Diabetologie und Stoffwechsel 2022; 17(S 02): S354-S364
DOI: 10.1055/a-1908-0612
DDG-Praxisempfehlung

Positionspapier zur Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) bei Menschen mit Diabetes mellitus – Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA), der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Therapie (DeGIR) sowie der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG)

Bernd Balletshofer
1   Angiologiezentrum Tübingen, Tübingen, Deutschland
,
Dittmar Böckler
2   Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
,
Holger Diener
3   Abteilung für Gefäß- und Endovaskularchirurgie, Krankenhaus Buchholz, Buchholz, Deutschland
,
Jörg Heckenkamp
4   Klinik für Gefäßchirurgie, Niels-Stensen-Kliniken, Marienhospital Osnabrück, Osnabrück, Deutschland
,
Wulf Ito
5   Herz- und Gefäßzentrum Oberallgäu, Kempten, Deutschland
,
Marcus Katoh
6   Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Helios Klinikum Krefeld, Krefeld, Deutschland
,
Holger Lawall
7   Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. C. Diehm/Dr. H. Lawall, Max-Grundig Klinik Bühlerhöhe, Ettlingen, Deutschland
,
Nasser Malyar
8   Klinik für Kardiologie I – Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Angiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
,
Hui Jing Qui
9   Klinik für Innere Medizin 1 für Diabetologie, Endokrinologie, Kardiologie und Angiologie, Marienhospital Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
,
Peter Reimer
10   Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Städtisches Klinikum Karlsruhe, Karlsruhe, Deutschland
,
Kilian Rittig
11   Klinik für Innere Medizin IV, Angiologie und Diabetologie, Klinikum Frankfurt (Oder), Frankfurt (Oder), Deutschland
,
Markus Zähringer
12   Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Marienhospital Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
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Aktualisierungshinweis

Die DDG-Praxisempfehlungen werden regelmäßig zur zweiten Jahreshälfte aktualisiert. Bitte stellen Sie sicher, dass Sie jeweils die neueste Version lesen und zitieren.

Inhaltliche Neuerungen und abweichende Empfehlungen gegenüber der Vorjahresfassung

Empfehlung 1: In einem Gutachten des Medizinischen Dienstes des Bundes der Krankenkassen von 10/2020 wurde eine Nutzenbewertung von DEB bei pAVK vorgenommen. In dieser Bewertung der Nutzen- und Schadenendpunkte ergab die Analyse für die infrapoplitealen Arterien keine Hinweise auf einen Zusatznutzen der PTA mit zusätzlicher Anwendung eines DEB gegenüber der alleinigen PTA mit einem unbeschichteten Ballon im Indikationsgebiet der De-novo-Stenosen und Restenosen der infrapoplitealen Arterien.

Stützende Quellenangabe: [58]

Empfehlung 2: Das detaillierte Gutachten wird durch eine Analyse der verschiedenen Techniken zur Behandlung infrapoplitealer Arterien bestätigt, in der man wegen fehlender randomisierter kontrollierter Studien zur Beurteilung von DES nicht randomisierte Studien mitberücksichtigte. Für die Behandlung der infrapoplitealen Arterien ergab sich kein signifikanter Vorteil einer Methode.

Stützende Quellenangabe: [59]

Dieses Positionspapier basiert auf den aktuellen deutschen und internationalen Leitlinienempfehlungen [1] [2] [3] und dient als kurze, klinisch orientierte Handlungsanweisung zur Diagnostik und Therapie bei Patienten mit Diabetes mellitus und peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK).

Periphere Durchblutungsstörungen der Becken- und Beinarterien sind eine der Folgekomplikationen von Patienten mit Diabetes mellitus (DM). Der Begriff umfasst Stenosen, Verschlüsse und – in geringerem Maße – aneurysmatische Gefäßveränderungen der Becken-Bein-Arterien.

Arterielle Gefäßläsionen treten zumeist in höherem Lebensalter auf. Menschen mit Diabetes mellitus sind jedoch oft vorzeitig betroffen. Bei diesen Patienten ist der Zeitpunkt der Erstmanifestation zudem abhängig von Erkrankungsdauer und Güte der Stoffwechseleinstellung. Nur 25 % der betroffenen Patienten haben Symptome.

Insbesondere bei Patienten mit Diabetes mellitus verläuft die Atheromatose der peripheren Gefäße aufgrund chronischer inflammatorischer Gefäßwandprozesse und der Hyperkoagulabilität aggraviert.

DM ist nach dem Nikotinabusus der wichtigste Risikofaktor für das Auftreten einer pAVK [4].

Patienten mit DM haben ein 2- bis 4-fach höheres Risiko, eine pAVK zu entwickeln, als Patienten ohne DM.

Bis zu 30 % aller Patienten mit Claudicatio und 50 % aller Patienten mit kritischer Extremitätenischämie (CLI) sind Menschen mit Diabetes mellitus [5].

pAVK-Patienten mit DM haben spezifische anatomisch-morphologische sowie klinische Charakteristika, die es beim diagnostischen und therapeutischen Herangehen zu berücksichtigen gilt. Im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes mellitus entwickelt sich die pAVK bei Menschen mit Diabetes mellitus früher, schreitet schneller voran und geht häufiger in die kritische Extremitätenischämie (CLI) über. Anatomisch-morphologisch ist eine multisegmentale Manifestation mit langstreckigen, kalzifizierten Stenosen/Verschlüssen der Unterschenkelarterien mit unzureichender Kollateralbildung typisch. Klinisch präsentieren sich Menschen mit Diabetes mellitus häufig mit einer kritischen Ischämie, auch weil die einer kritischen Ischämie vorausgehende Claudicatio intermittens und der Ruheschmerz durch die diabetische sensible Polyneuropathie lange Zeit maskiert bleiben können. Die schlechte Prognose hinsichtlich amputationsfreien Überlebens bei Menschen mit Diabetes mellitus ist einerseits bedingt durch die hohen Ischämie- und Ulkusrezidivraten und die damit einhergehenden Minor- und Majoramputationen, anderseits durch eine hohe Rate an Komorbiditäten und Koprävalenz von Endorganschäden wie Herz- und Niereninsuffizienz, die die Mortalität unabhängig erhöhen.

Die bedeutendsten Konsequenzen diabetischer peripherer Durchblutungsstörungen sind Fußläsionen (Ulzerationen und Gangrän) und als Folge des ischämischen oder neuroischämischen diabetischen Fußsyndroms (DFS) kleine (Minor-) und große (Major-) Amputationen ([[Tab. 1]]).

Tab. 1

Klassifikation der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) nach Fontaine und Rutherford.

Fontaine

Rutherford

Stadium 

klinisches Bild

Grad

Kategorie

klinisches Bild

I

asymptomatisch

0

0

asymptomatisch

IIa

Gehstrecke > 200 m

I

1

leichte CI

IIb

Gehstrecke < 200 m

I

2

mäßige CI

I

3

schwere CI

III

ischämischer Ruheschmerz

II

4

ischämischer Ruheschmerz

IV

Ulkus, Gangrän

III

5

kleinflächige Nekrose

III

6

großflächige Nekrose

CI = Claudicatio intermittens.

Was ist von Bedeutung?
  • Die Zahl der Patienten mit pAVK und DM nimmt stetig zu.

  • Das Amputationsrisiko von Menschen mit Diabetes mellitus ist bei Vorhandensein einer pAVK deutlich erhöht.

  • Rechtzeitiges Erkennen der pAVK reduziert die Amputationsrate und verringert bei leitliniengerechter Behandlung die kardiovaskuläre Ereignisrate.

  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit und rasche Revaskularisation sind bei kritischer Extremitätenischämie entscheidend.



Publication History

Article published online:
18 October 2022

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