Heilpflanzen 2021; 01(03): 72
DOI: 10.1055/a-1554-0919
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Phytotherapie bei Krebs: Empfehlungen der neuen Leitlinie

Immer mehr Krebskranke wünschen sich naturheilkundliche Verfahren begleitend zur Schulmedizin. Bisher fehlten Ärzten hierfür klare Empfehlungsrichtlinien. Dies will die im Juli 2021 erstmals erschienene S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patienten“ ändern. Sie enthält 155 Empfehlungen für den Einsatz komplementärmedizinischer Verfahren.

Die Leitlinie entstand unter der Koordination von Prof. Jutta Hübner und der Mitarbeit vieler Arbeitskreise und Fachgesellschaften. Unter letzteren findet sich auch die Gesellschaft für Phytotherapie unter der Leitung von Prof. Jost Langhorst. So ist neben Verfahren wie Akupunktur, Meditation, Homöopathie, Yoga oder Mineralstofftherapie auch die Phytotherapie Bestandteil der Leitlinie. Ähnlich wie bei anderen Verfahren sind die phytotherapeutischen Empfehlungen evidenzbasiert, das heißt, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit muss anhand aussagekräftiger Studien nachgewiesen sein.

Der Einsatz folgender Heilpflanzen kann gemäß der Leitlinie bei Tumorpatienten erwogen werden:

  • Traubensilberkerze: zur Senkung von menopausalen Symptomen wie Hitzewallungen

  • Ginseng: zur Verbesserung von Fatigue

  • Ingwer: bei therapiebedingter Übelkeit oder Erbrechen

  • Mistelextrakte: zur Verbesserung der Lebensqualität

Bei der Behandlung von leichten bis mittelschweren Depression sind laut der Leitlinie Johanniskrautpräparate konventionellen Medikamenten nicht unterlegen. Etwaige Wechselwirkungen sollten hierbei unbedingt beachtet werden.

Hinsichtlich der Wirkung von einzelnen Heilpflanzen auf die Mortalitätsrate/Überlebenszeit kann nach Einschätzung der Leitlinie keine Empfehlung für oder gegen den Einsatz von Leinsamen oder Granatapfel (beides beim Prostatakarzinom), Mistelextrakten, Ingwer, Ginseng, Aloe vera und Traubensilberkerze gegeben werden.

Ebenfalls keine Empfehlung für oder gegen ihren Einsatz erhielten:

  • Ginkgo: bei Zytostatika-bedingten kognitiven Beeinträchtigungen bei Frauen mit Brustkrebs

  • Medizinal-Rhabarber: zur Prophylaxe einer durch Strahlentherapie induzierten Lungentoxizität

  • Mariendistel: bei therapiebedingten Leberschäden

  • Weihrauch: bei zerebralen Ödemen bei Hirntumoren und bei Strahlentherapie-induzierter Dermatitis

  • Kurkuma: bei Mundschleimhautentzündung

  • Baldrian: bei Ein- und Durchschlafstörungen

  • Aloe vera: bei Entzündungen der Schleimhaut des Mundes oder des Mastdarms nach Strahlentherapie

Die Autoren der Leitlinie untersuchten auch die Studienlage einzelner isolierter pflanzlicher Wirkstoffe. Aufgrund der Datenlange gibt es keine Empfehlung für oder gegen den Einsatz von Curcumin, Epigallocatechingallat, Resveratrol und Lycopin. Ähnliches gilt auch für Isoflavone – mit einer Ausnahme: Ihren Einsatz bei therapiebedingten Wechseljahresbeschwerden lehnt die Leitlinie ab.

Fazit Die Empfehlung für den Einsatz von Heilpflanzen bei Krebspatienten in der Leitlinie sind leider vage formuliert. Dies liegt an der eingeschränkten Anzahl, Qualität und Aussagekraft der bisherigen klinischen Studien, die in der Leitlinie ausführlich ausgewertet werden. Wünschenswert wäre demnach weitere klinische Forschung und – bei der Neubearbeitung der Leitlinie – auch die Berücksichtigung der mittlerweile wohl gebräuchlichsten Heilpflanze in der Onkologie: der Hanfpflanze und deren Cannabinoide.

Sebastian Vigl

Quelle: Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe (DKH). S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen, Langversion 1.0, AWMF-Registernummer: 032/055OL, Im Internet: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/komplementaermedizin/; Stand: September 2021

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Krebszellen. © fotoliaxrender/stock.adobe.com
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Publication History

Article published online:
03 December 2021

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