Aktuelle Urol 2022; 53(02): 135-136
DOI: 10.1055/a-1696-7990
Editorial

Schwerpunkt Harnblasenkarzinom

1   Klinik für Urologie, Konservative Urologische Onkologie, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum Düsseldorf, Deutschland
2   Centrum für integrierte Onkologie (CIO), Universitätskliniken Aachen, Bonn, Köln und Düsseldorf, Deutschland
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Liebe Leser*innen

entgegen seiner tatsächlichen Bedeutung war das Blasenkarzinom über viele Jahre hinweg sowohl in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung als auch in der klinischen Studienlandschaft stark unterrepräsentiert.

Das hat sich glücklicherweise in den letzten Jahren grundlegend verändert. Große randomisierte Phase III Studien haben die medikamentöse Therapielandschaft „umgekrempelt“, erste Biomarker-getriggerte Studien lassen auf eine individualisierte Behandlung unserer Patienten, neue intravesikale Behandlungsoptionen auf einen Blasenerhalt auch nach BCG-Versagen hoffen. Auch hinsichtlich operativer Verfahren haben die letzten Jahre neue Erkenntnisse gebracht. In vielen Kliniken hat der Roboter bei der radikalen Zystektomie Einzug gehalten und angesichts zunehmend älterer und kränkerer Patienten zeigt sich, wie wichtig das Wissen um chirurgische Prinzipien ist.

In diesem Kontext freut es mich sehr, dass wir für den Schwerpunkt „Harnblasenkarzinom“ Fachexperten aus unterschiedlichen Disziplinen gewinnen konnten, die uns in ihren Beiträgen neben aktuellsten Daten auch praxisrelevante Tipps für die tägliche Arbeit mit unseren Harnblasenkarzinom-Patienten geben.

Wie sehr epidemiologische und Registerdaten einen direkten Einfluss auf unsere praktische Tätigkeit haben, führt uns Herr Golka gemeinsam mit seinen Ko-Autoren vor Augen. Die Arbeitsgruppe untersucht seit langem, inwieweit eine Querschnittslähmung einen Einfluss auf den klinischen Verlauf einer Harnblasenkrebs-Erkrankung hat. Neben einer lesenswerten Zusammenfassung ihrer bisher erhobenen Registerdaten im Kontext der internationalen Literatur geben uns die Autoren auch praktische Hinweise zum urologischen Management dieser besonderen Patientengruppe.

„Muss jetzt wirklich die Blase raus?“ – mit dieser oder einer ähnlichen Frage sind sicherlich viele von uns bereits einmal konfrontiert worden, wenn sich z.B. im Mapping nach einer BCG-Induktionstherapie weiterhin ein relevanter high-grade Tumor zeigte. Hier gibt uns Georgios Gakis gemeinsam mit seinen Ko-Autoren wichtige Hinweise darauf, welche Optionen für einen Blasenerhalt bereits jetzt bestehen und was wir zukünftig erwarten können.

David Mally und Ko-Autoren gehen der Frage nach, ob sich die onkologische Ergebnisqualität einer robotisch-assistierten von der der offenen radikalen Zystektomie unterscheidet. Einzelne retrospektive Berichte über untypisch lokalisierte Rezidive sowie eine vermeintlich höhere Rate an Frührezidiven hatten in jüngster Vergangenheit Fragen aufgeworfen. Sie dürfen gespannt sein, ob sich diese retrospektiven Beobachtungen tatsächlich in prospektive Evidenz übertragen lässt.

Mit der Frage, wie eine „gute“ radikale Zystektomie durchgeführt werden soll, beschäftigen sich Christian Bolenz und seine Ko-Autoren. Trotz Optimierung des perioperativen Managements sind Komplikationen bei diesem anspruchsvollen Eingriff häufig und insbesondere auch in Anbetracht zunehmend älterer Patienten mit relevanten Begleiterkrankungen ist die Morbidität dieses Eingriffs relevant. Die Autoren, die alle aus einem großen praktischen Erfahrungsschatz schöpfen können, geben Ihnen hier ganz praktische Handlungsempfehlungen.

Die interdisziplinär besetzte Autorengruppe um Herrn Tauber hat die anspruchsvolle Aufgabe übernommen, uns einen aktuellen Überblick über medikamentöse Therapieoptionen urothelialer Karzinome zu geben. In ihrem Artikel fassen die Autoren nicht nur relevanten klinischen Studien zusammen und stellen die aktuelle best-practice dar, sondern zeigen auch auf, welche neuen Optionen gerade untersucht werden und die Therapielandschaft kurzfristig beeinflussen werden.

In Anbetracht einer wachsenden Zahl unterschiedlicher medikamentöser Therapieoptionen ist in Zukunft auch beim Urothelkarzinom mit einer zunehmenden Therapieindividualisierung zu rechnen. Grundlage dafür ist zunächst eine genaue molekulare Charakterisierung der zugrunde liegenden Tumorerkrankung. Neben der Untersuchung des eigentlichen Tumorgewebes, was stets auch eine Biopsie erfordert, kann dies in vielen Fällen auch über die Analyse ganz unterschiedlicher Bestandteile verschiedener Körperflüssigkeiten erfolgen. Was hier möglich ist und was teilweise bereits in prospektiven klinischen Studienprotokollen untersucht wird, erläutert Frau Junker in einer sehr lesenswerten Übersichtsarbeit.

An dieser Stelle bleibt mir nur noch, Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieser spannenden Beiträge zu wünschen.

Ihr

Günter Niegisch



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Article published online:
28 March 2022

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