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DOI: 10.1055/s-0033-1335965
Untersuchung des Einflusses von Umweltfaktoren bei schweren psychischen Erkrankungen: Epigenetik als ein neuer Forschungsansatz
Investigation of the Influence of Environmental Factors in Severe Psychiatric Diseases: Epigenetics as New Research ToolPublication History
Publication Date:
15 July 2013 (online)
Im letzten Jahrzehnt machte die neurogenetische Forschung einen großen Sprung von Assoziations- und Kopplungsuntersuchungen einzelner Gene hin zu genomweiten Assoziationsstudien an sehr großen Patientenstichproben. Jedoch zeigte sich gerade bei schweren psychiatrischen Erkrankungen, dass einzelne Gene nur einen geringen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko haben und dass bislang nur wenige Gene repliziert werden können. Andererseits konnte nachgewiesen werden, dass es eine Überlappung zwischen affektiven Erkrankungen und Schizophrenie gibt, die zum Überdenken der historisch gewachsenen Dichotomie zwischen diesen Erkrankungsgruppen führt. Von epidemiologischen Zwillingsstudien wissen wir aber auch um die Bedeutung von Umweltfaktoren wie Geburts- und Schwangerschaftskomplikationen, Viruserkrankungen und Mangelernährung der Mutter während der Schwangerschaft, aber auch Stress in der frühkindlichen Phase und im jungen Erwachsenenalter sowie Belastungen durch ein verändertes soziales Umfeld.
Dabei entwickelte sich ein neues Forschungsgebiet, das die durch Umweltfaktoren vermittelte Regulierung der Ableserate von Genen durch DNA-Methylierung und Histonacetylierung bei schweren psychiatrischen Erkrankungen untersucht. Diese epigenetischen Veränderungen führen zu herauf- oder herabregulierter Genexpression mit Konsequenzen für die neuronale Funktion und letztendlich zu kognitiven und psychopathologischen Symptomen. Buchholz et al. [1] beschreiben in dieser Ausgabe in einer detaillierten Übersichtsarbeit die neurobiologischen Grundlagen epigenetischer Mechanismen und geben einen Einblick in neue Befunde bei Schizophrenie, Autismus, Essstörungen, Alkoholabhängigkeit, Depression und posttraumatischer Belastungsreaktion. Dabei werden auch Limitierungen, wie die Auswahl des Studienkollektivs, des Untersuchungsmaterials und der angewendeten Methoden, und daher oft noch mangelhafte Replikation von Ergebnissen diskutiert.
Diese Erkenntnisse sind nicht nur von rein wissenschaftlichem Interesse, sondern können mittelfristig schon Konsequenzen für neue Therapieformen haben. So wirken herkömmliche Medikamente wie Antipsychotika oft nur unzureichend auf Negativsymptomatik und kognitive Störungen, die ein Prädiktor für einen residualen Verlauf und einen Funktionsverlust im sozialen Bereich sind. Daher wird nach zusätzlicher Add-on-Medikation bei schweren psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie gesucht. Epigenetisch wirksame Medikamente wie Histon-Deacetylase-Inhibitoren (HDACi) sind hierbei eine neue Therapieoption, die zunächst in Studien auf ihre Wirksamkeit geprüft werden müssen. So wird bislang der HDACi Suberoylanilide Hydroxamic Acid (SAHA) bei T-Zell-Lymphom eingesetzt. Aber auch andere Medikamente wie Valproat und das Benzamid MS-275, die ebenfalls bei Krebserkrankungen eingesetzt werden, haben epigenetische Eigenschaften. So zeigte der HDACi Valproat in Tiermodellen der Schizophrenie wie der heterozygoten Reeler-Maus, die Reelin vermindert exprimiert, eine Normalisierung der Reelinexpression. In anderen Tiermodellen ergab sich nach Therapie mit HDACi eine Verbesserung der hippocampalen Gedächtnisfunktion. Hypoxie ist ein Risikofaktor von Geburts- und Schwangerschaftskomplikationen und erste Ergebnisse hypoxisch-ischämischer Gehirnschädigung zeigten eine protektive Wirkung von HDACi auf die Größe des Infarktvolumens. HDACi sollten nun auch vermehrt in Tiermodellen von Risikogenen schwerer psychiatrischer Erkrankungen eingesetzt werden.
Valproat wurde schon in klinischen Studien bei schizophrenen Patienten eingesetzt, allerdings war der Vorteil für die Patienten hier gering. Eine bessere therapeutische Option könnte hier der Einsatz des Benzamids MS-275 darstellen, das eine geringere Toxizität als SAHA aufweist. Es hat eine lange Halbwertszeit, überwindet die Blut-Hirn-Schranke und ist effektiver als Valproat in der Wirkung auf die Histon-1, 2- und -3-Spiegel. In Mäusen wurde bereits gezeigt, dass es die Histonacetylierung im frontalen Kortex und Hippocampus anregt. Weitere Studien sollten die Wirkung auf Kognition nachweisen, bevor dann in ersten klinischen Studien diese Medikamentengruppe bei schweren Verläufen psychiatrischer Erkrankungen untersucht werden kann.
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Literatur
- 1 Buchholz V, Kotsiari A, Bleich S et al. Nature meets Nurture: Die Bedeutung der Epigenetik für die Ätiologie psychischer Erkrankungen. Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81: 368-380