Schlüsselwörter
Qualitative Methoden - Gütekriterien - Forschungspraxis - Methodologie - Rehabilitationsforschung
Keywords
Qualitative methods - quality criteria - research practice - methodology - rehabilitation science
Einleitung
Sowohl die Praxis- als auch die Forschungsfelder im Bereich der Rehabilitation sind
geprägt durch verschiedene disziplinäre Kontexte. Rehabilitation ist eingebettet in
das Sozial- und Gesundheitssystem und wird folglich sowohl aus sozialer und
medizinischer als auch aus arbeitsweltlicher Perspektive betrachtet, wobei die
Perspektiven häufig eng miteinander verbunden sind [1]. Die Rehabilitationswissenschaften sind somit durch eine disziplinäre
Vielfalt geprägt und lassen sich nicht einer Disziplin zuordnen [2]. Neben einer etablierten medizinischen
Forschungstradition und einer daraus resultierenden klinisch orientierten
Betrachtungsweise lassen sich immer stärker werdende Annäherungen an die
Versorgungs- und Teilhabeforschung erkennen [3]. Das Ergebnis besteht in einer Erweiterung der medizinischen
Perspektive um sozial- und geisteswissenschaftliche Ansätze die allesamt, je nach
Fragestellung, auch durch unterschiedliche methodische Herangehensweisen geprägt
sind.
Obwohl in den Rehabilitationswissenschaften zum Teil noch eine starke Fokussierung
auf kontrollierte, standardisierte, quantitative Forschungsansätze existiert [4], wird der Nutzen qualitativer Ansätze für
rehabilitationswissenschaftliche Fragestellungen sowohl in Form von
singulär-qualitativen Studien als auch als Bestandteil von Mixed-Methods-Designs
mittlerweile häufiger und breiter anerkannt. Umso wichtiger erscheint es für die
rehabilitationswissenschaftliche Forschungspraxis die Güte qualitativer Forschung zu
gewährleisten. Die Beachtung, Erfüllung und Dokumentation von Qualitätskriterien bei
der Durchführung empirischer Studien sind, zunächst unabhängig von der Art des
methodischen Zugangs, zentrale Bestimmungsfaktoren für die Aussagekraft,
Vergleichbarkeit und Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnisse [4]. Wissenschaftliche Gütekriterien legen fest
auf welcher Basis die Qualität einer Studie bewertet werden kann [5]. Während in der quantitativen Forschung
zentrale methodische Gütekriterien relativ konsensfähig und in vielen Bereichen
detailliert ausformuliert sind, wird die Debatte um geeignete Gütekriterien in der
qualitativen Forschung bis dato kontrovers geführt [5]. Dieser Diskurs thematisiert nicht nur welche Kriterien dabei
besonders geeignet sind, um die Qualität von Studien zu bewerten, sondern auch ob
derartige Kriterien aufgrund einiger methodologischer Grundannahmen und
Ausprägungsformen der praktischen Umsetzung qualitativer Methoden überhaupt sinnvoll
erscheinen [5].
Mittlerweile existieren in mehreren Forschungsdisziplinen Beiträge, die Forschenden
eine Hilfestellung und Orientierung zur Sicherstellung der Qualität bei der
Anwendung qualitativer Methoden geben sollen. Zu nennen ist hier u. a. das
Diskussionspapier von Stamer et al. [6] für
den Bereich der Versorgungsforschung. Solche Beiträge bieten aber nicht nur
Forschenden Orientierung, sondern auch Rezipient:innen qualitativer Studien, die
deren methodische Güte und Aussagekraft auf der Grundlage spezifischer Kriterien
besser einordnen können. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es eine solche
Orientierungshilfe für qualitative Studien(-teile) im Kontext der nationalen
Rehabilitationsforschung zu geben, indem Spezifika dieses Forschungsbereiches
berücksichtigt und die Umsetzung der Qualitätskriterien anhand von konkreten
Beispielen aus der qualitativen Forschungspraxis der Rehabilitationswissenschaften
aufgezeigt werden. Das Bestreben des Beitrages ist es die Qualität und Transparenz
qualitativer rehabilitationswissenschaftlicher Forschung zu fördern.
Methodologische Grundannahmen qualitativer Forschung
Methodologische Grundannahmen qualitativer Forschung
Zunächst erscheint es sinnvoll einige grundlegende methodologische Annahmen
qualitativer Zugänge kurz zu umreißen. Voranzustellen ist, dass die qualitative
Forschung ein Sammelbegriff vieler unterschiedlicher Forschungsansätze und Verfahren
darstellt [7]. Obwohl es innerhalb der
qualitativen Methoden unterschiedliche Denkansätze und Strömungen gibt, existieren
jedoch einige methodologische Merkmale, die als kleinster gemeinsamer Nenner der
verschiedenen Zugänge gelten können [8].
Ein typisches Merkmal qualitativer Ansätze stellt das Prinzip der Offenheit und
daraus folgend der Induktion dar [9], ohne
außer Acht zu lassen, dass durchaus auch deduktive, qualitative Forschungsansätze
existieren. Gemeint ist hiermit, dass sowohl Analyse- und Theorieansätze als auch
Gültigkeitsbereiche aus dem jeweiligen Datenmaterial heraus identifiziert und von
Einzelfällen ausgehend Aussagen geschlussfolgert werden [4]
[10].
Qualitativ-methodische Zugänge orientieren sich am Forschungssubjekt und zielen
somit darauf ab Perspektiven, Wahrnehmungen und Einstellungen von Akteur:innen auf
einen Untersuchungsgegenstand zu erfassen [9].
Der Modus Operandi stellt die Rekonstruktion und im Idealfall das Verstehen von
subjektivem Sinn dar, d. h. qualitative Forschung rekonstruiert und interpretiert
subjektive Sichtweisen, Deutungsmuster oder Wirklichkeitskonzepte im Zuge eines
methodisch kontrollierten Fremdverstehens [11]. Diese Interpretation schließt den Kontext, in welchem das jeweilige
Subjekt sich verortet mit ein (z. B. biografische Merkmale wie die
Krankheitsgeschichte) und versucht so ein möglichst detailliertes und vollständiges
Bild der zu erschließenden Wirklichkeitsausschnitte zu liefern [11]. Wenngleich der Nachvollzug
subjektiv-intentionaler (manifester, unmittelbar ersichtlicher) Sinngehalte
dominiert, existieren auch Ansätze in denen es um die Rekonstruktion sozial
geteilter (teils manifester, teils latenter) Sinngehalte oder gar invarianter
(latenter, nicht unmittelbar ersichtlicher) Tiefenstrukturen (=objektiver Sinn) geht
[12]. Ungeachtet davon existiert im
Bereich der qualitativen Methoden eine Bandbreite an epistemologischen Positionen.
Das primäre, wenn auch nicht ausschließliche Datenmaterial, welches durch
qualitative Methoden generiert wird, sind sprachliche Äußerungen, häufig
ausformuliert in der Textform oder informationshaltigen Beobachtungen [13]. Darüber hinaus können bereits Daten
vorliegen (z. B. Dokumente, Bilder), die anhand eines qualitativen Vorgehens
ausgewertet werden. Ein weiteres Spezifikum qualitativer Methoden ist der zirkuläre
Charakter des Forschungsprozesses [4]. In
vielen qualitativen Zugängen führen erhobene Daten zu abgeleiteten vorläufigen
Interpretationsansätzen, woraufhin weitere Daten gezielt zu deren Konsolidierung
erfasst werden. Zudem kann das Forschungsdesign ggf. auf der Grundlage der
entstandenen Erkenntnisse angepasst werden.
Merkmale der Rehabilitationsforschung
Merkmale der Rehabilitationsforschung
Bevor auf die Gütekriterien qualitativer Forschung in den
Rehabilitationswissenschaften eingegangen wird, sollen vorab Merkmale der
Rehabilitationsforschung aufgezeigt werden, die einen direkten oder indirekten
Einfluss auf die Anwendung bzw. Beachtung von Gütekriterien haben können.
Unter Berücksichtigung der Definition von Rehabilitation der Deutschen Vereinigung
für Rehabilitation (DVfR) [14] als ein „an
individuellen Teilhabezielen orientierter und geplanter, multiprofessioneller und
interdisziplinärer Prozess“, der das Recht auf Selbstbestimmung und die
gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen achtet, ist hervorzuheben, dass
Rehabilitationsforschung den Anspruch vertritt zwischenmenschliche Interaktionen und
das Verhältnis von Individuum und Umwelt aus subjektorientierter Perspektive zu
betrachten [15]. In diesem Zusammenhang ist
auch die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)
als ein Bezugsrahmen für die Konzeption von Rehabilitation und
Rehabilitationsforschung zu nennen. Auf der Grundlage des biopsychosozialen Modells
von Gesundheit der World Health Organisation (WHO) stellt die ICF die Wechselwirkung
zwischen Gesundheitsproblemen, der Funktionsfähigkeit des Individuums und
Kontextfaktoren in den Vordergrund.
Aufgrund der häufig komplexen Sachverhalte und vielfältigen Zusammenhänge in der
Rehabilitationsforschung sind ihre wissenschaftlichen Vorhaben geprägt durch die
evidenzbasierte Prüfung und innovative (Weiter-)Entwicklung von
Interventionsmaßnahmen und Theoriemodellen [4]. Darüber hinaus sollten in der Planung und Umsetzung von
Forschungsvorhaben rehabilitationswissenschaftliche Spezifika in Bezug auf die
Zielgruppen sowie die Fragestellungen Beachtung finden. Die Zielgruppen sind durch
eine große Heterogenität geprägt und häufig in sensiblen Lebenslagen, weswegen
individualisierte und partizipationsorientierte Ansätze von besonderer Bedeutung
sind, um auch die Subjektperspektive erfassen zu können [16]. Im Hinblick auf die jeweiligen
Fragestellungen sollte die Mehrdimensionalität des Untersuchungsgegenstandes
einbezogen werden, die sich darauf bezieht, dass verschiedene Ebenen und
Perspektiven die individuelle, soziale und institutionelle Bedingungen erfassen
[2].
Mit Bezug auf die Erforschung von expliziten Bedingungen in der
Rehabilitationslandschaft und ihren Akteur:innen sowie den Einbezug subjektiver
Erfahrungen ist für die Rehabilitationsforschung außerdem eine Integration
wissenschaftlichen und praktischen Wissens relevant [17]. Diese Transdisziplinarität bedeutet, dass der Austausch zwischen
Akteur:innen aus Wissenschaft, Praxis und Politik für ein gemeinsames
Erkenntnisinteresse gefördert wird. Zum einen sollen so praktisches und politisches
Erfahrungswissen in die Zielentwicklung, die Durchführung und die
Ergebnisdarstellung von Forschungsvorhaben einbezogen werden und zum anderen sollen
wissenschaftliche Erkenntnisse genutzt werden, um anwendungsorientierte
Handlungsoptionen entwickeln zu können [18].
Qualitätskriterien qualitativer Studien
Qualitätskriterien qualitativer Studien
Wie Stamer et al. [6] bereits für den Bereich
der Versorgungsforschung dargestellt haben, existieren in der Diskussion um
Gütekriterien qualitativer Studien unterschiedliche Bewertungsansätze. Döring und
Bortz [5] sprechen gar von mehr als 100
verschiedenen Kriterienkatalogen. Prominente Beispiele hierfür sind die vier
Kriterien der Glaubwürdigkeit nach Lincoln & Guba [19], das RATS-Schema nach Clark [20] oder die sechs Gütekriterien nach Mayring
[21]. Grundsätzlich enthalten die
unterschiedlichen Methoden und Verfahren qualitativer Forschung jeweils für sich
eigene Bewertungskriterien, die über die Qualität der hierdurch gewonnenen Daten und
Ergebnisse entscheiden. Derartige verfahrensspezifische Kriterien (z. B. in Bezug
auf qualitative Interviews: [22]) sollten bei
der Anwendung der jeweiligen Methoden unbedingt beachtet werden.
In diesem Beitrag vorgestellt und mit konkreten Anwendungsbeispielen aus der Praxis
der nationalen Rehabilitationsforschung veranschaulicht, werden die
Bewertungskriterien von Steinke [23]
[24]. Diese stellen aus Sicht der Autor:innen
geeignete Kriterien für den rehabilitationswissenschaftlichen Kontext dar, da es
sich um methoden- und verfahrensübergreifende Kriterien handelt, die als
grundlegende Kernkriterien im Sinne einer Checkliste genutzt werden können um
qualitative Studien zu planen, umzusetzen, darzustellen und in ihrer Güte
einzuordnen. Sie bieten somit eine Möglichkeit der Nachvollziehbarkeit der Güte in
Bezug auf die Breite der qualitativen Methoden in der Rehabilitationsforschung.
Gleichwohl bedürfen sie der untersuchungs- und gegenstandsbezogenen
Operationalisierung bzw. der von Steinke intendierten Anpassung an die jeweiligen
Untersuchungsspezifika. Aus Sicht der Autor:innen sind die Kriterien nach Steinke
zudem auch für Personen, die noch wenig Berührungspunkte mit qualitativen
Forschungsmethoden hatten, verständlich und nachvollziehbar beschrieben.
Folgende Kernkriterien werden von Steinke formuliert:
1. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit: Geht der Frage nach inwiefern Rezipient:innen
den Forschungsprozess nachvollziehen und bewerten können. Es geht also um die
Transparenz und Explizitheit einer Studie bzw. ihrer Darstellung. Dies kann nach
Steinke auf drei Wegen erfolgen. Erstens durch die adäquate Dokumentation des
Forschungsprozesses (u. a. die Offenlegung von Vorannahmen sowie Erhebungs- und
Analysekontexte). Zweitens durch die Interpretation von Daten(-ausschnitten) in
Gruppe oder drittens mittels kodifizierter Verfahren (z. B. Grounded Theory,
sequenzielle Verfahren). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass
unterschiedliche qualitative Verfahren durchaus unterschiedlich verbindlich
kodifiziert sind und ein qualitatives Verfahren sehr häufig nicht 1:1, sondern
lediglich „in Anlehnung an“ umgesetzt wird. Davon unberührt bleibt jedoch die
Maßgabe der Nachvollziehbarkeit auch eines abgeänderten Verfahrens, indem
Unterschiede im Verglich zum Originalverfahren transparent dargestellt werden
sollten.
2. Indikation des Forschungsprozesses: Hierunter versammeln sich Fragen nach der
(Gegenstands-)Angemessenheit eines qualitativen Vorgehens generell, der
Methodenwahl, methodischer Einzelfallentscheidungen als auch der Samplingstrategie
oder verwendeter Transkriptionsregeln. Die Angemessenheit der Methoden wird dabei
durch das Erkenntnisinteresse in Bezug auf den Gegenstandsbereich begründet. Diese
Begründung sollte transparent und reflektiert erfolgen [4] und ebenfalls die begründete Dokumentation
von etwaigen Veränderungen im Forschungsprozess beinhalten [6].
3. Empirische Verankerung: Behandelt die Frage, inwiefern sich die vorgenommenen
Interpretationen, theoretischen Bezüge und formulierten Erkenntnisse aus und mit den
empirischen Daten begründen lassen. Dies wird gewährleistet u. a. durch die
Anwendung kodifizierter Verfahren, der Verwendung von Textbelegen oder der
kommunikativen Validierung von Interpretationen und Ergebnissen mit den
Studienteilnehmenden (z. B. Interviewpartner:innen).
4. Limitation: Hierdurch sollen unzulässige Verallgemeinerungen der Ergebnisse in
Bezug auf eine Theoriebildung oder -erweiterung, ausgeschlossen sowie die
Bedingungen expliziert werden, unter denen Verallgemeinerungen zulässig sind. Als
konkrete Techniken nennt Steinke die Fallkontrastierung sowie die Suche und Analyse
extremer bzw. abweichender Fälle.
5. Kohärenz: Hierbei handelt es sich um die reflektierte Betrachtung von etwaigen
Widersprüchen, die im Zuge der Ergebnis- bzw. Theoriebildung aufgetreten sind, also
um die Frage, ob die Ergebnisse in sich konsistent sind bzw. ob sich Widersprüche
erklären und in die Theorie einordnen lassen.
6. Relevanz: Geprüft werden sollte neben dem wissenschaftlich-theoretischen vor allem
auch der praktische Nutzen im Sinne eines sinnvollen und ganzheitlichen
Wissenschaft-Praxis-Transfers. Dafür sollte wissenschaftliches und praktisches
Wissen transdisziplinär miteinander verbunden sein, sodass Wissen auf verschiedenen
Ebenen rückgekoppelt, anschlussfähiges Wissen erzeugt und Wissen sowohl auf
wissenschaftlicher als auch auf praktischer Ebene verbreitet wird (z. B.
verständliche und praxisrelevante Informationen und deren Weitergabe).
7. Reflektierte Subjektivität: Mittels dieses Kriteriums soll die Rolle der
Forschenden hinterfragt werden. Dies betrifft sowohl die persönlichen
Voraussetzungen (sozialer und biografischer Hintergrund) als auch die
Selbstreflexion bei Feldzugang, Datenerhebung und -auswertung.
Erwähnt sei an dieser Stelle die Erweiterung der von Steinke benannten Kriterien um
jene der Multiperspektivität und des gerechten Umgangs [10] - Kriterien, die vor den oben dargelegten
Besonderheiten der Rehabilitationsforschung besondere Relevanz für diese besitzen.
Sie rekurrieren auf die Triangulation von Daten, Methoden und Theorien sowie den
fairen Einbezug unterschiedlicher Perspektiven und die Berücksichtigung von
Statusgruppen und Machtverhältnissen, gerade wenn es um die Untersuchung von und mit
vulnerablen Zielgruppen geht. Hinzu kommt überdies die Berücksichtigung von Gender-
und Diversityaspekten, die es mittlerweile grundsätzlich bei der Konzeption und
Durchführung von Studien zu beachten gilt [25].
Darüber hinaus ist es wichtig zu erwähnen, dass der Einbezug von Studienteilnehmenden
(insbesondere über die ausschließliche Beteiligung an der Datenerhebung hinaus)
unter dem Konzept der Partizipation zunehmend als eigenständiges Gütekriterium
angesehen wird [26]. Dies zeigt sich auch
dadurch, dass sich in den letzten Jahren verschiedene Arbeitsgruppen (z. B. AG
Partizipative Versorgungsforschung, Aktionsbündnis Teilhabeforschung) gegründet
haben, die sich explizit den Möglichkeiten des Einbezugs von Studienteilnehmenden
und dem Voranbringen partizipativer Forschungsansätze widmen [16].
Die Veranschaulichung der Kriterien anhand von, aus Sicht der Autor:innen dieses
Beitrages, geeigneten Beispielen aus der Rehabilitationsforschung findet sich in
komprimierter Weise in [Tab. 1] sowie
ausführlich im Online-Suppl. 1.
Tabelle 1 Beispiele aus der Rehabilitationsforschung
(komprimiert).1
Kriterien
|
Beispiel 1
|
Beispiel 2
|
Beispiel 3
|
Beispiel 4
|
Beispiel 5
|
Intersubjektive Nachvollziehbarkeit
|
Bartel 2019
|
Dresch et al. 2020
-
Transparente Darstellung des Forschungsprozesses
-
Detaillierte Darstellung der Methoden
-
Unabhängige Kodierung (zwei Personen) bei
Inhaltsanalyse
|
v. Kardoff et al. 2021
-
Transparente Darstellung des Forschungsprozesses
-
Kodifiziertes Analyseverfahren
-
Dateninterpretation in Gruppen
|
Langbrandtner et al. 2020
|
Quaschning & Körner 2020
|
Indikation des Forschungsprozesses
|
Bartel 2019
|
v. Kardoff et al. 2021
|
Lederle et al. 2017
|
Pohontsch et al. 2011
|
Schwarz et al. 2020
|
Empirische Verankerung
|
Handtke et al. 2020
|
Klemmt et al. 2020
|
Langbrandtner et al. 2020
|
Pohontsch et al. 2011
|
Schwarz 2015
|
Limitation
|
Golla et al. 2021
|
v. Kardoff et al. 2021
|
/
|
/
|
/
|
Kohärenz
|
Kohl et al. 2020
|
Krüger-Wauschkuhn et al. 2011
|
/
|
/
|
/
|
Relevanz
|
Krüger-Wauschkuhn et al. 2011
|
Pohontsch et al. 2011
-
Darlegung des wissenschaftlich-theoretischen Nutzens
-
Darlegung einer Theorie-Praxis-Lücke
-
Ableitung von Handlungsempfehlungen
|
Schwarz 2015
|
/
|
/
|
Reflektierte Subjektivität
|
Schwarz 2015
|
/
|
/
|
/
|
/
|
Multiperspektivität und gerechter Umgang
|
Heide et al. 2023
|
Kleineke et al. 2015
|
Krüger-Wauschkuhn et al. 2011
|
Langbrandtner et al. 2020
|
Schury et al. 2019
|
Partizipative Forschung
|
Baumann et al. 2023
|
Dins et al. 2022
|
Mayer et al. 2021
|
|
|
1 Darstellungen der Kriterien, Literaturangaben und
Kurzzusammenfassungen der Beispielstudien sowie Erläuterungen bzgl. der
Erfüllung der Kriterien finden sich im Online-Suppl. 1: Beispiele aus
der Rehabilitationsforschung (ausführlich)
Da sich qualitative Forschung überwiegend auf Menschen bezieht und diese häufig auch
einbezieht, hängt ihre Güte, unabhängig vom Grad der Beteiligung, immer auch von der
Beachtung ethischer und datenschutzrechtlicher Grundsätze ab. Bereits bei der
Planung qualitativer Studien sollten Forschende sich mit ethischen und
datenschutzrelevanten Fragestellungen befassen und sie in entsprechenden
Datenschutzkonzepten und Ethikanträgen erörtern und darstellen. Verwiesen sei an
dieser Stelle auf wissenschaftsethische Statuten wie die Deklaration von Helsinki,
die Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis oder berufsbezogene Ethikkodizes.
Generell ist es, im Sinne der Qualität und Aussagekraft einer qualitativen
Forschungspraxis, zu empfehlen bereits zu Beginn einer Studie zu entscheiden, auf
welche Kriterien die Güte der Studie fußen soll und diese Entscheidung zu
reflektieren und zu begründen [5]. Im Sinne
der Transparenz von Forschungsvorhaben empfiehlt es sich zudem, bei deren
Veröffentlichung möglichst umfassend auf die zugrunde gelegten Gütekriterien
einzugehen. Eine prominente Orientierung stellen die sog. EQUATOR-Guidelines dar,
welche auch Spezifizierungen bzw. eine eigene Rubrik für qualitative Studien
enthalten
(https://www.equator-network.org/reporting-guidelines-study-design/qualitative-research/).
Eine etablierte Auflistung von Qualitätskriterien qualitativer Studien stellt in
diesem Zusammenhang die sog. COREQ-checklist dar [27], an der sich internationale rehabilitationswissenschaftliche
Publikationen häufig orientieren.
Fazit und Ausblick
Der vorliegende Beitrag benennt zentrale Gütekriterien qualitativer Forschung im
Kontext der Rehabilitationswissenschaften und bietet damit sowohl Forschenden als
auch Rezipient:innen eine wichtige Grundlage und Hilfestellung bei der Planung und
Durchführung qualitativer Studien bzw. bei der Einordnung ihrer Aussagekraft. Dabei
muss jedoch noch einmal konstatiert werden, dass die Diskussion um
Qualitätskriterien in der qualitativen Forschung einen noch nicht abgeschlossenen
Prozess darstellt [28]. Qualitative
Forschungsansätze sind durch Offenheit und Adaptivität geprägt und es stellt sich
folgerichtig die Frage nach der generellen Angemessenheit von einheitlichen bzw.
übergreifend verbindlichen Kriterien. Der Vorschlag von Steinke [24], dem jeweiligen Gegenstandsbereich
anpassbare Kernkriterien zu formulieren, erscheint vor diesem Hintergrund als
gangbarer und sinnvoller Weg. Ungelöst bleibt jedoch auch bei Steinke die Frage nach
dem jeweiligen Erfüllungsgrad, also der Frage welche Bedingungen gegeben sein
müssen, damit ein Gütekriterium als erfüllt angesehen werden kann [4]. Um auch hier eine Orientierung zu geben,
exemplifiziert der vorliegende Beitrag alle Gütekriterien anhand von Beispielen aus
der Rehabilitationsforschung. Zumal es durchaus Hinweise darauf gibt, dass die
Etablierung von Gütekriterien zu einer Steigerung der Qualität von Publikationen
führen kann [29].
Die Erfüllung der Qualitätskriterien liegen nicht ausschließlich in der Hand der
Forschenden und die angemessene Anwendung und Reflexion qualitativer
Forschungsansätze sind geprägt durch vorgegebene Rahmenbedingungen des
Wissenschaftssystems. So machen es (an quantitativen Studien orientierte)
Anforderungen an Fallzahlplanung und Samplebeschreibung im Zuge der Beantragung
qualitativer Forschungsprojekte mitunter schwer Samplingstrategien zu verfolgen, die
iterativ vorgehen, dem Prinzip minimaler und maximaler Fallkontrastierung folgen und
auf das Erreichen theoretischer Sättigung abzielen. Ferner ist es häufig schwierig
Personalkosten in einem Ausmaß finanziert zu bekommen, welches ausreichend wäre, um
die Auswertung qualitativer Daten im Team vornehmen zu können. Die Zeichenbegrenzung
bei Publikationen erschwert außerdem die transparente Darstellung der mitunter
komplexen qualitativen Forschungsprozesse, begrenzt die Möglichkeit Interpretationen
und Ergebnisse durch Zitate zu belegen und gibt kaum Raum für die
Selbstpositionierung der Forschenden. Als ein gelungenes Beispiel sei auf den
Beitrag von v. Kardoff und Kolleg:innen in [Tab.
1] (Beispiel 3 - intersubjektive Nachvollziehbarkeit) verweisen. Dies
zeigte sich sehr deutlich in der Schwierigkeit überhaupt Beispiele für das Kriterium
der reflektierten Subjektivität zu finden (gleiches gilt im Übrigen für weitere
Leerstellen in [Tab. 1] bzw. Online-Suppl.
1). Wobei fraglich ist, ob dies (ausschließlich) am fehlenden Raum liegt
oder auch an einer Forschungs- und Veröffentlichungskultur, die vom Anspruch der
Objektivität und Neutralität geprägt sind. Vor dem Hintergrund der Relevanz der
Analyse zwischenmenschlicher Interaktionen und des Verhältnisses von Individuum und
Umwelt aus subjektorientierter Perspektive für die Rehabilitationsforschung drängt
es sich außerdem auf, dass der umfassende Einbezug von Studienteilnehmenden, wie
Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen und/oder
Rehabilitand:innen, aus struktureller Perspektive gewährleistet werden sollte.
Hierzu werden neben finanziellen Ressourcen auch zeitliche Ressourcen
(beispielsweise in Bezug auf eine gemeinsame Antragsstellung) benötigt.
Ein Nachjustieren dieser Rahmenbedingungen würde einen wichtigen Beitrag zur
Qualitätssicherung qualitativer Rehabilitationsforschung leisten. Ferner sollten
sich qualitativ Forschende auch verstärkt zutrauen von eingefahrenen (weil
eingeübten) Methodenwegen (wie der Durchführung von Interviews und Fokusgruppen und
deren Auswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse oder Grounded Theory)
abzuweichen - so Fragestellung und Erkenntnisziel es erlauben oder gar
erfordern.
Hinsichtlich des Qualitätskriteriums Relevanz und hier besonders des Praxisnutzens,
bietet die Rehabilitationsforschung als angewandte Wissenschaft (eigentlich) beste
Voraussetzungen den Forschungs-Praxis-Transfer in beide Richtungen zu leben. Dennoch
bleiben Rehabilitationspraxis und -forschung noch viel zu häufig getrennte Welten.
Hier sollte die Kommunikation und Zusammenarbeit künftig durch geeignete Formate
(Praxis meets Forschung - Forschung meets Praxis) weiter gestärkt werden, sodass
sowohl Praxis als auch Forschung profitieren könnten. An dieser Stelle sollte
außerdem beachtet werden, dass durch das Bemühen um Transdisziplinarität
Herausforderungen in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteur:innen mit
unterschiedlichen fachlichen Hintergründen und möglicherweise divergierenden
Perspektiven entstehen können. Eine generelle Offenheit gegenüber anderen
Perspektiven könnte hilfreich sein, um derartige Herausforderungen zu
überwinden.
Durch Informationen zu qualitativer Forschung (in Vorträgen, Seminaren, Artikeln wie
diesen) und gut konzipierten qualitativen Studien sollte künftig ferner daran
gearbeitet werden auch die letzten Zweifel am generellen Wert qualitativer Forschung
auszuräumen. Unwissen oder Vorbehalte dürfen nicht mehr zu Ablehnungen - sei es von
Anträgen, sei es von Publikationen - führen. Gut durchgeführte qualitative
rehabilitationswissenschaftliche Studien leisten einen wichtigen Beitrag - sowohl in
erkenntnistheoretischer Sicht als auch für die praktische Weiterentwicklung der
rehabilitativen Versorgung - und gehören zusammen mit quantitativ angelegten Studien
zu einer modernen Rehabilitationsforschung.
Limitationen
Dieser Beitrag bezieht sich auf die nationale Rehabilitationsforschung, international
existieren durchaus andere Traditionen, Methoden oder Ansätze, die ggf. zu anderen
Kriterien führen würden. Zudem versucht der Beitrag die Breite an disziplinären
Zugängen und Forschungsthemen sowie deren Spezifika (u. a. in der Auswahl der
Beispielstudien) zu berücksichtigen. Dem breiten Feld der
Rehabilitationswissenschaften in allen Aspekten gerecht zu werden, kann dieser
Beitrag jedoch nicht leisten, weshalb sowohl bei den vorgestellten Kriterien als
auch hinsichtlich der Beispiele aus der rehabilitationswissenschaftlichen
Forschungspraxis kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Besonders die Auswahl
der Beispielstudien ist der individuellen Selektivität der Autor:innen
zuzurechnen.
Kernbotschaft
Qualitative methodische Ansätze spielen für die Rehabilitationswissenschaften,
aufgrund immanenter Spezifika, eine wichtige Rolle. Um die Qualität und damit die
Aussagekraft von qualitativen Studien gewährleisten zu können, bedarf es anwendbarer
Gütekriterien. Aufgrund der Heterogenität der Ansätze, Vorgehensweisen und
methodologischen Hintergründe im qualitativen Bereich, ist die Formulierung von
universal gültigen bzw. unmittelbar übertragbaren Gütekriterien problematisch. Die
in diesem Beitrag am Beispiel der Rehabilitationsforschung vorgestellten
Kernkriterien können, angepasst an das jeweilige Forschungsvorhaben und verknüpft
mit jeweils methodenspezifischen weiteren Qualitätskriterien, als eine Annäherung im
Sinne der Breite der qualitativen Methoden in der Rehabilitationsforschung angesehen
werden.