Diabetologie und Stoffwechsel 2009; 4(4): 223-225
DOI: 10.1055/s-0029-1224522
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Bedeutung von Ernährung und genetischen Faktoren bei der Entstehung von Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes mellitus

Nutrition and Genetics in the Development of Insulin Resistance and Type 2 Diabetes mellitusJ. Spranger1
  • 1Charité Universitätsmedizin Berlin, Abt. für Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin, Berlin
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Publication Date:
29 July 2009 (online)

In den letzten Jahrzehnten zeigte sich weltweit eine steigende Inzidenz von Adipositas und Typ-2-Diabetes mellitus. Insbesondere in Entwicklungsländern kommt es zu einer dramatischen Zunahme der Diabetesprävalenz, wobei aber auch in industrialisierten Ländern die Häufigkeit deutlich ansteigt.

Grundsätzlich ist in vielen Studien gezeigt worden, dass es einen genetischen Einfluss auf die Entstehung des Diabetes mellitus gibt. Beispielsweise konnte in Zwillingsstudien gezeigt werden, dass die genetischen Faktoren ­einen erheblichen Teil der Krankheitsentstehung erklären können. Die Konkordanz eines Diabetes mellitus bei mono­zygoten Zwillingen ist sehr hoch. Konkret heißt das, wenn der eine Zwilling einen Diabetes mellitus entwickelt hat, ist das Risiko, dass der Part­nerzwilling ebenfalls einen Diabetes entwickelt, etwa 70 %. Die letzten drei Jahre haben eine ­erfreuliche und sprunghafte Entwicklung bei den wis­sen­schaft­lichen Erkenntnissen der genetischen Ursachen des Diabetes mellitus gezeigt, obwohl die Analyse dieser Zusammenhänge durch verschiedene Faktoren erschwert wird. Insbesondere ist Diabetes mellitus Typ 2 eine heterogene Erkrankung, die ausschließlich biochemisch durch einen erhöhten Blutzucker charakterisiert wird. Innerhalb der Gruppe des Diabetes mellitus Typ 2 finden sich phänotypisch völlig unterschiedliche Krankheitsbilder. So gibt es schlanke wie auch übergewich­tige Patienten, die einen Diabe­tes mellitus Typ 2 entwickeln. Es gibt Patienten, bei denen eine langjährige Insulinresistenz ganz im Vordergrund steht, während bei anderen Patienten das Versagen der Insulinsekretion führt. Klinisch kann man Patienten unterscheiden, die vor allem eine hohe Nüchternglukose in Folge einer gesteigerten endogenen Glukoseproduktion haben, während andere Patienten vor ­allem postprandiale Hyperglykämien zeigen. Diese spezifischen Phänotypen haben zumindest in Teilen einen Einfluss auf die Therapieentscheidungen, vor allem wäre es aber sicherlich unrealistisch davon auszugehen, dass die Krankheitsbilder mit so unterschiedlicher Phänotypik ätiologisch auf ein gleiches pathogenetisches Korrelat zurückzuführen sind. Damit macht die Hetero­genität des Diabetes mellitus Typ 2 die Unter­suchung der pathophysiologischen Zusammenhänge ausgesprochen komplex. Dies zeigt sich auch in der Heterogenität des genetischen Hintergrundes, was die Identifizierung von Genen, die an einer Entstehung dieser komplexen Erkrankung beteiligt sind, schwierig macht.

In den letzten drei Jahren konnten trotzdem in großen Studien durch genomweite Analysen bis zu 20 neue Gene identifiziert werden, die mit Typ-2-Diabetes assoziiert sind [1]. Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Gene in internationalen Konsortien in einer großen Zahl an Probanden bestätigt werden konnten. Im Gegensatz zu vielen früheren Studien kann man zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass die im Rahmen der genomweiten Studien beschriebenen Assoziationen valide und reproduzierbar sind. Dies ist ein wesentlicher Fortschritt gerade gegenüber früheren Assoziationsstudien, die in fast allen Fällen und, bemerkenswert genug, unabhängig von der Qualität des publizierenden Journals nicht replizierbar waren. Die bislang identifizierten Gene müssen nun hinsichtlich ihrer Funktionalität weiter untersucht werden, die gezeigten Assoziationen bedeuten keine kausalen Zusammenhänge. Es wird jetzt zu zeigen sein, welche Funktion und Bedeutung die neu identifizierten Gene tatsächlich haben. Grundsätzlich zeigen die vorliegenden genomweiten Studien, dass durch gemeinsame, große internationale Konsortien mit zum Teil weit über 200 Partnern aus aller Welt wertvolle neue Informationen generiert werden konnten, die niemand alleine und ohne Partner hätte realisieren können. Es ist bedenkenswert und erfreulich, dass die Wissenschaft die Vorteile einer globalisierten Welt nutzt und zeigen kann, dass durch internationale Zusammenarbeit herausragende Erfolge möglich sind.

Trotz dieser Fortschritte ist es bislang mit genetischen Markern nicht möglich, die Entstehung eines Diabetes mellitus mit ausreichender Sensitivität / Spezifität vorherzusagen oder auch nur Patienten zu identifizieren, die einen bislang unbekannten Diabetes haben [2]. Dies ist in einem gewissen Widerspruch zur hohen Konkordanz des Diabetes bei monozygoten Zwillingen, die ja einen erheblichen genetischen Einfluss nahelegt. Wenn man diese Daten zugrunde legt, muss man davon ausgehen, dass ein großer Teil der relevanten Gene im Hinblick auf Diabetes mellitus Typ 2 noch nicht identifiziert wurden. In diesem Kontext ist zu bedenken, dass die augenblicklich ansteigende Inzidenz des Diabetes mellitus sicherlich nicht auf die Veränderung des genetischen Hintergrundes zurück zu führen sind, was die Bedeutung von Umweltfaktoren eindrücklich aufzeigt. Hier ist an erster ­Stelle natürlich eine dauerhaft verfügbare hyperkalorische Ernährung wie auch eine mangelnde körperliche Aktivität zu nennen. Die Bedeutung dieser Faktoren ist in vielen Studien aufgezeigt worden. In der Tat ist durch die Verwendung von Umweltfaktoren, im Gegensatz zu genetischen Markern, eine relativ gute Vorhersage des Diabetes mellitus möglich. So sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von Risikofragebögen entwickelt worden, die sowohl eine Vorhersage eines künftigen Diabetes mellitus, aber auch die Identifizierung von Patienten mit bislang unbekanntem aber bestehendem Diabetes ermög­lichen sollen. Die wesentlichen Faktoren, die hierbei eingehen, sind Alter, Körperkomposition und Hypertonie. In einem deutschen Fragebogen wurden zusätzlich Ernährungsfaktoren und Lebensstilfaktoren, wie körperliche Aktivität als Prädiktoren für einen künftigen Diabe­tes mellitus identifiziert [3]. Die Bedeutung der Umweltfaktoren liefert neben der Heterogenität des Diabe­tes mellitus Typ 2 eine weitere Ursache, warum die bislang identifizierten Gene sicher­lich nicht die einzigen, möglicher­weise noch nicht mal die bedeutsamsten genetischen Faktoren bei der Entstehung des T2DM darstellen. Man muss davon aus­gehen, dass Umweltfaktoren mit dem bestehenden genetischen Hintergrund interagieren ([Abb. 1]). Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise bei übergewichtigen Menschen andere genetische Faktoren eine Bedeutung im Hinblick auf die Diabetesentstehung haben, als dies z. B. bei schlanken Menschen der Fall ist. Im Extremfall kann ein bestimmtes Ernährungsmuster bei dem einen genetischen Hintergrund das Diabetesrisiko steigern, während dieselbe Ernährung bei einem anderen genetischen Make-up das Diabetesrisiko senken könnte. Diese Interaktion zwischen Umwelt und Genetik limitiert die bislang vorliegenden genomweiten Assoziationsstudien. Diese haben Lebensstilfaktoren überhaupt nicht in ihre Analysen eingeschlossen. Sicherlich ist dies im Hinblick auf spezifische Faktoren, wie z. B. Ernährung auch schwierig. Hier liegen keine validen Instrumente vor, um z. B. die Qualität oder auch die Quantität der Ernährung sicher und reproduzierbar zu erfassen. Umgekehrt sind aber auch Faktoren wie z. B. Adipositas, ­Geschlecht und Alter noch unzureichend berücksichtigt worden, obwohl diese mit hinreichender Genauigkeit zu erfassen sind. Es ist zu erwarten, dass die Berücksichtigung dieser Faktoren und die Analyse der Interaktion solcher Faktoren mit dem genetischen Hintergrund nochmals einen wesentlichen Mehrwert darstellen werden und zur Identifizierung von weiteren Genen führen werden, die an der Entstehung des Diabetes mellitus beteiligt sind. Auch hier wird allerdings erforderlich sein, die Studien in der notwendigen Größe und mit der entsprechenden Zahl an Replikationsstudien durchzuführen. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass erneut viel Geld in die Ana­lyse einzelner Studien inves­tiert wird und die Ergebnisse, wie bei den vielen vorliegenden Genetikstudien, nicht reproduziert werden können.

Abb. 1 Interaktion von Umweltfaktoren und Genetik bei der Entstehung des Diabetes mellitus Typ 2.

Von Seiten der Umweltfaktoren ist eine Vielzahl an Einflussparametern bekannt, die Analyse dieser im Hinblick auf die Diabe­tes­entstehung hat sicherlich eine herausragende Bedeutung im Hinblick auf künftige wissenschaftliche Zielsetzungen. Da es sich um potenziell modifizierbare Parameter handelt, sind diese auch präventiven Maßnahmen zugänglich. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Ernährungsfaktoren und Entstehung der Insulin­resistenz bzw. Diabetes mellitus muss in künftigen Stu­dien besser verstanden werden. Grundsätzlich wird derzeit ­davon ausgegangen, dass Makro- und Mikronutrienten mit spezifischen Signalstrukturen im Organismus interagieren und auf diesem Wege die hormonelle Homöostase beeinflussen. Bei diesem Prozess spielen metabolische Faktoren selbst, wie zum Beispiel die Konzentration und Qualität von freien Fettsäuren eine wesentliche Rolle. Diese metabolischen Faktoren interagieren auf unterschiedlichen Wegen mit den endokrinen Regelkreisen, die letztlich für Energiehomöostase aber auch Glukosemetabolismus im Organismus zuständig sind. Vermutlich werden auch sehr basale physiologische Prozesse durch Ernährungsfaktoren und davon abhängige metabolische Regulatoren modifiziert. ­Beispielsweise konnte in der jüngeren Vergangenheit gezeigt werden, dass das Hormon FGF21 für die Regulation des Nüchternmetabolismus mit verantwortlich ist. FGF21 induziert im Nüchternzustand eine verstärkte Lipolyse, was für die Bereitstellung von Energiesubstraten aus dem Fettgewebe essenziell ist. Es bestanden Hinweise, dass nukleäre Faktoren, wie z. B. PPAR-alpha an der Regulation des Leberhormons FGF21 beteiligt sind. Nun konnte gezeigt werden, dass Fettsäuren selbst FGF21 differenziell regulieren, abhängig vom Grad der Sättigung der jewei­ligen Fettsäuren. Dieser Prozess scheint in der Tat von einer PPAR-alpha-Aktivierung abhängig zu sein [4]. Wird PPAR-alpha ausgeschaltet, führen Fettsäuren nicht mehr zu einer vermehrten Expression und Sekretion von FGF21. Damit wird eine Verbindung zwischen Ernährungsfaktoren, in diesem Fall gesättigte und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, und der Regulation der hormonellen Homöostase im Nüchternzustand aufgezeigt. Die Daten zeigen grundsätzlich, dass Ernährungsfaktoren differen­ziell mit spezifischen Signalwegen, wie z. B. nukleären Faktoren und den nachgeschalteten hormonellen Regelkreisen verbunden sind und auf diesem Wege Energiebalance und Glukosemetabolismus regulieren. Studien zur Interaktion von Ernährung und Organismus können sich erfolgreich, wie hier, aber auch in vielen anderen Studien geschehen, auf spezifische Zielmoleküle fokussieren. Allerdings stehen mittlerweile auf den verschiedenen Analyse-Ebenen (Metaboliten, mRNA, miRNA, Protein) zunehmend präzise, reliable und unvoreingenommene Analyseverfahren zur Verfügung. Dieser technologische Fortschritt erlaubt, vergleichbar zu den genomweiten genetischen Assoziationsstudien, die Identifizierung von funktionell relevanten Molekülen, die sich in einer A-priori-Hypothese nicht aufgedrängt hätten. Damit können komplett neue molekulare Zielstrukturen im Kontext von Insulinresistenz und Diabetes identifiziert werden, die dann ebenfalls potenzielle therapeutische Zielstrukturen darstellen. Auch aus diesem Grund sind weitergehende Studien dringend erforderlich, die die Wirkmechanismen aufzuklären, wie Umweltfaktoren (z. B. Ernährung) und Gesundheit / Krankheit zusammenhängen.

Zusammengefasst konnten in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte im Hinblick auf das Verständnis der Entstehung des Diabetes mellitus, wie auch der Insulinresistenz, gemacht werden. Zum einen konnten Mechanismen aufgezeigt werden, wie Ernährungsfaktoren mit den hormonellen Regelkreisen interagieren und auf diesem Wege sowohl Energiebilanz wie Glu­kosemetabolismus beeinflussen. Weiterhin konnten in großen genomweiten Assoziationsstudien bis zu 20 neue Gene identifiziert werden, die an der Entstehung des Diabetes mellitus beteiligt sind.

Künftige Arbeiten müssen zeigen, inwieweit diese Gene funktionell relevant sind bei der Regulation des Glukosemetabolismus. Ebenso wichtig wird es aber sein die Interaktion von Lebensstilfaktoren wie z. B. Ernährung aber auch körperliche Aktivität mit genetischen Faktoren bei der Entstehung des Diabetes zu berücksichtigen. Zuletzt ist zu erwarten, dass unvoreingenommene Analyseverfahren künftig vergleichbar zu genomweiten genetischen Analysen vollständig neue molekulare Zielstrukturen identifizieren können, die an der Pathogenese des Diabetes mellitus Typ 2 beteiligt sind.

Abb. 2 Nahrungsfaktoren modifizieren die Expression und Sekretion von Hormonen, die die Energiebilanz und Glukosemetabolismus regulieren. Beispielhaft wird FGF21 durch gesättigte und ungesättigte Fettsäuren differenziell reguliert, dieser Mechanismus hängt ab vom nukleären Faktor PPAR-alpha.

Literatur

  • 1 Zeggini E, Scott L J, Saxena R et al. Meta-analysis of genome-wide association data and large-scale replication identifies additional sus­cep­tibility loci for type 2 diabetes.  Nat Genet. 2008;  40 638-645
  • 2 Lin X, Song K, Lim N et al. Risk prediction of prevalent diabetes in a Swiss population using a weighted genetic score – the CoLaus Study.  Diabetologia. 2009;  52 600-608
  • 3 Schulze M B, Hoffmann K, Boeing H et al. An accurate risk score based on anthropometric, dietary, and lifestyle factors to predict the development of type 2 diabetes.  Diabetes Care. 2007;  30 510-515
  • 4 Mai K, Andres J, Biedasek K et al. Free fatty acids link metabolism and regulation of the insulin-sensitizing Fibroblast Growth Factor-21.  Diabetes. 2009; 

Prof. Dr. med. J. Spranger

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