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DOI: 10.1055/s-0028-1104649
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Diabetes mellitus - Welche Rolle spielt die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems in der Behandlung der diabetischen Retinopathie?
Korrespondenz
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage
Institut für Klinische Pharmakologie
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
Technische Universität Dresden
Fiedlerstraße 27
01307 Dresden
eMail: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
01. Dezember 2008 (online)
- Behandlungsansätze
- Das DIRECT-Studienprogramm
- Kommentar - Neue Erkenntnis aus den Daten des DIRECT-Studienprogramms
- Literatur
Erblindung ist eine von Patienten mit Diabetes mellitus gefürchtete Spätkomplikation. Die nicht-proliferative diabetische Retinopathie ist - bei Typ-2-Diabetes - häufig schon bei Diagnosestellung des Diabetes zu finden und deren Progression macht im Krankheitsverlauf oft eine retinale Laserkoagulation notwendig. Systemische Therapieansätze wie die Senkung des Blutzuckers und des Blutdrucks können die Progression und die Spätkomplikationen vermindern und sind besonders dann erfolgreich, wenn sie früh im Krankheitsverlauf einsetzen. In den letzten Jahren mehren sich Hinweise, dass die Inzidenz und Progression in besonderer Weise abhängig ist von der retinalen Expression von Angiotensin-II-Rezeptoren sowie von der Höhe der retinalen Angiotensin-II-Spiegel. Da die Datenlage bis vor kurzem nicht ausreichend war für die Empfehlung einer Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems (RAS), wurde eine Studie durchgeführt, um die Bedeutung einer AT1-Rezeptorblockade für die Inzidenz und Progression der diabetischen Retinopathie zu klären. Im DIRECT (DIabetic Retinopathy Candesartan Trials) Studienprogramm wurde mithilfe des AT1-Rezeptorblockers Candesartan geklärt, welchen Einfluss dieses Vorgehen auf die diabetische Retinopathie hat.
#Behandlungsansätze
Die Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) empfehlen bei Vorliegen einer diabetischen Retinopathie die Normalisierung des Blutdrucks (RR), die normnahe Einstellung des Blutzuckers und den stadiengerechten Einsatz ophthalmologischer Therapieoptionen [1] (Tab. [1]). Die Bedeutung einer RAS-Blockade wird seit 1990 in verschiedenen klinischen Studien untersucht. Insbesondere für den Typ-1-Diabetes liegen eine Reihe von kleineren Studien vor, deren bedeutsamste die EUCLID-Studie ist (EURODIAB Controlled Trial of Lisinopril in Insulin-Dependent Diabetes mellitus) [2]. Die diabetische Retinopathie war hier jedoch sekundärer Zielparameter, sodass erst in einer Metaanalyse die Wirkung der RAS-Blockade in dieser Indikation verifiziert werden konnte. Eine aktuelle Studie illustriert eindrücklich, wie sich verschiedene Therapieprinzipien ergänzen, um mikro- und makrovaskuläre Komplikationen des Typ-2-Diabetes mellitus zu vermindern: Die Steno-2 Studie [3] untersuchte die Wirkung einer multifaktoriellen Therapie mit einer Senkung des Blutzuckers, des erhöhten Blutdrucks und der Lipide sowie mit einer RAS-Blockade und konnte (neben einer Reduktion weiterer mikro- und makrovaskulärer Ereignisse) den Endpunkt diabetische Retinopathie um relative 55 % reduzieren. Der Effekt wurde schon nach 3,8 Jahren Studiendauer deutlich und war auch nach einer mittleren Nachbeobachtung von 13,3 Jahren noch nachweisbar.


Tab. 1 Empfehlungen der DDG zur Prävention/Behandlung der diabetischen Retinopathie
Das DIRECT-Studienprogramm
Im DIRECT-Studienprogramm [4], [5], [6] wurde der AT1-Rezeptorblocker Candesartan in einer Dosierung von bis zu 32 mg eingesetzt, nicht um den Blutdruck zu senken (die mittlere Senkung bei normotensiven Patienten lag zwischen 2-3 mmHg), sondern um eine maximale Blockade des retinalen RAS zu gewährleisten. Dabei ging es um die Primärprävention der diabetischen Retinopathie (bei Typ-1-Diabetes) als auch um die Progressionshemmung (bei Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes).
In der DIRECT-Prevent-1-Studie wurden 1 421 Patienten mit Typ-1-Diabetes ohne vorbestehende diabetische Retinopathie untersucht. Diese waren im Mittel 30 Jahre alt und hatten seit 7 Jahren einen Diabetes. Der HbA1c lag zu Studienbeginn bei etwa 8 %, der Blutdruck bei 116/72 mmHg. Dabei wurde der Retinopathie-Grad mithilfe der elfstufigen Skala der Early Treatment of Diabetic Retinopathy Study (ETDRS) bestimmt. Der kleinste Wert auf dieser Skala ist 10/10 (keine Retinopathie in beiden Augen), ein hoher Wert ist 53/53 (schwere nicht-proliferative diabetische Retinopathie). Unter der Verwendung der 2-Schritt-Progression (≥ 2 Schritte) auf der ETDRS-Skala zeigte sich ein deutlicher Trend zugunsten von Candesartan (-18 %; p=0,0508). Zog man eine Veränderung um mindestens 3 Schritte als Kriterium heran, zeigte sich eine signifikante Reduktion der Inzidenz um 35 % (p=0,003). Insgesamt wurde eine Inzidenzreduktion erreicht, die mit einem p-Wert von 0,005 deutlich zugunsten der Candesartantherapie ausfiel. In der DIRECT-Protect-1-Studie wurden Typ-1-Diabetiker behandelt, die bereits zu Beginn eine diabetische Retinopathie aufwiesen. 49 % der Patienten hatten ausschließlich Mikroaneurysmen. Sowohl für die Progression als auch die Regression von ≥ 3 Schritten zeigten sich nur nominale Veränderungen. Kleinere Veränderungen (Minderung der Progression, Verstärkung der Progression) waren jedoch besonders häufig, sodass es insgesamt zu einer signifikanten Verschiebung der ETDRS-Werte zugunsten von Candesartan kam (p = 0,03).
Die Frage nach der Bedeutung einer RAS-Blockade für Patienten mit Typ-2- Diabetes wurde anhand von 1 905 Patienten in der DIRECT-Protect-2-Studie untersucht, die im Mittel seit 9 Jahren diabetisch waren und entweder einen normalen Blutdruck aufwiesen oder antihypertensiv vorbehandelt einen Blutdruck unter 160/90 mmHg erreichten. Der HbA1c-Wert lag zu Studienbeginn im Mittel bei 8,2 %. 29 % der Patienten hatten zu Beginn im schlechteren Auge ausschließlich Mikroaneurysmen (ETDRS 20), bei 54 % lag eine milde nicht-proliferative diabetische Retinopathie vor (ETDRS 35), 17 % hatten eine moderate nicht-proliferative diabetische Retinopathie (ETDRS 43-47). Nach einer medianen Nachbeobachtung von 4,7 Jahren hatte sich die Retinopathie bei den Patienten unter 32 mg Candesartan stärker verbessert als unter Placebo (p = 0,003). Der primäre Endpunkt Progression (definiert als ≥ 3 Schritte auf der ETDRS- Skala) wurde um 13 % gesenkt, das Ergebnis war allerdings mit einem p-Wert von 0,2 nicht ausreichend abgesichert. Dagegen hatten unter Candesartan mehr Patienten eine Regression um mindestens 3 Schritte auf der ETDRS-Skala (+34 % im Vergleich zu Placebo, p = 0,009) (Abb. [1]).


Abb. 1 Diabetische Retinopathie mit Mikroaneurysmen


Abb. 1 DIRECT-Protect 2: Retinopathie-Regression (≥ 3 Schritte)
Kommentar - Neue Erkenntnis aus den Daten des DIRECT-Studienprogramms
Die diabetische Retinopathie ist eine von Patienten gefürchtete Erkrankung, die man nur durch eine langfristige konsequente Einstellung von Blutzucker und Blutdruck beeinflussen kann. Die Daten des DIRECT-Studienprogramms erweitern die Evidenz in dieser Indikation um die Erkenntnis, dass zum einen die Blutdruckeinstellung idealerweise mit einem AT1-Rezeptorblocker vorgenommen werden sollte (in DIRECT wurden bis zu 32 mg Candesartan eingesetzt) und zum anderen auch Patienten mit "normalen" oder "normnahen" Blutdruckwerten vom Einsatz von Candesartan profitieren. Ursache dafür ist vermutlich die spezifische Blockade des retinalen RAS, das erst mit höheren Dosierungen blockiert werden kann. Unter Candesartan traten im Retinopathie-Grad insgesamt häufiger Verbesserungen und seltener Verschlechterungen auf als unter Placebo.
Für die Praxis kommen damit zwei Patientengruppen für eine Therapie mit Cande- sartan in Betracht:
-
Typ-2-Diabetiker mit erhöhten Blutdruckwerten und ersten Zeichen einer diabetischen Retinopathie. Diese Patienten brauchen ohnehin eine gut verträgliche antihypertensive Medikation mit metabolischer Neutralität. Hier kommt nun der günstige Einfluss auf die diabetische Retinopathie als wichtiges Auswahlkriterium für das Antihypertensivum hinzu. DIRECT bestärkt damit den Einsatz von Candesartan beim hypertensiven Diabetiker.
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Typ-1-Diabetiker ohne Retinopathie, aber mit schlechter Diabetes-Einstellung. Gerade im Hinblick auf den chronischen Krankheitsverlauf bei diesen Patienten kann die Candesartan-Therapie eine effektive Ergänzung in der Prävention der diabetischen Retinopathie darstellen.


Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage
Literatur
- 01 Hammes HP . Lemmen KD . Diabetische Retinopathie und Makulopathie. Diabetologie. 2008; 3 147-150
- 02 Chaturvedi N . Sjoelie AK . Stephenson JM . et al . Effect of lisinopril on progression of retinopathy in normotensive people with type 1 diabetes. The EUCLID Study Group. EURODIAB Controlled Trial of Lisinopril in Insulin-Dependent Diabetes Mellitus. Lancet. 1998; 351 28-31
- 03 Gaede P . Lund-Andersen H . Parving HH . Pederson O . Effect of a multifactorial intervention on mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med. 2008; 358 580-591
-
04 Chaturvedi N . Porta M . Klein R . et al . Effect of candesartan on prevention (DIRECT-Prevent 1) and progression (DIRECT-Protect 1) of retinopathy in type 1 diabetes: randomised, placebo-controlled trials. Lancet 2008: online September 26th
.
- 05 Chaturvedi N . Sjoelie AK . Svensson A . The DIabetic Retinopathy Candesartan Trials (DIRECT) Programme, rationale and study design. J Renin Angiotensin Aldosterone Syst. 2002; 3 255-261
-
06 Sjoelie AK . Klein R . Porta M . et al . Effect of candesartan on progression and regression of retinopathy in type 2 diabetes (DIRECT-Protect-2): a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2008: online September 26th
.
Korrespondenz
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage
Institut für Klinische Pharmakologie
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
Technische Universität Dresden
Fiedlerstraße 27
01307 Dresden
eMail: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de
Literatur
- 01 Hammes HP . Lemmen KD . Diabetische Retinopathie und Makulopathie. Diabetologie. 2008; 3 147-150
- 02 Chaturvedi N . Sjoelie AK . Stephenson JM . et al . Effect of lisinopril on progression of retinopathy in normotensive people with type 1 diabetes. The EUCLID Study Group. EURODIAB Controlled Trial of Lisinopril in Insulin-Dependent Diabetes Mellitus. Lancet. 1998; 351 28-31
- 03 Gaede P . Lund-Andersen H . Parving HH . Pederson O . Effect of a multifactorial intervention on mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med. 2008; 358 580-591
-
04 Chaturvedi N . Porta M . Klein R . et al . Effect of candesartan on prevention (DIRECT-Prevent 1) and progression (DIRECT-Protect 1) of retinopathy in type 1 diabetes: randomised, placebo-controlled trials. Lancet 2008: online September 26th
.
- 05 Chaturvedi N . Sjoelie AK . Svensson A . The DIabetic Retinopathy Candesartan Trials (DIRECT) Programme, rationale and study design. J Renin Angiotensin Aldosterone Syst. 2002; 3 255-261
-
06 Sjoelie AK . Klein R . Porta M . et al . Effect of candesartan on progression and regression of retinopathy in type 2 diabetes (DIRECT-Protect-2): a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2008: online September 26th
.
Korrespondenz
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage
Institut für Klinische Pharmakologie
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
Technische Universität Dresden
Fiedlerstraße 27
01307 Dresden
eMail: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de


Tab. 1 Empfehlungen der DDG zur Prävention/Behandlung der diabetischen Retinopathie


Abb. 1 Diabetische Retinopathie mit Mikroaneurysmen


Abb. 1 DIRECT-Protect 2: Retinopathie-Regression (≥ 3 Schritte)


Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage