Epidemiologie
Aufgrund seiner anatomischen Gegebenheiten wie der Einbettung in eine kräftige
Muskulatur und der Mobilität der angrenzenden Gelenke sind Frakturen des
Schulterblatts eher selten. Die Literatur gibt die Häufigkeit mit 0,4–1 % aller
Frakturen und 3–5 % aller Frakturen des Schultergürtels an. Das durchschnittliche
Alter von Patienten mit Skapulafrakturen liegt je nach Studie zwischen 25 und 42
Jahren, die Mehrheit der Patienten ist männlich. Grund hierfür ist große Gewalt, die
für den Bruch des Schulterblatts erforderlich ist, sodass es sich in der Mehrzahl
der Fälle um Hochrasanztraumen handelt. So sind meist direkte, stumpfe Traumen
verantwortlich für Frakturen des Schulterblatts, während indirekte Gewalt über den
Arm zu Frakturen des Skapulahalses, des Glenoids oder der Fortsätze führt. Bei
maximaler Gewalt über den Arm kann es zu einer skapulothorakalen Dissoziation
kommen, was einer Amputation des Armes mit Abriss der neurovaskulären Strukturen
entspricht.
Ursächlich sind in ungefähr der Hälfte der Fälle Verkehrsunfälle mit dem PKW, es
folgen Motorradunfälle (25 %) und Unfälle mit dem Fahrrad, als Fußgänger und
Sportunfälle. Hierbei stellen Frakturen der Skapula einen sicheren Indikator für ein
stattgehabtes Hochrasanztrauma dar, das weitere Verletzungen wahrscheinlich macht.
Schon Ambroise Paré stellte 1579 fest, dass „Verletzungsmuster, die den Skapulahals
betrafen, fast immer tödlich verlaufen“. In 90 % der Skapulafrakturen liegen
relevante Begleitverletzungen vor, hiervon betreffen 80 % den Thorax, 50 % die
gleichseitige Extremität, in 48 % Kopfverletzungen und in 26 % Verletzungen der
Wirbelsäule. Im eigenen Patientengut wiesen 40 % der Patienten mit
Schulterblattfrakturen eine Polytraumatisierung (ISS > 16) auf, eine
Monoverletzung lag nur bei 10–15 % der Verletzten vor. Dies erklärt, warum die
lebensbedrohlichen Hauptverletzungen meist im Vordergrund der Behandlung stehen und
die begleitende Skapulafraktur häufig übersehen oder therapeutisch vernachlässigt
wird [1], [2].
Skapulafrakturen sind immer ein Indikator für eine massive Gewalteinwirkung auf
den Körper und in 90 % mit oft schweren Begleitverletzungen verbunden.
Anatomie
Um die Komplexität von Skapulafrakturen zu verstehen, sind Kenntnisse der speziellen
Anatomie erforderlich. Insbesondere zur Indikationsstellung, zur operativen Planung
und zur adäquaten Therapie sind sie unerlässlich. Neben der knöchernen Form des
Schulterblatts mit Glenoid, den Fortsätzen Akromion, Korakoid und der Spina scapulae
mit den Muskelansätzen spielt die Nähe zu neurovaskulären Strukturen wie dem Plexus
brachialis, dem N. suprascapularis und der A. axillaris eine große Rolle. Für die
operativen Zugänge sind die Muskelansätze, die Muskellücken und die
muskulotendinösen Verläufe von großer Bedeutung. Zur Beurteilung der Stabilität des
Schulterkomplexes bei zusätzlichen ipsilateralen Verletzungen wie z. B.
Klavikulafrakturen oder Akromioklavikulargelenksverletzungen wurde 1993 von Goss et
al. der Begriff des „Superior Suspensory Shoulder Complex“ (SSSC) geprägt [3]. Dieser beschreibt den Schulterkomplex als eine aus 2
Pfeilern (oberer Pfeiler: Schlüsselbein, unterer Pfeiler: Spina scapulae und
Skapulablatt) und einem aus Knochen und Bandstrukturen bestehenden Ring (laterale
Klavikula, akromioklavikulare Bänder, Akromion, korakoklavikulare Bänder, Korakoid)
und ist in [Abb. 1] dargestellt. Bei Verletzung von 2
oder mehr Strukturen des SSSC wird von einer Instabilität des Schultergürtels
ausgegangen [4]. Dennoch ist die klare Definition der
„floating shoulder“ als Ausdruck eines instabilen Schultergürtels weiter umstritten
[5].
Abb. 1 Der Superior Suspensory Shoulder Complex (SSSC) in Anlehnung an die
Erstbeschreibung von Goss, 1993. Der Ring besteht aus 3 Komponenten, der Strebe
Klavikula-AC-Gelenk-Akromion, der Verbindung von Schlüsselbein und Korakoid über
die korakoklavikulären Bänder und der knöchernen Strebe von Glenoid, Spina
scapulae und Korakoid.
Bei Verletzung des Schulterblatts muss aufgrund der anatomischen Nähe nach
Verletzungen der neurovaskulären Strukturen gesucht werden.
Diagnostik
Entscheidend ist zunächst die klinische Untersuchung. Der Patient wird immer über
eine Bewegungseinschränkung und Schmerzen des betroffenen Schultergürtels klagen.
Zusätzlich liegen häufig Prellmarken, Hämatome oder Schürfwunden im verletzten
Bereich vor. Die neurologische Untersuchung und die Erhebung des vaskulären Status
sind obligat. Die Symptome sind jedoch meistens unspezifisch und werden beim
Mehrfachverletzten häufig durch weitere Verletzungen wie Kopf-, Wirbelsäulen- oder
Thoraxverletzungen überlagert. Beim polytraumatisierten Patienten sind äußere
Zeichen meist die einzigen Hinweise.
Obwohl das Schulterblatt in der Standardtraumaserie („true a.–p.“, transskapulär und
axial) gut dargestellt werden kann, verliert die konventionelle
Projektionsradiografie in Anbetracht der raschen Verfügbarkeit und häufigen
Durchführung der computertomografischen Polytraumaspirale mehr und mehr an
Bedeutung. Bei Frakturen, insbesondere im Gelenk- oder Skapulahalsbereich, ist eine
dreidimensionale Rekonstruktion des Schulterblatts zu fordern, da nur so die
Komplexität der Verletzung und die Stabilität des Schultergürtels beurteilt werden
kann. Im Falle von Begleitverletzungen ist die Erweiterung der Diagnostik um eine
Angiografie oder kernspintomografische Untersuchung erforderlich ([Abb. 2]).
Abb. 2 Den Goldstandard in der Diagnostik von Skapulafrakturen stellt
immer noch die dreidimensionale Rekonstruktion der Computertomografie dar
(a). Beim klinischen Verdacht auf Begleitverletzungen muss die
Diagnostik immer erweitert werden, in Abbildung (b) sind ein Abriss der
A. subclavia (Pfeil) und ein großes Hämatom (*) zu erkennen. Bei neurologischen
Defiziten muss eine Kernspintomografie folgen, die Verletzungen des Plexus mit
hoher Sensitivität nachweisen kann (c, d).
Die Computertomografie mit dreidimensionaler Rekonstruktion stellt bei komplexen
Skapulafrakturen den Goldstandard der Diagnostik dar.
Klassifikation
Eine grobe Einteilung unterscheidet zwischen Skapulablattfrakturen (extraartikulär),
Frakturen mit Gelenkbeteiligung (intraartikulär) und Fortsatzfrakturen. Die
gebräuchlichste Einteilung stellt jedoch die komplexere Klassifikation nach Euler
und Rüedi dar [6]. Während die ersten 3 der insgesamt 5
Gruppen extraartikuläre Frakturen darstellen (Typ A: Skapulablatt, Typ B:
Fortsatzfrakturen, Typ C: Skapulahalsfrakturen), werden intraartikuläre Frakturen
als Typ D bezeichnet. In Gruppe E werden alle Skapulafrakturen mit ipsilateralen
proximalen Humerusfrakturen zusammengefasst. Die Unterteilung der Frakturtypen ist
in [Tab. 1] dargestellt. Bei den intraartikulären
Frakturen erfolgt die Unterteilung in Anlehnung an die Klassifikation der
Glenoidfrakturen nach Ideberg [7], welche zwischen
Pfannenrandbrüchen (Bankart-Läsionen), Glenoidbrüchen und
Schulterblatt-/-halsfrakturen mit Glenoidbeteiligung unterscheidet.
Tab. 1 Klassifikation der Skapulafrakturen nach Euler und
Rüedi (1993).
A
|
|
Korpusfrakturen
|
B
|
|
Fortsatzfrakturen
|
B1
|
Spina
|
B2
|
Korakoid
|
B3
|
Akromion
|
C
|
|
Kollumfrakturen
|
C1
|
Collum anatomicum
|
C2
|
Collum chirurgicum
|
C3
|
Collum chirurgicum mit a Klavikulafraktur b Ruptur
der Ligg. coracoclav. und coracoacrom.
|
D
|
|
Gelenkfrakturen
|
D1
|
Pfannenrandabbrüche
|
D2
|
Fossa-glenoidalis-Frakturen a mit unterem
Pfannenrandfragment b mit horizontaler
Skapulaspaltung c mit korakoglenoidaler
Blockbildung d Trümmerfrakturen
|
D3
|
Kombinationsfrakturen mit Kollum- bzw. Korpusfrakturen
|
E
|
|
Kombinationsfrakturen mit Humeruskopffrakturen
|
Eine Besonderheit stellen die Komplexverletzungen des Schulterblatts dar, die als
doppelte Verletzung des SSSC oder auch oft als „floating shoulder“ bezeichnet
werden. In den meisten Fällen ist eine Skapulablatt-/-halsfraktur mit einer
Verletzung des Schlüsselbeins oder des akromioklavikularen und korakoklavikularen
Bandapparats kombiniert. Hier muss insbesondere die Stabilität des Schultergürtels
beurteilt werden, eine Klassifikation besteht nicht.
Die gebräuchlichste Klassifikation der Skapulafrakturen ist die Einteilung nach
Euler und Rüedi, die die intraartikulären Frakturen in Anlehnung an die
Ideberg-Klassifikation der Glenoidfrakturen erfasst.
Konservative Behandlung
Indikationsstellungen und Kriterien zur operativen Therapie von Skapulafrakturen wie
der Dislokationsgrad, die Medialisierung oder Verkippung des Glenoids oder die
Instabilität der Fraktur wurden in multiplen Publikationen vorgeschlagen [1], [8]. Dennoch fehlt für die
meisten Empfehlungen die wissenschaftliche Basis, für viele Frakturmuster steht der
Beweis eines Vorteils durch die operative Therapie noch aus. Kurz zusammengefasst
stellen zum jetzigen Zeitpunkt die Dislokation der Fraktur und die Instabilität des
Schultergürtels die weitläufig akzeptierten Indikationen zur Operation dar. Stabile,
nicht oder gering dislozierte Frakturen sollten konservativ behandelt werden.
Die konservative Behandlung besteht aus einer kurzzeitigen Immobilisierung der
Schulter in einem Gilchrist-Verband oder einer Schlinge. Die Ruhigstellung sollte
längstens 2 Wochen betragen, sie sollte jedoch von regelmäßigen
Physiotherapieeinheiten mit Pendelübungen und passiver Beübung mit geringem
Bewegungsumfang unterbrochen werden. In dieser Zeit lässt der akute Verletzungs- und
Bewegungsschmerz nach, und die Konsolidierung der Fraktur beginnt. In dieser Phase
der konservativen Behandlung sollte eine konsequente Schmerztherapie und zusätzlich
eine intensive Physio- und Atemtherapie im Rahmen der Behandlung von
Begleitverletzungen durchgeführt werden. Nach 2 Wochen und nachdem eine sekundäre
Dislokation radiologisch ausgeschlossen wurde, beginnt die Phase der passiven
Beübung mit vermehrtem Bewegungsumfang durch den Physiotherapeuten, der Patient
sollte auch in eigenständige Übungen eingewiesen werden. In Abhängigkeit von den
Schmerzen sind im späteren Verlauf dieser Phase auch aktiv-assistive Übungen ratsam.
Sechs Wochen nach Trauma kann dann nach neuerlicher radiologischer Kontrolle mit der
aktiven Beübung mit zunehmendem Bewegungsumfang begonnen werden. Diese beinhaltet
die muskuläre Kräftigung und ein Ausdauertraining. Dieses intensive
Trainingsprogramm wird meist für weitere 4 bis 6 Wochen fortgeführt, 3 Monate nach
Trauma sollte der Patient einen schmerzlosen, normalen Bewegungsumfang erreicht
haben.
Als Komplikation der konservativen Therapie kann es in der ersten Phase zu einer
Pseudoparalyse der verletzten Schulter kommen, zeitweise klagen die Patienten über
das Gefühl des Kontrollverlusts über die verletzte Extremität. Neben der
Intensivierung der Schmerztherapie und der Fortsetzung der Physiotherapie müssen in
diesem Zeitraum sekundäre Dislokationen oder andere Komplikationen radiologisch und
klinisch ausgeschlossen werden.
Die Mehrheit der Skapulafrakturen kann konservativ behandelt werden. Die
konservative Therapie besteht aus einer Immobilisierung im Gilchrist-Verband
oder in der Schlinge mit anschließender stufenweiser Aufbelastung unter
physiotherapeutischer Aufsicht.
Operative Therapie
Die Indikationen zur chirurgischen Therapie von Skapulafrakturen können unter den
Aspekten der Dislokation und Instabilität zusammengefasst werden. Intraartikuläre
Glenoidfrakturen mit einer Stufenbildung von mehr als 2 mm werden mehrheitlich in
der Literatur als Indikation zur Operation angesehen. Isolierte Frakturen der Spina,
des Korakoids und des Akromions sollten nur dann operativ behandelt werden, wenn die
Dislokation mehr als 5 mm beträgt oder wenn eine schmerzhafte Pseudarthrose
diagnostiziert wird. Diese Empfehlungen stellen jedoch Erfahrungswerte dar und
beruhen nicht auf wissenschaftlichen Studien. So werden auch die Indikationen zur
operativen Therapie von Skapulablatt- und Skapulahalsfrakturen weiterhin kontrovers
diskutiert. Obwohl auch durch konservative Maßnahmen in fast allen Fällen eine
knöcherne Konsolidierung der Fraktur erzielt werden kann, scheinen die Ergebnisse
insbesondere bei stark dislozierten Frakturen nach operativer Therapie besser zu
sein. Deshalb werden die Medialisierung des glenoidalen Gelenkblocks um mehr als
10 mm, ein Abweichen des glenopolaren Winkels um mehr als 20 Grad und eine
Abwinkelung des Skapulablatts von mehr als 30 Grad im Allgemeinen als
Operationsindikationen angegeben.
Eine Besonderheit stellen Skapulafrakturen mit einer begleitenden knöchernen
Verletzung oder Bandverletzung der ipsilateralen Schulter dar. Diese werden häufig
als doppelte Läsion des Superior Shoulder Suspensory Complex (SSSC), „floating
shoulder“ oder komplexe Schulterverletzung bezeichnet und gelten als instabile
Verletzung. Eine ausreichende Diagnostik und ein Verständnis der anatomischen
Begebenheiten ist erforderlich, um diese komplexen Verletzungen zu verstehen, die
Stabilität der Schulter zu beurteilen und dem Patienten die richtige operative
Therapie zukommen zu lassen. Abgesehen von der Theorie, dass doppelte Läsionen des
SSSC als instabil gewertet werden müssen, gibt es bis zum jetzigen Zeitpunkt keinen
Beweis, dass diese Patienten von einem operativen Vorgehen profitieren. Zusätzlich
konnten Williams und Kollegen [5] in biomechanischen
Kadaverstudien zeigen, dass nicht alle Doppelläsionen wirklich instabil sind und
dass nicht alle Frakturen des Skapulahalses mit begleitender Fraktur der
ipsilateralen Klavikula eine „floating shoulder“ und damit eine instabile
Schulterverletzung darstellen. Des Weiteren divergieren die Meinungen, ob im Falle
einer instabilen Verletzung die Reposition und Osteosynthese der Klavikulafraktur
oder der AC-Gelenkssprengung eine ausreichende Stabilität gewährt oder ob sowohl
Skapula als auch Klavikula operativ angegangen werden müssen, um eine ausreichende
Stabilität für ein gutes postoperatives Ergebnis zu erzielen.
Unserer Meinung nach stellen auch hier die Kriterien der Dislokation und der
Instabilität die Schlüsselindikationen dar. Dislozierte komplexe
Schulterverletzungen sollten operativ therapiert werden, hierbei sollten sowohl das
Schulterblatt und, wenn disloziert, auch das Schlüsselbein adressiert werden. Die
Entscheidung, ob die Verletzung als stabil oder instabil zu werten ist, erfordert
eine dreidimensionale Computertomografie und das anatomische Verständnis des
Chirurgen. Ob die kernspintomografische Diagnostik zusätzliche Informationen bringt,
konnte bisher noch nicht gezeigt werden, eine mögliche Entscheidungshilfe bei nicht
dislozierten aber instabilen Verletzungen ist vorstellbar.
Wird die Verletzung als instabil klassifiziert, stellt die offene Reposition und
Osteosynthese der Skapula die Therapie der Wahl dar, Frakturen der Klavikula, des
Akromions oder des Korakoids sollten nur bei Dislokation angegangen werden.
Indikationen zu einem operativen Vorgehen sind die Frakturdislokation und die
Instabilität des Schultergürtels. Hierbei empfiehlt sich die offene Reposition
und Osteosynthese der Skapula, begleitende Frakturen der Klavikula oder der
Skapulafortsätze sollten nur bei Dislokation angegangen werden.
Chirurgische Zugangswege und Osteosyntheseverfahren
Chirurgische Zugangswege und Osteosyntheseverfahren
Neben der Indikationsstellung spielen der korrekte Zugangsweg und die richtige
chirurgische Technik eine maßgebliche Rolle für ein gutes postoperatives Ergebnis.
Eine Vielzahl von Zugangswegen und Osteosyntheseverfahren ist beschrieben worden,
von denen nur die gebräuchlichsten in den folgenden Abschnitten beschrieben werden
sollen.
Die minimalinvasive gedeckte Verschraubung kann bei speziellen Indikationen wie zum
Beispiel bei Frakturen der Fortsätze oder bei Glenoidfrakturen in Erwägung gezogen
werden. Hierbei müssen allerdings die limitierten Möglichkeiten der Reposition
berücksichtigt werden ([Abb. 3 a]).
Abb. 3 a Dislozierte Glenoidfraktur: geschlossene Reposition und
Osteosynthese mit einer kanülierten Schraube. b Komplexe Verletzung der
Schulter mit Humerusluxationsfraktur, dislozierter Fraktur des Korakoids und
Akromionfraktur: offene Reposition und Osteosynthese über einen anterioren
Zugang. Es erfolgten die Schraubenosteosynthese der Fortsatzfrakturen und die
winkelstabile Plattenosteosynthese des Humerus.
Der Standardzugangsweg bei Frakturen des anterioren oder inferioren Glenoids ist der
vordere oder deltopektorale Zugang. Hierbei erfolgt die Hautinzision über der
sogenannten Mohrenheimʼschen Grube, der Zugang im Intervall zwischen dem Deltamuskel
und dem großen Brustmuskel. Leitstrukturen stellen die V. cephalica und die Sehne
des M. subscapularis dar. Geringgradige Erweiterungen oder Abweichungen dieses
Zugangs erlauben das Erreichen des Akromioklavikulargelenks und des Korakoids ([Abb. 3 b]).
Frakturen des posterioren Glenoids, des Skapulahalses und des Skapulablatts ([Abb. 4 a] und [b]) stellen die
Mehrzahl der operativ angegangenen Frakturen dar und werden über einen hinteren
Zugang erreicht. Eine Vielzahl von posterioren Zugängen ist beschrieben worden,
wobei einer der gebräuchlichsten der hintere Zugang nach Judet [9] ist. Über diesen Zugangsweg können alle Regionen und Grenzen des
Schulterblatts erreicht werden. Für komplexe und instabile Verletzungen des
Schulterblatts empfehlen wir diesen Zugang, der am Akromion beginnt, zunächst
entlang der Spina scapulae und dann bogenförmig an der vertebralen Grenze des
Schulterblatts entlang nach kaudal verläuft ([Abb. 5]).
Über intermuskuläre Intervalle können dann die unterschiedlichen Regionen der
Skapula erreicht werden, wobei das Intervall zwischen dem M. infraspinatus und dem
M. teres minor am häufigsten verwendet wird ([Abb. 6]).
Eine Vielzahl von Modifizierungen dieses hinteren Zugangs zur Skapula ist
beschrieben worden [1], als Beispiele sollen der gerade,
parallel zur Spina scapulae verlaufende limitierte Zugang oder der laterale Zugang
entlang der Margo lateralis genannt werden [10].
Abb. 4 a Dislozierte Skapulablattfraktur mit Medialisierung des
Gelenkblocks: offene Reposition über einen dorsalen Zugang nach Judet und
winkelstabile Doppelplattenosteosynthese des Schulterblatts. b Instabile,
dislozierte Skapulahalsfraktur: offene Reposition über einen dorsalen Zugang
nach Judet und Osteosynthese mit einer winkelstabilen Kleinfragmentplatte.
Abb. 5 Der dorsale Zugang zur Skapula nach Judet: In (a) ist die
Lagerung des Patienten in Seitenlage mit Vakuummatratze auf dem Karbontisch
dargestellt. Der Durchleuchtungsbogen ist ventral positioniert, der Bildschirm
ebenfalls (b). Die Abdeckung des Operationsgebiets erfolgt mit freiem Arm
(c), so kann die gesamte Skapula bis zum Akromion erreicht werden,
die Umrisse des Schulterblatts sind in (d) dargestellt.
Abb. 6 Zugangsweg und Portale des Zugangs nach Judet. Zunächst wird der M.
deltoideus an der Spina scapulae abgetrennt, der Operateur blickt so auf die Mm.
infraspinatus und teres minor (a). In Abhängigkeit der Verletzung kann
nun das entsprechende Intervall gewählt werden, am häufigsten zwischen o. g.
Muskeln (b). So kann durch stumpfe Präparation die Skapula dargestellt
und die Fraktur reponiert werden (c). Die Osteosynthese erfolgt nun
mittels Einzelschrauben im Glenoidbereich und einer Plattenosteosynthese
(d) entlang der Margo lateralis.
Für einen anterioren Zugang wird der Patient in „beach chair“-Position gelagert, wir
empfehlen für den posterioren Zugang die Seitenlagerung auf der Gegenseite. Der
C-Bogen sollte auf der ventralen Seite stehen, ein Karbontisch und die Lagerung auf
der Vakuummatratze erscheinen vorteilhaft ([Abb. 5]).
Beschrieben sind jedoch auch Vorteile durch eine Bauchlagerung des Patienten.
Die Osteosynthese erfolgt über Einzelschrauben und Platten. Wir empfehlen die
Verwendung von 2,7-mm- und 3,5-mm-Platten zur Osteosynthese von Skapulablatt- und
Skapulahalsfrakturen, wobei winkelstabile Implantate bevorzugt werden. Bei
Glenoidfrakturen hat sich zudem die Verwendung von kanülierten Schrauben
bewährt.
Der deltopektorale Zugang in „beach chair“-Lagerung stellt den Standardzugang bei
Verletzungen des anterioren und inferioren Glenoids sowie des Korakoids und
benachbarter Strukturen dar. Verletzungen des posterioren Glenoids, des
Skapulahalses und Blattfrakturen werden über den posterioren Zugang nach Judet
oder eine Modifikation desselben angegangen.
Postoperative Behandlung
Die unmittelbare postoperative Behandlung beinhaltet die Entfernung der eingelegten
Drainagen und sorgfältige Wundkontrollen. Eine komplette Immobilisierung der
verletzten Schulter sollte nicht länger als 2 bis 3 Tage dauern, bereits in der
frühen postoperativen Phase wird die passive Beübung entsprechend der konservativen
Therapie empfohlen. Bei einer hohen Primärstabilität der Osteosynthese erscheint es
durchaus gerechtfertigt, den Bewegungsumfang der passiven Beübung rasch im Rahmen
der Schmerzfreiheit zu steigern, um dann auf aktiv-assistive Übungen überzugehen.
Dennoch sollten aktive, kräftigende und ausdauerfördernde Übungen erst nach der 6.
postoperativen Woche und nach regelmäßigen klinischen und radiologischen Kontrollen
durch den behandelnden Chirurgen begonnen werden. Nach 3 Monaten sollte der Patient
in der Lage sein, seine täglichen Aktivitäten ohne nennenswerte Einschränkungen
durchführen zu können, mit sportlichen Aktivitäten sollte ebenfalls angefangen
werden.
Ergebnisse
Viele Studien beschäftigen sich mit den funktionellen Ergebnissen und Komplikationen
nach konservativer und operativer Behandlung von Skapulafrakturen. Komplikationen
treten in 1–4 % der operativen Behandlungen auf, als häufigste Komplikationen werden
die Infektion, Schultereinsteifung, die intraoperative Verletzung von Nerven,
Implantatversagen und heterotope Ossifikationen genannt. Eine kürzlich
veröffentlichte Metaanalyse von 12 Studien mit insgesamt 163 Patienten nach
operativer Behandlung einer Skapulafraktur [11] berichtet
von exzellenten und guten funktionellen Ergebnissen bei 85 % der Patienten. Hierbei
schienen extraartikuläre Frakturen eine bessere Prognose als intraartikuläre
Glenoidfrakturen zu haben. Die publizierten funktionellen Ergebnisse nach
konservativer Behandlung von Skapulafrakturen sind vergleichbar gut.
Zusammengefasst scheinen die Komplexität der Fraktur, die Instabilität des
Schultergürtels, die Dislokation der Fraktur und das Vorliegen einer Gelenkstufe
einen negativen Einfluss auf das Gesamtergebnis zu haben. Die Studienlage zur
optimalen Behandlung von Skapulafrakturen ist jedoch insgesamt sehr schlecht, und
viele Einzelstudien sind aufgrund der vielen unterschiedlichen Verletzungstypen und
Therapiekonzepte nicht vergleichbar.