Psychotraumatologie 2001; 2(1): 4
DOI: 10.1055/s-2001-13482
Aus Nachbarzeitschriften
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychosoziale Betreuung von kindlichen und jugendlichen Opferzeugen vor Gericht

Ute Habel, Frank Schneider
  • Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Dr. Ute  Habel

Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Bergische Landstraße 2

40629 Düsseldorf

Email: habel@uni-duesseldorf.de

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Table of Contents

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: PPmP Psychother Psychosom med Psychol 2001; 51: 160 - 165.

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Zusammenfassung

Kinder und Jugendliche sind als Opfer von Straftaten besonders gefährdet und als eher schwache Mitglieder in der Gesellschaft besonders zu schützen. Durch die Gerichtsverhandlung kommt eine besondere Belastung auf sie zu. Unwissenheit und Ängste sind bei kindlichen und jugendlichen Zeugen häufig, und es besteht die Gefahr einer sekundären Traumatisierung der Opfer durch einen emotional negativen Kontakt mit der gerichtlichen Institution. Ein seit zwei Jahren am Düsseldorfer Landgericht und Amtsgericht etabliertes Zeugenbetreuungsprogramm soll einer solchen Gefahr vorbeugen. Im Rahmen eines begleitenden wissenschaftlichen Forschungsprojektes wurden neben 53 erwachsenen Opferzeugen auch 47 Kinder und Jugendliche als Zeugen mit standardisierten Selbst- und Fremdbeurteilungsbogen untersucht. Die Ergebnisse belegen eine große Belastung der jüngeren Zeugen durch die Verhandlung. Sie profitieren aber auch besonders von der qualifizierten professionellen Betreuung. Ängste und Stress konnten erfolgreich reduziert werden. Mit einer Zeugenbetreuung vor Gericht kann ein wichtiger Beitrag zur Verhinderung einer sekundären Viktimisierung kindlicher und jugendlicher Zeugen geleistet werden.

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Psychosocial Intervention to Help Child and Adolescent Witnesses in Court

The risk of crimes being committed against children and adolescents is particularly high. These individuals should receive effective protection. Confronted with judicial proceedings, they are exposed to enormous amounts of stress. Often they are overwhelmed by feelings of fear and insecurity. Secondary victimization is likely to follow as a result of the negative experiences they encounter with the judicial system. A victim assistance program has been set up in the regional and district court of Düsseldorf in order to protect against such trauma. Forty-seven child and adolescent victims and 53 adult victims, all turned witnesses, took part in the program. Standardized questionnaires for mood and affect were applied. Results show that the younger witnesses perceive the experience of the court proceedings as stressful compared to adults. However, they also benefit mostly from the victim support services. Fear and stress were successfully alleviated. Qualified victim support interventions may play an important role in protecting children and adolescents in the courtroom from „secondary victimization”.

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Einleitung

Besonders Frauen und Kinder sind in der Bevölkerung gefährdet, Opfer von Straftaten zu werden, hauptsächlich als Opfer von Gewaltdelikten und bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Für Opfer stellt die Situation einer Zeugenaussage vor Gericht eine besondere Belastung dar [1] [2], denn sie sind vor Gericht häufig auf sich alleine gestellt und mögen ihre Zeugenaussage oft eher als nicht sehr einfühlsam gestaltetes Verhör empfinden. Die Gefahr einer solchen vernachlässigenden Behandlung von Opfern vor Gericht liegt in einer sekundären Traumatisierung. Negative Umweltreaktionen bzw. Falschbehandlung der Opfer können zu weiteren psychischen Folgeschäden führen, die über die durch die Straftat primär verursachten hinausgehen. Busse et al. [3] haben festgestellt, dass nach Angaben der Mütter ca. 60 % der kindlichen Zeugen starke Ängste angesichts der auf sie zukommenden Belastung einer Gerichtsverhandlung hatten. 75 % der Mütter betrachteten die Verhandlung als hohe Belastung für ihr Kind.

Potenzielle Stressfaktoren, die mit einer Gerichtsverhandlung auf die kindlichen Opfer zukommen, sind beispielsweise Wartezeiten auf ungemütlichen Gerichtsfluren, Unwissen bezüglich der Rollen, Aufgaben [4] und auch Handlungsmöglichkeiten in der Verhandlung. Daraus und auch aus einer antizipierten Bedrohung durch den Täter resultiert Angst. Während der Vernehmung werden Belastung und Stress hervorgerufen durch die Begegnung mit dem Angeklagten, aber häufiger auch durch die Tatsache, vor vielen fremden Menschen aussagen zu müssen oder wiederholt befragt zu werden.

Zeugenbegleitprogramme vor Gerichtsverhandlungen existieren jedoch hierzulande hauptsächlich als Pilotprojekte. So gibt es spezielle Zeugenbetreuungsprogramme für kindliche Opferzeugen in Kiel [5], Rostock [6] oder Magdeburg [7].

Ein Modellprojekt in Düsseldorf wurde am Land- und Amtsgericht eingerichtet, um vorrangig Opferzeugen zur Verfügung zu stehen [1] [2]. Langfristiges Ziel dieses Projektes war es, mit den Ergebnissen ein „Düsseldorfer Modell” zu etablieren, das über die Erstellung eines Leitfadens die Einrichtung und Institutionalisierung von Zeugenbetreuungsprogrammen an deutschen Gerichten erlaubt. Mit der Einrichtung der Zeugenbetreuung bei Gericht wurde daher eine wissenschaftliche Begleitforschung vom Justizministerium Nordrhein-Westfalen gefördert, die den Aufbau der Zeugenbetreuung dokumentiert und evaluiert und den Nachweis ihrer Notwendigkeit und Wirksamkeit erbringt.

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Methoden

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Voraussetzungen

Für die erfolgreiche Umsetzung eines solchen Zeugenbetreuungsprogramms bei Gericht sind zwei Voraussetzungen unerlässlich: die Einrichtung geeigneter, gut gelegener Räume im Gerichtsgebäude und die Einstellung kompetenter, im psychosozialen Bereich qualifizierter Fachkräfte. In unserem Fall konnten zwei Diplom-Sozialpädagoginnen eingestellt werden, die sich seit der Eröffnung des Zimmers für Zeuginnen und Zeugen im Dezember 1997 vorrangig um Opferzeugen kümmern. Bei der Auswahl der Bewerberinnen spielten neben einem Diplom in Pädagogik oder Psychologie Kriterien wie Vorerfahrungen in diesem oder einem ähnlichen Bereich (z. B. Gerichtshilfe) bzw. Erfahrung mit Gesprächsführungstechniken, Krisenintervention und Beratung eine wichtige Rolle. Ausführliche Anforderungen an das Curriculum von Zeugenbetreuerinnen sind im Laufe des Projektes erarbeitet worden [2]. Es stehen zwei Räume zur Verfügung, der eigentliche Betreuungsraum mit guter Lage zu den wichtigsten Sitzungssälen und ein Büroraum, der ebenfalls zur Betreuung genutzt werden kann.

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Stichproben

Ein allen Ladungen beigefügtes Informationsblatt klärt alle Zeugen über die Möglichkeit der Zeugenbetreuung auf. Über die Anklageschriften und Ladungsverfügungen aus den Geschäftsstellen informieren sich die Betreuerinnen über laufende und geplante Verfahren und machen die dort geladenen Opferzeugen zusätzlich mit einem persönlichen Anschreiben auf das Zimmer für Zeuginnen und Zeugen aufmerksam.

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung wurden alle betreuten Zeugen mit einem Protokollbogen erfasst; zusätzlich wurden innerhalb der Projektlaufzeit Verfahrensstichproben (insgesamt 100 Opferzeugen) gezogen, bei denen die Befindlichkeit der Zeugen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, die Akzeptanz des Programmes bei den Verfahrensbeteiligten sowie die Auswirkungen auf die Verhandlung mit standardisierten psychologischen Erhebungsmethoden erfasst wurden. Ab einem Stichtag (1. 1. 1998) wurden diese Zeugen schriftlich über das Forschungsvorhaben informiert. Alle Verfahren, deren Zeugen zur freiwilligen Teilnahme bereit waren, wurden konsekutiv einbezogen. Dies kann möglicherweise zu einer systematischen Stichprobenselektion insofern führen, als nur kooperationsbereite Zeugen untersucht werden. Eine Kontrollgruppe von 50 nicht betreuten Zeugen wurde am Landgericht Essen rekrutiert (zu den Ergebnissen vgl. [2]). Die Stichprobendaten zeigt Tab. [1].

Tab. 1Stichprobenvergleich: demographische Daten und Merkmale der Opferzeugen in ihrer Situation als Opferzeugen vor Gericht (am Verhandlungstag, Angaben in %). Für die Ausgangsstichprobe wurde nur ein Fragebogen verwendet, so dass die Datenmenge hier eingeschränkt ist und einige Angaben fehlen.
Ausgangsstichprobe gesondert untersuchte Opferzeugen
erwachsene Zeugen kindliche und jugendliche Zeugen
n = 1218 n = 53 n = 47
Alter in Jahren
Geschlechterverteilung (%)
Nationalität (%)
zum ersten Mal Zeuge (%)
Begleitung (%)
davon professionelle Begleitung (%)
Angst vor Repressalien (%)
Erfahrung von Repressalien (%)
erfolgte Aussage (%)
Arztbesuch (%)
Medikation (%)
subjektiver Behandlungswunsch (%)
Behandlungsindikation (%)
-
45 Männer/55 Frauen
-
54
51
23
-
-
-
-
-
-
-
39,1 ± 13,9
34 Männer/66 Frauen
89 Deutsche
57
52
4
56
14
82
42
13
16
30
16,0 ± 2,4
51 Jungen, 49 Mädchen
89 Deutsche
66
81
4
53
30
67
43
4
15
31
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Untersuchungsinstrumente

Für die gesonderte Befragung der Opferzeugen wurden selbst entwickelte sowie etablierte, standardisierte Selbst- und Fremdbeurteilungsbogen eingesetzt:

State-Trait-Anxiety Inventory (STAI) [8], erfasst die Angst als emotionalen Zustand (State-Angst) und als relativ überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal (Trait-Angst). Befindlichkeitsskalierung anhand von Kategorien und Eigenschaftswörtern (BSKE) [9], dient der mehrdimensionalen Beschreibung des momentanen Befindens. Beschwerdenliste (BL, CIPS) [10], erfasst körperliche und Allgemeinbeschwerden. Hamilton Depression Scale (HAMD) [11], Fremdbeurteilungsskala zur quantifizierten Beurteilung der Depressivität anhand von 21 Symp-tomen aufgrund eines lnterviews. Allgemeiner Schweregrad-Score (ASGS) [12], Beurteilungsscore für die Einschätzung der psychiatrischen Symptomatik. Er hat eine Streubreite von 0 bis 4, wobei 0 keine psychiatrische Auffälligkeit bedeutet und 4 eine schwere psychiatrische Störung kennzeichnet.

Mit einem kurzen Fragebogen wurden nach der Zeugenaussage des betroffenen Zeugen die übrigen Verfahrensbeteiligten (Vorsitzender Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Nebenklagevertreter) zum möglichen Einfluss der Zeugenbetreuung auf das Aussageverhalten, den Ablauf des Verfahrens und die psychische Befindlichkeit des Zeugen befragt.

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Untersuchungsablauf

Die Opferzeugen wurden vor der Inanspruchnahme der Betreuung in einer etwa 20-minütigen Befragung mit den erwähnten Fragebogen untersucht. Anschließend wurden sie im Zeugenbetreuungszimmer von einer der beiden Zeugenbetreuerinnen bis zum Verhandlungsbeginn und zum Teil da-rüber hinaus betreut. Nach der Aussage bzw. Verhandlung wurden sie erneut, auch bezüglich der Einschätzung der Zeugenbetreuung, interviewt. Die Zeugenbetreuerinnen füllten ebenfalls einen Fragebogen zur Betreuung des Zeugen aus. Nach drei Monaten wurden katamnestische Befragungen mit diesen Opferzeugen (n = 66) durchgeführt.

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Statistische Analyse

Analysen von Mittelwertsunterschieden wurden mit Varianz-analysen und t-Tests auf Signifikanz geprüft, sofern es sich um Häufigkeitsvergleiche handelte mit χ2-Tests (teilweise McNemar χ2-Test). Als Signifikanzniveau wurde dabei ein α von 5 % gewählt.

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Ergebnisse

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Nutzung des Zimmers für Zeuginnen und Zeugen

In der Erhebungszeit (Dezember 1997 bis Ende Juni 1999) wurden nach Auswertung der Protokollbogen 1218 Zeugen betreut, davon 12 % jüngere Opferzeugen von unter 10 bis 20 Jahren, 56 % Jungen und 44 % Mädchen (1 % unter 10 Jahren, 4 % zwischen 10 und 14 Jahren, 7 % zwischen 15 und 20 Jahren). Der Anteil betreuter Opferzeugen von allen betreuten Personen liegt insgesamt bei 46 %. Die Betreuungsinhalte bei jüngeren Zeugen und ihre Inanspruchnahme werden aus Tab. [2] ersichtlich.

Tab. 2Betreuungsinhalte jüngerer Zeugen bei der Zeugenbetreuung (ausgewertet anhand der Protokollbogen von betreuten Zeugen; Mehrfachnennungen waren möglich).
Betreuungsinhalt Anzahl %
persönliches Gespräch
allgemeine Information über das Gerichtsverfahren
Überbrückung der Wartezeit
Begleitung zur Verhandlung
vorbereitende Begehung des Verhandlungssaales
Information über und Vermittlung von Hilfsangeboten
sonstige
193
160
102
65
63
9
57
30
25
16
10
9
1
9
gesamt 649 100
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Spezifische Untersuchung von kindlichen und jugendlichen Opferzeugen

Unter den 100 Opferzeugen, die gesondert von uns zu mehreren Zeitpunkten befragt wurden, waren 88 % Opfer schwerwiegender Deliktformen (Tab. [3]). In dieser Gruppe ist ein hoher Anteil von 47 % an kindlichen und jugendlichen Zeugen im Alter von 11 bis 20 Jahren enthalten. Der Anteil an Körperverletzungen liegt bei ihnen wesentlich höher (53 %) als bei erwachsenen Zeugen (32 %, vgl. Tab. [3]). Obwohl 81 % dieser kindlichen Zeugen in Begleitung kamen, meist mit den Eltern, nahmen sie das Angebot einer professionellen Zeugenbetreuung wahr. Tab. [1] enthält weitere Merkmale der Zeugen.

Tab. 3Prozentuale Verteilung auf die verschiedenen Verfahrensinhalte, zu denen die erwachsenen und jüngeren Opfer als Zeugen geladen waren.
Verfahrensinhalte (%)
erwachsene Zeugen (n = 53) kindliche und jugendliche Zeugen (n = 47)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung
Raub
BTM
Körperverletzung
gegen das Leben
sonstige Vermögensdelikte
sonstige
23
19
4
32
11
6
6
23
15
0
53
0
2
6

Betrachtet man den Behandlungsbedarf und die medizinische Versorgung der kindlichen und jugendlichen Opferzeugen (n = 47), so ist festzustellen, dass 43 % einen Arzt infolge der körperlichen und/oder psychischen Tatverletzungen aufsuchten; 11 % waren bei einem Psychiater oder Psychologen und ein geringer Teil (2 %) bei einer Beratungsstelle vorstellig gewesen. Infolge unserer Befragung konnte eine behandlungsbedürftige psychische Symptomatik am Verhandlungstag (ASGS) bei knapp einem Drittel der Zeugen unter 20 Jahren festgestellt werden (31 %). Der ASGS liegt hier mit einem Mittel von 0,85 recht niedrig. Betrachtet man nur die jüngeren Zeugen mit Behandlungsindikation, so liegt der mittlere Schweregradscore wesentlich höher (2,7) und deutet auf mäßige psychische Störungen, die eine ärztliche bzw. psychiatrische Behandlung erforderlich machen würden. Die depressive Symptomatik (HAMD) der jüngeren Zeugen ist nicht klinisch auffällig (5,64 ± 8,80), ebenso die mittlere Gesamtbeeinträchtigung durch körperliche und Allgemeinbeschwerden (BL, 13,81 ± 12,27).

Etwa je ein Drittel der kindlichen und jugendlichen Zeugen hatte bereits im Vorfeld der Verhandlung (54 %) telefonischen (26 %) und/oder persönlichen (38 %) Kontakt zu den beiden Zeugenbetreuerinnen gesucht. Die meisten suchten im Rahmen der Zeugenbetreuung Informationen über den Verhandlungssaal (82 %) oder das Gerichtsverfahren (80 %) oder führten ein persönliches Gespräch mit den Zeugenbetreuerinnen (63 %). Die Zeugenbetreuung ist zeitintensiv, durchschnittlich betrug sie bei Erwachsenen und auch jüngeren Zeugen etwa zweieinhalb Stunden pro Zeuge.

Die Aussage vor dem Strafgericht ist nur für einen geringen Teil der Zeugen erleichternd (14 % der jüngeren, 12 % der erwachsenen Zeugen), die Mehrheit empfindet sie als Belastung (60 %). Für die jüngeren Zeugen stellt sie jedoch weniger häufig (54 %) eine Belastung dar als für Erwachsene (65 %). Diese waren auch geringgradig eher mit ihrer Aussage zufrieden (74 %) als erwachsene Zeugen (68 %).

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Wirkung der Zeugenbetreuung auf die Befindlichkeit der jüngeren Zeugen

Vor der Verhandlung waren ihren Angaben zufolge 87 % der Kinder und Jugendlichen und 85 % der Erwachsenen sehr nervös bzw. nervös (Abb. [1]).

Diese Selbsteinschätzungen der Zeugen zeigen stärkere Belas-tung als es dem Eindruck entspricht, den die Zeugenbetreuerinnen hatten (69 % der jüngeren (χ2 = 10,1, p < 0,05), 74 % der erwachsenen Zeugen (χ2 = 12,85, p < 0,05) waren nach Angaben der Betreuerinnen nervös). Im Anschluss an die Verhandlung gaben die kindlichen und jugendlichen Zeugen an, durch die Zeugenbetreuung ruhiger geworden zu sein (44 %). Dies trifft auch auf die Erwachsenen zu (43 %). Es war eine deutliche Abnahme der Angst (Abb. [2]) bei jüngeren und erwachsenen Zeugen gleichermaßen (STAl, Zeitpunkt × Skala × Gruppe: F(1,94) = 0,04, n. s.) messbar (STAI, Zeitpunkt × Skala: F(1,94) = 65,10; p = 0,000 1).

Bei den kindlichen und jugendlichen Zeugen war anhand der BSKE eine Verbesserung des positiven Befindens (t(45) = - 3,48, p = 0,001), des positiven Gefühls (t(45) = - 3,51, p = 0,001) sowie eine signifikante Zunahme der Zufriedenheit (t(45) = - 3,29, p = 0,002), der Ausgeglichenheit (t(45) = - 3,20, p = 0,003), des Wohlgefühls (t(45) = - 2,70, p = 0,01), des körperlichen Wohlbefindens (t(45) = - 2,19, p = 0,03) und der Gutgestimmtheit (t(45) = - 4,43, p = 0,0001) sowie eine Abnahme von negativem Befinden (t(45) = 2,95, p = 0,005), negativen Gefühlen (t(45) = 3,09, p = 0,003), Erregung (t(45) = 5,19, p = 0,0001) und Angst (t(45) = 4,77, p = 0,0001) feststellbar.

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Befragung der übrigen Prozessbeteiligten

Die Befragung der anderen Prozessbeteiligten ergab, dass entgegen anfänglicher Vorbehalte dem Projekt gegenüber 93 % der Juristen von der Notwendigkeit einer solchen Betreuung bei Gericht überzeugt waren. Wenn auch viele angaben, dies nicht beurteilen zu können, so nahmen doch 42 % der Verfahrensbeteiligten einen positiven Einfluss auf die Befindlichkeit der jüngeren Zeugen durch die Zeugenbetreuung wahr. Ursprüngliche Befürchtungen, die Zeugenbetreuung übe einen negativen Einfluss auf die Zeugenaussage aus, konnten anhand der Angaben der Verfahrensbeteiligten bei den jüngeren Zeugen nicht bestätigt werden, da durchschnittlich 59 % angaben, dies nicht beurteilen zu können oder äußerten, die Zeugenbetreuung habe keinen Einfluss auf das Aussageverhalten (7 % der Richter, 24 % der Staatsanwälte, 15 % der Verteidiger, 100 % der Nebenklagevertreter). Ähnliches galt bezüglich des Einflusses auf den Verfahrensablauf: Von nur einem Verteidiger wurde ein negativer Einfluss beschrieben, stattdessen nahmen immerhin 40 % der übrigen Verfahrensbeteiligten einen positiven Einfluss wahr.

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Abb. 1Subjektive Einschätzung der Aufregung und Nervosität zu verschiedenen Zeitpunkten bei kindlichen und jugendlichen Zeugen.

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Abb. 2Reduktion der aktuellen zustandsbedingten Angst nach der Betreuung und Verhandlung bei Kindern und Jugendlichen. Die generelle personenbedingte Ängstlichkeit ist dagegen bei beiden Erhebungszeitpunkten nicht verändert (STAI, n = 47).

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Diskussion

Die Ergebnisse belegen die rasche und positive Annahme der Zeugenbetreuung am Landgericht und Amtsgericht Düsseldorf. In einigen Bundesländern bestehen bereits speziell für kindliche Opferzeugen eingerichtete Zeugenbetreuungsprojekte: Die Bestandteile des Kieler Modellprojektes [5] reichen von der Kontaktaufnahme bis hin zur Nachbereitung der Hauptverhandlung. Infolge der Betreuung konnte eine Belas-tungsreduktion und eine Steigerung der Selbstsicherheit der Kinder in der Hauptverhandlung beobachtet werden. In Ros-tock [6] setzt die Betreuung bereits bei der Anzeigenerstattung ein und bietet die Möglichkeit zu vorbereitenden Gesprächen bis zur Verhandlung. Ähnlich breit gespannt ist auch das Magdeburger Interventionsprojekt [7].

Unsere Daten zeigen, dass angesichts der großen Nachfrage nach einer Betreuung bei männlichen Zeugen eine generelle Einschränkung auf Frauen oder Kinder nicht gerechtfertigt erscheint. Ein Anteil von 42 % betreuten anderen Zeugen (darunter 23 % kindliche und jugendliche Zeugen) belegt ferner das hohe Bedürfnis nach kompetenter Beratung und Unterstützung nicht nur bei Opferzeugen. Allerdings wurden „Berufszeugen” wie Polizeibeamte oder Fahrkartenkontrolleure von einer Betreuung ausgeschlossen.

Infolge der Zeugenbetreuung konnte eine deutliche Belastungsreduktion und Befindlichkeitsverbesserung bei den jüngeren Zeugen festgestellt werden. Ein Vergleich aller 100 gesondert untersuchten Opferzeugen mit nicht betreuten Zeugen eines Essener Landgerichtes (n = 50) zeigte, dass dieser Effekt bei betreuten Zeugen nicht alleine darauf zurückzuführen war, dass die Zeugen erleichtert darüber waren, dass Verhandlung und Aussage beendet sind. Die spezifische Wirksamkeit der Betreuung wurde an der sehr viel stärkeren und ausgeprägteren Befindlichkeitsveränderung vom Zustand vor der Verhandlung zu dem nach der Aussage bei betreuten Zeugen sichtbar [2].

Fischer [13] geht von andauernden Belastungssyndromen bei ca. 20 - 30 % der Opfer von Gewaltverbrechen aus. Unsere Ergebnisse zur Behandlungsindikation bei Kindern und Jugendlichen wie auch Erwachsenen bestätigen diese Schätzungen. Zu diesen dauerhaften Symptomen kommt die aktuelle Belastung durch die bevorstehende Gerichtsverhandlung hinzu. Die vor der Verhandlung geäußerte Nervosität scheint jedoch nicht in gleichem Maße ausgedrückt zu werden. Die Betreuerinnen nehmen weniger Nervosität besonders bei den jüngeren Zeugen war, als sie selbst angeben.

Bei Kindern wird häufig die wiederholte Befragung durch verschiedene fremde Personen als Belastungsfaktor im Zusammenhang mit der Ermittlung und Verhandlung genannt. Der Verzicht auf die Aussage wird daher als zeugenschonende Maßnahme angesehen. Bei nur einem Drittel der hier befragten kindlichen und jugendlichen Zeugen war dies der Fall. Die Aussage stellt für die überwiegende Mehrheit der Zeugen eine große Belastung dar (60 %), wenngleich dies von Kindern und Jugendlichen selbst weniger häufig berichtet wurde als von Erwachsenen. Auch die Zufriedenheit mit der Aussage war bei Zeugen unter 20 Jahren etwas häufiger zu finden als bei erwachsenen Zeugen. ln einer Untersuchung von Busse et al. [3] gaben 80 % der kindlichen Opferzeugen ohne Zeugenbetreuung an, die Aussage als belastend empfunden zu haben. Man kann vermuten, dass jüngere Zeugen besonders von der Zeugenbetreuung profitieren, indem infolge der Betreuung das aktuelle Belastungserleben durch die Aussage gesenkt werden kann und gleichzeitig die Zufriedenheit mit der Aussage gesteigert werden kann.

Dennoch sind unserem Eindruck nach Zeugen oft verärgert und enttäuscht, wenn auf ihre Aussage in der Verhandlung kurzfristig und besonders ohne Erklärung oder Angabe von Gründen verzichtet wird. lm Hinblick auf die Tatverarbeitung und auch aus psychotherapeutischen Gründen sollte daher bei geladenen Zeugen, die sich bereits im Gerichtsgebäude befinden, nicht generell versucht werden, dem Opfer die Aussage zu „ersparen”. Doch die bisherige Ergebnislage zur Wirkung der Zeugenaussage ist uneinheitlich. Einerseits wurden keine Unterschiede zwischen Kindern, die aussagen mussten und solchen, die nicht aussagten, berichtet [14], andererseits waren sieben Monate nach der Aussage mehr Verhaltensstörungen bei Kindern (im Vergleich zu solchen, die nicht aussagen mussten) zu finden, bei denen es in der Gerichtsverhandlung zu einer Aussage gekommen war [15]. Da es sich für einen großen Teil der Zeugen um die erste Aussage bei Gericht handelte, kann die Situation angsteinflößend, unbekannt und unkontrollierbar erscheinen. Der Kontrollverlust im Zusammenhang mit der Tat und den Ermittlungen kann charakteristische Reaktionen des Aufgebens, der Hilflosigkeit und Depression zur Folge haben [16] [17]. Die Zeugenbetreuung ist hier von entscheidender Relevanz, da sie im Vorfeld die nötigen Informationen, angemessene kognitive Bewältigungsstrategien und Kontrollmöglichkeiten liefern und soziale Unterstützung bieten kann. Dadurch werden Unsicherheiten verringert und Reaktionen der Hilflosigkeit vermieden.

Wie King et al. [18] feststellten, muss die effektive Möglichkeit der Stressreduktion nicht notwendigerweise in einer Vermeidung der Zeugenaussage liegen. Im Falle einer entsprechenden Vorbereitung und Unterstützung können die Kinder und Jugendlichen besser mit der Belastung umgehen. Die gute psychische Verfassung unserer Zeugen im Anschluss an die Verhandlung unterstreicht dies. Die positive Befindlichkeitsänderung der Zeugen infolge der Zeugenbetreuung kann als erster Erfolgsindikator bei der Verhinderung verfahrensinduzierter langfristiger Schädigungen im Sinne einer sekundären Traumatisierung dienen, auch wenn hier langfristige Effekte noch weitergehend mit Hilfe von Langzeitstudien untersucht werden müssen. Sie unterstreicht die Notwendigkeit der Einrichtung weiterer Zeugenbetreuungsstellen an Land- und Amtsgerichten.

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Danksagung

Die Durchführung dieser Studie erfolgte aus Mitteln des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen an F. S. (3003E-IIC.52/96). Wir danken Iris Beck, Petra Hammer, Siglinde Hinzberger, Gustav Marten, Stefanie Maurer, Heidrun Riedel, Mike Schmidt und Karin Schulze für ihre Mitarbeit und Unterstützung.

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Literatur

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Dr. Ute  Habel

Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Bergische Landstraße 2

40629 Düsseldorf

Email: habel@uni-duesseldorf.de

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Abb. 1Subjektive Einschätzung der Aufregung und Nervosität zu verschiedenen Zeitpunkten bei kindlichen und jugendlichen Zeugen.

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Abb. 2Reduktion der aktuellen zustandsbedingten Angst nach der Betreuung und Verhandlung bei Kindern und Jugendlichen. Die generelle personenbedingte Ängstlichkeit ist dagegen bei beiden Erhebungszeitpunkten nicht verändert (STAI, n = 47).