Einleitung
Obwohl Lungenkrebserkrankungen bei beruflich Quarzstaub-Exponierten als eigene Berufskrankheit
in der gültigen Berufskrankheiten-Verordnung nicht existieren, wurden beim Hauptverband
der gewerblichen Berufsgenossenschaften in der Zeit von 1978 - 1997 insgesamt 255
Verfahren als „Lungenkrebs in Verbindung mit Silikose” über die BK-Ziffer 4101 bzw.
4102 als Berufskrankheiten registriert. Nach der Häufigkeitsstatistik handelt es sich
somit um die dritthäufigste beruflich assoziierte Lungenkrebserkrankung nach den asbestassoziierten
bösartigen Lungentumoren und Lungentumoren als Folge vergleichsweise erhöhter beruflicher
Expositionen gegenüber ionisierenden Strahlen als Folge der Tätigkeit im Uranerzbergbau
der WISMUT.
Diese Daten zeigen eindeutig, dass das hier zur Diskussion stehende Thema nicht neu
ist. Besonders im Fachgebiet der Pathologie gibt es umfangreiche Arbeiten und Übersichten
zur Frage der kausalen und formalen Pathogenese von Lungentumoren in Assoziation mit
dem großen Spektrum der als Pneumokoniosen zusammengefaßten staubbedingten Lungenerkrankungen
[[15], [18], [24], [25]].
Drei für das Thema bedeutsame Fragestellungen berühren das Fachgebiet der Pathologie:
-
Gibt es für quarzassoziierte Lungentumoren ein spezifisches morphologisches Substrat?
-
Welchen Beitrag zur Hypothese quarzinduzierter Lungentumoren liefern experimentelle
Befunde?
-
Worauf basiert Rang 3 (n = 255) für quarzassoziierte „bronchogene Tumoren” in der
Gruppe von 7529 „beruflich verursachten” Krebserkrankungen bei den von 1978 - 1997
als Berufskrankheiten anerkannten Tumoren des broncho-pulmonalen Systems?
Pathologisch-anatomische Befunde bei Lungentumoren und Staublungenerkrankungen
In umfangreichen Untersuchungen über viele Jahre im Institut für Pathologie an den
Kliniken Bergmannsheil wurden Befunde an bösartigen Lungentumoren in Verbindung mit
pneumokoniotischen Lungenveränderungen, teils unter dem Bild sogenannter „silikotischer
Narbenkarzinome” mit broncho-pulmonalen Tumoren ohne nennenswerte Pneumokoniosen verglichen.
Die Auswertungen haben ergeben, dass es bezüglich der röntgenologisch und makroskopisch
fassbaren Lokalisationen (Topographie) keine signifikanten Unterschiede gibt (Abb.
[1]).
Zwar sind größere silikotische Schwielen und bösartige Tumoren bei ehemaligen Bergleuten
bevorzugt in den Lungenobergeschossen entwickelt, dies trifft aber auch für die bösartigen
bronchopulmonalen Neoplasien ohne erhöhte, meist beruflich bedingte chronische Staubbelastung
der Lunge zu [[1], [9], [15], [18], [24]
[25]
[26]
[27]].
Auch die Auswertung mikroskopischer Tumorbefunde nach den führenden Wachstumsmustern
entsprechend den Vorgaben der WHO-Klassifikation - revidierte Fassung von 1999 [[28]] - hat keine reproduzierbaren Befunde bezüglich einer sicheren kausalen Verknüpfung
zwischen pulmonalen Quarz- bzw. Mischstaub-Inkorporation und bestimmten histomorphologischen
Wachstumsmustern bösartiger Lungentumoren ergeben. Es werden als führende histologische
Wachstumsmuster sowohl plattenepithelial und drüsig als auch kleinzellig differenzierte
Tumoren diagnostiziert.
Problematisch im Einzelfall ist - besonders auch unter versicherungsmedizinischen
Gesichtspunkten - die Bewertung charakteristischer sekundärer Tumorvernarbungen mit
Staubinkorporationen bei meist peripher in den Lungen lokalisierten Adenokarzinomen
[[6]].
In diesem Zusammenhang ist auszuführen, dass nach neuen molekularbiologischen Befunden
die Einteilung bösartiger Lungentumoren nach histologischen und zytologischen Befunden
nur noch als sehr grober Parameter zur Beschreibung der Tumorbiologie zu werten ist.
Mit dem Verfahren der comparativen genomischen Hybridisierung (CGH) lassen sich fast
individuell unterschiedliche genetische Anomalien in bösartigen Tumoren der Lunge
aufzeigen. Innerhalb desselben Tumors eines Patienten sind bei lichtmikroskopisch
herdförmig unterschiedlichen Strukturen variable genetische Defekte bei gezielter
Untersuchung verschiedener Regionen aufzuzeigen (Abb. [2]).
Die gerade für bösartige Lungentumoren ungewöhnlich große Heterogenität lässt sich
heute zunehmend besser fassen, wenn neue Methoden zur Charakterisierung gestörter
interzellulärer Kontakte, variabler Muster der Stromakomponenten und Neovaskularisation,
unterschiedliche immunologische Phänomene sowie der komplexe Bereich der Metastasierung
berücksichtigt werden [[23]] (Abb. [3]).
Nach allen zu diesen Fragen der Tumorbiologie vorliegenden Ergebnissen der letzten
Jahre gibt es keinen spezifischen Befund, der als Beweis für eine quarzbedingte Tumorentwicklung
beim Menschen eingesetzt werden könnte.
Morphologie und Ursachenspektrum
Nach unseren heutigen Kenntnissen vollzieht sich die Entwicklung eines bösartigen
Tumors über Latenzphasen bis zu mehreren Jahren [[10]].
Der genaue Zeitpunkt der primären Tumorrealisation, vielfach im Bereich von Krebsvorstadien
(Präneoplasien), lässt sich retrograd in der Regel nicht genauso festlegen. Deshalb
ist auch eine zeitliche konkrete Zuordnung krebsauslösender Noxen zur Tumorentstehung
nicht möglich.
Weiterhin ist bei Fragen der kausalen Verknüpfung von experimentell belegten krebsauslösenden
Substanzen für Lungentumoren nachdrücklich hervorzuheben, dass im Regelfall ein vielfältiges
Spektrum kanzerogener Substanzen als kombinierte - teils auch summierend oder potenzierend
- wirksame Faktoren diskutiert werden müssen. Hauptursache der Lungenkrebsentwicklung
ist und bleibt das chronische Zigarettenrauchen. 85 % der „Silikotiker” mit Lungenkrebs
sind oder waren starke Raucher [[13], [29]].
Zusammenfassend ist weder nach den Befunden der makroskopischen und mikroskopischen
Morphologie noch nach den jüngsten Ergebnissen durch Einsatz z. B. immunhistochemischer
oder molekularbiologischer Untersuchungsverfahren ein spezifisches Merkmalspektrum
aufzuzeigen, das eine sichere kausale Verknüpfung zwischen erhöhter chronischer Quarz-Inkorporation
in den Lungen und der Entwicklung bösartiger bronchopulmonaler Tumoren unter wissenschaftlichen
Gesichtspunkten des Fachgebietes der Pathologie reproduzierbar ermöglicht oder gar
mit Sicherheit ableiten läßt [[23]].
Beitrag experimenteller Befunde zur Hypothese der quarz-induzierten Entwicklung von
Lungentumoren
Der Nestor deutscher Pneumopathologen bis vor 30 Jahren, Herr Prof. Dr. Willi Giese,
führte in einem Übersichtsartikel der „Klinischen Wochenschrift” mit dem Thema Silizium,
Silikate, Silikose am 8. Juni 1940 u. a. aus:
„Wenn man neuere Veröffentlichungen über Silikose liest, dann muß man den Eindruck
gewinnen, als ob das Problem der Wirkungsweise eines fibroseerzeugenden Staubes bereits
völlig geklärt wäre” [[12]].
Die letzten 50 Jahre haben auch dem Fachgebiet der Pathologie eine Fülle neuer Methoden
an die Hand gegeben, die wesentlich zur Erweiterung unserer Kenntnisse über sehr komplexe
Reaktionsmuster der Lungen auf inhalierte Fremdsubstanzen geführt haben.
Bezüglich der zahlreichen, kaum mehr überschaubaren Ergebnisse wird auf die Übersichtsarbeiten
von Davis und Gemsa [[2]], Donaldson und Borm [[4]], Gibbs und Wagner [[11]], Goldsmith et al. [[13], [14]], Mossman und Churg [[22]], Finkelstein [[5]] und Könn et al. [[18]] verwiesen.
Die aus zahlreichen Arbeiten und tierexperimentellen Studien abzuleitenden wesentlichen
pathologisch-anatomischen Befunde zur kausalen und formalen Pathogenese lassen sich
folgendermaßen zusammenfassen:
-
Überlastung der physiologischen Lungen-Clearance durch partikuläre Fremdsubstanzen.
-
Abhängigkeit der Formen und Grade der Reaktionsmuster von Art und Zusammensetzung
- Größe, Form, Biobeständigkeit - der Staubpartikel (Abb. [4]).
-
Entzündungsreaktionen mit erheblicher Aktivierung, Vermehrung und Zerstörung von Zellen
des Monozyten-Makrophagensystems und Zellzerstörung. Freisetzung einer großen, bis
heute sicher noch nicht vollständig bekannten Palette von Entzündungsmediatoren und
Faktoren (z. B. TNFα, Interleukine, PDGF etc.). Beteiligung des Immunsystems über
eine Aktivierung des lymphatischen Zellsystems. Aktivierung der Mesenchymzellen mit
Faserentwicklung und progredienter Fibrose (Abb. [5])
-
Bei quarzreichen Staubinkorporationen Entwicklung relativ charakteristischer hyalinschwieliger
Granulome mit Konfluenz zu schwieligen Vernarbungen.
-
Sekundäre Nekrosen, Verkalkungen, Verknöcherungen und atypische Vaskularisationsmuster
im Bereich von Schwielen der Lungen, Pleura und Lymphknoten.
Chronisch progrediente Prozesse der Pneumokoniosen sind entscheidend von der variablen
Zusammensetzung inhalierter Stäube abhängig. Quarzkristalle sind für Makrophagen zytotoxisch.
Aus untergehenden Makrophagen werden primär phagozytierte, nicht abbaubare Fremdkörper
erneut freigesetzt und unterhalten über einen „Recycling-Prozess” einen Circulus vitiosus der entzündlichen Reaktion mit Makrophagenaktivierung und Mediatorfreisetzung, die
bei unzureichender Elimination der Staubpartikel bis zur Fibrosierung führen kann
[[2]].
Die in Präparaten ehemaliger Bergleute für uns täglich nachvollziehbaren Befunde der
„Staublungenveränderungen” sind bei demselben Patienten innerhalb der Lungen bezüglich
Aktualität, Ausmaß und Aktivität durchaus variabel entwickelt (Abb. [6]).
Makrophagen, Entzündungszellen und Bindegewebszellen gehören nicht zu den Stamm- oder
Vorläuferzellen bösartiger Lungentumoren. Nach dem derzeit gültigen Konzept vollzieht
sich die Tumorrealisation über mehrere Schritte mit der Entwicklung variabler genetischer
Anomalien im Bereich von Stamm- oder Reservezellen von Epithelzellen. Dies gilt für
das Konzept der Histogenese von Plattenepithel- und Adenokarzinomen der Lungen und
muß auch für die Tumoren der heute als neuroendokrine Karzinome (in der Lunge besonders
das kleinzellige und großzellige neuroendokrine Karzinom) zusammengefaßten Lungentumoren
abgeleitet werden.
Beim Menschen sind in Tumorzellen keine gespeicherten Fremdsubstanzen, also bei „Silikotikern”
auch kein Quarz licht- und elektronenmikroskopisch nachweisbar. Quarz als „direktes”
Kanzerogen kann aus umfangreichen morphologischen Befunden beim Menschen nicht wissenschaftlich
begründet abgeleitet werden.
Wie bei nahezu allen anderen, als Kanzerogene für die Entwicklung von bösaratigen
Lungentumoren geführten Noxen kann aus den Befunden aber der Weg zur Tumorrealisation
grundsätzlich auch für Quarz über einen chronischen Entzündungsprozess mit Mediatorfreisetzung
aus Entzündungszellen und daraus abzuleitender Schädigung der genetischen Informationen
bis zur unkontrollierten autonomen Tumorzelle diskutiert werden.
Tierexperimentelle Befunde
Die Ergebnisse über die Induktion bösartiger Lungentumoren nach Inhalation oder Instillation
von Quarz in das tracheo-bronchiale System von Laboratoriumstieren sind teilweise
widersprüchlich und speziesabhängig. So können bei Ratten und ausgewählten Mäusestämmen
Tumoren induziert werden, während dies bei Hamstern und Mäusen anderer Stämme nicht
gelingt.
Die vorwiegend mikroskopisch, immunhistochemisch, elektronenoptisch und morphometrisch
zu erhebenden Befunde zur formalen Pathogenese quarzinduzierter Reaktionsmuster sind
den Bildern beim Menschen durchaus vergleichbar. Gut korrelieren entzündliche Fremdkörperreaktionen,
Makrophagenaktivierung und Zytokin-Expression. Die Entwicklung von Lungentumoren nach
Quarz-Exposition bei verschiedenen Tier-Spezies ist aber nicht oder nur sehr bedingt
auf die Humanpathologie übertragbar [[8]].
Die häufigen histologischen Tumorformen beim Menschen, wie Plattenepithelkarzinome
und kleinzellige Karzinome sind im Tierexperiment i. d. R. nicht nachvollziehbar.
Allein bei den histogenetischen Ableitungen für die Realisation humaner Adenokarzinome
sind bedingt mögliche Ähnlichkeiten aufzuzeigen (Lit.-Übersicht s. [[7]]).
In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, dass auch nach Tierversuchen
etwa 80 % des in den Lungen verabreichten „initialen” Quarzes nicht in der Lunge verbleibt.
Über das bronchiale Reinigungssystem und die Lymphdrainage erfolgt auch bei Tierexperimenten
eine erhebliche Schadstoff-Elimination. Nur etwa 20 % verbleiben im Lungengewebe.
Bezüglich der Bewertung der toxischen Potenz von kristallinem Quarz - abgeleitet aus
der besonderen Oberflächenchemie - dürfen Umhüllungen der partikulären Fremdkörper
mit Schleimsubstanzen und alveolären Surfactant nicht unberücksichtigt bleiben [[2]].
Abb. 1Vergleich von prozentualen Häufigkeiten und Topografie der als sogenannte „silikotische
Narbenkarzinome” ermittelten Tumoren zu Silikose-unabhängigen bösartigen Lungentumoren
(Sektions- und OP-Material).
Abb. 2CGH-Befunde chromosomaler Anomalien von zwei Arealen desselben bösartigen Lungentumors
mit unterschiedlichen führenden histologischen Wachstumsmustern p (CGH = comparative
genomic hybridization).
Abb. 3Schema der heute phänotypisch morphologisch fassbaren, variabel entwickelten Befunde
in bösartigen Lungentumoren meist als Folge genetischer Anomalien. (A. p. = Arteria
pulmonalis; Br. = Bronchus; A. br. = Arteria bronchialis; V. p. = Vena portae).
Abb. 4Messwerte von prozentual unterschiedlichen Quarzanteilen im Gesamtstaub der Lungen
in Abhängigkeit der Expositionsbedingungen (nach: Nagelschmidt Br. J. Ind. Med. 17:
247-259 (1960)).
Abb. 5Schematische Darstellung der durch Makrophagen vermittelten Prozesse mit möglichen
Rückwirkungen auf die Struktur der Lungen als Folge einer Exposition gegenüber Quarzfeinstäuben.
(IL = Interleukin; TNF = Tumornekrosefaktor; IGF = Insulin-like Growth Factor; PDGF
= Platelet-derived Growth Factor; IFN = Interferon; AAH = alveoläre adenomatöse Hyperplasie).
Abb. 6Mikrofotogramme verschiedener, parallel vorliegender Entwicklungsphasen von Staubgranulomen
in der Lunge eines Patienten mit immunhistochemischer Darstellung der Zellen des Monozyten-Makrophagensystems
durch Einsatz eines Antikörpers gegen das CD68-Antigen.
Silikose und Krebs
Die Diskussion zu kausal-pathogenetischen Verknüpfungen zwischen quarzinduzierten
Pneumokoniosen (= Silikosen) und der Entwicklung bösartiger Lungentumoren ist bei
weitem nicht neu. Die diesbezüglichen Arbeiten im pathogenetisch-anatomischen Schrifttum
sind in Handbuchbeiträgen von Könn et al. zusammenfassend referiert worden [[18]].
Neu belebt wird das Thema durch die 1997 erfolgte Empfehlung der International Agency
for Research on Cancer (IARC) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO): „kristalline
Silikate nach Inhalation in Form von Quarz oder Kristobalit bei beruflichen Ursachen
als kanzerogen für Menschen (Gruppe 1) zu bewerten” (Der Stoff ist krebserregend.
Die Expositionsumstände führen zu einer Exposition, die für den Menschen krebserregend
ist.) Amorphes Silizium wird als nicht kanzerogen für Menschen klassifiziert (Gruppe
3; Der Stoff ist in Bezug auf seine krebserzeugende Wirkung beim Menschen nicht klassifizierbar)
[[16]].
Folgende Kriterien haben unter Berücksichtigung - durchaus auch widersprüchlicher
- experimenteller und epidemiologisch erhobener Befunde zu dieser Bewertung der internationalen
Arbeitsgruppe zur Evaluierung kanzerogener Risiken beim Menschen geführt.
Bei der Einordnung von kristallinen Silikaten bei der Gruppe 1 unter den kanzerogenen
Schadstoffen für Menschen wurden u. a. berücksichtigt:
-
Es liegen „ausreichend” Beweise beim Menschen für die Kanzerogenität von inhalierten
kristallinen Silikaten in Form von Quarz und Kristobalit bei beruflichen Ursachen
vor.
-
Tierexperimentell gibt es „ausreichende” Hinweise für eine Kanzerogenität von Quarz
und Kristobalit.
-
Es gibt nur ungenügende Beweise für eine Kanzerogenität von amorphem Silizium und
synthetischen anorganischen Silikaten beim Menschen.
Zusammenfassend betont aber die Arbeitsgruppe der IARC, dass eine Kanzerogentität
von Quarz nicht unter allen industriellen Umständen beobachtet wurde. Die Kanzerogenität
kann abhängig sein von relativ spezifischen Charakteristika der kristallinen Silikate
oder von externen Faktoren, die zur Beeinflussung seiner biologischen Aktivität oder
Verteilung seiner variablen Struktur führen [[16]].
Relevant für die in Deutschland überwiegende Gruppe staub-exponierter Personen im
Kohlenbergbau des Ruhrgebietes wird von der Expertengruppe der IARC ausdrücklich hervorgehoben,
dass
„keine ausreichenden Beweise für eine Kanzerogenität von Kohlenstaub beim Menschen
und keine diesbezüglichen Beweise in Tierexperimenten vorliegen”.
Kohlenstaub wird also nicht als kanzerogen beim Menschen in die Gruppe 3 eingeordnet
(der Stoff ist in Bezug auf seine krebserzeugende Wirkung beim Menschen nicht klassifizierbar).
Aus epidemiologischen oder tierexperimentellen Untersuchungen ergeben sich danach
keine adäquaten Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung beim Menschen.
Bislang gibt es keine übereinstimmenden Untersuchungsergebnisse über eine Assoziation
von Stäuben aus Kohlengruben und bösartigen Tumoren. Es sind keine Beziehungen zwischen
Expositionszeiten, röntgenographischen Befunden und möglichen Brückenbefunden abzuleiten.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist eine deutliche Reduktion der in vitro meßbaren
Zytotoxizität von Quarz bei Anwesenheit von Kohlenstaub [[16]].
Von der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen
Forschungsgemeinschaft wurde kristallines Siliziumdioxid (Quarz, Cristobalit, Tridymit)
1999 in der MAK-Liste erstmals in die Kategorie 1 der krebserregenden Arbeitsstoffe
eingeordnet. Die Kategorie 1 umfasst Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugeben ist, dass sie einen
nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Epidemiologische Untersuchungen geben
hinreichende Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen einer Exposition beim Menschen
und dem Auftreten von Krebs. Andernfalls können epidemiologische Daten durch Informationen
zum Wirkungsmechanismus beim Menschen gestützt werden [[3]].
Bezüglich neuer epidemiologischer Befunde zum Lungenkrebsrisiko durch berufliche Staubexposition
wird auf die umfangreiche Übersicht von Jöckel et al. verwiesen [[17]]. Besonders unter Berücksichtigung der Arbeiten von Morfeld et al. [[19]
[20]
[21]] wird bei der Auswertung der Ergebnisse von Kohorten- und Fall-Kontrollstudien -
mit einer Diskussion um Selektionseffekte 1998 von den Autoren wörtlich ausgeführt:
„Insgesamt sind die vorliegenden Daten vereinbar mit der Hypothese eines erhöhten
Lungenkrebsrisikos von quarzstaubexponierten Beschäftigten”.
Zusammenfassung
Aus dem Fachgebiet der Pathologie und unter Berücksichtigung eines umfangreichen Obduktionsgutes
verstorbener ehemaliger Bergleute sind folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:
Für die Diskussion gestellte, quarzassoziiert entstandene Lungenkrebserkrankungen
gibt es kein makroskopisches, mikroskopisches, elektronenmikroskopisches oder molekularbiologisch
fassbares spezifisches Bild.
Experimentelle Befunde über die quarzassoziierte pulmonale Neubildungen sind speziesabhängig
induzierbar. Die histologischen und zytologischen Wachstumsmuster der Tumoren aus
Tierexperimenten sind den häufigsten nach histologisch-phänotypischen Gesichtspunkten
einzuteilenden bösartigen Neubildungen beim Menschen mit und ohne Quarzstaublungenerkrankungen
nicht vergleichbar.
Eine Kausalkette zwischen epidemiologisch-statistisch gesicherten, vergleichsweise
deutlich erhöhten Expositionen gegenüber Quarz und bösartigen Neubildungen des bronchopulmonalen
Systems sind nur über die Hilfshypothese der wahrscheinlichen Tumorentwicklung im
Bereich vorbestehender hyalinschwieliger silikoseinduzierter Lungen- oder Lymphknotennarben
möglich.
Bei der relativ hohen Zahl von zusammenfassend ausgewiesenen und in den Jahren von
1978 - 1997 als Berufskrankheiten entschädigten sog. „silikotischen Narbenkarzinomen”
gehen auch Gesichtspunkte unter versicherungsmedizinischen Aspekten ein, die zur Stützung
der Hypothese quarz-induzierter bronchopulmonaler Erkrankungen beim Menschen unter
wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht herangezogen werden können.
Die weiterhin kontrovers geführte Diskussion zur Hypothese eines erhöhten Lungenkrebsrisikos
nach vergleichsweise hohen Expositionen gegenüber quarzhaltigen Stäuben - nicht Mischstaubexpositionen
bei ehemaligen Bergleuten des Ruhrgebietes - läßt sich zur Zeit allein durch - wenn
auch widersprüchliche - epidemiologische Daten zur Risikoerhöhung stützen.