten. Die häufigsten Komorbiditäten sind substanzbezogene Störungen, wie Missbrauch oder Abhängigkeit von Nikotin, Alkohol oder illegalen Drogen, affektive Störungen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen [19], [31]–[39].
ASS
ASS können nach DSM-5 auch bei Vorliegen einer ADHS diagnostiziert werden, bleiben aber häufig übersehene Komorbiditäten. Sie gehören zur Gruppe der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und sind durch qualitative und quantitative Beeinträchtigungen der Interaktion und Kommunikation sowie durch das Auftreten von eingeschränkten, stereotypen, repetitiven Interessen und Verhaltensweisen definiert. Wie bei der ADHS manifestieren sich diese in der frühen Kindheit, wobei bei hochfunktionalem Autismus, wie beim Asperger-Syndrom, die Symptomatik erst später, z. B. mit dem Eintritt in die Grundschule oder am Übergang auf die weiterführende Schule deutlich auffallen kann, wenn die sozialen Anforderungen die sozialen Kompetenzen überschreiten. Im ICD-10 und DSM-IV werden die einzelnen autistischen Störungsbilder untergliedert. Unterschieden wird das das Asperger-Syndrom vom frühkindlicher Autismus durch das Fehlen von kognitiven und sprachlichen Entwicklungsverzögerungen in der frühen Kindheit, während beim atypischen Autismus entweder nicht alle Kriterien in ausreichender Anzahl erfüllt sind oder der Nachweis der autistischen Symptomatik erst nach dem dritten Lebensjahr gelingt. Diese Unterteilung entfällt durch Überführung in eine Gesamtkategorie der ASS im DSM-5. Die Kriterien wurden dahingehend verändert, dass die Defizite in der Interaktion und Kommunikation zu einem Bereich neben dem Symptombereich der stereotypen und repetitiven Verhaltensweisen mit veränderter Zuteilung von Symptomen zusammengefasst wurden, die Einteilung nach Schweregraden hinzugenommen wurde, die Möglichkeit berücksichtigt wurde, dass gerade bei den leichteren Formen die Symptomatik sich erst später manifestieren kann und dass die Diagnose von Komorbiditäten, wie der ADHS, möglich ist.
Während Betroffene mit schwergradiger Ausprägung der primären autistischen Kernsymptomatik früh diagnostiziert werden, ist die Diagnostik im Erwachsenenalter oft herausfordernd. Die Betroffenen haben häufig einen langen Leidensweg hinter sich, währenddessen die verschiedensten Diagnosen festgestellt wurden, die autistische Basisstörung jedoch auch teilweise aufgrund der entstandenen Komorbiditäten häufig übersehen wurde („diagnostic overshadowing“). Viele autistische Menschen mit normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz haben sich im Laufe des Lebens Kompensationsmechanismen angeeignet, die die Kernsymptome weniger offensichtlich in Erscheinung treten lassen. Defizite können z. B. durch Anwendung von auswendig gelernten sozialen Regeln überlernt werden. Dennoch können viele Betroffene im sozialen und beruflichen Alltag scheitern, bzw. aufgrund des damit einhergehenden Aufwands, dann Komorbiditäten entwickeln und trotz guter kognitiver Leistungen erheblich in ihrer Lebensführung eingeschränkt sein [40]. Hinzu kommt, dass gerade Frauen im Laufe des Lebens aufgrund ihrer besseren sozialen Lernfähigkeiten und Kompetenzen sowie des Entsprechens von stereotypen Rollenvorstellungen („schüchternes, zurückhaltendes Mädchen“), weniger auffällig als Jungen und Männer in Erscheinung treten. Die geschlechtsspezifischen Besonderheiten, auch „Female-camouflage-Effekt“ genannt, sollten hierbei in der Diagnostik unbedingt berücksichtig werden und erklären möglicherweise die Männerdominanz in diesem Bereich [41]. Psychische Komorbiditäten im Erwachsenenalter mit hochfunktionalem Autismus sind hierbei häufig, v. a. ADHS, affektive Störungen, Zwangsstörungen, psychotische Störungen und Angststörungen, wobei sämtliche Komorbiditäten (z. B. Persönlichkeitsstörungen) auch als Differenzialdiagnose (Zwangsstörung oder Stereotypie? Psychotische Symptomatik oder ASS-bedingte Wahrnehmungsbesonderheiten/-erklärungen?) in Frage kommen können [42]–[45].
Gemeinsames Auftreten beider Erkrankungen
Ätiologisch ist beiden Erkrankungen gemein, dass sie einen Teil genetischer Varianz teilen [46]–[51], was möglicherweise deren gehäuftes gemeinsames Vorkommen erklärt. Die meisten Studien beziehen sich auf klinische Populationen, in denen die jeweilige Diagnose schon gestellt wurde. Es ergab sich jedoch auch in einer nicht klinischen Population (n = 334) ein signifikanter Zusammenhang zwischen ADHS- und ASS-„traits“, aus denen die Autoren schlossen, dass beide Erkrankungen genetisch anteilig miteinander assoziiert sind [52]. Die Angaben zum gleichzeitigen Auftreten einer ASS und ADHS schwanken sehr stark, was möglicherweise auch an den symptomatischen Überschneidungen liegt.
Kommen beide Erkrankungen gleichzeitig vor, so ist dies häufig mit einer ausgeprägteren Krankheitsschwere, geringeren Lebensqualität und mehr funktionellen Einschränkungen verbunden [53]. Ferner zeigen Kinder mit beiden Störungen eine ausgeprägtere Angstsymptomatik, mehr Defizite im Arbeitsgedächtnis und weniger Empathiefähigkeiten [54].
Bei Kindern mit ASS wurden in 37–85 % komorbide ADHS-Symptome gefunden [53]. In einer neueren Studie, in der über 90000 Menschen mit ASS in unterschiedlichen Altersgruppen (Kindes- bis Erwachsenalter) untersucht wurden, fanden sich Komorbiditäten bei 41,5 % der Betroffenen, wobei ADHS in dieser Studie die häufigste Komorbidität darstellte [55]. Die komorbiden Häufigkeiten sollten jedoch aufgrund der unterschiedlichen diagnostischen Qualität und den symptomatischen Ähnlichkeiten zwischen beiden Erkrankungen vorsichtig interpretiert werden und liegen nach Ansicht der Autoren deutlich unter den angegebenen 40 %. Die umgekehrte Häufigkeit von autistischen Symptomen bei ADHS-Populationen wurde kaum untersucht, da in vielen ADHS-Studien eine komorbide autistische Störung und/oder Intelligenzminderung Ausschlusskriterium war. Es zeigten sich jedoch bei den ADHS-Betroffenen (Kindern) mehr autistische Züge/Symptome als in der nicht betroffenen Bevölkerung zu erwarten wären [56].
In einer anderen Studie wurden die Kinder von Müttern, bei denen eine ADHS vorlag, untersucht. Deren Kinder hatten nicht nur ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine ADHS (OR = 5,02, p < 0,0001) sondern auch ein 2,5-fach erhöhtes Risiko für eine ASS (OR = 2,52, p < 0,01) [57]. Umgekehrt wurden bei den Eltern von autistischen Kindern deutlich erhöhte ADHS-Symptome gefunden. So fanden sich bei 10,4 % der Mütter und 11,3 % der Väter deutliche Hinweise auf das Vorliegen einer ADHS [58]. In unterschiedlichen Untersuchungen, die auch Zwillingsstudien umfassen, wurde festgestellt, dass beide Erkrankungen eine hohe Heritabilität und genetische Überschneidungen haben, die sich der dimensionalen Sichtweise entsprechend entweder subklinisch oder in vollem symptomatischen Ausmaß zeigen können [51], [59]–[61].
In kürzlich veröffentlichten groß angelegten Registerstudien aus Skandinavien konnte der Zusammenhang zwischen beiden Störungen eindrücklich gezeigt werden [62]–[64]. Beide kommen zusammen gehäuft in Familien entweder bei den Betroffenen als Komorbidität oder bei anderen Familienmitgliedern vor [62]–[64].
In einer schwedischen populationsbasierten Studie mit 28468 Menschen mit ASS zeigte sich, dass das Vorliegen einer ASS hierbei mit einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit (Odds Ratio (OR) = 22,33, 95 % Konfidence Interval (CI): 21,77–22,92) einherging, dass bei den Betroffenen zusätzlich eine ADHS vorlag, im Vergleich mit denjenigen, die keine ASS hatten. Die Assoziation, die gefunden wurde, war hierbei am stärksten bei denjenigen mit hochfunktionalem Autismus ausgeprägt [62]. Auch Angehörige von autistischen Familienmitgliedern hatten hierbei ein deutlich erhöhtes Risiko für das Vorliegen einer ADHS, wobei die gefundene Assoziation abhängig vom Verwandtschaftsgrad war. Diese war am stärksten bei monozygotischen Zwillingen (OR = 17,77, 95 % CI: 9,80–32,22) im Vergleich zu dizygoten Zwillingen (OR = 4,33, 95 % CI: 3,21–5,85) oder Geschwistern (OR = 4,59, 95 % CI: 4,39–4,80). Eine stärkere Assoziation von ADHS-Symptomen wurde in einer anderen Studie bei nicht betroffenen Geschwistern von Familienmitgliedern mit ASS gezeigt. Die nicht betroffenen Geschwister von Patienten mit diagnostiziertem Asperger-Syndrom (und nicht Autismus) zeigten stärkere hyperaktive und impulsive Auffälligkeiten („traits“) in neuropsychologischen Tests als diejenigen von autistischen Geschwistern [65].
In einer anderen kleineren finnischen Studie mit 3578 autistischen Kindern zeigte sich, dass ASS in 10,5 % der Geschwisterkinder auftrat, was einem deutlich erhöhten Risiko entsprach (adjusted RR, 11,8; 95 %CI, 9,4–14,7) [64]. Das Risiko für das Vorliegen einer ADHS war ebenfalls deutlich erhöht (adjusted RR, 3,7; 95 %CI, 2,9–4,7), eine ADHS fand sich bei 5,3 % der Geschwisterkinder.
Für Eltern ist die Frage nach der Wiederauftretenswahrscheinlichkeit bei später geborenen Kindern relevant. Das globale Wiederholungsrisiko für Eltern eines autistischen Kindes, ein erneut betroffenes Kind zu bekommen liegt bei ca. 10–20 %, bei 2 autistischen Kindern bei über 30 % [66], [67]. In einer Studie von Miller et al. [59] wurde gezeigt, das bei 12 % der nachgeborenen Geschwistern von autistischen älteren Geschwistern ebenfalls eine ASS vorlag, die Wahrscheinlichkeit war in dieser Studie im Vergleich mit nicht betroffenen älteren Geschwistern somit deutlich um den Faktor 30 erhöht (OR: 30,38 (95 %CI, 17,73–52,06). Die Wahrscheinlichkeit, eine ADHS diagnostiziert zu bekommen, war hierbei ebenfalls erhöht mit 3,8 % (OR, 3,70 (95 %CI, 1,67–8,21). In dieser Studie wurden auch diejenigen Geschwister mit einer diagnostizierten ADHS untersucht. Für nachgeborene Geschwister von ADHS-Betroffenen Kindern zeigte sich auch eine erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit für eine ADHS von 12,5 % (OR, 13,05 (95 %CI,9,86–17,27) und für ASS bei 1,92 % (OR, 4,35; 95 %CI, 2,43–7,79) im Vergleich mit denjenigen ohne eine diagnostizierte ADHS [59]. Die Studie zeigt insofern eindrücklich, dass nicht nur die Auftretenswahrscheinlichkeiten für die jeweilige Erkrankung erhöht sind, sondern das Risiko durch möglicherweise gemeinsame ätiologische familär-genetische Faktoren für die jeweils andere Erkrankung erhöht ist, was sich in anderen Studien, wenn auch nicht in allen [68], [69], zeigte [49], [57], [61], [62], [70].
Die Erkrankungshäufigkeit für andere frühe Entwicklungsstörungen und psychische Erkrankungen war in einer anderen Studie bei Geschwisterkindern von ADHS-Betroffenen Geschwistern um den Faktor 2 erhöht (RR = 2,1; 95 % CI 2,0–2,2), wobei sich die stärksten Assoziationen bei ADHS (RR = 5,7; 95 % CI 5,1–6,3) und ASS (RR = 3,9; 95 % CI 3,3–4,6) zeigten [63].
Differenzialdiagnostische Unterschiede
ASS und ADHS zeigen viele Gemeinsamkeiten. Beide sind früh beginnende Entwicklungsstörungen, kommen häufiger bei Jungen als bei Mädchen vor, teilen gemeinsame genetische Grundlagen und sind beide sowohl bei den Betroffenen (als Komorbidität) und in den Familien der Betroffenen deutlich häufiger anzutreffen. Beide Störungen verbessern sich meist im Laufe des Lebens durch optimierte Kompensationsleistungen, sind jedoch meist auch im Erwachsenenalter mit signifikanten Einbußen in der Lebensqualität assoziiert und können zu erheblichen Schwierigkeiten in beruflichen, familiären und sozialen Bereichen führen. Symptomatisch finden sich ebenso Überschneidungen hinsichtlich Aufmerksamkeitsstörung, Reizüberflutung und Ablenkbarkeit, interaktionellen Schwierigkeiten mit Peers, Schwierigkeiten in der sozialen Kognition, Unruhe und impulsivem Verhalten, Defiziten in den Exekutivfunktionen und der Theory of Mind (TOM) [71]–[76].
Letztere kann wiederum in kognitive Empathie (also die Fähigkeit, aufgrund komplexer Informationsverarbeitungsprozesse spontan die Wahrnehmung, das Denken, Fühlen und Wollen anderen Menschen zu erschließen) und emotionale Empathie (kurz: Mitgefühl) unterteilt werden. Autistische Menschen haben hierbei vor allem Schwierigkeiten in der kognitiven Empathie. Dies kann dann aufgrund von fehlender oder falscher Dechiffrierung von z. B. Gesichtsausdrücken, zu konsekutiv ausbleibender fehlerhafter emotionaler Empathie führen, wobei diese Schwierigkeit deutlich schwächer bei den meisten Menschen mit ADHS ausgeprägt ist. Ein umgekehrtes Bild zeigt sich bei Menschen mit soziopathischer Störung, bei denen die kognitive Empathie gut ausgeprägt ist (gute Menschenkenntnis) die emotionale Empathie aber stark vermindert ausfällt (kaum Mitleid).
Neben Auffälligkeiten in den Exekutivfunktionen wurden ToM-Defizite bei beiden Erkrankungen in Zusammenhang mit dem gehäuften gemeinsamen Auftreten untersucht, da diese auch maßgeblich die sozialen Adapationsprozesse beeinflussen [72]–[74], [76], [77]. Auffälligkeiten in der sozialen Kognition, bzw. dem Erkennen von Emotionen und bei den ToM-Fähigkeiten sind bei ADHS häufig zu finden und wurden in verschiedenen Studien beschrieben [78], [79]. Während bei ASS Einschränkungen in der reziproken Kommunikation und Interaktion charakteristische Merkmale der Störung sind, die auf ein „Kerndefizit“ zurückgeführt werden, so wird dies bei ADHS häufig als Folge der Unaufmerksamkeit und der Ablenkbarkeit angesehen. Dennoch scheint es auch bei von ADHS Betroffenen Einschränkungen in affektiven Verarbeitungsprozessen und der ToM zu geben, wobei die Unterscheidung was ursächlich an den berichteten sozialen Einschränkungen beteiligt ist, klinisch teilweise herausfordernd ist [54], [72], [80]. Liegen beide Störungen gleichzeitig vor, so sind diese Fähigkeiten ausgeprägter eingeschränkt. So können Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit und der inhibitorischen Kontrolle bei Kindern mit ASS und ADHS die Fähigkeit, Gesichtsausdrücke zu erkennen zusätzlich deutlich negativ beeinflussen [78], [81]. Zudem scheint die affektive Prosodie deutlicher eingeschränkt zu sein [82]. Auf lange Sicht bessern sich normalerweise die Verhaltensschwierigkeiten von Kindern mit ASS, dies scheint bei zusätzlichem Vorliegen einer ADHS durch dann deutlicher eingeschränkte Kompensationsfähigkeiten in geringerem Ausmaß einzutreten [83].
Im Nachfolgenden sollen die Kriterien der ADHS beschrieben und anhand dieser die Unterschiede zwischen beiden Störungen dargestellt werden. Die Unterschiede spiegeln die klinische Erfahrung der Autoren wider und haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Als differenzialdiagnostische Anhaltspunkte sind diese jedoch in unserer Erfahrung sehr hilfreich, um Abgrenzungen zwischen beiden Störungsbildern vornehmen zu können ([
Tab. 1
]).
Tab. 1
Differenzialdiagnostische Unterschiede zwischen ADHS und ASS
ADHS
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ASS
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Unaufmerksamkeit
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beachtet Aufgabendetails häufig nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Hausaufgaben, der Arbeit oder anderen Tätigkeiten.
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Eher holistischer und oberflächlicher Arbeitsstil
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Übersieht und beachtet nicht Details
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Routinierte Abläufe können nur mit hohem geistigem Aufwand getätigt werden, führen zu Langeweile und werden aversiv wahrgenommen
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Durch Ablenkbarkeit auf unwichtige Außenreize wird oberflächlich gelesen/gearbeitet
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Außenreize werden weniger aversiv gesehen, da diese als Abwechslung verstanden werden kann
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Konzentrationsfähigkeit auch in ruhiger/reizarmer Umgebung als schlecht beschrieben
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Eher detailorientierter und wenig holistischer Arbeitsstil („Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen“)
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Fokus liegt auf Details
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Routinierte Abläufe werden gemocht, Vorhersagbarkeit und Struktur wird als beruhigend empfunden
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Ablenkbarkeit durch Außenreize hoch, meist durch Wahrnehmungsbesonderheiten, wird als störend empfunden, unterbricht den Arbeitsfluss und irritiert
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Konzentrationsfähigkeit in ruhiger/reizarmer Umgebung als gut beschrieben
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ist nicht in der Lage die Aufmerksamkeit beim Spielen oder anderen Aufgaben aufrechtzuerhalten.
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Äußere Reize werden nicht „herausgefiltert“
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Schneller Wechsel zwischen verschiedenen Aufmerksamkeitsfoci jedoch möglich
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Soziale Situationen eher angenehm, werden meist problemlos erlebt, jedoch rasch gelangweilt
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Unterhaltungen mit mehreren Personen werden aufgrund der zu vielen Reize, die jeweils Konzentration erfordern, als anstrengend erlebt
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Äußere Reize können schlecht gefiltert werden, Wahrnehmungsschwelle wird als sehr niedrig beschrieben
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Schneller Wechsel zwischen Aufmerksamkeitsfoki schlecht möglich
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Soziale Situationen werden meist als unangenehm erlebt, v. a. wenn mehr als 2 Personen involviert sind. Integration verschiedener Sinneseindrücke gelingt schlecht
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Unterhaltung mit mehreren Personen werden als sehr überfordernd erlebt, zudem Überforderung durch wenig „intuitives soziales Verständnis“
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hört scheinbar häufig nicht, was andere ihm sagen
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Häufig abgelenkt durch nebensächliche Informationen oder Nebenreize
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Aufgenommene Information löst Assoziationen aus, die innerlich ablenken
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Reizüberflutung, oft durch Desintegration der Sinneseindrücke
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Kaum intuitiv ablaufende Verarbeitung sozialer Kommunikation und Interaktion, hängt aufgrund hauptsächlicher „aktiver“ kognitiver Verarbeitung im Gespräch hinterher, innere Überprüfung ob der Inhalt und die Situation richtig verstanden wurden
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Haften an Gesprächsdetails, häufig auch an inneren Assoziationen
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erfüllt häufig Aufgaben und Pflichten nicht oder bringt diese nicht zu Ende (nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens).
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Hört nicht zu bei Anweisungen, vergisst diese teilweise aufgrund von „vollem Arbeitsspeicher“
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Uninteressante, jedoch notwendige zu bearbeitende Aufgaben können nur mit hohem Aufwand erledigt werden
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Fängt vieles an und verliert dann schnell das Interesse
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Anweisungen werden befolgt, jedoch nur wenn diese klar und sehr deutlich ausgesprochen wurden, implizierte oder indirekte Aufforderungen werden als solche nicht verstanden oder „konkretistisch“ umgesetzt
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Projekte werden bevorzugt beendet, fehlender Abschluss erzeugt Unwohlsein
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Da häufig äußerst penibel und detailliert können Zeitvorgaben schlecht eingehalten werden
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Routineaufgaben werden gerne erledigt, inneres Gefühl der Beruhigung wird beschrieben
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hat Schwierigkeiten Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren
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Prokrastination üblich
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Schlechte Zeiteinschätzung, unzureichende Priorisierung und hierdurch Ablenkung, chaotisches und „spontanes“ Planen
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Organisation möglich, jedoch meist nur wenn das Projekt interessant scheint
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Organisation der Arbeiten anderer wird als deutlich besser als die eigene Organisation berichtet
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Begeisterungsfähigkeit vor allem zu Beginn, lässt sich jedoch anfänglich auch von außen gut motivieren
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Projekte werden oberflächlich abgearbeitet (Ausnahme: hohes Interesse kann zu hyperfokussiertem Arbeiten führen), häufig werden Details vergessen
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Arbeitsabläufe chaotisch, Struktur wird von außen in den Prozess gebracht
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Wenig Prokrastination, eher Probleme mit der Einhaltung von Fristen aufgrund von zu genauem Arbeiten
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Schlechte Zeiteinschätzung, verliert sich in Details, jedoch gutes Planen (Schwierigkeiten jedoch in der Umsetzung einfacher alltäglicher Tätigkeiten, wie Einkaufen etc.), Projekte werden gemäß vorgelegter Abfolge erledigt, teils notwendige Flexibilität bei spontanen Planänderungen wenig vorhanden, dies führt zu Ärger und Verlangsamung
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Projekt muss interessant sein
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Eigene Organisation wird meist als gut erlebt
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Begeisterungsfähigkeit über längere Zeit, wenig von außen motivierbar
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Projekte werden tiefgehend, intensiv und detailliert bearbeitet
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Arbeitsabläufe weniger chaotisch, inneres Bedürfnis nach Struktur vorhanden, welche dann beruhigend erlebt wird
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vermeidet Aufgaben oder Tätigkeiten, die eine länger andauernde Beschäftigung erfordern (z. B. Mitarbeit bei Hausaufgaben oder im Unterricht)
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Routine und mäßig interessante Aufgaben führen zu raschem Konzentrations- und Motivationsabfall, Konzentration wird durch „Parallelbeschäftigung“ versucht aufrechtzuerhalten (Stimulation durch Handy, Musikhören, Essen etc.)
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Macht viele Flüchtigkeitsfehler
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Oberflächliches Lesen, Ungeduld wenn Inhalt nicht sofort verstanden wird
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Uninteressantes kann besser als bei ADHS erledigt werden
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Reizarmut bei Tätigkeiten bevorzugt
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Fragebögen werden genau und mit Anmerkungen ausgefüllt, Fehler entstehen oft durch Missverständnisse bei unklaren Formulierungen, logische Fehler werden entdeckt und aufgezählt
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Haften an einzelnen Fragestellungen und lange tiefgehende Beschäftigung mit einzelnen Inhalten
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verliert häufig Gegenstände, welche zur Erfüllung von Aufgaben oder Aktivitäten benötigt werden (z. B. Stifte, Spielsachen, Bücher).
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Kaum Systematik bei Aufbewahrung
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Verliert Gegenstände durch Unachtsamkeit und Ablenkung
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Teils zwanghaftes Kompensieren der eigenen Unordnung, Gegenstände „müssen“ immer an die gleiche Stelle gelegt werden
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lässt sich häufig von äußeren Reizen ablenken.
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Schlechte Reizfilterung
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Unwichtiges wird als Stimulation zur (vermeintlichen) Konzentrationssteigerung in die Wahrnehmung miteinbezogen
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Ablenkbarkeit auch in reizarmen Situationen gegeben, häufig durch innere Gedanken
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Ablenkbarkeit in sozialen Situationen wirkt für andere irritierend
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Schlechte Reizfilterung
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Ablenkung führt schnell zu aversivem Erleben, steigert Wahrnehmung der Unvorhersehbarkeit einer Situation („overload führt zu meltdown“)
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Ablenkbarkeit in reizarmen Situationen wenig ausgeprägt, innere Gedanken können meistens gut strukturiert werden
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Ablenkbarkeit in sozialen Situationen ist für die Betroffenen irritierend
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ist bei der Durchführung von Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.
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Vergisst viel, meist durch Abgelenktheit
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Kann schlecht Priorität erkennen, Belohnung erforderlich für „Erinnerungsfunktion“
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Interesse springt zu interessanteren Themen, ursprüngliches Vorhaben wird hierbei vergessen
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Versuch des Aufschreibens führt zu „Verzetteln“ in Listen
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Vergesslichkeit geringer ausgeprägt
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Weniger direkte Belohnung erforderlich
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Interesse oft auf ein oder sehr wenige Themen eingeschränkt, ursprüngliches Vorhaben wird eher vergessen, wenn dieses nicht im aktuellen Interessensfokus liegt
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Vergessen bezieht sich eher auf Alltagstätigkeiten (wie Einkaufen) und weniger auf Termine/Fristen
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Listenführung oft strukturiert
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Hyperaktivität und Impulsivität
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zappelt häufig mit den Händen oder Füßen und rutscht auf dem Stuhl herum.
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Teilweise ausgeprägte innere Unruhe beschrieben, von außen wenig ersichtlich
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Unruhe kann der Stimulation und dem Versuch die Konzentration zu verbessern dienen („Up-Regulation“)
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Wenn gestresst, dann gesteigerte Motorik, stereotype Verhaltensweisen vorhanden
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Motorische Unruhe dient meist dem Stressabbau („Down-Regulation“)
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verlässt den Platz im Klassenraum oder anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird und läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen diese Verhaltensweisen unpassend sind
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Motorische Unruhe häufig in Situationen in denen still sitzen erforderlich wird
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Meist wenn Konzentrationsspanne überschritten ist oder Langeweile aufkommt
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Soziale Situationen werden verstanden, Motivation des Verlassens der Situation: Flucht aufgrund inneren Bewegungsdranges
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Keine stereotypen Bewegungen
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Ruhiges Sitzen meist kein Problem
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Situation wird bei Reizüberladung verlassen, häufig in sozialen Situationen, zudem, wenn diese nicht verstanden werden, Motivation: Soziale Situation zur Vermeidung von Interaktion und Kommunikation verlassen, Reizüberflutung eindämmen
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Häufig dann in der Folge stereotype Bewegungen
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ist in der Regel unnötig laut bei Freizeitaktivitäten und hat Schwierigkeiten leise zu spielen
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Leise Beschäftigung gut möglich
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Bemerkt und reflektiert eigene Lautstärke
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Neu entstehende und zusätzliche Reize werden als aversiv erlebt und vermieden
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zeigt ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivität, die durch den sozialen Kontakt oder Verbote nicht durchgreifend beeinflussbar sind.
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Wirkt auf andere unruhig, hektisch, ausgeprägte Mimik und Gestik
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Wirkt impulsiv, extrovertiert
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Gesteigerte Energie im Vergleich mit anderen Menschen, kurze Schlafdauer
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Zeigt schnell Langeweile durch motorische Aktivität, das Gegenüber hat den Eindruck um Aufmerksamkeit „kämpfen“ zu müssen, wirkt wie kontinuierlich „auf dem Sprung“
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Kann hierdurch „mitreißend“ wirken
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Häufig eher ruhig wirkend, kann bei vorhersehbaren und strukturierten Situationen ruhig bleiben
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Wenig impulsiv wirkend, introvertiert, wenig Mimik und Gestik,
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Rasche Ermüdung beschrieben, wenn viele Außenreize einwirken
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Interesse schwer zu erkennen, wirkt teils „langweilig“ auf das Gegenüber
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platzt mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist.
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Antworten „müssen“ gegeben werden, wenn der Inhalt des Gesagten vom Gegenüber schon klar ersichtlich ist
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Wenn Gedankeninhalte nicht „sofort“ mitgeteilt werden, können diese nicht behalten werden, sondern werden vergessen
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Interesse anderen die anderen die eigenen Gedanken und Meinungen mitzuteilen
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Teils aufgrund des Eindrucks, dass der andere manches nicht wissen könne, hohes Mitteilungsbedürfnis
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Teils vorschnelles Beantworten von Fragen, kann durch fehlendes soziales Verständnis entstehen, wann wer an der Reihe ist
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Häufiger jedoch verlängerte Antwortlatenz, da über das Gesagte detailliert nachgedacht wird, v. a. wenn „zwischen den Zeilen gelesen werden muss“
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Gedankeninhalte können gut behalten werden
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Wenig ausgeprägtes Interesse, anderen die eigenen Gedanken mitzuteilen
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Es wird davon ausgegangen, dass das Gegenüber das eigene Wissen schon hat, geringeres Mitteilungsbedürfnis, außer wenn Spezialthemen zur Sprache kommen
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kann häufig nicht warten, bis es/er an der Reihe ist und unterbricht/stört andere
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Impulsivität teils vorhanden, teils durch fehlendes soziales Verständnis entstehend, teils wenn das nicht-autistische Gegenüber die „Regeln bricht“
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Im Gespräch wird auf Themen eingegangen, die für andere schon „abgehakt“ sind, die aber aufgrund intensiver innerer Beschäftigung dann in unpassendem Gesprächskontext impulsiv wiederholt werden
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Haftenbleiben an Thema (v. a. wenn Spezialinteresse berührt wird), dies wird dann zu unpassenden Augenblicken wiederholt
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Mischt sich weniger in Gespräche ein, oft sehr zurückhaltend
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redet häufig exzessiv, ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren
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Oft exzessives Reden, häufig oberflächlich und im Small-Talk-Modus, häufig springende Themen
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Spezialthemen möglich, jedoch Flexibilität im Gespräch mit Umschwenken auf andere Themen möglich, mehr Interaktion
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Teils Übergehen des anderen durch fehlende Konzentration und Ablenkbarkeit
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Wechselseitiger Small Talk wird als aversiv erlebt, „wird nicht gekonnt“
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Spezialthemen können das Gespräch dominieren, häufig monologisierend ohne zu erkennen, wie das Gegenüber auf das Gesagte reagiert
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Monolog bietet die Möglichkeit, Struktur in das Gespräch zu bringen und das Thema beizubehalten
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Geringer ausgeprägtes Interesse Meinung des anderen zu hören
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Weitere Unterscheidungsmerkmale
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Soziale Kognition kann eingeschränkt sein oder wirken, allerdings oft durch Aufmerksamkeitsmangel, Abgelenktheit oder Impulsivität verursacht
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Soziale Normen werden impulshaft nicht beachtet
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Erfassen häufig schnell und korrekt den mentalen Zustand anderer Menschen, können Gefühlszustand der anderen gut, jedoch schlecht von sich selbst beschreiben,
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Können gut lügen und Lügen intentional einsetzen, erhaltene Manipulationsfähigkeit
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Häufig Suchtproblematik, die der inneren Beruhigung dient
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Wenig rigide Verhaltensmuster
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Unauffällige Prosodie
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Unauffällige Sprachpragmatik, intuitives Verstehen von Ironie, Sarkasmus, Sprachmetaphern
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Emotionale Schwankungen werden situationsunabhängig angegeben, Wutausbrüche bei starker Impulsivität
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Wahrnehmungsbesonderheiten vorhanden, jedoch in geringerer Ausprägung
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Früh auffallende Einschränkungen der Sozialen Kognition, „Kerndefizit“
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Soziale Normen werden nicht erkannt, können dann jedoch erlernt werden, deren Beachtung erfolgt jedoch durch aktiven kognitiven und nicht verinnerlichten Prozess
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Schwierigkeiten die eigenen Gefühle und die der anderen zu erfassen und zu benennen, wissen, dass „da etwas ist“, kann jedoch nicht beschrieben und klassifiziert werden
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Lügen schlecht möglich, werden nicht intentional eingesetzt, können schlecht manipulieren, soziale „Schroffheit“ durch mangelnde Fähigkeit zur Notlüge
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Kaum Suchtproblematik, Veränderung des inneren Zustands durch Substanzen wird als unvorhersehbar und daher aversiv erlebt
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Viele rigide Verhaltensmuster
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Auffällige Prosodie auch bei Betroffenen ohne Sprachentwicklungsverzögerung
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Schwierigkeiten im Verständnis von Sprachpragmatik und deren Umsetzung, wenig intuitives Verständnis für Ironie, Sarkasmus und Sprachmetaphern (oft jedoch eigener Humor mit Neigung zu Sarkasmus)
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Emotionale Schwankungen meist als Reaktion auf soziale Situationen oder bei Routineänderungen, situationsunangemessene Wutausbrüche bei unvorhergesehenen Änderungen
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Wahrnehmungsbesonderheiten mit oft sehr ausgeprägter Sinnesempfindlichkeit
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Die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Störungsbildern finden sich im zeitlichen Verlauf und im Ausprägungsgrad der für die autistische Kernsymptomatik zutreffenden Kriterien. Diese umfassen meist frühere Auffälligkeiten bei ASS, schon sehr früh sich zeigende und deutlich stärker ausgeprägte Interaktions- und Kommunikationsstörungen sowie früh beginnende repetitive und stereotype Verhaltensweisen und ein eingeschränktes Repertoire an Interessen. Meist fallen die Kinder schon im sehr jungen Kindesalter als „anders“ auf, können jedoch bei überdurchschnittlicher Intelligenz und dementsprechenden Kompensationsleistungen auch erst später die Wahrnehmungsschwelle überschreiten, wenn individuelle soziale Fertigkeiten nicht mehr mit den sozialen Anforderungen mithalten können.