CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2024; 86(03): 182-191
DOI: 10.1055/a-2217-7846
Originalarbeit

Determinanten zur Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen vor Eintritt in die Erwerbsminderung: Zeitreihenanalyse von Versicherten der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin und Brandenburg

Determinants of use of rehabilitation services before entering disability pension: Time series analysis of insured members of the German Pension Insurance Federation in Berlin and Brandenburg
1   Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Rüdersdorf bei Berlin, Germany
,
Lara Lindert
1   Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Rüdersdorf bei Berlin, Germany
,
Wiebke Glawe
1   Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Rüdersdorf bei Berlin, Germany
,
Kyung-Eun Anna Choi
1   Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Rüdersdorf bei Berlin, Germany
2   Fakultät für Medizin und Zahnmedizin; Forschungszentrum Medical Imaging and Artificial Intelligence (MIAAI), Danube Private University, Krems, Austria
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Hintergrund Die altersstandardisierte Antragsrate von medizinischen Rehabilitationsleistungen der Deutschen Rentenversicherung Bund ist seit 2009 rückläufig. Zwei der häufigsten Indikationsgründe zur Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen stellen Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychische Störungen dar. Ziel war es, Einflussfaktoren zu identifizieren, die mit einer Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen in den Bundesländern Berlin und Brandenburg assoziiert sind.

Methode Die explorative Zeitreihenanalyse basierte auf einem Forschungsdatensatz der Deutschen Rentenversicherung Bund. Eingeschlossen wurden Versicherte der Deutschen Rentenversicherung Bund aus Berlin und Brandenburg mit Diagnose aus den Spektren der Muskel-Skelett-Erkrankungen oder psychischen Störungen. Deskriptive Unterschiede in Ziel- und Prognoseparametern wurden mittels Chi-Quadrat- und t-test Statistik berechnet. Prognoseparameter für die Inanspruchnahme von medizinischen Rehabilitationsleistungen wurden anhand von binär, logistischen Regressionsanalysen berechnet.

Ergebnisse Insgesamt konnten Daten von 11.257 Versicherten untersucht werden. Die Inanspruchnahme von medizinischen Rehabilitationsleistungen zeigte für die Versichertenpopulation aus Berlin signifikante prognostische Einflussgrößen bei dem Geschlecht, dem Alter bei Renteneintritt, dem Familienstand, dem Bildungsniveau, dem beruflichen Anforderungsniveau, der Summe gesammelter Entgeltpunkte, dem Bruttorentenniveau, dem Rententatbestand der Zeitrente, dem Krankenversicherungsverhältnis sowie der Diagnosegruppe. Für Brandenburg zeigten sich signifikante prognostische Einflussgrößen bei dem Alter bei Renteneintritt, dem Familienstand, der Staatsangehörigkeit, dem Bildungsniveau, dem beruflichen Anforderungsniveau, der Summe gesammelter Entgeltpunkte, dem Vorliegen einer Zeitrente, dem Berufssektor und der Diagnosegruppe.

Schlussfolgerungen In Berlin und Brandenburg sind psychische Störungen und soziodemographische Parameter mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit verbunden, medizinische Rehabilitationsleistungen vor Eintritt in die Erwerbsminderung nicht in Anspruch zu nehmen. Es bleibt zu ergründen, welche Mechanismen bei Menschen mit psychischen Störungen eine Nicht-Inanspruchnahme von medizinischen Rehabilitationsleistungen bedingen. Künftige Analysen sollten isolierte Interaktionsmechanismen zur Inanspruchnahme von medizinischen Rehabilitationsleistungen speziell bei vorhandenen F-Diagnosestellungen untersuchen. Zudem bleiben Erklärungen für eine unterschiedliche Wirkung von Einflussgrößen zwischen den Bundesländern zu explorieren.


#

Abstract

Background The age-standardized application rate for medical rehabilitation services of the German Pension Insurance Association has been declining since 2009. Two of the most frequent reasons for applying for rehabilitation services represent musculoskeletal disorders and mental disorders. The aim of this analysis was to identify factors influencing the utilization of rehabilitation services in the federal states of Berlin and Brandenburg.

Methods The explorative time series analysis is based on a research dataset of the German Pension Insurance Federation. Insured persons of the German Pension Insurance Federation from the federal states of Berlin and Brandenburg with a diagnosis of musculoskeletal disorders or mental disorders were included. Descriptive differences in targeted and prognostic parameters were calculated using chi-square and t-test statistics. Predictive parameters for the utilization of medical rehabilitation services were calculated using binary, logistic regression analyses.

Results A total of 11,257 insured cases were examined. For the population of insured persons from Berlin, the use of medical rehabilitation services showed significant prognostic variables for gender, age at retirement, marital status, level of education, occupational requirement level, total accumulated earning points, gross pension level, status of a temporary pension, health insurance status, and diagnosis group. For Brandenburg, significant prognostic variables were found for age at retirement, marital status, nationality, education level, occupational requirement level, total accumulated earning points, status of a temporary pension, occupational sector, and diagnosis group.

Conclusion In Berlin and Brandenburg mental disorders and sociodemographic parameters are associated with an increased probability of not claiming medical rehabilitation services before the onset of reduced earning capacity. It remains to be investigated which mechanisms cause people with mental disorders to make no use of medical rehabilitation services. Future analyses should examine isolated interaction mechanisms for the utilization of medical rehabilitation services, especially in the case of existing F-diagnoses. In addition, explanations for different influencing variables between states remain to be explored.


#
Abkürzungsverzeichnis

MRL  Medizinische Rehabilitationsleistungen

Hintergrund

Die altersstandardisierte Antragsrate medizinischer Rehabilitationsleistungen (MRL) der Deutschen Rentenversicherung Bund nimmt seit 2009 kontinuierlich ab [1]. Auf struktureller Ebene gelten eine veränderte demographische Entwicklung, eine verbesserte ambulante Versorgung, sinkende Arbeitslosenzahlen und eine Verschiebung der Krankheitslast ins hohe Alter als mögliche Erklärungsansätze für diesen Befund [1]. Außerdem wird die gängige Praxis der Antragsverfahren als aufwändig, intransparent und wenig erfolgsversprechend wahrgenommen. Ärzt*innen berichten über Hemmungen, MRL-Anträge zu begleiten und fühlen sich nicht umfassend über Rehabilitationsangebote informiert [1]. Gleichzeitig sinke bei Patient*innen die Bereitschaft, drei Wochen das private Umfeld zu verlassen, da finanzielle und familiäre Verpflichtungen zunehmen und einem Reha-Aufenthalt entgegenstünden [1]. Weiterhin würden Versicherte Rehabilitationseinrichtungen vermehrt als unzeitgemäßen Ort wahrnehmen, der im Gegensatz zu heutigen Anspruchshaltungen einer Gesundheitseinrichtung stehe [1].

Neben veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Ansprüchen konnte in vorangegangenen Untersuchungen gezeigt werden, dass für eine Inanspruchnahme von MRL auch soziodemografische Mechanismen eine Rolle spielen [2]. So werden das weibliche Geschlecht, ein lediger Familienstand, eine ausländische Staatsangehörigkeit, ein geringes berufliches Qualifikationsniveau und ein niedriger Bruttojahresverdienst mit einem erhöhten Risiko für eine Nicht-Inanspruchnahme von MRL bei bestehendem Bedarf assoziiert [3] [4] [5]. Die (Un-)Vereinbarkeit der MRL mit Familienpflichten könnten hier ausschlaggebende Gründe darstellen. Zudem können siedlungsstrukturelle Faktoren Einfluss auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nehmen [6].

In Hinblick auf die proportionale Verteilung der Indikationsspektren in der medizinischen Rehabilitation, verschieben sich Muskel-Skelett-Erkrankungen als größter Anteil an erbrachten MRL hin zu psychischen Störungen, die weiter steigende Tendenzen verzeichnen [7] [8]. Diese Trendwende wird auch an dem Anteil bewilligter Erwerbsminderungsrenten anlässlich psychischer Störungen deutlich, die im Jahr 2020 42,3% aller Bewilligungen auszeichneten (vgl. Muskel-Skelett-Erkrankungen: 12,6%) [9]. Auch bei Versicherten der Deutschen Rentenversicherung Berlin Brandenburg nehmen Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychische Störungen bei der Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit eine zentrale Rolle ein [10]. Zudem liegen in diesen Bundesländern diskrepante demographische Entwicklungen, Bevölkerungsströme und Morbiditätslasten vor [11] [12]. Während Brandenburg von einer stark ländlichen Siedlungsstruktur geprägt ist, weist das Land Berlin eine durchweg städtische Struktur auf [13].

Unklar ist bisher, inwiefern personenbezogene Determinanten auf die Inanspruchnahme von MRL in den jeweiligen Bundesländern Einfluss nehmen. Aus diesem Grund wurden folgende Forschungsfragen adressiert:

  • Wie hat sich die Verteilung von Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) und psychischen Störungen als Grund für den Eintritt in die Erwerbsminderung zwischen Jahren 2001 bis 2020 in Berlin und Brandenburg entwickelt?

  • Welche Determinanten unterstützen eine Inanspruchnahme von MRL vor Eintritt in die Erwerbsminderungsrente in dem jeweiligen Bundesland?

Im Fokus standen dabei Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychische Störungen, die den größten Anteil als primärdiagnostischen Eintrittsgrund in die Erwerbsminderung verzeichnen. Die Studie verfolgt das übergeordnete Ziel zu explorieren, inwieweit Unterschiede hinsichtlich der Inanspruchnahme von MRL in Zusammenhang mit manifesten Merkmalen zwischen strukturell und soziodemographisch unterschiedlichen Regionen – hier konkret am Beispiel von den Bundesländern Berlin und Brandenburg – auftreten. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, Zielgruppen anhand manifester Merkmale zu definieren, die zukünftig in Hinblick auf den Zugang zu MRL gezielter durch innovative Angebote unterstützt werden sollten.


#

Methode

Als Datengrundlage dieser Querschnittsstudie mit Zeitreihendesign wurde der wissenschaftliche Datensatz „Versichertenrentenzugang – Erwerbsminderung und Diagnosen 2001–2020“ der Deutschen Rentenversicherung Bund genutzt [14]. Der Datensatz umfasst eine Zufallsstichprobe aller Versicherten der Deutschen Rentenversicherung, die zwischen 2001 und 2020 erstmalig in die Erwerbsminderungsrente getreten sind. Er beinhaltet demographische Angaben, Informationen zu rentenrechtlichen Tatbeständen, begründenden Diagnosen, in Anspruch genommene MRL und umfasst insgesamt Daten von 681.189 Versicherten.

Studienpopulation

In dieser Studie wurden Daten von Versicherten fokussiert, die bei Eintritt in die Erwerbsminderung ihren Wohnsitz in den beiden Bundesländern Berlin oder Brandenburg hatten und bei denen die Rentengewährung durch eine M-Diagnose (Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes, nach ICD-10) bzw. eine F-Diagnose (Psychische und Verhaltensstörungen, nach ICD-10) begründet ist (N=30.414). Der Auswahl von M- und F-Diagnosen liegt die Annahme zugrunde, dass bei diesen Versicherten eine MRL vor Eintritt in die Erwerbsminderung sehr wahrscheinlich indiziert war. Für den Einschluss in die inferenzstatistische Analyse mussten zusätzlich vollständige Angaben zu den anvisierten Beobachtungsparametern vorliegen. Für diese Analyse ergab sich eine Stichprobe von 11.257 Versicherten (siehe [Abb. 1]).

Zoom Image
Abb. 1 Flowchart Fallzahlauswahl.

#

Messinstrumente

Zielvariable war die Inanspruchnahme von MRL (0=keine Inanspruchnahme von MRL in den letzten 5 Jahren, 1=Inanspruchnahme von einer oder mehreren MRL in den letzten 5 Jahren). Als erklärende Variablen dienten die „Diagnosen“ (0=M00-M99, 1=F00-F99), das Alter bei Rentenbeginn (1=25 bis 30 Jahre bis 5=61 Jahre und älter), das Bildungsniveau (1=niedrig bis 3=hoch), das berufliche Anforderungsniveau (1=Helfer- und Anlerntätigkeiten bis 4=hoch komplexe Tätigkeiten), das Geschlecht (1=männlich, 2=weiblich), der Familienstand (1=Nicht verheiratet/verwitwet/keine Lebenspartnerschaft, 2=Verheiratet/wiederverheiratet/in eingetragener Lebenspartnerschaft), die Zahl der Kinder (0=keine Kinder, 1=≥1 Kind), die Staatsangehörigkeit (0=Deutschland, 1=Ausland), der Faktor Zeitrente (0=keine Zeitrente, 1=Zeitrente), das Teilrentenkennzeichen (0=Keine Teilrente/Rente in voller Höhe, 1=Teilrente/Rente nicht in voller Höhe), der Berufssektor (0=Produktionsberufe, 1=Dienstleistungsberufe) und das Krankenversicherungsverhältnis (0=freiwillig versichert, 1=pflichtversichert). Zusätzlich wurden als metrische Variablen die Summe der Entgeltpunkte und das Bruttorentenniveau berücksichtigt.


#

Auswertungsmethode

Mittels Chi2- und t-Tests wurde analysiert, inwiefern sich Versicherte aus Berlin und Brandenburg hinsichtlich der zu betrachtenden Variablen unterschieden. Außerdem wurden binär logistische Regressionsanalysen durchgeführt, in denen die Inanspruchnahme von MRL der letzten 5 Jahre vor Eintritt in die Erwerbsminderung mit den dargestellten Einflussparametern in den jeweiligen Bundesländern prognostiziert wurde. Das Signifikanzniveau wurde auf p<0,05 festgesetzt. Als Effektmaß wurden Odds Ratios (OR), als Streumaß 95% Konfidenzintervalle berichtet. Fehlende Werte wurden aus den interferenzstatistischen Analysen ausgeschlossen. Als Mindestanzahl von Fällen pro Kategorie einer unabhängigen Variable wurde n≥25 festgelegt.


#
#

Ergebnisse

Die prozentuale Verteilung von M- und F-Diagnosen als Eintrittsgrund in die Erwerbsminderung zeigte in Berlin und Brandenburg ähnliche Entwicklungstrends (N=30.414): In beiden Bundesländern verzeichnen F-Diagnosen einen kontinuierlichen Anstieg, mit leicht abfallender Tendenz seit 2014/2015. Der prozentuale Anteil an M-Diagnosen nahm bis 2016/2017 kontinuierlich ab. In Brandenburg nahmen M-Diagnosen grundsätzlich einen größeren prozentualen Anteil an den Gesamtdiagnosen ein als in Berlin – im Jahr 2020 beispielsweise 10,1% in Berlin gegenüber 12,5% in Brandenburg. Auf der anderen Seite nahmen in Berlin F-Diagnosen einen größeren Anteil (2020: 47,4%) an den Gesamtdiagnosen als in Brandenburg (2020: 38,9%) ein (siehe [Abb. 2]). Aufgrund einer F-Diagnose nahmen 37,0% der Versicherten mit Wohnsitz in Berlin eine oder mehrere MRL in Anspruch. Bei Versicherten mit Wohnort in Brandenburg entsprach dies 45,3%. Aufgrund einer M-Diagnose erhielten 50,1% der Versicherten in Berlin und 55,2% der Versicherten in Brandenburg eine oder mehrere MRL.

Zoom Image
Abb. 2 M- und F-Diagnosen im Zeitverlauf 2001–2020 (Angaben in %, N=30.414).

Signifikante Distributionsunterschiede zwischen den Bundesländern Berlin und Brandenburg hinsichtlich potentieller Einflussparameter zeigten sich bei der Inanspruchnahme von MRL, bei der Verteilung der Diagnosegruppe, der Altersgruppen bei Rentenbeginn, der Geschlechter, den Familienständen, der Kinderanzahl, der Staatsangehörigkeit, dem Bildungsniveau, der Zeitrente, dem Teilrentenkennzeichen, dem Berufssektor, der Summe der Entgeltpunkte und dem Bruttorentenniveau in Prozent. Versicherte aus Brandenburg sind tendenziell älter χ2(4, N=11.257)=43,79, p<0,001, männlich χ2 (1, N=11.257)=33,36, p<0,001, in einer Partnerschaft lebend χ2(1, N=11.257)=290,81, p<0,001, Eltern χ2(1, N=11.257)=30,13, p<0,001 und deutscher Staatsangehörigkeit χ2(1, N=11.257)=371,63, p<0,001. Zudem weisen sie ein höheres Bildungsniveau auf χ2(2, N=11.257)=366,88, p<0,001, arbeiten häufiger in Produktionsberufen χ2(1, N=11.257)=170,19, p<0,001, beziehen häufiger Teilrente χ2(1, N=11.257)=6,22, p<0,05 und seltener Zeitrente χ2(1, N=11.257)=46,31, p<0,001. Sowohl die Summe gesammelter Endgeldpunkte t (10.857,38)=-12,30, p<0,001 als auch das prozentuale Bruttorentenniveau t(11.255)=-9,28, p<0,001 ist bei Versicherten aus Brandenburg höher als bei Versicherten aus Berlin. Versicherte aus Brandenburg nahmen MRL eher in Anspruch χ2(1, N=11.257)=14,1, p<0,001. Als Primärdiagnose war die Indikationsgruppe der Muskel-Skelett-Erkrankungen häufiger und die Indikationsgruppe der psychischen Störungen seltener vertreten als bei Versicherten aus Berlin χ2(1, N=11.257)=223,1, p<0,001 (siehe [Tab. 1] [2]).

Tab. 1 Deskriptive Darstellung kategorialer Einflussparameter.

Berlin

Brandenburg

Chi2

N

in %

N

in %

medizinische Rehabilitation

<0,001

keine

2.787

49,12

2.545

45,58

≥1

2.887

50,88

3.038

54,42

Diagnosegruppe

<0,001

M-Diagnose

1.006

17,73

1.658

29,70

F-Diagnose

4.668

82,27

3.925

70,30

Alter bei Rentenbeginn

<0,001

<30 Jahre

148

2,61

108

1,93

31–40 Jahre

518

9,13

447

8,01

41–50 Jahre

1.629

28,71

1.373

24,59

51–60 Jahre

3.023

53,28

3.253

58,27

>60 Jahre

356

6,27

402

7,20

Geschlecht

<0,001

Männlich

2.020

35,60

2.283

40,89

Weiblich

3.654

64,40

3.300

59,11

Familienstand

<0,001

Nicht verheiratet/verwitwet/k. Lebenspartnerschaft

3.125

55,08

2.179

39,03

Verheiratet/wiederverheiratet/in eingetragener Lebenspartnerschaft

2.549

44,92

3.404

60,97

Kinder

<0,001

keine

3.003

52,93

2.666

47,75

1+

2.671

47,07

2.917

52,25

Staatsangehörigkeit

<0,001

Deutschland

5.212

91,86

5.546

99,34

Ausland

462

8,14

37

0,66

Bildungsniveau

<0,001

Niedrig

1.180

20,80

491

8,79

Mittel

4.052

71,41

4.782

85,65

Hoch

442

7,79

310

5,55

berufliches Anforderungsniveau

0,073

Helfer- und Anlerntätigkeiten

1.162

20,48

1.062

19,02

Fachlich ausgerichtete Tätigkeiten

3.733

65,79

3.803

68,12

Komplexe Spezialistentätigkeiten

480

8,46

447

8,01

Hoch komplexe Tätigkeiten

299

5,27

271

4,85

Zeitrente

<0,001

Keine Zeitrente

2.427

42,77

2.745

49,17

Zeitrente

3.247

57,23

2.838

50,83

Teilrentenkennzeichen

0,013

Keine Teilrente/Rente in voller Höhe

5.574

98,24

5.447

97,56

Teilrente/Rente nicht in voller Höhe

100

1,76

136

2,44

Berufssektor

<0,001

Produktionsberufe

906

15,97

1.450

25.97

Dienstleistungsberufe

4.768

84,03

4.133

74.03

Versicherungs-verhältnis

0,244

freiwillig

53

0,93

41

0.73

Pflicht

5.621

99,07

5.542

99.27

Tab. 2 Deskriptive Darstellung metrischer Einflussparameter.

Berlin

Brandenburg

t-test p-value

N

M

SD

Median

N

M

SD

Median

Summe der Entgeltpunkte

5.674

34,78

13,39

36,00

5.583

37,61

10,85

37,00

<0,001

Bruttorentenniveau in % gerundet

5.674

38,89

30,98

38,00

5.583

44,42

31,22

44,00

<0,001

Die Inanspruchnahme von MRL zeigte für die Versichertenpopulation aus Berlin signifikante prognostische Einflussgrößen bei dem Geschlecht, dem Alter bei Renteneintritt, dem Familienstand, dem Bildungsniveau, dem beruflichen Anforderungsniveau, der Summe gesammelter Entgeltpunkte (OR=1,030) 95% KI [1,025; 1,035], dem Bruttorentenniveau (OR=1,002) 95% KI [1,000; 1,004], dem Rententatbestand der Zeitrente, dem Krankenversicherungsverhältnis sowie der Diagnosegruppe. In Referenz zum männlichen Geschlecht war das weibliche Geschlecht signifikant mit einer Inanspruchnahme von MRL assoziiert (OR=1,587) 95% KI [1,346; 1,870]. Die Altersgruppen der 41 bis 50-Jährigen (OR=2,332) 95% KI [1,568; 3,468], der 51 bis 60-Jährigen (OR=2,555) 95% KI [1,719; 3,797] und der 61 bis 64-Jährigen (OR=1,692) 95% KI [1,072; 2,670] nahmen MRL signifikant häufiger in Anspruch als die 25 bis 30-Jährigen. Im Vergleich zu ledigen Personen zeigte die Kategorie der nicht ledigen Personen signifikante Unterschiede (OR=1,197) 95% KI [1,066; 1,343]. Das mittlere (OR=1,290) 95% KI [1,110; 1,500] und das hohe Bildungsniveau (OR=1,424) 95% KI [1,092; 1,858] zeigten signifikante Unterschiede gegenüber der Referenzkategorie eines „niedrigen Bildungsniveaus“. Personen mit fachlich ausgerichteten Tätigkeiten nahmen MRL eher in Anspruch, als Personen der Referenzkategorie der Helfer- und Anlerntätigkeiten (OR=1,288) 95% KI [1,107; 1,498]. Personen, die Zeitrente erhielten unterschieden sich signifikant von Personen ohne Zeitrente (OR=1,514) 95% KI [1,339; 1,711]. Weiterhin nahmen Pflichtversicherte MRL signifikant häufiger in Anspruch als freiwillig Versicherte (OR=2,673) 95% KI [1,471; 4,856] und Personen mit einer F-Diagnose nahmen MRL signifikant seltener in Anspruch als Personen mit einer M-Diagnose (OR=0,614) 95% KI [0,529; 0,714]. Der Konkordanz-Index für die binär, logistische Regression der Versichertenpopulation in Berlin betrug C=0,675 (siehe [Tab. 3]).

Tab. 3 Determinanten zur Inanspruchnahme von MRL nach Bundesländern*

BERLIN

BRANDENBURG

Regressions-koeffizient B

Standard Fehler

Signifikanz

OR

95% Konfidenzintervall für OR

Regressions-koeffizient B

Standard Fehler

Signifikanz

OR

95% Konfidenzintervall für OR

Untergrenze

Obergrenze

Untergrenze

Obergrenze

Geschlecht

männlich

weiblich

0,462

0,084

<0,001

1,587

1,346

1,87

0,193

0,116

0,096

1,213

0,966

1,521

Alter

25 bis 30

31 bis 40

0,413

0,216

0,056

1,511

,989

2,310

0,120

0,229

0,601

1,127

0,720

1,765

41 bis 50

0,847

0,202

0,000

2,332

1,568

3,468

0,513

0,217

0,018

1,671

1,092

2,558

51 bis 60

0,938

0,202

0,000

2,555

1,719

3,797

0,555

0,216

0,010

1,741

1,140

2,660

61 bis 64

0,526

0,233

0,024

1,692

1,072

2,670

0,221

0,241

0,357

1,248

0,779

1,999

Familienstand

Nicht verheiratet/verwitwet/k. Lebenspartnerschaft

Verheiratet/wiederverheiratet/in eingetragener Lebenspartnerschaft

0,180

0,059

0,002

1,197

1,066

1,343

0,166

0,060

0,006

1,180

1,049

1,328

Kinder

Keine Kinder

Kinder

0,060

0,079

0,448

1,062

0,909

1,240

0,067

0,111

0,547

1,069

0,860

1,331

Staatsangehörigkeit

deutsch

andere

-0,132

0,110

0,231

0,876

0,706

1,088

-0,772

0,371

0,038

0,462

0,223

0,956

Bildungsniveau

Niedrig

Mittel

0,255

0,077

0,001

1,290

1,110

1,500

0,207

0,104

0,046

1,230

1,004

1,507

hoch

0,354

0,135

0,009

1,424

1,092

1,858

0,236

0,169

0,164

1,266

0,909

1,764

berufliches Anforderungsniveau

Helfer- und Anlerntätigkeiten

Fachlich ausgerichtete Tätigkeiten

0,253

0,077

0,001

1,288

1,107

1,498

0,178

0,074

0,016

1,195

1,033

1,382

Komplexe Spezialistentätigkeiten

0,139

0,123

0,260

1,149

0,902

1,462

0,235

0,122

0,053

1,265

0,997

1,606

Hoch komplexe Tätigkeiten

0,290

0,154

0,061

1,336

0,987

1,808

0,323

0,158

0,041

1,382

1,013

1,884

Summe der Entgeltpunkte

0,029

0,002

<0,001

1,03

1,025

1,035

0,020

0,003

0,000

1,020

1,014

1,026

Bruttorentenniveau in %

0,002

0,001

0,045

1,002

1,000

1,004

0,002

0,001

0,067

1,002

1,000

1,003

Zeitrente

Keine Zeitrente

Zeitrente

0,414

0,062

0,000

1,514

1,339

1,711

0,386

0,062

0,000

1,472

1,304

1,661

Teilrente

Keine Teilrente

Teilrente

0,029

0,216

0,895

1,029

0,673

1,572

0,172

0,184

0,352

1,187

0,827

1,704

Berufssektor

Produktionsberufe

Dienstleistungsberufe

0,053

0,083

0,525

1,055

0,895

1,242

0,221

0,073

0,002

1,247

1,081

1,439

Krankenversicherungsverhältnis

Freiwillig

Pflicht

0,983

0,305

0,001

2,673

1,471

4,856

0,512

0,331

0,121

1,669

0,873

3,192

Diagnosegruppe

M-Diagnose

F-Diagnose

-0,487

0,076

0,000

0,614

0,529

0,714

-0,364

0,065

0,000

0,695

0,612

0,789

*Die Referenzkategorie lautet: keine medizinische Reha. Berlin: Konkordanzindex C=0.675, Brandenburg: Konkordanzindex=0.625.

Die Inanspruchnahme von MRL zeigte für die Versichertenpopulation aus Brandenburg signifikante prognostische Einflussgrößen bei dem Alter bei Renteneintritt, dem Familienstand, der Staatsangehörigkeit, dem Bildungsniveau, dem beruflichen Anforderungsniveau, der Summe gesammelter Entgeltpunkte (OR=1,020) 95% KI [1,014; 1,026], dem Vorliegen einer Zeitrente, dem Berufssektor und der Diagnosegruppe. Gegenüber der Referenzkategorie der 25 bis 30-Jährigen nahmen die Altersklassen der 41 bis 50-Jährigen (OR=1,671) 95% KI [1,092; 2,558] und der 51 bis 60-Jährigen (OR=1,741) 95% KI [1,140; 2,660] MRL signifikant häufiger in Anspruch. Nicht ledige Personen nahmen eher eine MRL in Anspruch als ledige Personen (OR=1,180) 95% KI [1,049; 1,328]. Im Vergleich zu Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit zeigten sich signifikant schlechtere Chancen einer MRL-Inanspruchnahme für Personen mit anderer Staatsangehörigkeit (OR=0,462) 95% KI [0,233; 0,956]. Außerdem war das mittlere Bildungsniveau mit einer signifikant höheren Chance zur Inanspruchnahme von MRL gegenüber der Referenzkategorie des niedrigen Bildungsniveaus assoziiert (OR=1,230) 95% KI [1,004; 1,570]. Signifikant gegenüber der Referenzkategorie der Helfer- und Anlerntätigkeiten zeigten sich fachlich ausgerichtete Tätigkeiten (OR=1,195) 95% KI [1,033; 1,382] und hoch komplexe Tätigkeiten (OR=1,382) 95% KI [1,013; 1,884]. Personen, die eine Zeitrente erhielten, nahmen eher eine MRL in Anspruch als Personen ohne Zeitrente (OR=1,472) 95% KI [1,304; 1,661]. Des Weiteren unterschieden sich Dienstleistungsberufe signifikant von Produktionsberufen (OR=1,247) 95% KI [1,081; 1,439]. Auch in Brandenburg unterschieden sich Personen mit einer F-Diagnose signifikant von Personen mit einer M-Diagnose (OR=0,695) 95% KI [0,612; 0,789]. Der Konkordanz-Index für die binär, logistische Regression der Versichertenpopulation in Brandenburg betrug C=0,625 (siehe [Tab. 3]).


#

Diskussion

Die deskriptive Analyse des wissenschaftlichen Datensatzes der Deutschen Rentenversicherung-Bund „Versichertenrentenzugang-Erwerbsminderung“ deutet darauf hin, dass sich Versicherte aus Berlin und Brandenburg, die kürzlich in die Erwerbsminderung eingetreten sind, auf soziodemographischer Ebene unterscheiden. Weiterhin deuten die Prognosemodelle darauf hin, dass sich die Wirkung von Einflussgrößen für die Inanspruchnahme von MRL zwischen den Bundesländern voneinander unterscheidet. So kommen ausschließlich in Berlin die Einflussgrößen Geschlecht, Bruttorentenniveau und das Krankenversicherungsverhältnis zum Tragen. Ausschließlich in Brandenburg hingegen spielen die Staatsangehörigkeit und der Berufssektor eine Rolle. Es ist naheliegend, dass berichtete soziodemographische Unterschiede kein Alleinstellungsmerkmal von Versicherten in Erwerbsminderung beschreiben, sondern die soziodemographische Lage der Gesamtpopulationen in den jeweiligen Ländern spiegeln. Die brandenburgische Gesamtbevölkerung ist im Vergleich zu Berlin grundsätzlich eher älter (Durchschnittsalter Brandenburg: 47,3 Jahre; Durchschnittsalter Berlin 42,6 Jahre), verheiratet (Brandenburg: 52,2%; Berlin: 39,1%), deutscher Staatsangehörigkeit (Brandenburg: 94,5%; Berlin: 79,8%) und in Produktionsberufen (Brandenburg: 22,0%; Berlin: 10,6%) tätig [15] [16].

In Brandenburg stellte die deutsche Staatsangehörigkeit einen prognostischen Einflussfaktor für die Inanspruchnahme von MRL dar. Vorangegangene Untersuchungen konnten zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund vor allem dann eine Chance auf eine Inanspruchnahme von MRL hatten, wenn sie in der zweiten Generation in Deutschland leben und im häuslichen Umfeld deutsch gesprochen wird [17] [18] [19]. Zusätzlich hatten Menschen türkischer Nationalität eine geringere Chance, MRL in Anspruch zu nehmen, als Menschen aus Ländern der europäischen Union [18]. Ferner spiegeln die in dieser Analyse identifizierten Einflussparameter eines ledigen Familienstands, einer ausländischen Staatsangehörigkeit, eines geringen beruflichen Qualifikationsniveaus und eines niedrigen Bruttojahresverdiensts vorangegangene Untersuchungen zur Inanspruchnahme von MRL [3] [4] [5].

Insgesamt liegt für die Regressionsmodelle beider Regionen eine reduzierte Modellgüte vor. In vorherigen Untersuchungen wurden weitere Kontextfaktoren für die Inanspruchnahme von MRL identifiziert, die mit dem zugrundeliegenden Datensatz dieser Analyse nicht abgebildet werden konnten. So gelten eine Unterstützungsbereitschaft der Ärzt*innen und des sozialen Umfelds als entscheidender Einflussfaktor [20] [21]. Gleichzeitig kann das familiäre Umfeld als Barriere fungieren, wenn Rehabilitand*innen eine starke Bindung an die häusliche Umgebung verspüren [22]. Ferner gelten mangelnde Informationsbereitstellungen, ineffiziente Antragsverfahren und niedrige Erwartungshaltungen an Prozess- und Servicestrukturen des Rehabilitationsaufenthaltes als weitere Barrieren [20] [21]. Auf der anderen Seite wurde eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung der Rehabilitand*innen mit einer erhöhten Inanspruchnahme assoziiert [20] [23].

Es bleibt zu diskutieren, dass F-Diagnosen als Grund für den Eintritt in eine Erwerbsminderungsrente zunehmen, während Versicherte mit F-Diagnosen seltener MRL in Anspruch nehmen. Möglicherweise lässt sich der Rückgang von Anträgen auf MRL auch mit der Verschiebung hin zu psychischen Erkrankungen erklären. So zeigen die Ergebnisse, dass etwa in Berlin nur 37% der Betroffenen mit einer F-Diagnose auch eine MRL in Anspruch nehmen. Ein Erklärungsansatz für diesen Befund kann zusätzlich darin begründet sein, dass MRL-Angebote, die von der Deutschen Rentenversicherung finanziert werden, primär auf psychosomatische Störungen abzielen, während Menschen mit schweren psychischen Störungen eher von anderen stationären wie auch teilstationären Versorgungsformen aufgefangen werden [24]. Weitere Hürden bei der Inanspruchnahme von psychosomatischen MRL liegen mitunter in mangelnder Selbstwirksamkeitserwartung und geringer Handlungsplanung [25]. Zudem bleiben Erklärungen für eine unterschiedliche Wirkung von Einflussgrößen bei der Inanspruchnahme von MRL zwischen Berlin und Brandenburg zu explorieren.

Limitationen

Aus dem genutzten Datensatz ergeben sich deutliche Limitationen: So dürfen laut dem Sozialgesetzbuch VI prozessproduzierte Daten nur in faktisch anonymisierter Form wissenschaftlich genutzt werden. Deshalb wurden in dem genutzten Datensatz lediglich eine 10%-Stichprobe der Gesamtpopulation zur Verfügung gestellt. Manche der darin enthaltenen Merkmale wurden zudem in aggregierter Form dargestellt [26] [27]. Dies kann zu einem Informationsverlust und ungenügender Differenzierung von Einflussparametern führen, die für diese Analyse potentiell von Relevanz sind. Beispielhaft wurde bei dem Parameter „Familienstand“ unterschieden, inwieweit die Personen in einer Partnerschaft leben oder alleinstehend sind. Ob jemand geschieden oder verwitwet ist, kann so nicht nachvollzogen werden. Bei dem Parameter „Staatsbürgerschaft“ sind weitere Differenzierungen ausländischer Staatsbürgerschaften, die beispielsweise Aufschluss über EU-Bürger*innen oder nicht EU-Bürger*innen geben könnten, nicht nachvollziehbar [28]. Außerdem handelt es sich bei dem genutzten Datensatz um eine „Outflow-Stichprobe“ [27]. Es werden per Definition nur Ereignisse berücksichtigt, die zum Zeitpunkt der Verrentung tatsächlich eingetreten sind. Statuswechsel (z. B. von ‚verheiratet‘ zu ‚verwitwet‘) sind nicht nachvollziehbar [27] [29]. Zudem kann aufgrund der vorliegenden Daten nicht beurteilt werden, ob bei Nicht-Inanspruchnahme tatsächlich eine Indikation für eine MRL gegeben war. Dennoch ist zu erwarten, dass MRL ein gängiges Prozedere vor Eintritt in die Erwerbsminderungsrente bei den eingeschlossenen Diagnosegruppen darstellt. Weiterhin bleibt zu diskutieren, dass mit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie die Inanspruchnahme von MRL rückläufig war [9]. Da der Datensatz neben den Daten aus 2020 jedoch auch sämtlich Daten von 2001–2019 umfasst, spielt dies für die vorliegende Analyse vermutlich eine untergeordnete Rolle.

Methodisch muss zwischen der Erhebung von Merkmalen, die für die Berechnung der Rente und jenen Merkmalen, die ausschließlich für statistische Zwecke (z. B. höchster Bildungsabschluss oder berufliche Tätigkeit) von Bedeutung sind, unterschieden werden. Merkmale zur Nutzung statistischer Zwecke weisen häufig eine verminderte Datenqualität aufgrund einer relevanten Anzahl an fehlenden Werten auf [30]. Die vorliegenden DRV-Daten beziehen sich auf etwa 10% der Versichertenpopulation und sind repräsentativ gewählt (N=681.189). Die interessierende Zielgruppe (M- oder F-Diagnose und wohnhaft in Berlin oder Brandenburg) umfasst insgesamt 30.414 Fälle. Aufgrund fehlender Werte konnten in den inferenzstatistischen Analysen jedoch nur 37% dieser Fälle berücksichtigt werden. Diese Selektion kann zu Einschränkungen der Aussagekraft der Regressionsanalysen führen und mitunter die reduzierte Modellgüte erklären. Hinzu kommt, dass grundlegende Kontrollvariablen (z. B. Haushaltskontext; Haushaltseinkommen), nicht im Datensatz abgebildet sind [29]. Für eine weitere wissenschaftliche Untersuchung von Determinanten zur Inanspruchnahme von MRL ist deshalb die Verfügbarkeit von Längsschnittdatensätzen, die grundlegende Kontrollvariablen beinhalten und Statuswechsel valide berücksichtigen, eine Grundvoraussetzung, die es zu schaffen gilt.


#
#

Fazit für die Praxis

Aufgrund der geringen Modellgüte kann davon ausgegangen werden, dass die hier betrachteten Determinanten für Berlin und Brandenburg nicht ausreichend sind, um die Inanspruchnahme von MRL gut zu erklären. Für die Zukunft bleiben weitere Kontextfaktoren zwingend zu berücksichtigen. Dennoch liefert die vorliegende Untersuchung von soziodemografischen Parametern und rentenrechtlichen Tatbeständen Anhaltspunkte für Einflussgrößen, die es tiefergehend zu untersuchen gilt. Die untersuchten Variablen sollten deshalb auch in zukünftigen Analysen berücksichtigt werden. Insbesondere Unterschiede identifizierter Einflussparameter zwischen Berlin und Brandenburg bleiben zu diskutieren. Im Zeitverlauf nahm die Relevanz an psychischen Störungen als Eintrittsgrund in die Erwerbsminderung in beiden Bundesländern kontinuierlich zu. Gleichzeitig werden psychische Störungen mit einem erhöhten Risiko für die Nicht-Inanspruchnahme von MRL assoziiert. Besonders hier ergeben sich Ansatzpunkte für Wissenschaft und Praxis. Beispielsweise könnte eine vertiefende Analyse der Population der F-Diagnosen weitere Anhaltspunkte zugrundeliegender Mechanismen liefern. Es bleibt zu explorieren, ob die Verschiebung hin zu psychischen Erkrankungen den Rückgang von Anträgen auf MRL erklärt, ob Versicherte mit psychischen Erkrankungen (bzw. psychische Komorbiditäten) im Versorgungssystem an anderer Stelle behandelt werden und inwiefern aktuelle Rehabilitationsleistungen den Ansprüchen psychischer Erkrankungen gerecht werden können.


#

Ethische Zulassung

Der genutzte Scientific Use File wurde in anonymisierter Form durch das Forschungsdatenzentrum der Deutschen Rentenversicherung Bund bereitgestellt. Die Daten wurden nicht im Auftrag der Autor*innen erhoben. Der Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung wird nicht eröffnet.


#

Fördermittel

Deutsche Rentenversicherung Berlin Brandenburg —


#
#

Interessenkonflikt

Die Autor*innen sind Teil der Nachwuchsgruppe für Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaften, die mit Unterstützung von Fördermitteln der Deutschen Rentenversicherung Berlin Brandenburg eingerichtet wurde. In ihrer Forschungsarbeit agiert die Nachwuchsgruppe unabhängig.


Korrespondenzadresse

Lukas Kühn M. Sc.
Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg
Seebad 82/83
15562 Rüdersdorf bei Berlin
Germany   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
19. Januar 2024

© 2024. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


Zoom Image
Abb. 1 Flowchart Fallzahlauswahl.
Zoom Image
Abb. 2 M- und F-Diagnosen im Zeitverlauf 2001–2020 (Angaben in %, N=30.414).