Zentralbl Gynakol 2001; 123(4): 171-172
DOI: 10.1055/s-2001-14783
Editorial

J.A.Barth Verlag in Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co.KG

Gegenwärtiges und Zukünftiges beim Zervixkarzinom

 
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Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

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„... nachzuforschen, ob das moderne pathologisch-anatomische und klinische Studium der Krebskrankheit im Allgemeinen und des Gebärmutterkrebses im Besonderen, neue Thatsachen oder wenigstens neue Gesichtspunkte zur Entdeckung solcher aufgefunden hat, vermöge welcher wir eine rationelle Behandlung, vor allem eine bestimmte Operationsmethode aufzustellen vermögen. Giebt uns die heutige Krebspathologie sichere Fingerzeige für eine rationelle prophylaktische oder operative Behandlung?”
W.A. Freund 1901 [5]



Seit Einführung des zytologischen Screening in Deutschland Anfang der 1970er-Jahre ist es zu einem deutlichen Rückgang der Inzidenz des Zervixkarzinoms (CX) gekommen. Dennoch werden, nach Schätzungen der Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener Krebsregister derzeit in Deutschland [1], pro Jahr knapp 6 000 Neuerkrankungen erwartet. Bei jeder vierten Frau, die im Alter zwischen 25 und 35 Jahren an einem malignen Tumor erkrankt, wird ein Zervixkarzinom diagnostiziert, mit einem durchschnittlichen Verlust an Lebenserwartung von neun Jahren. Rund ein Viertel der Zervixkarzinompatientinnen ist zum Zeitpunkt der Diagnosestellung 35 Jahre oder jünger.

W. A. Freund führte am 30. Januar 1878 in Breslau die erste abdominale Hysterektomie bei einer Patientin mit einem CX durch, bevor Wertheim am 16. 11. 1898 den Beginn seiner systematischen Untersuchungen zur radikalen Hysterektomie auf abdominalem Wege begann [12]. Mit dem ersten Eingriff am 10. Juni 1901 wurde, ebenfalls in Wien, in ergänzender Konkurrenz, die vaginale Operation etabliert [18]. Erste Ergebnisse wurden, wie spätere auch, auf der 9. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie sehr kontrovers diskutiert [5].

Vom Ende des 19. bis fast zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren es vor allem morphologisch geschulte und wissenschaftlich interessierte Gynäkologen, die die Erkenntnisse zur Pathogenese, der Frühdiagnose und Ausbreitung des CX vorantrieben, so unter anderem J. Schottlaender, F. Kermauner aus Wien und H. Hinselmann aus Hamburg, aber auch J.V. Meigs aus Baltimore. Neben der Einführung der zytologischen Diagnostik von Dysplasien und Karzinomen durch Papanicolaou und Traut im Jahr 1943 war ein weiterer morphologischer Meilenstein die Abgrenzung des mikroinvasiven Karzinoms durch den Greifswalder Gynäkologen Mestwerdt mit Publikation im Zentralblatt für Gynäkologie im Jahr 1947 [15]. Die morphologische Orientierung in der Frauenheilkunde war für den deutschsprachigen Raum teilweise durch die Einrichtung von histologischen Laboratorien in den Universitäts-Frauenkliniken (u. a. in Leipzig, Kiel, Hamburg, Graz, Mainz) institutionalisiert. Aufgrund rechtlicher, wirtschaftlicher und anderer Zwänge sowie bedingt durch einen notwendigen hohen Standard in der morphologischen Diagnostik mit Einsatz von speziellen Untersuchungsverfahren (u. a. DNA-Zytometrie, immunhistochemische und molekularpathologische Methoden) hat sich die gynäkologische Histopathologie mehr und mehr in die Pathologie zurückverlagert.

Im Vordergrund des klinischen und wissenschaftlichen Interesses stehen derzeit Bemühungen um die Verbesserung der Prognose und eine Therapieindividualisierung. Evaluiert werden Modifikationen der operativen Therapie mit Organerhalt, wie bei der Trachelektomie [4] [21], ein eingeschränkteres Vorgehen bei der radikalen Hysterektomie [13], nervenschonende Verfahren, wie die totale meso-metriale Resektion (TMMR) [9] oder die laparoskopisch assistierte, vaginale Uterusentfernung [20]. Diese neuen Verfahren werden, ebenso wie die in den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) festgeschriebene operative Standardtherapie [10], im vorliegenden Themenheft besprochen.

Die Mehrzahl der Patientinnen im Stadium T1 b und T2 a weisen zum Zeitpunkt der Operation keine Lymphknotenmetastasen auf. Inwieweit bei diesen Fällen eine eingeschränkte Lymphonodektomie erfolgen kann, wird derzeit mit der Sentinel-node-Technik überprüft, die sich jedoch, ebenso wie das chirurgische Staging beim fortgeschrittenen CX [20], noch im Anfangsstadium befindet [17].

Erst in den vergangenen Jahren ist auch beim Zervixkarzinom die (Radio-) Chemotherapie in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Die initial durch die gleichzeitige Publikation dreier Studien im New England Journal of Medicine Ende 1999 (Vol. 340, pp. 1137-1161) ausgelöste Euphorie bezüglich der Verbesserung der Prognose durch diese Therapieoption bedarf der Überprüfung in Bezug auf eine stadienadaptierte Auswertung und den Versuch mittels klinisch-pathologischer Kriterien Patientinnen zu selektionieren, die von einer solchen Therapie wirklich profitieren [6] [14]. Der derzeitige Wissensstand wird durch die Hallenser Arbeitsgruppe zusammengefasst [7].

In den westlichen Ländern mit hohem medizinischen Standard sind in den kommenden Jahren zahlreiche Aufgaben zu lösen. Dringend notwendig ist die Verbesserung des klinischen Stagings durch bildgebende Verfahren [11] [16], deren Einsatz zögerlich auch von der FIGO empfohlen wird [2].

Aufgrund einer teilweise zu beobachtenden Abnahme bestimmter Tumorerkrankungen, höherer Anforderungen an eine interdisziplinäre Diagnostik und die multimodale Therapie sowie durch ökonomische Zwänge wird es notwendig zur Zentralisation von Patientinnen mit makroinvasiven CX kommen müssen [22].

Wichtiger Partner des gynäkologischen Onkologen zur Verbesserung der Erkenntnisse bezüglich der Mechanismen der malignen Progression, der Rezidiventstehung und zur Ermittlung prognostisch bedeutsamer Parameter sind neben den Vertretern der sog. Grundlagenfächer die Gynäkopathologen.

Derzeit sind es vor allem klinische und patho-histologische Parameter, die die Weichen für den Behandlungsmodus beim mikro- und makro-invasiven Karzinom stellen [9] [19]. Das post-operative Stadium (pTNM), der histologische Nachweis von Lymphknotenmetastasen und andere morphologische Parameter sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt die besten prognostischen Indikatoren. Die Basis für eine gute morphologische Befundung ist eine optimale Aufarbeitung der Operationspräparate, die möglichst einheitlich erfolgen sollte [9]. Wünschenswert für die Anforderungen der gynäkologischen Onkologie an operativen Zentren wären speziell orientierte Pathologen.

Das vorliegende Themenheft im Zentralblatt für Gynäkologie versucht Facetten des gegenwärtigen Wissenstandes zur Epidemiologie, Pathogenese, Diagnostik und Therapie sowie neue Gesichtspunkte beim Zervixkarzinom darzustellen. Auch wenn dies aufgrund der Fülle der Informationen der letzten Jahren nur unvollständig gelingen kann, soll es doch zur Illumination und nicht zur Desillusion bezüglich der Probleme beim Zervixkarzinom beitragen [3] und Anregungen gegeben werden Neues, nach entsprechender Evaluierung, in die evidenzbasierte Medizin zu überführen.

Literatur

L.-C. Horn

Leipzig, im Januar 2001