Einleitung
Die COPD stellt eine der großen Volkskrankheiten dar und wird unter sozioökonomischen Gesichtspunkten in der Zukunft eine noch viel größere Rolle spielen. Die jährlichen Therapiekosten der COPD sind enorm, und die Gesamtzahl der akutstationären Aufenthalte aufgrund einer COPD nehmen jährlich zu [1 ]. Akute Exazerbationen einer COPD (AECOPD) sind durch eine Verstärkung der Dyspnoe gekennzeichnet und mit einer eingeschränkten Lebensqualität sowie einer reduzierten Leistungsfähigkeit und einer erhöhten Mortalität verknüpft [2 ].
Nach AECOPD ist mit einer Wahrscheinlichkeit von über 30 % mit einer erneuten Exazerbation innerhalb der ersten 3 Monate oder einer erneuten Hospitalisierung zu rechnen [3 ]. Exazerbationen können durch mehrere Faktoren ausgelöst werden. Zu den häufigsten Ursachen gehören Atemwegsinfekte. Während ein Cochrane-Review qualitativ hochwertige Evidenz für die pulmonale Rehabilitation im Vergleich zu Kontrollen bez. einer Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und der körperlichen Leistungsfähigkeit zeigte, waren die Ergebnisse für die Reduzierung der Krankenhauswiederaufnahmen wegen COPD-Exazerbationen heterogen und die Evidenz von eher geringerer Qualität (gepoolte OR für erneute Exazerbation 0,44; 95 %-KI 0,21 – 0,91) [4 ].
In der PR wird als zusätzlicher Auslösefaktor für eine neuerliche Verschlechterung die körperliche Überanstrengung oder psychischer Stress genannt, weshalb der geeignetste Zeitpunkt für eine PR nach einer AECOPD nicht unumstritten ist [5 ]. Prinzipiell ist das körperliche Training und die PR bei COPD aber eine sichere und sinnvolle Intervention [6 ]. Das Auftreten einer AECOPD während einer PR kann die Ergebnisse des Programms negativ beeinträchtigen und dazu führen, dass der Patient das Programm abbricht oder sogar ins Akutkrankenhaus zurückverlegt werden muss [7 ].
Komorbiditäten bei COPD-Patienten sind häufig und das Vorhandensein von Komorbiditäten erhöht ebenfalls die Frequenz einer AECOPD [8 ]. Weiterhin wirken sie sich negativ sowohl auf die körperliche Belastbarkeit als auch auf die Lebensqualität nach einer PR aus [9 ]. Es ist daher plausibel, dass die konventionelle PR bei Patienten mit Komorbiditäten komplikationsreicher sein kann. Andererseits könnte der Spielraum für Verbesserungen bei Patienten mit COPD und vielen Komorbiditäten durch eine PR auch größer sein [10 ].
Bisher haben sich nur wenige Studien speziell mit einer AECOPD während einer PR befasst. In dieser Studie untersuchten wir deshalb den Zusammenhang zwischen Komorbiditäten bei Patienten mit COPD und dem Auftreten einer akuten Exazerbation während der PR mithilfe zweier Komorbiditäts-Indices (Charlson Comorbidity Index, CCI und Cumulative Illness Rating Scale, CIRS).
Patienten und Methoden
Setting und Studiendesign
In einer retrospektiven Analyse wurden die Daten der COPD-Patienten, welche im Jahr 2018 im Rahmen einer stationären PR in der Zürcher RehaZentren-Klinik in 8636 Wald-ZH, Schweiz, behandelt wurden, ausgewertet. Grundlage waren Daten, welche im Klinikinformationssystem (KIS) Phönix aufgezeichnet wurden. Hierbei wurden nur diejenigen Patienten berücksichtigt, die zur PR aufgenommen wurden aufgrund einer COPD jeden Stadiums als Hauptdiagnose. Aus der Analyse wurden die Patienten ausgeschlossen, die eine COPD als Nebendiagnose oder eine andere pneumologische Erkrankung als Indikation zur PR im gleichen Zeitraum hatten.
In der Dokumentation der Daten wurden zunächst alle Exazerbationen gemäß Definition erfasst, wobei eine Exazerbation als die Verstärkung oder das neue Auftreten von mehr als einem Symptom der COPD (Husten, Auswurf, Atemnot, Dyspnoe oder Brustenge) definiert wurde. Mindestens eines der Symptome musste 3 Tage oder mehr andauern sowie eine Behandlung mit systemischen Glukokortikoiden oder/und Antibiotika während der PR zur Folge haben [11 ].
Die Exazerbationen wurden nach Schweregrad eingeteilt [34 ]:
Leichte Exazerbationen
Bei einer leichten Exazerbation wurde nur mit zusätzlichen Gaben von kurz wirksamen Bronchodilatatoren vom Patienten selbst behandelt und diese wurde oft dem behandelnden Arzt vom Patienten nicht berichtet.
Mittelschwere Exazerbationen
Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass der behandelnde Arzt darüber hinaus ein systemisches Glukokortikosteroid und/oder ein Antibiotikum verordnete.
Schwere Exazerbationen
Diese lagen dann vor, wenn eine akut-stationäre Behandlung erfolgen musste oder wenn eine Verlängerung der PR dadurch erforderlich wurde.
Sehr schwere Exazerbationen
Als sehr schwere Exazerbationen wurden solche Ereignisse bezeichnet, bei denen eine intensivierte Therapie auf einer Intensivstation oder einer Intermediate Care Unit erforderlich wurden.
Die Aufnahme in die PR erfolgte bei allen Patienten direkt nach dem Akutkrankenhaus-Aufenthalt, im Wesentlichen nach akuter Exazerbation der COPD.
Mittels einer computergenerierten Zufallsliste wurden aus der stratifizierten Gesamtgruppe (Patienten mit und ohne Exazerbation) die zu analysierenden Fälle ausgewählt. Die Erhebung des CIRS erfolgte im Rahmen des Aufnahme-Assessments. Der CCI wurde retrospektiv, auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Akten, bestimmt. Die genaue Studienabfolge ist in [Abb. 1 ] dargestellt.
Abb. 1 Studienabfolge.
Bei der Aufenthaltsdauer wurden der Aufnahme- und Entlassungstag als ein Tag gewertet. Bei der Angabe zur Sauerstofftherapie (ja/nein) wurden nur diejenigen Patienten gezählt, welche eine Langzeitsauerstofftherapie bereits bei Aufnahme hatten oder bei denen neu eine Indikation zur Sauerstofflangzeittherapie festgestellt wurde entsprechend der aktualisierten Leitlinie [12 ]. Eine intermittierende Sauerstoffgabe wurde nicht berücksichtigt. Die Einteilung des COPD-Stadiums bzw. Gruppenzuteilung erfolgte nach den aktuell gültigen GOLD-Empfehlungen zu Beginn der PR [13 ].
Der primäre Endpunkt dieser Untersuchung war der stetig gemessene Charlson-Comorbity-Index. Dieser wurde primär in der Gruppe von Patienten mit AECOPD und Patienten ohne AECOPD verglichen. Als sekundärer Endpunkt wurde der CIRS-Score betrachtet, der ebenfalls stetig gemessen wurde.
Die Fallzahlplanung erfolgte auf Basis einer Vorstudie aus dem Jahr 2017. Im beobachteten Zeitraum (Januar bis Dezember 2018) nahmen 244 COPD-Patienten am stationären Rehabilitationsprogramm eines Reha-Zentrums teil. Im Durchschnitt dauerte die PR 21,1 Tage (± 5,4). 59 Patienten (24 %) erlitten während der PR eine behandlungspflichtige AECOPD. Für die Gruppen AECOPD vs. keine AECOPD zeigten sich hier folgende Mittelwerte bzw. Standardabweichungen: AECOPD 4,7 (± 1,8); keine AECOPD 6,4 (± 2,1). Um diesen zu erwartenden Unterschied von –1,7 statistisch signifikant zu einem Signifikanzniveau von 5 % und einer Power von 80 % (t-Test mit ungleichen Varianzen [Welch-Test]) belegen zu können, wurden für diese Untersuchung mindestens 22 Patienten pro Gruppe benötigt.
Eine schriftliche Einverständniserklärung zur anonymisierten Auswertung ihrer Daten wurde von jedem Patienten eingeholt (General Consent). Die Richtlinien der Deklaration von Helsinki wurden eingehalten. Die Studie wurde von der Ethik-Kommission der Universität Witten-Herdecke geprüft und freigegeben (Nr. 39/2020). Eine Registrierung im Deutschen Register für Klinische Studien war aufgrund der retrospektiven Analyse nicht erforderlich.
Messungen
Lungenfunktion, atemmuskuläre Funktionsdiagnostik
Spirometrie und Bodyplethysmografie (PowerCube, Fa. Ganshorn, Germany) wurden nach den Guidelines der ATS unter der Nutzung der Referenzwerte der ERS durchgeführt [14 ].
Blutgasanalyse und Laborwerte
Eine arterielle Blutgasanalyse aus der Arteria radialis wurde bei Aufnahme unter Zuhilfenahme des ABL90 FLEX Analysator, Radiometer GmbH durchgeführt. Blutbild, Kreatinin und C-reaktives Protein (CRP) wurden im Fremdlabor Medica, Medizinische Laboratorien Dr. F. Kaeppeli AG, Zürich, angefertigt.
Sechs-Minuten-Gehtest (6-MWT)
Der standardisierte 6-Minuten-Gehtest (6-MWT) erfolgte zu Beginn der PR nach den Richtlinien für den 6-MWT der ATS [15 ].
Functional Independence Measure (FIM)
Mit dem Instrument FIM (Functional Independence Measure) werden funktionelle Einschränkungen von Patienten anhand von 18 Merkmalen gemessen. Dabei wird eine für alle Merkmale einheitliche Skala mit 7 Ausprägungen angewandt. Der FIM liefert einen Index zwischen 18 und 126 [16 ]. Wenn eine mehrmalige Messung erfolgt, kann die Veränderung in FIM-Punkten berechnet werden. Die Messung erfolgte bei Eintritt in und bei Austritt aus der PR.
Chronic Respiratory Questionnaire (CRQ)
Als standardisiertes Messinstrument für die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL) wurde die deutsche Version des Chronic Respiratory Questionnaire (CRQ) verwendet. Der Fragebogen misst 8 Dimensionen der HRQoL und erlaubt die Berechnung von 2 zusammenfassenden Skalen zur physischen und psychischen Lebensqualität und Gesundheit [17 ].
Cumulative Illness Rating Scale (CIRS)
Die CIRS wurde durch Linn et al. entwickelt und 1968 publiziert. Sie stellt eine umfassende Möglichkeit zur Erfassung von Erkrankungen von 14 Organsystemen dar auf der Grundlage einer Bewertung von 0 bis 4 Punkten, mit deren Hilfe ein kumulativer Score errechnet wird. Die Spannweite der Punktzahl ist demnach 0 – 56 Punkte. Bei der Bewertung des CIRS muss jede einzelne Erkrankung im entsprechenden Organsystem klassifiziert werden. Wenn innerhalb desselben Organsystems verschiedene Erkrankungen vorliegen, wird nur die Erkrankung, die am stärksten ausgeprägt ist, bewertet [18 ]. Die Erhebung des CIRS bei Reha-Aufnahme gehört zu den routinemäßigen Assessments einer PR in der Schweiz gemäß ANQ (Nationaler Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken) [19 ] und dient der klinikübergreifenden Auswertung, einschließlich der Risikoadjustierung.
Charlson Comorbidity Index (CCI)
Der CCI ist ein Score zur Abschätzung der Morbidität und Mortalität von Patienten anhand 19 prognostisch relevanter Nebenerkrankungen wie Herzinfarkt, Lebererkrankung oder Demenz. Die Haupterkrankung des Patienten (z. B. eine COPD) fließt in die Berechnung nicht ein. Die Gesamtpunktzahl kann zwischen 0 und 29 Punkten liegen. Der errechnete Wert hilft bei Therapieentscheidungen und Prognose-Abschätzungen, z. B. ob eine komplizierte, mit langer Rekonvaleszenz verbundene Operation oder spezielle diagnostische Maßnahmen sinnvoll sind [20 ].
Pneumologische Rehabilitation (PR)
Die PR startete entweder in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Entlassung aus dem akut-stationären Bereich, oder aber die Verlegung zur PR erfolgte direkt aus dem akutstationären Bereich, was in 96,5 % der Fälle stattfand. Die Rehabilitationsmaßnahme wurde individuell auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtet, hatte aber auch feste Inhalte, die alle Patienten erhalten haben. Interventionen, die jeder Patient erhielt, umfassten: Eingangsdiagnostik, Ausdauertraining auf dem Laufband oder Fahrradergometer, multimodulares Krafttraining, psychologische Betreuung, Ernährungsberatung, Schulungsprogramm (Deutsche Version „Besser Leben mit COPD“) [21 ], Atemphysiotherapie, Koordinationstraining und Ergotherapie sowie Optimierung der medikamentösen Therapie. Inhalte, die individuell bei Bedarf hinzukamen, waren: sozialmedizinische Beratung, Raucherentwöhnungsprogramm, konsiliarische Mitbetreuung (z. B. im Bereich Orthopädie oder Kardiologie), Inhalationen, Elektrotherapie, Wärmetherapie, Hilfsmittelberatung und -training.
Auswahl der Patienten
Die zufällige Auswahl der Patienten erfolgte mittels Zufallsziehung der Patienten-IDs mittels der Statistiksoftware R (Version 3.6.0) unter Verwendung des set.seed (11022020).
Statistische Analyse
Deskriptiv wurde in der primären Analyse mittels Lagemaßen (Mittelwert, Minimum, 1.Quartil, Median, 3. Quartil, Maximum) und der Standardabweichung (SD) die Verteilung des CCI für beide Gruppen beschrieben und als Boxplot grafisch dargestellt. Mittels t-Test bei ungleichen Varianzen (Welch-Test) und zugehörigem 95 %-Konfidenzintervall wurde überprüft, ob sich die Mittelwerte des CCI der beiden Gruppen zu einem Niveau von 5 % statistisch signifikant voneinander unterschieden. Die Auswertung der Daten erfolgte mit der Statistiksoftware R (Version 4.0.2) [22 ]. Weitere deskriptive Größen wurden entsprechend der Datenskalierung mittels absoluter und relativer Häufigkeiten (kategoriale Variablen) oder durch Mittelwerte und Standardabweichungen dargestellt.
Mittels Analyse der receiver operating characteristic (ROC-Analyse) wurde ein optimaler Cutpoint des CCI zur Diskriminierung in AECOPD und Nicht-AECOPD-Patienten (der Wert des CCI wurde gesucht, der gleichzeitig zu einer möglichst hohen Sensitivität und Spezifität führt) gesucht, indem die Sensitivität (richtigerweise AECOPD) und die 1 – die Spezifität (fälschlicherweise Nicht-AECOPD) gegeneinander aufgetragen wurden. Diese ROC-Analyse erfolgt zusätzlich auch für den sekundären Endpunkt der Untersuchung. Die ROC-Analyse erfolgte mit dem R-Paket-Cutpoint [23 ].
Ergebnisse
[Tab. 1 ] stellt eine Übersicht der Charakteristika der beiden untersuchten Patientengruppen dar, die mit je 22 Personen besetzt waren. Wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zeigten sich v. a. in den Laborwerten. Hierbei waren im Vergleich Kreatinin und CRP bei Patienten mit AECOPD erhöht und der Hämoglobin-Wert erniedrigt. Der Anteil männlicher Patienten lag in der AECOPD-Gruppe bei 73 %, in der Gruppe ohne AECOPD bei 55 %. Die durchschnittliche Dauer der PR war in der AECOPD-Gruppe um 3 Tage länger. 2 Patienten dieser Gruppe (9 %) mussten ins Akut-Krankenhaus zurückverlegt werden. Bei der Patienten ohne AECOPD konnten alle die PR regulär beenden.
Tab. 1
Basis-Charakteristika von Patienten mit akuter Exazerbation und Patienten ohne Exazerbation.
AECOPD n = 22
Ohne AECOPD n = 22
Geschlecht (m/w)
16/6
12/10
Alter (Jahre als MW (SD)
72,3 (6,2)
71,2 (9,0)
COPD-Grad (I/II/III/IV)
Grad I: 1 (4,5 %) Grad II: 3 (13,6 %) Grad III: 11 (50 %) Grad IV: 7 (31,8 %)
Grad I: 1 (4,5 %) Grad II: 3 (13,6 %) Grad III: 12 (55 %) Grad IV: 6 (27,3 %)
COPD-Klasse (A/B/C/D)
0/3/0/19
0/4/4/11
LTOT (Anzahl)
18
20
BMI (kg/m², SD)
25,2 (6,5)
21,6 (5,1)
FEV1 % des Solls (SD)
41,8 (14,7)
40,7 (15,7)
FEV1 % FVC (SD)
47,0 (12,5)
52,3 (15,7)
PaO2 (kPa) (SD)
8,9 (2,2)
8,6 (1,4)
PaCO2 (kPa) (SD)
5,4 (1,3)
5,5 (1,0)
pH-Wert (SD)
7,4 (0,04)
7,4 (0,03)
Hämoglobin (g/dL) (SD)
11,6 (2,13)
13,1 (1,82)
CRP (mg/L) (SD)
31,6 (25,3)
25,8 (18,1)
Kreatinin (mg/L)
95,0 (60,0)
62,3 (14,8)
Aufenthaltsdauer (Tage) (SD)
22,9 (5,4)
19,3 (5,4)
Rückverlegungen (Anzahl)
2
0
6-MWT (Meter) (SD)
140,7 (93,31)
171,8 (66,6)
CCI (Punkte) (SD)
6,7 (1,9)
4,3 (1,1)
CIRS (Punkte) (SD)
20,7 (8,7)
16,0 (7,4)
COPD, Chronic Obstructive Pulmonary disease; LTOT, Sauerstofflangzeittherapie; BMI, Body Mass Index; FEV1 , forciertes expiratorische Volumen in einer Sekunde; FVC, forcierte Vitalkapazität; PaO2 , Gasdruck für Sauerstoff; PaCO2 , Gasdruck für CO2 ; pH-Wert, Maß für sauren oder basischen Charakter einer wässrigen Lösung. g, Gramm; mg, Milligramm; L, Liter; 6-MWT, Sechs-Minuten-Gehtest; CRQ, Chronic Respiratory Questionnnaire; CCI, Charlson Comorbidity Index; CIRS, Cumulative Illness Rating Scale
Die Komorbiditäten sind in [Tab. 2 ] für beide Gruppen aufgelistet. Während Patienten mit einer AECOPD im Durchschnitt 5,77 Erkrankungen hatten, wurden bei Patienten ohne AECOPD während der PR im Durchschnitt 4,45 Erkrankungen festgestellt.
Tab. 2
Anzahl und Häufigkeit der Komorbiditäten für Patienten mit und ohne Exazerbationen (Anzahl /Häufigkeit).
Komorbiditäten
Mit AECOPD
Ohne AECOPD
Arterielle Hypertonie
15 (68 %)
8 (36 %)
Herzinsuffizienz
3 (14 %)
0
Koronare Herzkrankheit
6 (27 %)
7 (32 %)
Cor pulmonale oder pulmonale Hypertonie
4 (18 %)
2 (9 %)
Herzrhythmusstörungen
5 (23 %)
3 (14 %)
Periphere arterielle Verschlusskrankheit
4 (18 %)
5 (23 %)
Schlaganfall
2 (9 %)
2 (9 %)
Andere neurologische Erkrankungen
7 (32 %)
4 (14 %)
Augenerkrankungen
2 (9 %)
2 (9 %)
Muskolo-skelettale Erkrankungen
9 (41 %)
10 (45 %)
Osteoporose
3 (14 %)
4 (18 %)
Diabetes
7 (32 %)
2 (9 %)
Malnutrition
3 (14 %)
8 (36 %)
Andere Stoffwechselerkrankungen
1 (5 %)
4 (14 %)
Adipositas
3 (14 %)
0
Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
6 (27 %)
1 (5 %)
Andere Pulmonale Erkrankungen
2 (9 %)
8 (36 %)
Chronische Niereninsuffizienz
8 (36 %)
2 (9 %)
Prostatshyperplasie
2 (9 %)
2 (9 %)
Psychische Erkrankung
8 (36 %)
8 (36 %)
Lebererkrankungen
1 (5 %)
1 (5 %)
Magen-Darm-Erkrankungen
6 (27 %)
9 (41 %)
Maligne Erkrankungen
8 (36 %)
2 (9 %)
Bluterkrankungen
5 (23 %)
2 (9 %)
Alkohol/Drogen
7 (32 %)
2 (9 %)
gesamt
127
98
Bez. des Schweregrads der Exazerbationen erfüllten von den 22 Patienten die Kriterien für eine mittelgradige Exazerbation 11 Patienten (50 %), für eine schwere Exazerbation 8 Patienten (36 %) und 2 Patienten (9 %) für eine sehr schwere Exazerbation.
Die Gehstrecke im 6-MWT war im Durchschnitt in der AECOPD-Gruppe um 31 Meter geringer. Für Alter, Anzahl der Sauerstoffpatienten, Lungenfunktionsparameter, COPD-Stadien und Blutgasanalysewerte waren die durchschnittlichen Werte für beide Gruppen vergleichbar.
Bez. der messbaren Verbesserungen im Rahmen der PR zeigte sich im 6-MWT und im FIM-Score in der AECOPD-Gruppe ein geringerer Zuwachs im Vergleich zu den Patienten ohne AECOPD (6-MWT: MW 42 Meter ± 12 vs. 70 Meter ± 15; FIM-Score: MW 4,87 Punkte ± 1,83 vs. 6,86 Punkte ± 1,95). Im CRQ zeigten sich vergleichbare Verbesserungen zwischen beiden Gruppen im Prä-post-Vergleich (AECOPD-Gruppe: MW 4,87 Punkte ± 2,33; ohne AECOPD: 6,86 Punkte ± 3,12).
Analyse des primären Endpunktes
Patienten mit einer AECOPD hatten einen mittleren CCI-Wert von 6,77 und Patienten ohne AECOPD von 4,32. Dieser Unterschied von –2,45 war zum Signifikanzniveau von 5 % mit einem p-Wert < 0,001 statistisch signifikant und einem 95 %-Konfidenzintervall der Differenz von (–3,5; – 1,46). [Abb. 2 a ] zeigt die Verteilung des CCI in Abhängigkeit von der Gruppenzugehörigkeit. Auch hier zeigt sich, dass Patienten mit einer AECOPD tendenziell höhere Werte des CCI aufwiesen als Patienten ohne AECOPD.
Abb. 2 Boxplots für CCI und CIRS: a Darstellung der Verteilung des CCI aufgeteilt für AECOPD- und Nicht-AECOPD-Patienten, b Darstellung der Verteilung des CIRS aufgeteilt für AECOPD- und Nicht-AECOPD-Patienten.
Analyse des sekundären Endpunktes
Der sekundäre Endpunkt (CIRS-Score) hatte in der Gruppe der AECOPD einen Median von 18,5 (Quartilsspanne 11,5 – 18) und in der Gruppe der Nicht-AECOPD-Patienten einen Median 15 (Quartilsspanne 14,25 – 27,75). [Abb. 2 b ] zeigt die Verteilung dieses Scores in den beiden untersuchten Gruppen.
Explorative Analyse
Aufgrund der festgestellten Tendenz zu höheren CCI-Werten bei AECOPD-Patienten wurde mittels ROC-Analyse der optimale Cutpoint des CCI zur Einteilung in AECOPD- und Nicht-AECOPD-Patienten gesucht. [Abb. 3 a ] zeigt die zugehörige ROC-Kurve, anhand derer der optimale Wert des CCI bei 6 mit einer AUC (Area under the curve) von 0,874 gefunden wurde. Dieser Wert führt zu einer Sensitivität von 0,8182 und einer Spezifität von 0,8636. Bei Verwendung des Wertes 6 werden 4 Patienten falsch negativ und 3 Patienten falsch positiv kategorisiert. In [Abb. 3 b ] ist zusätzlich der Verlauf von Sensitivität und Spezifität für die verschiedenen Cutpoints dargestellt.
Abb. 3 a Grafische Darstellung zur ROC-Analyse: Diskriminierung der AECOPD- und Keine-AECOPD-Patienten anhand des CCI. b Darstellung des Verlaufs von Sensitivität und Spezifität in Abhängigkeit der Werte für CCI.
Die ROC-Analyse für den CIRS führte zu einem optimalen Wert zur Diskriminierung in AECOPD- und Nicht-AECOPD-Patienten von 19 mit einer AUC von 0,6488 und einer Sensitivität 0,5 sowie der Spezifität 0,7727. Bei den untersuchten Patienten wurden 11 Patienten als falsch negativ und 5 Patienten als falsch positiv bewertet.
[Abb. 4 a ] zeigt die zugehörige ROC-Kurve und [Abb. 4 b ] den Verlauf von Sensitivität und Spezifität für die verschiedenen Cutpoints.
Abb. 4 a Grafische Darstellung zur ROC-Analyse: Diskriminierung der AECOPD und Keine-AECOPD Patienten anhand CIRS. b Darstellung des Verlaufs von Sensitivität und Spezifität in Abhängigkeit der Werte für CIRS.
Diskussion
Mit dieser Analyse konnte gezeigt werden, dass die Bestimmung des CCI mit einer hohen Sensitivität (82 %) und Spezifität (86 %) in der Lage ist, eine AECOPD bei den Patienten während einer pneumologischen Anschluss-Rehabilitation vorherzusagen. Die Ergebnisse demonstrieren die Auswirkungen von Komorbiditäten auf die Exazerbationsfrequenz einer COPD während einer PR. Für verschiedene Komorbiditäten konnte bereits das Auftreten vermehrter Exazerbationen einer COPD beschrieben werden: GERD [22 ], Angstzustände [24 ], Depressionen [25 ], Lungenembolien [26 ], pulmonale Hypertonie [27 ] und kardiovaskuläre Erkrankungen [28 ]. Darüber hinaus konnte die Anzahl der Komorbiditäten mit einem erhöhten Risiko für Exazerbationen und Krankenhausaufenthalte korreliert werden [29 ]. Ein Risikoscore wie der CCI wurde für die Vorhersage einer AECOPD aber noch nicht benutzt.
Unsere Daten zeigen, dass die Verwendung des CCI hilfreich sein kann, um Risikopatienten für eine AECOPD frühzeitig bei PR-Beginn zu erkennen. Falls sich die Ergebnisse in einer prospektiven Studie bestätigen sollten, könnten bei einer Verwendung des CCI zu Beginn der PR entsprechend eine intensivere Beobachtung des einzelnen Patienten durch das ganze Team erfolgen, frühzeitig Therapieintensitäten angepasst werden und medikamentöse Interventionen eingeleitet werden. V. a. aber sensibilisiert der Score auch für die Auswirkungen der Komorbiditäten, deren Therapie man in der PR entsprechend optimieren kann. Es liegt auf der Hand, dass sich die Aufmerksamkeit der PR-Teams nicht nur auf die Behandlung der COPD selbst, sondern auch auf die Untersuchung und Behandlung von COPD-Komorbiditäten richten sollte. Somit könnten die Screening-Instrumente wie der CCI in Zukunft von Nutzen sein, um diese Untersuchungen zu fokussieren [31 ]. Allerdings muss hierbei auch berücksichtigt werden, dass die PR in der Schweiz einen höheren Stellenschlüssel aufweist als vergleichbare Kliniken in Deutschland und dadurch auch andere Versorgungsmöglichkeiten hat.
Die Erfassung von Komorbiditäten in der PR wird länderspezifisch unterschiedlich geregelt. In der Schweiz wird die Morbidität bei Patienten in der Rehabilitation durch Bestimmung des CIRS erfasst [19 ]. Im Vergleich zum CIRS zeigte aber der CCI in der vorliegenden Analyse eine deutlich höhere Genauigkeit. In der aktuell gültigen deutschen SK2-Leitlinie zur COPD wird zwar auf die Bedeutung der Komorbiditäten, deren Diagnostik und Therapie hingewiesen, die Benutzung eines Risikoscores bez. Komorbiditäten findet keine Erwähnung [34 ].
Bisher konzentrierten sich klinische Studien auf die Vorhersage einer AECOPD während einer PR im Wesentlichen auf eine reduzierte klinische Performance [30 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ]. Dabei zeigten sich im Vergleich verschiedener Risikoscores, welche den physischen Status und die Symptomatik berücksichtigen (body mass index, airway obstruction, dyspnea, Exercise capacity [BODE)], dyspnea, obstruction, smoking, exacerbation [DOSE], short-term risk of COPD exacerbations [SCOPEX]), recht heterogene Ergebnisse: Sensitivität/Spezifität für BODE 78,1 %, 73,6 %; für DOSE 21,9 %, 87,1 % und SCOPEX 84,4 %, 51,6 % [31 ]. Die Komorbiditäten berücksichtigen die Scores jeweils nicht. In der beobachteten Kohorte zeigten sich ebenfalls Unterschiede zwischen den Patientengruppen mit und ohne Exazerbationen. Hier v. a. in den Laborparametern Hämoglobin, CRP und Kreatinin. Auch die Ausdauerfähigkeit im 6-MWT war bei den AECOPD-Patienten deutlich geringer. Allerdings wurden keine wesentlichen Unterschiede in den Lungenfunktionsparametern festgestellt. Dies spiegelt partiell die Ergebnisse von Herrer et al. wider, die eine Erhöhung des BODE-Index in der AECOPD-Gruppe fanden [32 ]. Im BODE-Index gehen die Ergebnisse beider Untersuchungen ein, die FEV1 % des Solls aus der Lungenfunktion und die Gehstrecke im 6-MWT. Diese Diskrepanz mag auch die im Verhältnis zum CCI niedrige Sensitivität und Spezifität des BODE-Index für eine AECOPD widerspiegeln.
Mit einer beobachteten Exazerbationsrate von 24 % der Patienten des Gesamtkollektivs sind diese Werte vergleichbar mit den Ergebnissen anderer Studien (25,6 % [25 ], 20,5 % [26 ]). Auch die Abbruchrate für die PR bei den exazerbierten Patienten war mit 9 % vergleichbar (4 % [25 ], 6,8 % [26 ]). Die meisten beobachteten Exazerbationen der Patienten dieses Kollektivs waren mit den üblichen therapeutischen Maßnahmen auch in der PR behandelbar. Bei 2 Patienten musste die PR beendet werden, und eine Verlegung in eine Akutklinik war erforderlich. Ob durch eine frühzeitigere Kenntnis des Risikopotenzials dieser Patienten ggf. eine Verlegung hätte vermieden werden können, bleibt spekulativ und sollte an einem größeren Kollektiv prospektiv überprüft werden.
Limitationen
Wie bei allen retrospektiven Analysen ist die Validität der Daten bereits durch das Studiendesign selbst begrenzt. Deshalb ist die Kontrolle der Ergebnisse durch einen prospektiven Ansatz angezeigt. Die Teilnahme von v. a. schwer und sehr schwer erkrankten COPD-Patienten am PR-Programm führt zu einer einseitigen Betrachtung, weshalb die Ergebnisse nicht auf die Gesamtkohorte der COPD-Patienten übertragen werden können, insbesondere nicht auf die leichteren Schweregrade, bei denen das Risiko einer AECOPD geringer ist.
Darüber hinaus schränkt der Single-Center-Ansatz die Validität der Daten ein. Zwar wurde die notwendige Anzahl der Patienten im Vorhinein genau bestimmt, dennoch ist hier auch die geringe Anzahl der Patienten zu nennen. Ein Vergleich der beiden Scores (CIRS und CCI) und auch der Patientengruppen in Patientencharakteristika war nur deskriptiv möglich, da die Patientenzahl auf den primären Endpunkt (Punktezahl im CCI) gepowert war.
Schlussfolgerung
Mithilfe des CCI lässt sich mit einer hohen Sensitivität und Spezifität das Risiko einer AECOPD bei Teilnehmern mit COPD eines stationären PR-Programms einschätzen. Im Vergleich zum CIRS zeigen sich bez. Risikoprädiktion einer AECOPD Vorteile für den CCI. Die Ergebnisse des Einsatzes eines Morbiditäts-Scores wie dem CCI im Rahmen der PR sollten in einem prospektiven Ansatz überprüft werden.