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DOI: 10.1055/s-0033-1335808
S2k-Leitlinie Chronische Obstipation: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie
Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) und der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)1 – AWMF-Registriernummer: 021/019Korrespondenzadresse
Publication History
Publication Date:
09 July 2013 (online)
- Einleitung und Methodik
- Kapitel 1: Definition und Epidemiologie (AG 1)
- Kapitel 2: Ätiologie und Pathophysiologie (AG 2)
- Kapitel 3: Diagnostik (AG 3)
- Kapitel 4: Therapie A: Allgemeine Empfehlungen zum Therapie-Management (AG 4)
- Kapitel 5: Therapie B: Konventionelle medikamentöse Therapie (konventionelle „Laxanzien“) (AG 5)
- Kapitel 6: Therapie C: Neue medikamentöse Therapieansätze (AG 6)
- Kapitel 7: Therapie D: Chirurgische Therapie (AG 7)
- Kapitel 8: Therapie E: Biofeedback (AG 8)
- Kapitel 9: Therapie F: Probiotika (AG 9)
- Kapitel 10: Therapie G: Komplementäre und alternativmedizinische Methoden (CAM) (AG 9)
- Literatur
Einleitung und Methodik
E-1 Hintergrund
Chronische Obstipationsbeschwerden zählen mit einer Prävalenz von 5 – 15 % zu den häufigen Gesundheitsstörungen in Deutschland, wobei die Prävalenz mit dem Alter zunimmt und Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer [1] [2].
Die zugrunde liegenden Pathomechanismen sind komplex, uneinheitlich und nur z. T. aufgeklärt. Die verfügbare Evidenz hat aber die traditionelle Auffassung widerlegt, dass es sich lediglich um eine banale Befindlichkeitsstörung ohne Krankheitswert handele, welche überdies durch falsche Lebensgewohnheiten selbst verschuldet und daher auch leicht zu korrigieren sei. So wurde überzeugend belegt, dass die Betroffenen dabei unter einer Vielzahl von belästigenden Symptomen leiden und sie dadurch in ihrer Lebensqualität – z. T. deutlich – beeinträchtigt sind [3] [4].
Dessen ungeachtet wird die chronische Obstipation nur unzureichend als ein für die Patienten oft relevantes Gesundheitsproblem akzeptiert. Dies wird auch dadurch deutlich, dass etablierte und effektive medikamentöse Therapieansätze, deren regelmäßige Einnahme für schwerer Betroffene meist unverzichtbar ist, lediglich unter der undefinierten Etikettierung „Laxans“ in die Sparte der nicht verschreibungsfähigen Selbstmedikation verbannt und quasi allein in die Hände der Apotheker übergeben worden sind. Selbst neueren, innovativen und daher noch verschreibungspflichtigen Medikamenten wird allein aufgrund der Indikation „Obstipation“ ihre allgemeine Erstattungsfähigkeit genommen.
Tatsächlich mag diese Auffassung für milde, meist transiente Obstipationsbeschwerden, wie sie auch viele Gesunde im Rahmen von Änderungen ihrer Lebensumstände (z. B. Reisen, fremdländische Kost o. Ä.) erleben, angemessen sein. Demgegenüber untermauern sowohl wissenschaftliche Evidenz wie auch medizinische Realität, dass es sich bei der chronischen Obstipation in der Mehrzahl der Fälle um eine persistierende, nicht selten mit hohem Leidensdruck einhergehende Erkrankung handelt. Dabei kann der Symptomkomplex der Obstipation ganz unterschiedliche Ursachen haben, welche von unerwünschten Arzneimittelwirkungen über Stoffwechselstörungen im Sinne von sekundären Obstipationsformen bis hin zu Erkrankungen des enterischen Nerven- und Muskelsystems (im Sinne primärer Obstipationsformen) reichen können.
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E-2 Ziele der Leitlinie
Ziel der vorliegenden interdisziplinären S2k-Leitlinie war es, den aktuellen Kenntnisstand zu Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie der chronischen Obstipation bei Erwachsenen auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz zusammenzufassen, im Experten-Konsens zu bewerten und daraus praxisrelevante Empfehlungen abzuleiten.
Hierzu seien einige erläuternde Vorbemerkungen vorausgeschickt:
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Diese Leitlinie soll auch der allgemeinen Aufklärung darüber dienen, dass die chronische Obstipation eine Erkrankung ist, die grundsätzlich ein gewisses Maß an diagnostischer Abklärung sowie in der Mehrzahl der Fälle einer dauerhaften medikamentösen Therapie zugeführt werden muss. Ganz bewusst setzen die Leitlinienautoren sich daher auch dafür ein, den undefinierten und oft als negativ empfundenen Begriff des „Laxans“ zu verlassen. Vielmehr sollte der einer Erkrankung angemessene Begriff der medikamentösen Therapie bevorzugt werden. Die bisher als „Laxanzien“ bekannten Behandlungsformen werden in dieser Leitlinie daher als konventionelle medikamentöse Therapieansätze bezeichnet in historischer, aber bewusst nicht in formaler Abgrenzung zu den modernen Arzneimittel-Entwicklungen zur Obstipationsbehandlung.
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Die erläuterten Therapiekonzepte beschränken sich dabei im Wesentlichen auf die primären Formen der chronischen Obstipation, da für die sekundären Obstipationsformen eine umfassende Darlegung der therapeutischen Optionen aller möglichen Grundkrankheiten/-störungen den Rahmen einer evidenzbasierten Leitlinie übersteigen würde.
-
Innerhalb der primären Obstipationsformen stellt das obstipationsprädominante Reizdarmsyndrom einen Sonderfall und dabei eine der wichtigsten Untergruppen dar. Die vorliegenden Empfehlungen richten sich jedoch primär auf die Behandlung der Obstipationssymptome und haben in diesem Rahmen in aller Regel auch für die Obstipation beim Reizdarmsyndrom Gültigkeit. Für umfassendere Informationen und Therapieempfehlungen zum polysymptomatischen Reizdarmsyndrom wird jedoch an dieser Stelle auf die kürzlich publizierte umfassende S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom [5] verwiesen.
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Methodik
Hinweis: Eine ausführliche Beschreibung der Methodik sowie die detaillierten Angaben zu potenziellen Interessenkonflikten der Leitlinienautoren sind dem separat veröffentlichten Methodik-Report der Leitlinie zu entnehmen (Preiss und Andresen, AWMF).
M-1 Versorgungsbereich und Zielgruppen
Die Empfehlungen gelten insbesondere für die ambulante medizinische Versorgung und richten sich an das gesamte Spektrum der an der Diagnostik und Therapie beteiligten Berufsgruppen (Allgemeinmediziner, Internisten, Gastroenterologen, Proktologen, Chirurgen, Psychologen, Psychosomatiker) ebenso wie an Betroffene.
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M-2 Zusammensetzung der Leitliniengruppe: Beteiligung von Interessengruppen
Die Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) und die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) beauftragten Viola Andresen und Christian Pehl mit der Koordination der Leitlinie. Diese legten die Eckpunkte des Konsentierungsverfahrens fest, luden andere Fachgesellschaften ein und wählten die Mitglieder der Arbeitsgruppen aus ([Tab. M-1]). Die Auswahl der AG-Mitglieder erfolgte dabei primär nach fachlicher Expertise. Es wurde Wert darauf gelegt, aus jeder Berufsgruppe, für die die Leitlinie gelten soll, mindestens einen Vertreter miteinzubeziehen. Alle beteiligten Fachgesellschaften hatten dabei die Möglichkeit, mindestens ein AG-Mitglied zu benennen. Auch eine Patientenvertreterin war beteiligt.
Inhaltsverzeichnis |
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Einleitung und Methodik |
651 |
E-1 Hintergrund |
651 |
E-2 Ziele der Leitlinie |
652 |
M-1 Versorgungsbereich und Zielgruppen |
652 |
M-2 Zusammensetzung der Leitliniengruppe: Beteiligung von Interessengruppen |
652 |
M-3 Beteiligte Gruppierungen und Fachgesellschaften |
653 |
M-4 Durchführung |
653 |
a) Recherche, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege (Evidenzbasierung) |
653 |
b) Formulierung der Empfehlungen und strukturierte Konsensfindung |
653 |
Kapitel 1: Definition und Epidemiologie (AG 1) |
654 |
Kapitel 2: Ätiologie und Pathophysiologie (AG 2) |
655 |
Kapitel 3: Diagnostik (AG 3) |
657 |
Kapitel 4: Therapie A: Allgemeine Empfehlungen zum Therapie-Management (AG 4) |
658 |
Kapitel 5: Therapie B: Konventionelle medikamentöse Therapie (konventionelle „Laxanzien“) (AG 5) |
660 |
Kapitel 6: Therapie C: Neue medikamentöse Therapieansätze (AG 6) |
662 |
Kapitel 7: Therapie D: Chirurgische Therapie (AG 7) |
663 |
Kapitel 8: Therapie E: Biofeedback (AG 8) |
665 |
Kapitel 9: Therapie F: Probiotika (AG 9) |
666 |
Kapitel 10: Therapie G: Komplementäre und alternativmedizinische Methoden (CAM) (AG 9) |
666 |
Literatur |
667 |
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M-3 Beteiligte Gruppierungen und Fachgesellschaften
Federführung und Koordination
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Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM)
-
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
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Mitarbeit
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Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
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Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Coloproktologie (CACP) der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV)
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Deutsche Gesellschaft für Koloproktologie (DGK)
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Deutsche Reizdarmselbsthilfe e. V. (Patientenorganisation)
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M-4 Durchführung
a) Recherche, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege (Evidenzbasierung)
Die DGNM hat 2011 gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) die S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom herausgegeben [5]. Die im Rahmen der dort durchgeführten systematischen Literatursuche diente als Basis für diese Leitlinie. Die Literatur zur Obstipation sollte weitgehend durch die verwendete Suchstrategie abgedeckt sein. Die im Kapitel obstipationsbetontes Reizdarmsyndrom ausgewählte Literatur wurde ergänzt durch weitere und neuere Arbeiten, die den Arbeitsgruppenmitgliedern bekannt waren oder individuell neu recherchiert wurden. Eine erneute systematische Literatursuche erfolgte jedoch nicht.
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b) Formulierung der Empfehlungen und strukturierte Konsensfindung
Die Konsentierung der Empfehlungen erfolgte in 3 Phasen ([Tab. M-2]). Über eine von den Arbeitsgruppen erstellte erste Version wurde von der gesamten Konsensgruppe per E-Mail abgestimmt. Die Ergebnisse der Abstimmung und obligatorische Kommentare wurden an die Arbeitsgruppen zurückgespiegelt. Eine zweite Version wurde im Rahmen einer 2-tägigen Konsensuskonferenz diskutiert und bearbeitet. Einige Statements und Empfehlungen, für die kein ausreichender Konsens in der Plenarsitzung erreicht werden konnte, wurden erneut überarbeitet. In dieser Phase wurde erneut von der Konsensusgruppe per E-Mail abgestimmt. Persistierender Dissens oder Minderheitenmeinungen sind in den Kommentaren diskutiert. Die Konsensstärken sind in [Tab. M-3 ]dargestellt.
AG 1 |
Definition und Epidemiologie |
Prof. Dr. P. Enck, Tübingen (DGNM) |
AG 2 |
Ätiologie und Pathophysiologie |
M. Schemann, München |
AG 3 |
Diagnostik |
T. Frieling, Krefeld |
AG 4 |
Therapie A: Allgemeine Empfehlungen zum Therapie-Management |
C. Pehl, Vilsbiburg (DGNM, DGVS) |
AG 5 |
Therapie B: Konventionelle medikamentöse Therapie (konventionelle „Laxanzien“) |
A. Madisch, Hannover |
AG 6 |
Therapie C: Neue medikamentöse Therapieansätze |
V. Andresen, Hamburg (DGNM, DGVS, DGIM) |
AG 7 |
Therapie D: Chirurgische Therapie |
M. Kasparek, München |
AG 8 |
Therapie E: Biofeedback |
H. Mönnikes, Berlin |
AG 9 |
Therapie F: Probiotika |
H. Krammer, Mannheim (DGK) |
Patientenvertreter |
P. Ilgenstein, Burgdorf (Deutsche Reizdarmselbsthilfe e. V.) |
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methodische Beratung |
J. C. Preiß, Berlin |
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inhaltliche Beratung |
A. Herold, Mannheim (CACP-DGAV) |
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Koordination |
V. Andresen, Hamburg (DGNM, DGVS, DGIM) |
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redaktionelle Unterstützung |
D. Menge, Hamburg |
1 Beratung: J. Langhorst, Essen.
Da die Obstipation zwar mit einer deutlichen Lebensqualitätseinbuße verbunden sein kann, jedoch üblicherweise keine erhöhte Mortalität hat, sind Nutzen und Risiken besonders vorsichtig abzuwägen. In den Kapiteln zur medikamentösen Therapie sind potenzielle unerwünschte Arzneimittelwirkungen jeweils gemeinsam mit der erwarteten Wirkung diskutiert. Bei allen Statements, die eine Handlungs-Empfehlung darstellen, ist die Stärke der Empfehlung anhand der Formulierung sowie anhand der Kennzeichnung durch ein Pfeilsymbol ersichtlich. Die Formulierungen und Bedeutung der Empfehlungsstärken sind in [Tab. M-4] dargelegt. In allen Kommentaren wurden die Empfehlungen mit der jeweils zugrunde liegenden Literatur verknüpft. Evidenz- oder Empfehlungsgrade wurden in dieser S2k-Leitlinie nicht vergeben.
Die Leitlinie wurde unmittelbar von der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität finanziert. Eine inhaltliche Beeinflussung erfolgte dabei nicht. Alle Mitglieder der Konsensusgruppe mussten potenzielle Interessenkonflikte entsprechend der AWMF-Vorgaben offenlegen. Die jeweiligen Ausführungen der einzelnen Leitlinienmitglieder sind in einer Übersichtstabelle unter Punkt 9 des Methodikreports zusammengefasst. Nach Einschätzung der Koordinatoren ergab sich dabei kein Interessenkonflikt, der die Empfehlungen der Leitlinie hätte relevant verzerren können.
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Kapitel 1: Definition und Epidemiologie (AG 1)
Eine chronische Obstipation liegt vor, wenn unbefriedigende Stuhlentleerungen berichtet werden,
die seit mindestens 3 Monaten bestehen und mindestens 2 der folgenden Leitsymptome aufweisen:
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starkes Pressen,
-
klumpiger oder harter Stuhl,
-
subjektiv unvollständige Entleerung,
-
subjektive Obstruktion oder
-
manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation,
jeweils bei ≥ 25 % der Stuhlentleerungen, oder -
< 3 Stühle pro Woche.
[Starker Konsens]
Kommentar
Probert et al. [6] haben schon 1994 auf die Diskrepanz zwischen subjektiv berichteter Obstipation und Konsensus-Definitionen hingewiesen. Diese Diskrepanz besteht bis heute und führt zu großer Variabilität hinsichtlich der berichteten Prävalenz [7].
Eine wesentliche Schwierigkeit besteht unter anderem darin, dass eine rein objektive Definition der Obstipation z. B. alleinig basierend auf der Stuhlfrequenz dem gesamten Beschwerdekomplex der Patienten mit chronischer Obstipation nicht gerecht wird und durch derartige Definitionen ein großer Teil der Patienten nicht erfasst wird. So gibt es viele Patienten, die z. B. sehr mühevoll und nur unter großer Anstrengung und mit starkem Pressen Stuhlgang haben können, dies aber durchaus auch täglich. Zudem hat sich gezeigt, dass z. B. Messungen der gastrointestinalen Transitzeit eher mit dem Parameter der Stuhlkonsistenz als mit dem der Stuhlfrequenz korrelieren [8]. International haben sich aufgrund dieser Schwierigkeiten daher Definitionen etabliert, die eine Kombination aus subjektiven (wie z. B. starkes Pressen oder unvollständige Entleerung) und objektiven Parametern (z. B. Stuhlfrequenz, Stuhlkonsistenz) enthält. Der derzeitige internationale Standard stellt in dem Zusammenhang die Rom-III-Klassifikation [9] dar, auf deren Basis diese hier vorliegende Definition gewählt wurde.
Inzidenz und Prävalenz der Obstipation sind sehr variabel und abhängig sowohl von der angewandten Definition als auch vom untersuchten Kollektiv. In Europa ist von einer mittleren Prävalenz von ca. 15 % in der Allgemeinbevölkerung auszugehen. Bei Frauen und älteren Menschen ist die Prävalenz deutlich höher.
[Starker Konsens]
Kommentar
Für die Obstipation wird eine Prävalenz von 0,7 bis zu 81 % berichtet [7] [10]. Dabei beträgt die mittlere Prävalenz für Europa ca. 15 % [1] [2] [7]. Dieser Variabilität liegen vermutlich auch kulturelle Unterschiede zugrunde.
Im bislang einzigen deutschen Kollektiv (n = 2000) wurde eine Prävalenz von 5 % gefunden [2].
Obstipation ist bei Frauen häufiger als bei Männern [7]: Das Geschlechterverhältnis beträgt ca. 2:1, Suares et al. ermittelten im Rahmen einer Metaanalyse auf der Basis von 26 Studien eine Odds Ratio von 2,2 [1] [2]. Allerdings ist von einer größeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen durch Frauen als durch Männer mit Obstipation auszugehen, was eine Überschätzung des Geschlechtereffekts zur Folge haben kann [11] [12].
Obstipation kann in allen Altersklassen vorkommen, tritt aber mit zunehmendem Alter häufiger auf, vor allem bei Personen ab dem 65. Lebensjahr [1]. Erklärung dafür kann unter anderem die häufigere Einnahme von Medikamenten wie Diuretika und Schmerzmittel sein [13] [14], neurologische Erkrankungen und Funktionsänderungen (s. AG 2), „sedativer Lebensstil“ (Expertenmeinung) und Bettlägerigkeit.
Diverse weitere Risikofaktoren für das Auftreten einer Obstipation werden diskutiert: Niedriges Einkommen ist dabei ebenso mit Obstipation assoziiert wie eine geringer Ausbildungsgrad [10] [15] [16] [17]. Dabei bleibt unklar, ob die Obstipation in diesem Fall über die Ernährung induziert wird (s. AG 4).
Patienten mit chronischer Obstipation haben eine schlechtere Lebensqualität als Personen ohne Obstipation.
[Starker Konsens]
Kommentar
Patienten mit chronischer Obstipation haben bezüglich physischer und psychischer Aspekte eine schlechtere Lebensqualität als Kontrollpersonen ohne Obstipation [3] [18]. Dabei korreliert die Anzahl der Symptome mit einem schlechteren Ergebnis im SF-36 [18].
Bei chronisch obstipierten Menschen ist die Beeinträchtigung der Lebensqualität mit der bei anderen chronischen Erkrankungen zu vergleichen [4], z. B. mit Refluxkrankheit, arterieller Hypertension, Diabetes und Depression [19].
Obstipationsspezifische Messungen der Lebensqualität (z. B. PAC-QOL) erlauben die Messung der Veränderung der individuellen Lebensqualität, z. B. im Rahmen einer medikamentösen Therapie [20], aber keinen Vergleich mit anderen chronischen Krankheiten.
Patienten mit chronischer Obstipation verursachen im Vergleich zu nicht obstipierten Personen sowohl höhere direkte (Verschreibungen, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte) als auch höhere indirekte Kosten (Arbeitsausfälle).
[Starker Konsens]
Kommentar
Menschen mit chronischer Obstipation berichten nicht nur von einer signifikant verminderten Arbeitsproduktivität, sondern auch von einer häufigeren Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen [3] [21]. Vor allem das weibliche Geschlecht [12] und die Chronizität der Beschwerden spielen dabei eine Rolle [22]. Der gesamte finanzielle Aufwand für Patienten mit Obstipation ist höher als der für Patienten mit Migräne. Daten aus Deutschland liegen dazu nicht vor.
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Kapitel 2: Ätiologie und Pathophysiologie (AG 2)
Allgemeine Vorbemerkungen
Die Statements zur Ätiologie und Pathophysiologie beschränken sich auf die chronische Obstipation. Nicht berücksichtigt werden besondere Formen intestinaler Motilitätsstörungen, wie z. B. akute bzw. chronische intestinale Pseudoobstruktion, idiopathisches Megakolon, Morbus Hirschsprung oder das Reizdarmsyndrom. Hierzu wurden bereits zwei aktuelle S3-Leitlinien erstellt:
-
S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) zu Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie intestinaler Motilitätsstörungen [23].
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S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) [5].
Insgesamt ist die Studienlage zur Ätiologie und Pathophysiologie der Obstipation als spärlich und unbefriedigend einzustufen. Die unterschiedlichen Definitionen der Obstipation sowie methodische Schwächen im Studiendesign erlauben zumeist keine Aussagen mit hoher Evidenz.
Assoziationen zwischen Obstipation und faserarmer Kost, verringerter Flüssigkeitsaufnahme, mangelnder Bewegung und Unterdrückung des Defäkationsreizes sowie abrupter Änderung der Lebensumstände wurden in der Literatur beschrieben. Ein direkter kausaler Zusammenhang ist jedoch nicht belegt.
[Starker Konsens]
Kommentar
Die aufgeführten Faktoren werden häufig als tradierte Ursachen einer Obstipation angesehen, lassen sich durch evidenzbasierte Daten jedoch nicht bestätigen [18] [24]. So haben Vergleiche zwischen Obstipierten und Gesunden gezeigt, dass keiner der Faktoren zwangsläufig zur Obstipation bzw. zur deutlichen Besserung der Beschwerden nach deren Behebung führt [18] [24] [25] [26] [27] [28] [29]. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine bereits bestehende Obstipationsneigung durch diese Faktoren getriggert bzw. klinisch evident wird. Zu allen aufgeführten Faktoren ist die Studienlage uneinheitlich: Faserarme Kost kann einerseits die Entwicklung einer Obstipation befördern, andererseits wurden keine Unterschiede zwischen Obstipierten und Nicht-Obstipierten hinsichtlich des Ballaststoffgehalts der Nahrung gefunden [29]. Studien zur Menge der Flüssigkeitszufuhr zeigten ebenfalls widersprüchliche Ergebnisse. So steht eine verringerte Flüssigkeitszufuhr mit dem Auftreten einer Obstipation zwar im Zusammenhang, die Menge der Flüssigkeitszufuhr korreliert jedoch nicht mit der Häufigkeit einer Obstipation [25] [28]. In keiner Studie ließ sich mangelnde körperliche Bewegung als eindeutiger kausaler Faktor für eine Obstipation belegen [26] [28] [29].
Strukturelle intestinale Passagestörungen können zu einer Obstipation führen.
[Starker Konsens]
Kommentar
Verschiedene strukturelle intestinale Passagestörungen werden häufig als mögliche Ursachen einer Obstipation aufgeführt. Sie stehen jedoch nicht im direkten kausalen Zusammenhang mit einer funktionellen Obstipation, sondern entsprechen unterschiedlichen Formen einer intestinalen Obstruktion. So führen mechanische intestinale Passagestörungen im Allgemeinen nicht zu einer chronischen Obstipation, sondern zu einem mechanisch bedingten (Sub-)Ileus mit akutem bzw. subakutem Verlauf. Ätiologisch abzugrenzen sind hier luminale von extra-luminalen Passagehindernissen.
Stuhlentleerungsstörungen
Anorektale Entleerungsstörungen („obstructed defecation syndrome“) können ebenfalls durch luminale und/oder extra-luminale Obstruktionen verursacht sein. Hierzu zählen typischerweise Rektozelen, Enterozelen oder eine Intusszuzeption. Auch eine verstärkte Beckenbodensenkung kann eine Defäkation erschweren. Im Gegensatz zu diesen mechanischen Obstruktionen des Anorektums sind die reflektorisch bedingten Defäkationsstörungen funktioneller Genese. Hierzu gehören z. B. eine paradoxe Anspannung des Schließmuskels oder ein fehlender intrarektaler Druckaufbau bei der Defäkation. Diese anorektalen Fehlfunktionen können aber ebenfalls eine Behinderung der Entleerungspassage verursachen.
Medikamente bzw. deren Nebenwirkungen sowie neurologische, endokrine und systemische Erkrankungen können zu einer Obstipation führen.
[Starker Konsens]
Kommentar
Die intestinale Passage kann durch Medikamente bzw. deren Nebenwirkungen sowie im Gefolge von neurologischen, endokrinen und systemischen Erkrankungen beeinträchtigt werden. In [Tab. 1] sind Ursachen für diese sekundären Formen einer Obstipation ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgeführt. Im Vordergrund stehen die medikamentös bedingte Obstipation sowie neurologische Erkrankungen, die primär das Zentralnervensystem bzw. periphere Nervensystem betreffen und sekundär zu einer Verlangsamung des intestinalen Transits und/oder Störung der anorektalen Entleerung führen. Endokrine Ursachen einer Obstipation sind dagegen eher selten. Eine Hypothyreose kann zwar u. a. eine Obstipation bedingen, bei hypothyreoten Patienten zeigte sich jedoch keine Verlängerung der gastrointestinalen Transitzeit, sondern eine veränderte rektale Sensitivität [31]. Zudem liegt nur bei sehr wenigen Patienten mit Obstipation ohne weitere klinische Hinweise auf eine Schilddrüsenunterfunktion tatsächlich eine Hypothyreose vor. Während eine schwangerschaftsbedingte Progesteronerhöhung nachweislich zur Verlangsamung des intestinalen Transits führt, lassen sich zwischen obstipierten und nicht obstipierten Frauen keine signifikanten Unterschiede der Geschlechtshormonspiegel finden. Zyklusabhängige Veränderungen der Stuhlgewohnheiten wird von etwa der Hälfte prämenopausaler Frauen berichtet, sind jedoch hinsichtlich der daraus resultierenden, objektiven Verlängerung der intestinalen Passagezeit als minimal einzustufen.
Obstipation kann mit Veränderungen an intestinalen Schrittmacherzellen (interstitielle Cajal-Zellen) sowie mit enterischen Neuropathien und/oder Myopathien assoziiert sein.
[Starker Konsens]
Kommentar
Eine intakte sensomotorische Funktion des Darmes ist Voraussetzung für eine regelrechte intestinale Motilität und wird maßgeblich durch das enterische Nervensystem, die glatte Darmwandmuskulatur sowie die intestinalen Schrittmacherzellen (interstitielle Cajal-Zellen, ICC) vermittelt. Isolierte oder kombinierte Schädigungen dieser Strukturen können zu intestinalen Motilitätsstörungen führen und werden in der aktuellen „London Klassifikation“ als sog. gastrointestinale neuromuskuläre Pathologien (GINMP) bezeichnet und in folgende Formen unterteilt: (1) enterische Neuropathien, (2) enterische Myopathien, (3) Veränderungen der ICC [34] [35] [36]. GINMP sind in der Regel nur bei schweren Formen der Obstipation nachweisbar und zeigen unterschiedliche Ausprägungen. Die histopathologischen Veränderungen sollten nicht zwingend als kausale, sondern als assoziierte morphologische Korrelate einer Obstipation bewertet werden. Es wird angenommen, dass die GINMP bei Patienten mit schwerer Obstipation (Slow-Transit-Obstipation) zu folgenden pathophysiologischen Veränderungen führen und damit eine Verlängerung der Kolontransitzeit bedingen: (1) Verminderte Sensitivität und Compliance des Rektums, (2) Erhöhung retrograder und Verminderung anterograder Kontraktionswellen im Kolon, (3) Verringerung der Kontraktionsstärke und -frequenz im Kolon [32] [33]. Die technischen Anforderungen zur Gewinnung, Aufarbeitung und histologischen Beurteilung von Darmbiopsaten bzw. -exzidaten sind der S3-Leitlinie zur Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie intestinaler Motilitätsstörungen sowie der Leitlinie der internationalen Consensus-Gruppe für die histologische Beurteilung von GINMP zu entnehmen [23] [34] [35] [36]. Aufgrund des hohen logistischen Aufwands und fehlender allgemein gültiger Normwerte stellt die Diagnostik von GINMP zurzeit noch kein Routineverfahren dar und ist spezialisierten Laboratorien vorbehalten.
Bei Patienten mit chronischer Obstipation wurden folgende Formen einer enterischen Neuropathie beschrieben: Hypoganglionose des Plexus myentericus, degenerative Neuropathie, intestinale neuronale Dysplasie, enterische Ganglionitis, veränderter Neurotransmitterstatus [35] [37]. Größte Übereinstimmung laut Studienlage stellt die Hypoganglionose des Plexus myentericus bei Slow-Transit-Obstipation dar [35] [37]. Bei Patienten mit chronischer Obstipation wurden folgende Formen einer enterischen Myopathie beschrieben: degenerative Fibrosierung, enterische Leiomyositis, amphophile Einschlusskörperchen, Myofilament-Verlust, atrophe Desmosis coli. Nach Studienlage stellt jedoch keiner dieser histopathologischen Phänotypen einen konsistenten Befund dar. Bei Patienten mit Slow-Transit-Obstipation wurde mehrheitlich eine signifikante Abnahme der ICC (< 50 % der Norm) beobachtet [35] [37]. Allerdings bleibt unklar, ob der Verlust von ICC ursächlich zur Entwicklung einer chronischen Obstipation beiträgt oder lediglich Folge der verlangsamten Darmpassage ist.
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Kapitel 3: Diagnostik (AG 3)
Die Basisdiagnostik der chronischen Obstipation soll eine genaue Anamnese mit Analyse des Stuhlverhaltens, der Medikamenteneinnahme, der Begleitsymptome und -erkrankungen sowie möglicher verursachender Erkrankungen, eine körperliche Untersuchung inklusive Anusinspektion und rektal-digitaler Untersuchung mit Prüfung des Sphinkterruhetonus, des Kneifdrucks und des Defäkationsversuchs beinhalten.
[⇑⇑, Starker Konsens]
Hierbei sollte versucht werden, das Stuhlverhalten möglichst genau und, wenn möglich, auch quantitativ zu erfassen, z. B. auch unter Zuhilfenahme von Stuhltagebüchern inklusive Bristol Stool Form Scale.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Eine Basisdiagnostik zur Evaluation der chronischen Obstipation erscheint sinnvoll, obwohl systematische Studien hierüber nicht vorliegen. Eine extensive Routinediagnostik und Funktionsuntersuchungen werden als Basisdiagnostik aber nicht empfohlen [23] [38] [39] [40] [41] [42] [43] [44] [45] [46]. Es existieren nämlich keine verlässlichen Daten, dass Laboruntersuchungen (Blutbild, Schilddrüsenfunktion, Serum-Calcium) oder endoskopische oder radiologische Methoden zur Erkennung sekundärer Formen der chronischen Obstipation im Rahmen der Basisdiagnostik sinnvoll sind, wenn keine Hinweise auf mögliche verursachende Erkrankungen wie z. B. eine kurzfristige (12 Wochen) Änderung des Stuhlverhaltens oder Alarmsymptome vorliegen [47] [48].
Bezüglich der im Rahmen der Basisdiagnostik zu erfragenden möglichen Ursachen einer sekundären Obstipation (Medikamente, Vorerkrankungen) sei auf Kapitel 2 verwiesen.
Die Symptomatik der chronischen Obstipation ist vielfältig und wird mehr durch die subjektive Beeinträchtigung des Patienten als durch objektive Parameter (z. B. Stuhlfrequenz) bestimmt [49]. Systematische Studien über die Wertigkeit von Stuhltagebüchern und validierten Erfassungen der Stuhlbeschaffenheit (z. B. Bristol Stool Form Scale) gibt es nicht. Dennoch kann die genaue, möglichst auch quantitative Erfassung der Stuhlgewohnheiten helfen, Therapieerfolge zur beurteilen und erscheint deshalb sinnvoll.
Gezielte Fragen zu Stuhlfrequenz, -konsistenz und Mühsamkeit bzw. Vollständigkeit der Stuhlentleerung können außerdem Hinweise darauf geben, ob eine chronische Obstipation eher auf einer Kolontransitstörung (Slow Transit Constipation, STC, seltener, harter Stuhlgang ohne im Vordergrund stehendes Entleerungsproblem) oder auf einer Stuhlentleerungsstörung beruht. Die Symptomatik ist diesbezüglich aber nicht eindeutig [50]. Systematische Studien über die Wertigkeit einer frühen apparativen Differenzierung zwischen Transitstörung- und Stuhlentleerungsstörung liegen wiederum nicht vor.
Begleitende abdominelle Schmerzen/Beschwerden können auf ein Reizdarmsyndrom deuten [5].
Wenn die Patienten zusätzlich zur chronischen Obstipation unter abdominellen Beschwerden/Schmerzen leiden, sollen die Vorgaben der DGVS-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom eingehalten werden.
[⇑⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Bei Patienten, die aufgrund abdomineller Schmerzen/Beschwerden in Kombination mit einer chronischen Obstipation unter die Definition eines Reizdarmsyndroms fallen können, sind generell die Vorgaben der Leitlinien RDS zu beachten, die u. a. eine ausführlichere Basisdiagnostik einschließlich Blutuntersuchungen und Abdomensonografie vorsehen. Bei betroffenen Frauen ist zusätzlich eine gynäkologische Untersuchung erforderlich [5].
Wenn keine Warnsymptome bestehen, kann bei unauffälliger Basisdiagnostik zunächst eine probatorische Therapie erfolgen.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Hierbei ist generell darauf zu achten, dass die Empfehlungen der Darmkrebsvorsorgeuntersuchungen eingehalten werden. Zu den relevanten Warnsymptomen zählen z. B. Blutung, Anämie, unerklärter Gewichtsverlust > 10 %, Familien- oder Eigenanamnese mit gastrointestinalen Tumoren, Lymphknotenvergrößerungen, tastbare Resistenzen, Malnutrition, Blut im Stuhl, paradoxe Diarrhöen, Alter > 50 Jahre, progredienter Verlauf und kurze Anamnese mit starken Beschwerden. Der Erfolg der probatorischen Therapie sollte nach ca. 4 Wochen überprüft werden [5] [23] [42] [46] [48] [51].
Bei starken Beschwerden bzw. hohem Leidensdruck oder Warnsymptomen unmittelbar (= ohne vorherige probatorische Therapie), sonst bei mangelndem Ansprechen der Beschwerden auf die probatorische Therapie sollen weitergehende Untersuchungen erfolgen.
[ ⇑⇑, Konsens ]
Kommentar
Die weiterführende Diagnostik dient im ersten Schritt dem Ausschluss einer organischen Ursache (a) und im zweiten der Klärung der Pathomechanismen mittels Funktionsuntersuchungen (b).
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Für die initiale Diagnostik einer möglichen organischen Ursache sind Blutuntersuchungen (Blutbild und Entzündungsparameter, nach Anamnese und Beschwerdebild individuell ergänzt durch Serum-Elektrolyte, Nierenretentionswerte, Leber- und Pankreasenzyme, TSH, Blutzucker/HbA1c, Calprotectin A/Lactoferrin im Stuhl), eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens und endoskopische/radiologische Untersuchungen (v. a. Ileokoloskopie) anzustreben. Eine Wiederholungsdiagnostik sollte abgesehen von normalen Vorsorgeintervallen vermieden werden, sofern sich an dem Beschwerdebild nichts grundlegend geändert hat.
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Als weiterführende Diagnostik zur näheren Eingrenzung der zugrunde liegenden Störungen einer therapierefraktären Obstipation werden zunächst die anorektale Manometrie (ggf. bei Verfügbarkeit ein Ballonexpulsionstest), eine (MRT-)Defäkografie und Kolontransitstudien empfohlen. Hierdurch kann die Differenzierung zwischen Kolontransitstörung (STC) bzw. Stuhlentleerungsstörung/Beckenbodendyssynergie und Obstipation bei normalem Kolontransit („normal transit constipation“, NTC) erfolgen [52] und somit eine Charakterisierung von therapeutischen Targets erreicht werden. Die sinnvollen funktionsdiagnostischen Verfahren zur Abklärung von Patienten mit schwerer Obstipation sind in weiter erläutert [23].
Es gibt eine Reihe von Gründen, weshalb in der Regel die Kombination mehrerer Untersuchungsverfahren erforderlich ist, um die pathophysiologischen Grundlagen einer therapierefraktären Obstipation zu erfassen und gezielt behandeln zu können. So können Patienten mit Stuhlentleerungsstörung auch sekundär einen verzögerten Kolontransit entwickeln. Außerdem liefern z. B. konventionelle oder MRT-Defäkografie auffällige Befunde in bis zu drei Vierteln der Patienten mit Obstipation, die jedoch nicht zwingend ursächlich sind und auch bei Personen ohne Stuhlentleerungsstörung gefunden werden [52].
Kolonmanometrie und Barostatmessungen werden von der amerikanischen Fachgesellschaft bei schwerster therapierefraktärer Obstipation empfohlen [53]. Es ist aber zu berücksichtigen, dass diese Untersuchungsverfahren in Deutschland nur sehr eingeschränkt verfügbar sind.
Kolontransitstudien: In der Regel mithilfe röntgendichter Marker (modifizierter Hinton-Test), ermöglicht objektive Messung der Kolontransitzeit (normal < 68 – 72 h) und bildet Grundlage für Diagnose einer STC (sofern szintigrafische Messung nicht verfügbar); allerdings sekundäre Störung des Kolontransits bei bis zu 2/3 der Patienten mit Stuhlentleerungsstörung/Beckenbodendyssynergie, deshalb immer auch sorgfältige morphologische und funktionelle Untersuchung des Anorektums erforderlich. Sinnvoll ist während der gesamten Testphase das parallele Führen eines Stuhlprotokolls, um Entleerungen kurz vor der Röntgenaufnahme Rechnung zu tragen und dadurch falsch negative Ergebnisse zu erkennen. |
Anorektale Manometrie: Erlaubt den Ausschluss eines Morbus Hirschsprung (s. o.) und erfasst eine Beckenbodendyssynergie als Ursache einer schweren Obstipation (= mangelnde Koordination zwischen rektalem Druckanstieg und Sphinkterrelaxation beim Pressen), findet sich bei 20 – 75 % der untersuchten Patienten, allerdings teils eingeschränkte Kooperation und kein ausreichendes Pressen der Patienten unter Laborbedingungen, deshalb Bestätigung durch 2. Verfahren erforderlich. |
Defäkografie: Konventionelle oder MRT-Defäkografie liefern auffällige Befunde in bis zu ¾ der Patienten mit Obstipation, erfassen sowohl morphologische/anatomische Abnormitäten (z. B. Rektozele, mukosale Intussuszeption) als auch funktionelle Beeinträchtigung, deshalb auch geeignet als bestätigendes Verfahren bei V. a. Beckenbodendyssynergie. |
Ballonexpulsionstest: Das ist ein einfacher (allerdings kaum etablierter) Screeningtest, der ausgeprägtere Stuhlentleerungsstörungen erfassen kann. Er untersucht die Fähigkeit des Patienten, einen in das Rektum eingeführten wassergefüllten Ballon (meist 50 ml, teils zusätzlich Gewichte) zu evakuieren. Wie bei allen Stuhlentleerungstests sind falsch positive Befunde möglich aufgrund der Testsituation. |
Kolonmanometrie: Diese aufwendige Untersuchung wird nur in Spezialzentren angeboten und ist reserviert für Patienten mit schwerster Symptomatik, eindeutiger Therapie-Refraktärität und ohne Anhalt für Stuhlentleerungsstörung, insbesondere also vor angedachter Kolektomie. Die Untersuchung kann meist kombiniert die phasische (Wasserperfusionsmanometrie) und tonische (Barostat-)Kolonmotilität erfassen. |
Untersuchungen der Motilität des oberen GIT: Magenentleerungstests (Szintigrafie, 13C-Atemtest), Untersuchung des Dünndarmtransits (Szintigrafie, H2-Lactulose-Atemtest) und gastroduodenojejunale Manometrie können erforderlich sein bei V. a. generalisierte Motilitätsstörung, Dünndarmmanometrie notwendig vor subtotaler Kolektomie, da schlechtere Langzeitverläufe bei Patienten mit generalisierter Motilitätsstörung. |
Histologische bzw. immunhistochemische Untersuchungen an Ganzwandpräparaten: Bei schwersten Formen der Obstipation, kann Ansatzpunkt für gezielte Therapie liefern (z. B. bei autoimmun-entzündlichen Veränderungen neuromuskulärer Strukturen). |
Erweiterte Diagnostik: V. a. neurologische, ggf. auch endokrinologische Zusatzuntersuchungen zur Aufdeckung sekundärer Formen. |
Die Stuhlanalyse auf Bakterienkulturen bzw. Pilze liefert keine relevanten Ergebnisse und sollte nicht durchgeführt werden.
[⇓, Starker Konsens]
Kommentar
Aktuell gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Stuhlanalysen, die die Besiedlung des Darmes mit Bakterien bzw. Pilzen untersuchen (sog. „Darmökogramme“) relevante Ergebnisse für das Management von Patienten mit Obstipation liefern.
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Kapitel 4: Therapie A: Allgemeine Empfehlungen zum Therapie-Management (AG 4)
Ballaststoffe („natürliche“ und spaltbare lösliche) können Obstipationssymptome bessern und sollten versucht werden.
(⇑, Starker Konsens)
Kommentare
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Der Wirksamkeitsnachweis für die löslichen Ballaststoffe durch placebokontrollierte Studien ist stärker als für natürliche Ballaststoffe [54].
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Weizenkleie führt bei Nicht-Obstipierten und Obstipierten zu einer Verkürzung der Transitzeit und zu einer Zunahme des Stuhlgewichts. Bei Obstipierten war die Wirkung jedoch geringer [55]. Patienten mit Slow-Transit-Obstipation oder Defäkationsstörung sprechen auf Ballaststoffe schlechter an als solche ohne nachweisbare Störung.
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Mehrere Studien legen einen positiven Effekt natürlicher Ballaststoffe nahe [56] [57] [58]. Die allgemein empfohlene Ballaststoffzufuhr von ≥ 30 g/d wird aber zumeist nicht erreicht.
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Obstipierte nehmen nicht weniger Ballaststoffe zu sich als Nicht-Obstipierte [28], aber in einer Kohortenstudie bei 62 036 Frauen trat die Obstipation häufiger bei sehr niedriger Ballaststoffzufuhr auf [29].
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Eine Erhöhung der Ballaststoffzufuhr kann den Bedarf an Laxanzien reduzieren [59].
Bei fehlender Wirksamkeit und/oder Auftreten von unangenehmen Begleitsymptomen sollten die Zufuhr von Ballaststoffen reduziert und andere Maßnahmen zur Obstipationstherapie bevorzugt werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentare
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Ballaststoffe haben oft unangenehme Begleitsymptome wie z. B. Blähungen und abdominelle Krämpfe.
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Nebenwirkungen treten sowohl bei natürlichen (Kleie etc.) wie auch den löslichen Ballaststoffen (Flohsamenschalen etc.) auf [60] [61].
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Nur für Reizdarmpatienten wurde nachgewiesen, dass die löslichen Ballaststoffe besser verträglich sind als die natürlichen. Für die Obstipations-Patienten fehlt ein solcher Nachweis [62] [63].
Auf eine tägliche Trinkmenge von 1,5 – 2 l sollte geachtet werden.
[⇑, Starker Konsens]
Eine hierüber hinausgehende zusätzliche Flüssigkeitszufuhr hat keinen therapeutischen Effekt und sollte zur Therapie der Obstipation daher nicht empfohlen werden.
[⇓, Starker Konsens]
Kommentar
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für Erwachsene in Abhängigkeit vom Alter eine tägliche Flüssigkeitszufuhr von 2,25 – 2,7 l, wovon mindestens 1,3 – 1,5 l über Getränke zugeführt werden sollten. Komorbiditäten wie Herz- oder Niereninsuffizienz sind bei der Flüssigkeitszufuhr zu berücksichtigen.
Eine Verminderung der Trinkmenge unter die empfohlene Tagesmenge reduziert bei Gesunden die Stuhlfrequenz und -menge ohne Beeinflussung des Kolontransits [64]. Entsprechend konnte bei Jugendlichen eine Assoziation zwischen einer niedrigen Trinkmenge und einer niedrigen Stuhlfrequenz gefunden werden [65]. Allerdings ist in den meisten Untersuchungen die Trinkmenge bei Obstipierten und Kontrollen identisch [28]. Bei jedem obstipierten Patienten sollte aber im Rahmen der Anamnese die Trinkmenge abgefragt werden, da mehrere Studien nachweisen konnten, dass sich eine Obstipation durch Normalisierung der Trinkmenge bessern kann [66] [67] [68]. Kein Effekt auf die Obstipation ist dagegen bei einer Steigerung der Trinkmenge über die empfohlene Menge hinaus zu erwarten [69].
Ein therapeutischer Effekt einer über das normale altersentsprechende Maß hinausgehenden körperlichen Aktivität auf die Obstipation sollte nicht in Aussicht gestellt werden.
[⇓, Starker Konsens]
Kommentar
Tuteja et al. [70] führten bez. des Zusammenhangs von Aktivität und Obstipation eine Befragung bei 1069 Veterans-Affairs-Health-Care-Mitarbeitern durch: 19,4 % berichteten über eine Obstipation. Das Ausmaß der körperlichen Aktivität war dabei in der obstipierten und der nicht obstipierten Gruppe vergleichbar (p > 0,2). Epidemiologische Daten aus großen Kohortenstudien (Nurses Health Study mit 62 036 Frauen; Australian Longitudinal Study on Women‘s Health mit 39 532 Frauen) belegen dagegen einen Zusammenhang der Obstipation mit einer körperlichen Inaktivität [29] [71]. Unterstützt wird dies durch Daten, dass bei gesunden Probanden eine 2-wöchige Inaktivität zu einer Verlängerung des Kolontransits führt [72]. Insbesondere eine Obstipation im Alter scheint mit Bewegungsmangel assoziiert zu sein [73].
Trotz des epidemiologischen Zusammenhangs zwischen körperlicher Inaktivität und Obstipation gibt es keine hinreichenden Studienbelege für einen therapeutischen Effekt einer gesteigerten körperlichen Aktivität. So veränderte ein ein- oder mehrwöchiges Joggingprogramm nicht konstant die Kolonfunktion bei Gesunden [74] [75] [76]. Die Arbeit von DeSchryver et al. [77] suggeriert einen Effekt einer vermehrten körperlichen Aktivität (täglich 30 min schnelles Gehen + 11 min Heimtrainings-Programm) auf die Obstipationssymptome und den Kolontransit bei Patienten. Meshkinpour et al. [26] konnten jedoch bei obstipierten Patienten nachweisen, dass eine tägliche sportliche Aktivität von einer Stunde über die übliche Aktivität der Patienten hinaus die Obstipation nicht verbesserte.
Eine regelmäßige Unterdrückung des Stuhldrangs sollte vermieden werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Eine willkürliche 2-wöchige Unterdrückung des Stuhldrangs führt bei Gesunden zu einer Verlängerung des Kolontransits [78]. Es ist allerdings unklar, ob eine regelmäßige willkürliche Unterdrückung des Stuhldrangs die Entwicklung einer chronischen Obstipation fördert.
Die Therapie der chronischen Obstipation sollte gemäß einem Stufenschema erfolgen ().
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Das Stufenschema zur Therapie der Obstipation wurde als Expertenempfehlung im Rahmen des Leitlinienprozesses entwickelt und soll Hilfestellung in der Behandlung von obstipierten Patienten in der Allgemein- und Spezialpraxis geben.
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Kapitel 5: Therapie B: Konventionelle medikamentöse Therapie (konventionelle „Laxanzien“) (AG 5)
Macrogole, Natriumpicosulfat und Bisacodyl sollten als Arzneimittel der ersten Wahl angewendet werden. Eine Begrenzung des Einnahmezeitraums ist unbegründet. Sie können auch in der Schwangerschaft eingesetzt werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Macrogol, Bisacodyl und Natriumpicosulfat sind bei akuter funktioneller und bei chronischer Obstipation wirksam und sicher und gehören hier zu den Mitteln der ersten Wahl. Das gilt auch für die Schwangerschaft. Bei chronischer Obstipation richten sich Dosierung und Einnahmefrequenz nach dem individuellen Bedarf.
Die Auswahl richtet sich nach der Präferenz des Patienten bzgl. Applikationsform (Dragee, Tropfen, lösliches Pulver) und Geschmack.
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Macrogol (= PEG = Polyethylenglycol 3350 bzw. 4000) bei chronischer Obstipation konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden. Eine Metaanalyse [79] kommt zu dem Schluss, dass PEG in Stuhlfrequenz, Stuhlform, Erleichterung von abdominellen Schmerzen und der Notwendigkeit der Einnahme von Laxanzien der Lactulose überlegen ist (bessere Wirksamkeit bei weniger Nebenwirkungen). In einer Vergleichsstudie war Macrogol effektiver als der partielle 5-HT4-Agonist Tegaserod [80]. Obwohl in den kontrollierten Studien Schwangere ausgeschlossen waren, gibt es keine Bedenken gegen die Anwendung in der Schwangerschaft [81]. PEG wird nämlich nur minimal resorbiert und unverändert im Urin ausgeschieden [82]. Der Zusatz von Elektrolyten ist bei der Verwendung von PEG als Laxans nicht erforderlich, nur bei der Darmlavage oder in der Therapie der Koprostase. Elektrolytfreie Präparate schmecken weniger schlecht [83].
Natriumpicosulfat ist ein wirkungsgleiches Derivat des Bisacodyls [84]. Die beiden Substanzen haben eine duale Wirkungsweise: Sie stimulieren die propulsive Motilität des Kolons [85] und hemmen die Wasserresorption bzw. stimulieren die Sekretion [86]. Ihre Wirksamkeit bei kurzfristiger und mehrwöchiger Gabe wurde in kontrollierten Studien nachgewiesen [84] [87] [88] [89]. Elektrolytverschiebungen im Serum wurden bei bis zu jahrzehntelanger Einnahme nicht beobachtet [84] [90] [91]. Krampfartige Bauchschmerzen können als Ausdruck der motorischen Wirkung auftreten. Ansonsten sind die Substanzen gut verträglich und auch in der Schwangerschaft und Stillzeit unbedenklich. Sie werden zwar zu einem sehr geringen Teil resorbiert und im Urin ausgeschieden [92], ein Übertritt in die Muttermilch erfolgt jedoch nicht [93]. Die oft behauptete Gewöhnung an diese Abführmittel ist tatsächlich sehr selten, selbst bei jahrzehntelangem Gebrauch [18] [91] [94].
Bislang gibt es keine Studie, die PEG und Bisacodyl/Natriumpicosulfat direkt vergleicht.
Anthrachinone können bei chronischer Obstipation angewendet werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Dosierung und Einnahmefrequenz der Anthrachinone richten sich nach dem individuellen Bedarf.
Auch die Anthrachinone haben eine duale Wirkungsweise (prokinetisch und sekretagog) [95] [96] [97]. Ihre Wirksamkeit bei kurzfristiger und mehrwöchiger Gabe sowie ihre Überlegenheit gegenüber Lactulose wurden in kontrollierten Studien nachgewiesen [98] [99] [100] [101] [102] [103] [104]. Elektrolytverschiebungen im Serum wurden dabei nicht beobachtet [105] [106]. Krampfartige Bauchschmerzen können als Ausdruck der motorischen Wirkung auftreten. Ansonsten scheinen die Substanzen sicher zu sein, wobei langfristige systematische Beobachtungen fehlen [18] [107]. Der Übertritt von Sennosiden in die Muttermilch ist minimal, die kindlichen Stühle werden nicht weicher [108] [109] [110]. Aborte werden nicht begünstigt [111] [112]. Die oft behauptete Gewöhnung an Sennoside scheint sehr selten zu sein, systematische Untersuchungen hierzu fehlen jedoch. Die (Pseudo-)Melanosis des Kolons ist eine funktionell unbedeutende reversible Folge bei längerer Einnahme von Anthrachinonen [113].
Die Zucker und Zuckeralkohole (Lactulose, Lactitol, Sorbit und Lactose bei Überschreiten der Digestionskapazität) können zur Behandlung der chronischen Obstipation eingesetzt werden. Sie können auch sicher in der Schwangerschaft eingesetzt werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Die Zucker und Zuckeralkohole sind osmotisch wirksam. Im Kolon werden sie aber durch die Flora in kurzkettige Karbonsäuren und Gas metabolisiert. Je länger der Kolontransit dauert, desto mehr verlieren sie daher ihre Wirksamkeit. Lactulose und Lactitol sind bei der Therapie der Obstipation wirksamer als Placebo [114] [115].
Ihr Nachteil ist die bei vielen Patienten störende Gasbildung. Die Dosierung richtet sich nach dem individuellen Bedarf.
Lactose und Sorbit stellen billigere Alternativen bei gleicher Wirksamkeit dar. Lactulose ist PEG-Lösungen in Bezug auf Wirkung, Nebenwirkungen und der Notwendigkeit der Einnahme anderer Laxanzien unterlegen [79]. Lactulose und Ballaststoffe (Guar, Ispaghula) zeigen eine ähnliche Wirksamkeit [116] [117] [118] [119] [120]. Die Beifügung von Lactobacillus GG zu Lactulose ergab keinen Vorteil [121]. Paraffinöl war in einer Studie wirksamer als Lactulose [122]. Im Vergleich mit Senna-Präparaten (Senna allein oder in Kombination mit Plantago) zeigte sich Lactulose als unterlegen [99] [103] [104] [123]. Sorbit erwies sich in der einzigen kontrollierten Studie als gleich wirksam wie Lactulose [124]. Es reduziert die Kosten für Einläufe bei gleicher Wirksamkeit [125] [126] [127]. Sorbit in einem Mischpräparat mit Plantago ovata erwies sich im Vergleich zu einem salinischen Laxans (Mg [OH]2) in Bezug auf die Resorption von Nahrungsstoffen [128] als gleich wirksam und sicher.
Salinische Laxanzien (z. B. Magnesiumhidroxid) sind bei chronischer Obstipation wirksam, sollten aber wegen potenzieller unerwünschter Arzneimittelwirkungen eher nicht zur Behandlung der chronischen Obstipation eingesetzt werden.
[⇓, Starker Konsens]
Kommentar
Die schlecht intestinal resorbierbaren und deshalb im Kolon osmotisch wirkenden Salze Glaubersalz (Na2SO4, Karlsbadersalz), Bittersalz (MgSO4) und Magnesiumhydroxid (Mg [OH]2, milk of magnesia) gehören zu den ältesten Laxanzien und sind deshalb schlecht untersucht. Nur zu Magnesiumhydroxid existieren kontrollierte Studien zur Behandlung der chronischen Obstipation [99] [100]. Kinder mit intakter Nierenfunktion weisen unter Dauerbehandlung höhere Serum-Magnesium-Spiegel auf als unbehandelte Kinder [129]. Bei Überdosierung droht eine Intoxikation bis zum paralytischen Ileus oder Nierenversagen [130] [131] [132]. Die anderen Salze können ebenfalls teilweise resorbiert werden und sind daher bei Herz- und Niereninsuffizienz potenziell problematisch. Wegen ihres Geschmacks sind sie für die Langzeitgabe ohnehin wenig geeignet.
Paraffinöl soll nicht zur Behandlung der chronischen Obstipation eingesetzt werden.
[⇓⇓, Starker Konsens]
Kommentar
Paraffinöl war in einer Studie wirksamer als Lactulose [122]. Wegen der Gefahr der Lipidpneumonie durch Mikroaspiration und der Störung der Resorption fettlöslicher Vitamine wird seine Verwendung aber nicht empfohlen.
Als rektale Entleerungshilfen sollten bevorzugt Bisacodyl-Zäpfchen oder CO2-freisetzende Zäpfchen appliziert werden. Gegen die Anwendung dieser Substanzen in der Schwangerschaft bestehen keine Bedenken.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Phosphathaltige Klysmen sind zwar effektiv, bei Daueranwendung wurden jedoch mehrfach Elektrolytstörungen beschrieben [133]. Die einzige kontrollierte Studie mit Bisacodyl-Zäpfchen vergleicht 2 Trägersubstanzen bei Patienten mit Querschnittslähmung [134]. An der Wirksamkeit kann kein Zweifel sein, wie unkontrollierte Beobachtungen [91] und die Verwendung als Rescue-Medikation in den meisten kontrollierten Studien mit den neueren Laxanzien zeigen. CO2-freisetzende Zäpfchen zeigten in einer randomisierten kontrollierten Studie einen Vorteil gegenüber Placebo [135]. Zur Wirksamkeit von Glycerinzäpfchen ließen sich keinerlei Daten finden. Nach Dauergebrauch von Glycerinzäpfchen wurde ein Fall einer anorektalen Stenose beschrieben [136], wobei die Kausalität fraglich ist.
Rektale Entleerungshilfen sollen insbesondere bei Entleerungsstörungen des Enddarms eingesetzt werden. Aufgrund der Pathophysiologie dieser Störungen und klinischer Erfahrung liegt es nahe, in diesem Fall rektale Maßnahmen zu bevorzugen. Im Einzelfall spricht aber nichts gegen orale Laxanzien.
Wenn bei einem Patienten eine medikamentöse Maßnahme unbefriedigend wirkt oder schlecht vertragen wird, sollte auf eine andere Wirkklasse gewechselt werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Die Patienten sprechen sehr verschieden auf die unterschiedlichen medikamentösen Therapien vom Typ der sog. „konventionellen Laxanzien“ an. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Patienten mehr als eine Therapie ausprobiert hat [137]. Unbefriedigender Erfolg mehrerer medikamentöser Therapien vom Typ der sogenannten „konventionellen Laxanzien“ ist die Voraussetzung zur Verordnung von Prucaloprid.
Bei unzureichender Wirkung einer medikamentösen Monotherapie kann eine Kombination aus Präparaten unterschiedlicher Wirkprinzipien versucht werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Hierzu existieren keine publizierten Studien. Die Empfehlung basiert allein auf klinischer Erfahrung. Eine sinnvolle Kombination wäre z. B. Bisacodyl und Makrogol.
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Kapitel 6: Therapie C: Neue medikamentöse Therapieansätze (AG 6)
Wichtige Anmerkung
Die folgenden Empfehlungen sollen Einsatzmöglichkeiten und Stellenwert der verfügbaren (bzw. absehbar verfügbaren) neuen pharmakologischen Behandlungsansätze innerhalb des gesamten therapeutischen Spektrums bestimmen. Dabei basieren diese Einschätzungen überwiegend auf der wissenschaftlichen Studienlage. Für manche Substanzen wie Lubiproston oder Alvimopan (nur außerhalb Deutschlands zugelassen) oder Linaclotid (ganz aktuell in Europa zugelassen, aber zum Zeitpunkt dieses Schriftsatzes noch nicht in Deutschland verfügbar) besteht in Deutschland derzeit quasi keine eigene Erfahrung in der praktischen Anwendung. Außerdem liegen für keine dieser Substanzen direkte Vergleichsstudien mit anderen medikamentösen Therapien vor.
Prucaloprid soll gegeben werden bei Patienten, bei denen die bisherige konventionelle Therapie (Lebensstil, Ballaststoffe, konventionelle medikamentöse Therapien [konventionelle „Laxanzien“]; vergleiche Stufenschema AG 4) nicht ausreichend effektiv oder schlecht verträglich war.
[⇑⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Prucaloprid ist ein 5-HT4-Agonist mit prokinetischer Wirkung im Gastrointestinaltrakt. Mehrere randomisierte, kontrollierte Studien zeigen gute Effekte einer Prucaloprid-Therapie bei Patienten mit schwerer Obstipation, bei denen die bisherige (konventionelle) Therapie nicht ausreichend effektiv oder schlecht verträglich war [138]
[139]
[140]
[141]
[142]
[143]
[144]
[145]. Als unerwünschte Wirkung können vor allem am ersten Behandlungstag Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall auftreten. Ab dem 2. Behandlungstag besteht in der längeren Anwendung eine Verträglichkeit wie bei Placebo. Prucaloprid ist nach jetzigem Kenntnisstand auch bei Männern effektiv; die EMEA hat aber aufgrund der insgesamt geringen Zahl von untersuchten Männern die Zulassung zunächst nur für Frauen ausgesprochen. Eine aktuelle Männerstudie soll die Datenlage ausreichend verstärken.
Aufgrund des Wirkmechanismus sind Effekte vor allem auf transitabhängige Obstipationsformen zu erwarten. Ob auch Patienten mit primärer Stuhlentleerungsstörung profitieren, ist unklar. Sie waren allerdings nicht in allen Studien explizit ausgeschlossen, sodass sie entweder auch ansprechen können oder aber einen Teil der Non-Responder-Gruppe bilden.
Auch gibt es bereits Hinweise, dass sekundäre Obstipationsformen (z. B. opiodinduzierte Obstipation [146] oder Obstipation infolge einer Querschnittslähmung [147]) von einer Prucaloprid-Therapie profitieren können.
Lubiproston kann in therapierefraktären Fällen versucht werden, die weder auf konventionelle Therapie (Lebensstil, Ballaststoffe, konventionelle medikamentöse Therapien [konventionelle „Laxanzien“]; vergleiche Stufenschema AG 4) noch auf Prucaloprid ansprechen bzw. diese Therapien nicht vertragen.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Lubiproston ist ein Chlorid-Kanal-Aktivator und induziert die Wasser- und Chloridsekretion in das intestinale Lumen mit konsekutiver Volumen-Erhöhung und Aufweichung des Stuhls. Hierdurch können Obstipationssymptome bei Patienten mit chronischer Obstipation und bei Patienten mit Reizdarmsyndrom und Obstipation verbessert werden, wie in einer Reihe von randomisierten, kontrollierten Studien gezeigt wurde [148] [149] [150] [151].
Die Substanz ist aus mehreren Gründen nur als Reserve-Medikament bei schweren, refraktären Fällen zu sehen: Lubiproston ist nicht in Deutschland (nur in den USA und in der Schweiz) zugelassen und dementsprechend bei Import aus dem Ausland auch teuer, es verursacht bei einem Drittel der Patienten Übelkeit und steht zumindest im Tiermodell im Verdacht, aufgrund der Prostaglandin-Verwandtschaft zu einer erhöhten Fehlgeburtsrate führen zu können.
Periphere Opiatantagonisten können bei opiatinduzierter Obstipation eingesetzt werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Periphere Opiatantagonisten (Methylnaltrexon, Alvimopan, Naloxon in oraler Applikation) können die periphere Opiatwirkung am Darm blockieren, ohne die zentral schmerzlindernden Effekte zu vermindern [152] [153] [154] [155] [156] [157] [158] [159] [160]. Auf diese Weise können die Substanzen eine opiatbedingte Obstipation (z. B. im Rahmen einer dauerhaften Schmerztherapie mit Opiaten oder beim postoperativen Ileus) lindern [152] [153] [154] [155] [156] [157] [158] [159] [160]. In Deutschland ist Methylnaltrexon als Subkutaninjektion erhältlich und zugelassen zur Therapie der schweren opiatinduzierten Obstipation in der Palliativsituation. Die Wirkung der Substanz tritt dabei innerhalb weniger Stunden ein. Insbesondere im Zusammenhang mit einer begleitenden Chemotherapie sind seltene Fälle von Darmperforationen berichtet worden, sodass in dieser Situation sowie bei bekannten strukturellen Störungen des Gastrointestinaltrakts besondere Vorsicht geboten scheint. Naloxon ist oral derzeit lediglich im Rahmen von Kombinationspräparaten verfügbar: In der Kombination mit Oxycodon ist Naloxon dabei in retardierter Weise gezielt zur Verringerung der Opiateffekte am Darm zugesetzt. In der Kombination mit Tilidin liegt Naloxon unretardiert vor und hat hauptsächlich die Verringerung des Suchtpotenzials zum Ziel und nur geringere Effekte auf die Obstipation. In diesen oral zugeführten Präparaten ist die Opiatblockade des Naloxons auf den Darm beschränkt, weil die Substanz durch den First-Pass-Effekt in der Leber abgebaut wird. Bei schweren Leberfunktionsstörungen kann daher eine verminderter Abbau des Naloxons in der Leber auch zu einer zentralen Opiatblockade führen. Alvimopan ist derzeit nicht in Deutschland verfügbar. Weitere Opiatantagonisten sind in der Entwicklung.
Linaclotid kann bei Verfügbarkeit gegeben werden bei Patienten, bei denen die bisherige konventionelle Therapie (Lebensstil, Ballaststoffe, konventionelle medikamentöse Therapien [konventionelle „Laxanzien“]; vergleiche Stufenschema AG 4) nicht ausreichend effektiv oder schlecht verträglich war.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Linaclotid ist ein Guanlytazyklase-C-Agonist und induziert die Wasser- und Chloridsekretion in das intestinale Lumen mit konsekutiver Volumenerhöhung und Aufweichung des Stuhls. Zudem lindert es viszerale Schmerzen. Hierdurch können Obstipationssymptome bei Patienten mit chronischer Obstipation und Obstipationssymptome und Schmerzen bei Patienten mit obstipationsprädominantem Reizdarmsyndrom verbessert werden, wie in einer Reihe von randomisierten, kontrollierten Studien gezeigt wurde [161] [162] [163] [164] [165] [166] [167] [168] [169] [170]. Linaclotid wird nahezu gar nicht resorbiert und hat daher ein sehr günstiges Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil. Als einzigen Unterschied zu Placebo zeigte sich in den Studien eine erhöhte Rate von Durchfall bei ca. 20 % der Behandelten; dabei war der Durchfall in den meisten Fällen mild bis moderat.
Linaclotid ist in Europa seit Ende 2012 in einer Dosis von 290 µg zur Behandlung des obstipationsprädominanten Reizdarmsyndroms zugelassen. In den USA ist Linaclotid zusätzlich in einer Dosis von 145 µg zur Behandlung der chronischen Obstipation zugelassen.
Kombinationen von neuen medikamentösen Therapien mit konventionellen Mitteln (Lebensstil, Ballaststoffe, konventionelle medikamentöse Therapien [konventionelle „Laxanzien“]; vergleiche Stufenschema ) können in Abhängigkeit von Effektivität und Nebenwirkungen versucht werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Zu diesem Vorgehen fehlt zwar bisher die wissenschaftliche Evidenz, aber ein Versuch ergibt sich zum Teil auch aus der logischen Kombination verschiedener Wirkprinzipen und bewährt sich im klinischen Alltag bei anderweitig therapieresistenten Fällen.
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Kapitel 7: Therapie D: Chirurgische Therapie (AG 7)
Die chirurgischen Therapien sollen zurückhaltend und nur nach differenzierter Diagnostik und Ausschöpfung konservativer Therapiemaßnahmen in Erwägung gezogen werden.
[⇑⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Die Durchsicht der Literatur unterstützt diese Auffassung und spiegelt die hierbei besonders bedeutsame Nutzen-Risiko-Abwägung wider [171] [172] [173] [174] [175] [176] [177] [178].
Die Indikation zur Kolonresektion soll beschränkt werden auf schwere, therapierefraktäre Slow-Transit-Obstipation und/oder auf idiopathisches Megakolon.
[⇑⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Die Kolonresektion führt zu einer Verbesserung der Symptomatik in 80 – 90 % der anderweitig therapierefraktären Patienten [179] [180]. Verfahren der Wahl ist die subtotale Kolektomie [178] [179] [180] [181] [182] [183] [184]. Andere chirurgische Verfahren, wie die antiperistaltische Zökorektostomie [185] [186] [187] und selektive Kolonresektionen [188] sind vermutlich in den meisten Fällen weniger effektiv und ohne nachhaltigen Effekt. Die Indikation zur Kolonresektion ist aufgrund sehr variabler Ergebnisse und der Belastung durch die Operation äußerst zurückhaltend zu stellen. Vgl. auch DGVS – S3-Leitlinie „Intestinale Motilitätsstörungen“. Insbesondere bei Vorliegen einer panenterischen Neuropathie mit Mitbeteiligung des Dünndarms besteht ein erhöhtes Risiko für postoperativ persistierende Beschwerden [189]. Weiterhin wird der OP-Erfolg auch negativ beeinflusst durch koexistente Psychopathologie sowie durch eine Anamnese für sexuellen Missbrauch [189] [190].
Vor einer subtotalen Kolektomie kann ein Ileostoma angelegt werden, um ihren potenziellen Effekt zu überprüfen.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Um vor einer ausgedehnten Kolonresektion und insbesondere bei Vorliegen einer begleitenden Neuropathie des Dünndarms (siehe Statement 7 – 2) den potenziellen Effekt präoperativ zu überprüfen, kann evtl. vorab laparoskopisch ein Ileostoma angelegt werden, um die Situation nach Kolonresektion nachzustellen. Hierzu gibt es allerdings keine Studien.
In Einzelfällen kann die antegrade Lavage/Irrigation via Appendix-/Zökostoma (Malone antegrade continence enema [= MACE]) eine Therapieoption der chronischen Obstipation sein.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Die Evidenz ist nicht ausreichend für eine stärkere Empfehlung, da größere Studien fehlen. Die Methode wird häufig bei Kindern eingesetzt [191] [192] [193].
Eine schwere chronische therapierefraktäre Slow-Transit-Obstipation und/oder ein idiopathisches Megakolon können durch eine definitive Ileostomie behandelt werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Eine schwere Slow-Transit-Obstipation kann alternativ auch durch eine definitive Ileostomie behandelt werden [194] [195]. Wird diese durchgeführt, sollte ein doppelläufiges Ileostoma ohne zusätzliche Laparotomie durchgeführt werden. V. a. bei älteren, multimorbiden Patienten stellt diese relativ kleine Operation eine gute Alternative zum großen Eingriff einer Kolektomie dar, die gerade bei älteren Patienten auch zu Kontinenzproblemen führen kann.
In einer Fallserie von 13 Patienten aus England persistierte die Obstipation nach Ileostomie bei nur einem Patienten [195]. Patienten mit doppelläufigem Ileostoma ohne zusätzliche Laparotomie hatten die niedrigsten Komplikationsraten.
Die Sakralnervenstimulation kann für die Behandlung der schweren, therapierefraktären Slow-Transit-Obstipation versucht werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Die Sakralnervenstimulation kann für die Behandlung der schweren, eindeutig therapierefraktären chronischen Obstipation versucht werden, insbesondere dann, wenn ansonsten als „ultima ratio“ ein resezierender Eingriff erwogen wird. Ist die Teststimulation nicht erfolgreich, sollte keine Implantation des Schrittmachers erfolgen.
Es existieren mehrere Fallserien, die belegen, dass die Sakralnervenstimulation bei chronischer Obstipation wirksam ist [196] [197] [198]. Allerdings ist der Mechanismus ungeklärt. Etwa bei der Hälfte der so behandelten Patienten mit Slow-Transit-Obstipation wurde eine Normalisierung des Kolontransits gezeigt, es profitierten aber auch Patienten mit NTC [199]. Ein reiner Placeboeffekt erscheint auch unwahrscheinlich, weil in einer Studie mit allerdings nur 2 Patienten in einem Cross-over-Design Phasen der Stimulation und Phasen ohne Stimulation verglichen wurden und ein Effekt der Stimulation messbar war [197]. Auch eine neue Literaturzusammenschau deutet an, dass die Therapie wirksam sein kann, wenngleich die Datenlage immer noch zu klein ist, hauptsächlich aus Fallserien stammt und die Effekte etwas weniger eindrücklich erscheinen [200]. Insgesamt muss der Wert dieses Verfahrens noch in vergleichenden prospektiven Studien weiter evaluiert werden.
Ist eine strukturelle anorektale Entleerungsstörung Ursache für eine chronische Obstipation, sollen konservative Therapiemaßnahmen (z. B. Stuhlregulierung durch Ballaststoffe, medikamentöse Therapien, regelmäßige Klysmen, Biofeedback etc.) ausgeschöpft sein, bevor eine operative Therapie in Erwägung gezogen wird.
[⇑⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Es besteht eine variable Verbindung zwischen anatomischen Veränderungen und Entleerungsstörung. Somit besteht nicht nur das OP-Risiko, sondern auch das Risiko, dass die Operation dem Patienten keine Verbesserung der Symptomatik bringt, sodass immer erst die konservative Therapie ausgeschöpft werden sollte. Während pathologisch-anatomische Veränderungen (z. B. Rektozele, Intussuszeption, Rektumprolaps, Enterozele) chirurgisch angegangen werden können, soll eine Operation bei alleiniger funktioneller Entleerungsstörung ohne Nachweis einer pathologisch-anatomischen Veränderung (z. B. Beckenbodendyssynergie, Anismus etc.) nicht durchgeführt werden.
Erläuterungen zu den verschiedenen Operationsverfahren
Die Rektozele kann mit verschiedenen Operationsverfahren, z. B. transvaginal oder transanal, korrigiert werden. Es fehlen allerdings große randomisierte Studien, die valide Aussagen zur Wertigkeit der einzelnen Verfahren erlauben.
Die Korrektur einer Intussuszeption bzw. eines Rektumprolapses kann transanal oder transabdominell erfolgen. Eine transanale Resektion kann mit einem Klammernahtgerät erfolgen (z. B. STARR- oder Trans-STARR-Operation). Abdominell kann als chirurgische Therapie der Intussuszeption bzw. des Rektumprolapses eine (laparoskopische) Rektopexie mit oder ohne Sigmaresektion erfolgen.
In einer großen (379 Patienten), deutschen Multicenterstudie [201] von Patienten mit Intussuszeption und Rektozele und STARR-Operation konnte eine signifikante, langfristige Verbesserung von Beschwerden und Lebensqualität gezeigt werden. Auch die laparoskopische Rektopexie wird erfolgreich bei Intussuszeption und Rektumprolaps eingesetzt. Nachdem es bei der posterioren Rektopexie anfänglich häufig zum Auftreten oder zur Verschlimmerung einer Obstipation kam, wurde dieses Verfahren mit einer Sigmaresektion kombiniert, wodurch dieses Problem vermindert werden konnte. In neueren Arbeiten wird darüber berichtet, dass eine ventrale Rektopexie auch ohne Sigmaresektion nicht zu einer Verschlimmerung einer Obstipation oder zum Auftreten einer De-novo-Obstipation führt [202] [203] [204]. Möglicherweise erklärt sich dies durch eine bessere Schonung der autonomen Nerven bei der ventralen Rektopexie, da hierbei keine dorsale Mobilisation des Rektums wie bei der posterioren Rektopexie notwendig ist. Randomisierte Untersuchungen fehlen allerdings bisher.
Eine anatomische Korrektur der strukturellen anorektalen Entleerungsstörung geht mitunter nicht oder nur begrenzt mit einer Verbesserung einher und kann in anderen funktionellen Beschwerden resultieren.
[Konsens]
Kommentar
Das postoperative Ergebnis kann nicht präzise vorhergesagt werden (vgl. Erläuterung zu 7 – 7) Folglich müssen Patienten darüber aufgeklärt werden, dass Restbeschwerden bestehen bleiben oder neue Beschwerden (z. B. Kontinenzprobleme, Schmerzen, Tenesmen) entstehen können.
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Kapitel 8: Therapie E: Biofeedback (AG 8)
Patienten mit Obstipation verursacht durch eine Beckenbodendyssynergie sollten Biofeedbacktraining erhalten.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Erläuterung zum Biofeedback: Ein Hauptproblem bei der funktionellen Stuhlentleerungsstörung (= Beckenbodendyssynergie) stellt ja eine funktionelle Blockade des Analbereichs durch fehlerhaftes Anspannen des Sphinkterapparats während des Defäkationsvorgangs dar (siehe auch Statement 2 – 2).
Beim Biofeedbacktraining verwendet der Patient eine spezielle anale Sonde, die dem Patienten an einem angeschlossenen Messgerät den Anspannungszustand des Schließmuskelapparats z. B. über Leuchtdioden (z. B. rot = Anspannung, grün = Entspannung, o. Ä.) anzeigt. Über diese visuelle Rückkoppelung kann der Patient die Koordination der Schließmuskelfunktion während des Defäkationsvorgangs trainieren, sodass er dann am jeweils richtigen Zeitpunkt den Schließmuskel auch zu entspannen lernt und auf diese Weise die funktionelle Blockade bei der Defäkation verhindern kann.
Die Empfehlung zum Biofeedback wird durch insgesamt 4 kontrollierte Studien bei Kindern und 10 kontrollierte Studien bei Erwachsenen [205] und eine Metaanalyse von 8 Studien [206] gestützt. Vier Studien vergleichen EMG-Biofeedback mit anderen Therapieformen (Laxanzien, Placebo, Sham-Training, Botox-Injektion). Vier andere Studien vergleichen EMG-Biofeedback mit anderen Formen vom Biofeedbacktraining (Ballondruck, verbales Feedback). Drei randomisierte kontrollierte Studien zeigen in der Metaanalyse, dass Biofeedbacktraining überlegen ist im Vergleich zur Behandlung mit Placebo, Laxanzien, Muskelrelaxanzien oder Sham-Biofeedbacktraining (OR 3.66, 95 % CI 2.13 – 6.29) hinsichtlich der Verbesserung von Symptomen und der Anorektalfunktion. Enck et al. [206] weisen darauf hin, dass die Studien in der Metaanalyse qualitativ nicht immer hochwertig sind und eine Harmonisierung fehlt; so wurden z. B. verschiedene Endpunkte verwendet und es fehlten psychologische „Assessments“. Weitere Studien, die verschiedene Methoden von Biofeedbacktraining miteinander vergleichen, sind notwendig.
Verschiedene Studien haben die Langzeiteffektivität von Biofeedbacktraining nachgewiesen [207] [208].
Die Evidenz bei Kindern und älteren Menschen ist geringer als bei Erwachsenen [205].
Patienten mit Obstipation allein auf dem Boden einer „Slow-Transit“-Obstipation sollten nicht mit Biofeedbacktraining behandelt werden.
[⇓, Starker Konsens]
Biofeedback kann aber hilfreich sein bei Patienten, die sowohl eine „Slow-Transit“-Obstipation als auch eine Beckenbodendyssynergie haben.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Im Gegensatz zu älteren Studien von Koutsomanis und Kollegen aus dem St. Mark Hospital, die zeigten, dass Biofeedbacktherapie sowohl „Normal-Transit“-Obstipation als auch „Slow-Transit“-Obstipation verbessert [209] [210], konnte eine neuere kontrollierte Studie aber berichten, dass Biofeedbacktraining nicht hilfreich war bei Patienten mit STC, die keine Anzeichen einer Beckenbodendyssynergie zeigten [211].
Ungefähr 50 % der Patienten mit einer Defäkationsstörung haben auch einen verzögerten Kolontransit. Einige Patienten mit Defäkationsstörung klagen weiterhin über Obstipation nach erfolgreichem Biofeedbacktraining. Diese Patientengruppe hat meistens eine Kombination von Beckenbodendyssynergie und „Slow-Transit“-Obstipation, und die Obstipation verschwindet meistens nach Standardbehandlung mit Ballaststoffen oder Laxanzien, solange die Beckenbodendyssynergie erfolgreich behandelt ist [173] [205].
Stuhltraining kann zur Behandlung von Obstipationsbeschwerden infolge Beckenbodendyssynergie alternativ zum Biofeedbacktraining durchgeführt werden, ist aber weniger effektiv.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Erläuterung zum Stuhltraining: Beim Stuhltraining soll der Patient mithilfe von artifiziellem Stuhl die Stuhlentleerung üben. Dieses passiert mithilfe eines mit 50 ml Wasser gefüllten Ballons, der im Rektum platziert wird. Der Patient soll lernen, bei der Defäkation seine Beckenbodenmuskulatur zu entspannen; der Defäkationsversuch wird ggf. durch leichten Zug am Ballon unterstützt. Allmählich lernt der Patient, den Defäkationsablauf zu koordinieren und den Ballon zu entleeren [212] [213].
Eine randomisierte Studie, die bei Patienten mit Beckenbodendyssynergie Biofeedbacktraining vergleicht mit Stuhltraining, konnte zeigen, dass die Patientenzufriedenheit beim Biofeedbacktraining signifikant höher war (Biofeedbacktraining 79 vs. 52 % beim Stuhltraining). Zudem waren in der Stuhltrainingsgruppe die Notwendigkeit einer digitalen Ausräumung und das Gefühl von inkompletter Entleerung unverändert gegenüber vor der Behandlung [214].
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Kapitel 9: Therapie F: Probiotika (AG 9)
Probiotika können bei funktioneller chronischer Obstipation versucht werden. Sie können auch in der Schwangerschaft eingesetzt werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Patienten mit chronischer Obstipation sollen über das Krankheitsbild aufgeklärt werden, eine ballaststoffreiche Ernährung erhalten (sofern verträglich) und bei Bedarf medikamentös therapiert werden [173] [215] [216] [217] [218]. RCTs mit E. coli Nissle 1917 [219] und Lactobacillus Casei Shirota [220] [221] bei chronischer Obstipation erbrachten einen moderaten Effekt auf Stuhlfrequenz und -konsistenz. RCTs mit Bifidobacterium animalis DN-173 010 [222] [223] und Lactobacillus Casei Shirota [221] zeigten einen Effekt auf die Kolontransitzeit.
Klinische Erfahrungen zeigen, dass bei Slow-Transit-Obstipation mit deutlicher Transitzeitverlängerung das Stufenschema der Therapieeskalation anzuwenden ist und die Probiotika nur eine geringe zusätzliche Wirksamkeit entfalten.
Schwangerschaft: Bei auftretender Obstipation in der Schwangerschaft konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass Probiotika eine Wirksamkeit aufweisen (Lactobacillus, Bifidobacterium). In einer Metaanalyse bestätigte sich der Wirknachweis, und die Arzneimittelsicherheit sowie gute Verträglichkeit sprechen für den Einsatz von Probiotika in der Schwangerschaft [224].
Anorektale Entleerungsstörungen, Morbus Hirschsprung, akute kolonische Pseudoobstruktion (Ogilvie-Syndrom), chronisch intestinale Pseudoobstruktion (CIPO): Bei fehlenden Studien einer Probiotikatherapie bei anorektalen Entleerungsstörungen (Outlet-Syndrom) können diese derzeit nicht empfohlen werden. Gleiches gilt für die Anwendung bei Morbus Hirschsprung, akuter kolonischer Pseudoobstruktion (Ogilvie-Syndrom) wie auch chronisch intestinaler Pseudoobstruktion (CIPO). Ob die bei funktioneller chronischer Obstipation und auch beim RDS-O nachgewiesenen Effekte einer Reduktion des Meteorismus und abdominaler Distension und damit Reduktion abdominaler Schmerzen von Probiotika bei o. g. Krankheitsbildern symptomatisch relevante Effekte aufweisen, bedarf zukünftiger Untersuchungen.
Obstipationsprädominantes Reizdarmsyndrom
Probiotika können beim Reizdarmsyndrom vom Obstipationstyp eingesetzt werden [5].
Zusammenfassende Beurteilung einer Probiotikatherapie bei Obstipation
Der Einsatz von Probiotika – z. B. Bifidobacterium animalis ssp. lactis DN-173 010, Lactobacillus casei Shirota und Escherichia-coli-Stamm Nissle 1917 – bei funktioneller chronischer Obstipation ist durch Studien (RCTs) belegt und wirksam. Bei Slow-Transit-Obstipation (STO) weisen Studien nur einen geringen Effekt für Probiotika nach, sodass in der klinischen Praxis der Einsatz eine untergeordnete Rolle spielt.
Durch die gute Verträglichkeit und Sicherheit kommt den Probiotika bei funktioneller chronischer Obstipation auch eine Bedeutung bei Kindern und der Schwangerschaftsobstipation zu.
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Kapitel 10: Therapie G: Komplementäre und alternativmedizinische Methoden (CAM) (AG 9)
Unter Beratung durch J. Langhorst
Einleitung
Gemäß der Definition der WHO stellen integrative Medizinkonzepte die „best practice“ von konventioneller und komplementärer Medizin dar und sollen bei Patientenpräferenz (der dritten Säule der Evidenzbasierten Medizin n. David Sackett [225] [226] [227]) berücksichtigt werden. Integrative und komplementäre Konzepte bei chronischer Obstipation sind zwar wenig evaluiert, aber aufgrund der Chronizität der Obstipation und des Leidendrucks steigt der Wunsch der Patienten nach komplementären Therapieansätzen [228]. Häufig wird deren Anwendung durch die Betroffenen verschwiegen, da Angst vor abwertenden/entwertenden Beurteilungen durch den konventionell behandelnden Arzt besteht. Es sollte daher aktiv nach diesen Therapieformen gefragt werden, da der Gebrauch häufig Unzufriedenheit mit der konventionellen Therapie reflektiert und eine Form der Auseinandersetzung des Betroffenen mit seiner Erkrankung darstellt. Ein Nichtbeachten führt den Patienten zu Suchbewegungen in paramedizinische Behandlungsangebote (Heilpraktiker) und führt häufig zu parallelen Behandlungsstrategien, ohne Interaktionen zu erfassen oder gar zum alternativen Gebrauch (alternativ = anstatt der konventionellen EbM-abgesicherten Therapie) [229] [230] [231] [232].
Komplementäre und damit häufig die biopsychosoziale Ebene berücksichtigende und die (subjektive) Lebensqualität verbessernde Maßnahmen sollten in einem individualisierten Gesamtkonzept [233] ihren Einsatz und Stellenwert erhalten [234]. Dazu ist erforderlich, dass der behandelnde konventionelle Arzt genügend Kenntnisse über komplementäre Therapiemethoden aufweist [230] [231].
Folgende Methoden finden eine häufige Anwendung und werden daher hier gezielt angesprochen:
Abdominalmassage kann bei chronischer Obstipation unterstützend eingesetzt werden.
[⇑, Konsens]
Kommentar
Metaanalysen zur Bauchdecken-/Kolonmassage bei Obstipation konstatieren Effektivität [235] [236]. Allerdings beruhen diese Metaanalysen überwiegend auf Studien mit niedriger Studienqualität. Die Kolonmassage kann dabei vom Patienten selber oder durch Hilfspersonen durchgeführt werden und durch aromatische Öle unterstützt werden [237]. Die Kolonmassage kann auch bei sekundärer/neurogen bedingter chronischer Obstipation wie Multipler Sklerose, Querschnitt und Guillian Barré versucht werden [238] [239] [240] [241]. Daten aus den randomisiert kontrollierten Studien legen dabei nahe, dass die Kolonmassage mehr die subjektive Beschwerdesymptomatik als den messbaren Kolontransit oder den Laxanzienbedarf verbessert [242] [243].
Der Einsatz von Akupunktur-Verfahren (Akupunktur und Moxibustin) sollte bei chronischer Obstipation nicht empfohlen werden.
[⇓, Konsens)
Kommentar
Bezüglich der therapeutischen Wirkung von Akupunktur werden bei Kindern sowie aus China auch bei Erwachsenen positive Effekte berichtet [244] [245] [246]. Die Effektivität der Akupunktur ist bei Slow-Transit-Obstipation gering(er) und bei der Beckenbodendyssynergie signifikant seltener als bei anderen Obstipationsformen vorhanden [246] [247]. Allerdings zeigte die einzige randomisiert kontrollierte Studie aus Europa keinen Effekt auf Obstipation und Kolontransitzeit [247].
Wiederum aus China wird eine stärkere Beeinflussung der Obstipation durch die Kombination von Akupunktur mit Moxibustion (Erwärmung von speziellen Punkten des Körpers) berichtet [248]. Eine Metaanalyse nach Cochrane-Kriterien von 3 RCTs mit positiven Ergebnissen zu Moxibustion kommt aufgrund der schlechten methodischen Qualität zu dem Ergebnis, dass derzeit die Datenlage unzureichend ist, um eine Effektivität zu belegen [249].
Vergleichbar ist die Datenlage zur Auricolotherapie, einer von der Ohrakupunktur abgeleiteten Ohrtherapie. Ein systematischer Review von 29 Studien zeigt zwar positive Effekte dieser Therapie auf die Obstipation auf. Allerdings ist die Aussagekraft durch methodische Schwächen, insbesondere die akkurate Identifikation der Akupunkturpunkte sowie die unterschiedlichen Interventionsprotokolle und Outcome-Kriterien, eingeschränkt [250].
Traditionelle Asiatische Medizin (TCM, Kampo Medizin): Arzneimittel aus der traditionell asiatischen Medizin können zur Behandlung der chronischen Obstipation versucht werden.
[⇑, Starker Konsens]
Kommentar
Arzneimittel (chinesische Kräutertherapie/Chinese Herbal Medicine) aus der TCM sind in verschiedenen Studien bei Obstipation untersucht. Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie aus Hongkong zeigt einen positiven Effekt auf die funktionelle Obstipation von sog. Hemp Seed Pills (Cannabis; Tetrahydrocannabinol [THC]) [102].
In 2 weiteren randomisierten, placebokontrollierten Studien führt CCH1 (Ginseng, Ingwer, chin. Süßholz, Speichelkraut, Herbsteisenhut, Rharbarber) bei Pflegeheimpatienten zu einer signifikanten Besserung der Obstipation im Vergleich zu Placebo [251] oder Lactulose [252].
Ein systematisches Review von 137 Studien mit chinesischer Kräutertherapie oder TCM-Methoden bei chronischer Obstipation weist 15 Studien von hoher Qualität auf, zeigt aber auch eine große diagnostische Heterogenität und große Anzahl an eingesetzten chinesischen Kräutern sowie anderen Therapiemaßnahmen (Akupunktur, Shiatsu etc.), sodass einzelne chinesische Kräuter derzeit als nicht ausreichend belegt gelten [253].
Eine weitere Metaanalyse [254] begutachtet 35 randomisierte Studien zur TCM-Therapie der chronischen Obstipation. TCM allein oder als Add-on zur Vergleichstherapie ist signifikant wirksamer als Prokinetika (z. B. Cisparid, Mosaprid) oder Laxanzien (z. B. Makrogol). Allerdings geben die Autoren zu bedenken, dass die begutachteten Studien von niedriger methodologischer Qualität (u. a. fehlende Verblindung) seien.
Aus der traditionell japanischen Medizin (Kampo Medizin) wird in unkontrollierten Studien eine Verbesserung der Obstipation bei Kindern durch Dai-Kenchu-To (TJ-100; u. a. Ingwer und Ginseng) berichtet [255]. In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie an gesunden Probanden führte die Substanz jedoch zu einer überwiegend nicht signifikanten Zunahme des Kolontransits und zu keiner Zunahme der Stuhlfrequenz [256].
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1 In Zusammenarbeit mit Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Coloproktologie (CACP) der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), Deutsche Gesellschaft für Koloproktologie (DGK), Deutsche Reizdarmselbsthilfe e. V. (Patientenorganisation)
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