Psychotraumatologie 2002; 3(1): 29
DOI: 10.1055/s-2002-20180
Bericht aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Chronische Wunden und psychisches Trauma

M. Kütemeyer1 , S. Eren2 , A. Ghofrani2 , M. Reifenrath2 , R. Krein2 , A. Janssen3
  • 1Abteilung Psychosomatik
  • 2Plastische Chirurgie
  • 3Innere Medizin St. Agatha- Krankenhaus, Köln-Niehl
Further Information
#

Autoren:

M Kütemeyer
S Eren
A Ghofrani
M Reifenrath
R Krein
A Janssen
Frau Dr. med. M. Kütemeyer

Abteilung Psychosomatik am St. Agatha-Krankenhaus

Feldgärtenstraße 97

50735 Köln

Email: kuetemeyer@st-agatha-krankenhaus.de

Publication History

Publication Date:
17 March 2002 (online)

 
Table of Contents #

Zusammenfassung

Der Zusammenhang zwischen schlechter Wundheilung und psychischen Parametern (z. B. Angst, Schlafstörungen) ist bereits empirisch belegt. In der vorliegenden Studie wird anhand von 30 Patienten gezeigt, dass ebenso traumatische Erfahrungen Einfluss auf den Wundheilungsprozess haben. Durch psychotherapeutische Interventionen ergänzend zur chirurgischen Versorgung zeigte sich, dass die Wundsituation sich bessert, sobald bei den Betroffenen im Zuge der Veröffentlichung und Benennung des Traumas eine innere Distanzierung, eine Separierung von den Elternfiguren, von den schädlichen Introjekten in Gang kommt. Durch die verbale Externalisierung unbewusster Schuldgefühle, die bislang über das Wundsekret heraus drängen, kann ein Versiegen der Sekretproduktion erreicht werden: Wenn das Aussprechen belastender Geheimnisse die seelische Reinigung übernimmt, der Mund sich öffnen kann, kann sich die chronische Wunde schließen. Dieser Hauptbefund liefert einen wichtigen Beitrag zum psychosomatischen Verständnis schlecht heilender Wunden, aus dem sich die Notwendigkeit interdisziplinärer Behandungsleitlinien für diese Patientengruppe ergibt.

#

Chronic wounds and Psychic Trauma

The connection between sub-optimal healing of wounds and psychic parameters (for example, anxiety or sleep disturbances) has already been documented empirically. The following study, based on N = 30 patients, shows for the first time that traumatic experiences have an influence on the healing of wounds as well. It was shown that the use of psychotherapeutic interventions in addition to the surgical procedures led to improvement in the condition of the patients’ wounds as soon as inner distancing (separation from parent figures or harmful introjects) began during the course of making the trauma known and labelled as such. The process of verbally externalizing unconscious feelings of guilt, previously pressed out via secretion from the wound, can lead to the drying up of those secretions. When cleansing of the soul is accomplished by vocalizing the burdensome secrets, when the mouth can speak, then the chronic wound can close. This major finding offers an important contribution to the psychosomatic understanding of wounds with difficult healing, an understanding that illuminates the necessity for interdisciplinary guidelines in the treatment of this patient population.

#

Einführung

Wir möchten auf einen Aspekt der verzögerten Wundheilung hinweisen, auf den wir bei der dichten Kooperation von Plastischer Chirurgie und Psychosomatik in unserem Hause gestoßen sind und den wir seither nach Kräften versuchen, in die Behandlung der Betroffenen zu integrieren.

In der „Deutschen Gesellschaft für Wundbehandlung”, gegründet 1995, mit „Wundsprechstunden” an verschiedenen Kliniken werden neuerlich fachübergreifend (Chirurgie, Plastische Chirurgie, Dermatologie, Immunologie, Innere Medizin u. a.) Leitlinien zur besseren Versorgung der auf fast 2 Millionen geschätzten Patienten in der BRD mit schlecht heilenden Wunden erarbeitet (Die jährliche Inzidenz ist also 5-mal so hoch wie die maligner Erkrankungen (mit 340 000) und 7-mal so hoch wie die von Myokardinfarkten mit 250 000 Neuerkrankungen). Patienten mit chronischen Wunden sind, so der Chirurg Mohr aus dem Klinikum Wuppertal, „bislang ohne relevante Lobby” geblieben, da sie ihr Leiden „geduldig und leise ertragen” und „mit ihrem stillen Leiden...nicht die spektakuläre Aura” besitzen wie z. B. onkologische Patienten (S.122)[1]. Für die Pathophysiologie des Wundheilungsproblems ist die neue dermatologische Grundlagenarbeit von Krieg u. Mitarb. aus der Universitätsklinik Köln allerdings richtungsweisend [2].

Die Literatur zu psychosomatischen Gesichtspunkten bei Patienten mit chronischen Wunden ist aufschlussreich [3],[4]. Es wurde der Einfluss von Angst [5],[6], Schlafstörungen [7],[8],[9] und emotional bedingten immunologischen Veränderungen [10],[11],[12] untersucht und jeweils bei hohen Werten eine schlechtere Wundheilung gefunden. Bemerkenswert ist das Ergebnis, dass Personen, die Angehörige mit Morbus Alzheimer pflegen, eine besonders schlechte Wundheilung aufweisen [13]. Es mangelt aber an basalen klinischen und biographischen Daten, auf die wir uns in unserer Studie zunächst konzentriert haben.

Angeregt durch die „zufällige” Beobachtung einer überraschenden Wundheilung nach psychosomatischer Intervention bei einer 17-jährigen Patientin (Krankenbeispiel 1), wurden seit 1990 alle Patienten (n = 30) mit chronischen Wunden in der Plastisch-Chirurgischen Abteilung unseres Hauses psychosomatisch untersucht und, abhängig von der Bereitschaft der Betroffenen, konsiliarisch mitbetreut. Hier soll vordringlich von den Patienten mit idiopathischer Wundheilungsstörung die Rede sein (die keine relevante Grunderkrankung, z. B. Polyneuropathie, insbesondere bei Diabetes mellitus, sowie keine arteriellen oder venösen Durchblutungsstörungen aufweisen), mit denen wir uns 10 Jahre lang ausschließlich beschäftigt haben. Seit Anfang 2000 haben wir vereinzelt (n = 4) auch „symptomatische” Wundpatienten einbezogen, die teilweise in der Abteilung Innere Medizin behandelt wurden, und sind überraschend auf ähnliche Ergebnisse gestoßen.

Das Ziel unserer Studie ist, anhand der gesammelten Beobachtungen herauszufinden und zu prüfen, was die Psychosomatik zum Verständnis schlecht heilender Wunden und zu den interdisziplinär zu entwickelnden Behandlungsleitlinien beitragen kann.

#

Methode:

Wir haben bei allen Patienten mit chronischen Wunden (> 6 Monate) der Plastisch-chirurgischen Abteilung unseres Hauses, ergänzend zu den Anamnesen der Chirurgen, eine klinische Anamnese durchgeführt: Wir haben den Wundheilungsverlauf selbst noch einmal genau eruiert, die Art und die Umstände der Ursprungsverletzung erfragt, ebenso die Art der Wundheilung bis zum Beginn der manifesten Wundheilungsstörung -, die meist erst mit Latenz einsetzt! (s. u.) -, das Verhalten der Wunde danach (z. B. wiederholte Öffnung und Schließung), die äußeren und inneren (psychosozialen) Umstände des Verlaufs der - persistierenden oder undulierenden - Wundheilungsstörung. Wir haben auch frühere Wundheilungsverläufe erfragt, einschließlich Narbenbildungen (Keloide) - mit und ohne Schmerzen -, ebenso die Unfallneigung und andere Selbstschädigungstendenzen. Nicht zuletzt haben wir eine minutiöse Schmerzanamnese erhoben, d. h. alle erinnerlichen Schmerzepisoden bis in die Kindheit erfragt, um die basale sogenannte „Schmerzneigung” zu eruieren. Gerade dieser klinische Teil unserer anamnestischen Arbeit hat sich für das Verstehen komplizierter Wundheilung als besonders aufschlussreich erwiesen.

Anschließend wurden biographische Anamnesen erhoben mit besonderer Beachtung traumatischer Erfahrungen (Deprivation, familiäre Gewalt, sexuelle Übergriffe, Kriegstraumen). In der Hälfte der Fälle wurde ein Szeno-Test durchgeführt, der meist Hinweise auf tieferliegende Traumatisierungen lieferte.

Bei entsprechender Bereitschaft haben wir die Patienten während ihres Aufenthaltes auf der Plastisch-Chirurgischen Abteilung weiter psychosomatisch betreut, d. h. regelmäßige Gespräche geführt (in denen die biographische Anamnese wichtige Ergänzungen erfuhr). Wir haben uns, wenn möglich, an den klinischen Visiten der Chirurgen beteiligt, beim Verbandswechsel zugeschaut, um den Zustand der offenen Wunden und ihre Veränderungen zu studieren sowie die Schmerzveränderungen und andere Beschwerden zu erfragen.

Entscheidend für die ungestörte Durchführung der einzelnen Untersuchungsschritte war und ist die gemeinsam von allen beteiligten Ärzten, einschließlich Pflegepersonal, getragene Idee, die Hypothese, dass das Innenleben, die seelische und geistige Verfassung der Betroffenen den Beginn und Verlauf der chronischen Wunde wesentlich mitbestimmt. Entscheidend ist die Bereitschaft der Chirurgen, ihre Patienten zur psychosomatisch-biographischen Arbeit zu motivieren, in begründeten Fällen aktives chirurgisches Vorgehen zugunsten einer rezeptiven, abwartenden Haltung zurückzustellen und die Beobachtungen aus den verschiedenen Blickwinkeln kontinuierlich im Gespräch auszutauschen.

#

Ergebnisse:

Die Ergebnisse der konsiliarischen Untersuchung und Mitbetreuung von 30 Patienten mit chronischen Wunden durch die Psychosomatische Abteilung unseres Hauses werden im Folgenden auf 2 Ebenen dargestellt:

  • Die Biographien, das kommunikative Verhalten der Patienten während/nach der Befragung, das Verhalten ihrer Wunden während und nach der psychosomatischen Intervention.

  • Die klinischen Befunde auf dem Hintergrund der biographischen Ergebnisse, d. h. der Versuch einer psychosomatischen Pathologie.

#

a) Biographien

Aus den Biographien hat sich ergeben, dass die Betroffenen alle unter einer lange schwelenden „seelischen Wunde” leiden, meist unter einem quälenden, lastenden Familienproblem, das geheim bleiben muss, über das nicht gesprochen werden darf - wie ein Tabu, das nicht berührt werden darf. Immer besteht eine enge Bindung an die primären Bezugspersonen, Vater, Mutter, Geschwister, eine Art Loyalitätspakt, der die Veröffentlichung schuldbesetzter tabuisierter Familiengeheimnisse und das Benennen der „Täter” unmöglich macht, mit der Folge inkorporierter Schuldgefühle und Strafbedürfnisse bei den Wundpatienten.

Krankenbeispiel 1: Bei der erwähnten 17-jährigen Patientin war nach einer operierten Unterschenkelfraktur die Wunde 2 Jahre lang nicht zugeheilt. Sie schloss sich dauerhaft, als die Patientin unter großen Schuldqualen ihr Schweigegebot brechen konnte: Sie war von ihrem Vater über Jahre zur Komplizin gemacht worden, sowohl sexuell als auch für seine Spielleidenschaft, für die sie ihm heimlich Geld besorgen musste.

Es hat den Anschein, als müsste die hartnäckig offene Wunde auf die verborgene „Familienwunde” aufmerksam machen, als müsste, wenn der Mund sich nicht öffnen, nicht sprechen, schreien und klagen darf, die Klage und Anklage durch die offene Wunde heraus.

Aufgrund der Schweigegebote (und der pathologischen Bindungen an die Schädiger) sind die biographischen Traumen nur mühsam zu eruieren, oft bleibt es bei Andeutungen und verschlüsselten Hinweisen, begleitet von heftigen Aggressionen gerade gegen diejenigen Ärzte, die sich für das innere Leiden interessieren, zuweilen gefolgt von abruptem Abbruch der Arzt-Patient-Beziehung (in 6 Fällen). Trotzdem ließ sich unsere Hypothese bestätigen, dass die Wundsituation sich bessert, sobald bei den Betroffenen im Zuge der Veröffentlichung und Benennung des Traumas (im Zuge der Enttabuisierung) eine innere Distanzierung, eine Separierung von den Elternfiguren, von den schädlichen Introjekten in Gang kommt.

Krankenbeispiel 2: Ein 51-jähriger alleinstehender Verwaltungsangestellter hat wegen eitriger Gangrän bei Diabetes mellitus bereits sein linkes Bein verloren, wobei die Wundheilung sich wochenlang hinzog. Auf den Tag genau ein Jahr nach der Amputation entwickelt sich eine Gangrän am rechten Fuß, 4 Zehen müssen amputiert werden. Die Amputationswunde heilt nicht, statt dessen schwillt das ganze rechte Bein wiederholt enorm an, und die Gefahr einer Phlegmone besteht. Der Patient wird, nach 8-monatigem Aufenthalt in einer anderen Klinik, auf die Plastisch-Chirurgische Station unseres Hauses verlegt, wo die Schwellung zurückgeht, die Wunde sich aber trotz Besserung des Wundgrundes und Deckung mit Spalthaut - bei stabilen Blutzuckerwerten und guten Gefäßbefunden - nicht schließt. Dies gelingt erst, ohne erneute chirurgische Intervention, als der Patient seine dunkle Familiengeschichte erzählen kann: Als ungewolltes Einzelkind habe er in der von Streit und Nörgeln geprägten Beziehung der Eltern immer wieder „Mord und Totschlag verhindern”, die Mutter schützen und betreuen müssen. Die Mutter hatte - ihr Verlobter war gefallen -, einen ungeliebten, 1914 geborenen Kriegsheimkehrer geheiratet, der, wie sie nachträglich feststellte, seinen Namen geändert und seine gesamte Vergangenheit vor 1945 annulliert hatte. Diese ließ sich trotz angestrengter Nachforschungen der Mutter und des Sohnes nie aufklären. Durch den Tod des bereits lange von der Mutter getrennt lebenden Vaters wenige Wochen vor der Verlegung in unser Haus war die Hoffnung auf Klärung seiner Vergangenheit endgültig begraben, der Patient wie im luftleeren Raum zurückgelassen, ohne Möglichkeit, gleichsam ohne Recht, die eigene Herkunft zu erfahren.

In 11 Fällen schloss sich die körperliche Wunde erstmalig und anhaltend, ohne erneute chirurgische Intervention, nachdem sich die Betroffenen verbal und affektiv öffnen und ihre traumatischen Erfahrungen mitteilen konnten. In weiteren 3 Fällen war nach der Veröffentlichung der biographischen Traumen die erneute Deckung mit Spalthaut - nach Abstoßung bei vorherigen Versuchen - erfolgreich (Gruppe 1). In 8 Fällen (Gruppe 2) löste das Rühren an traumatische Erfahrungen, wie erwähnt, heftige Emotionen und Agieren aus (Angst, Wutausbrüche, Ablehnen weiterer Gespräche, Weglaufen), mit relativer Besserung der Wundsituation (d. h. verminderter Wundsekretion, beginnender Granulation der Wundflächen und -ränder, Verkleinerung der Wundöffnung , aber ohne Schließung der Wunde). In den restlichen 8 Fällen (Gruppe 3) kam es ansatzweise zur Veröffentlichung biographischer Traumen ohne spürbare affektive Beteiligung und ohne Veränderung der Wundsituation.

Der Preis unserer aufdeckenden Arbeit ist allerdings hoch; die Patienten, die vorher endlose Wundversorgungen „geduldig und leise ertragen” haben, werden, wie bereits angedeutet, „schwierig”, renitent, versuchen, die verschiedenen Betreuer in „gute” Chirurgen und „böse” Therapeuten - oder umgekehrt - zu spalten und gegeneinander auszuspielen. In dieser Phase bedarf es größter Wachsamkeit und psychodynamischer Kompetenz bei der Liaison-Arbeit, um Misstrauen und kriegerische Differenzen, auch unter den Betreuern, abzufangen. Die Wunde, die sich am Bein/an der Brust schließen kann, inszeniert sich gleichsam im zwischenmenschlichen Bereich, und zwar potentiell so destruktiv, dass sich uns zuweilen die Frage aufdrängte, ob das „stille Leiden” mit chronischer Wunde nicht die bessere Lösung wäre.

Als besondere Komplikation ließ sich in einer bestimmten Phase unserer Interventionen bei 3 Patienten eine Tendenz zur Selbstschädigung beobachten. Während im Stadium der chronisch offenen - oder rezidivierend geöffneten - Wunde, trotz unseres Verdachts, keine Hinweise auf manifeste Selbstschädigung zu finden waren, beobachteten wir verschiedenartige Selbstschädigungen im Stadium der beginnenden oder abgeschlossenen Wundheilung.

Krankenbeispiel 3: Bei einem 35-jährigen Feuerwehrmann wurde in der 4. Woche auf der Station, als sich ein günstiger Verlauf abzeichnete, in der granulierenden, fast geschlossenen Wunde am Steiß ein Fremdkörper entdeckt. Auf die Frage, wie der kleine Plastikring in die Wunde gekommen sei, verließ der Patient abrupt das Krankenhaus. (Bei ihm kam es zu Aggressivität auch poststationär, indem er als Privatpatient seine Rechnung nicht bezahlte, schließlich gegen den Chefarzt der Plastischen Chirurgie Klage erhob - trotz anhaltend geschlossener Wunde! -, er sei auf der Station falsch behandelt worden).

Der beschriebenene 51-jährige Patient (Krankenbeispiel 2) inszenierte, nachdem die Wunde erstmalig - im 10. Monat nach der Amputation der Zehen! - geschlossen war, mehrere Selbstschädigungen: durch Stoß kam es seitlich am Ballen zu einer neuen Wunde, die glücklicherweise rasch heilte. Er setzte den Fuß der prallen Sonne aus, so dass dieser erneut livide anschwoll. Er zog den rauhen Stützstrumpf ohne Verband über die noch dünne Haut der frischverheilten Wunde. Er behielt den Stützstrumpf Tag und Nacht an, bemerkte selbst nicht, dass schließlich eine verschorfte Blutspur am Unterschenkel nach außen durchdrang.

Die seelische Wunde, die durch die biographischen Mitteilungen berührt wurde, deren Veröffentlichung ja gerade erst im Gange - und die noch lange nicht verheilt - ist, hat, so scheint es, sobald die körperliche Wunde sich schließt, bei einigen Patienten kein ausreichendes Ventil mehr, was vermutlich vorübergehend eine unerträgliche innere Spannung erzeugt, die sich auf anderem Wege, durch Selbstmutilation (durch künstliches Offenhalten der Wunde), Ausdruck verschaffen muss.

Die begonnenen Katamnesen durchnittlich 2 Jahre nach Entlassung bei inzwischen 8 der 30 Patienten zeigen: Bei allen 5 befragten Patienten der Gruppe 1 blieb die Wunde in der Zwischenzeit anhaltend geschlossen. In der Gruppe 2 war bei einem Patienten (Feuerwehrmann s. o. Krankenbeispiel 3) die begonnene Wundheilung bald nach seinem abrupten Abbruch der stationären Behandlung fortgeschritten, die Wunde anhaltend geschlossen (Katamnese 4 J.).

Sogar in der Gruppe 3 ist es bei 2 Patienten - ohne weitere chirurgische Intervention - nachträglich doch zu einer Besserung und Heilung der Wunde gekommen. Die überraschenden katamnestischen Ergebnisse aus der Gruppe 2 und 3 könnten so gedeutet werden, dass die konservativ abwartende Haltung der Chirurgen, unsere Bemühung um Aufdeckung, das gemeinsame Interesse der interdisziplinären Ärztegruppe an der Person der Patienten und an ihrer Biographie, affektiv offenbar mehr in Bewegung gebracht hat, als von uns zunächst wahrgenommen wurde.

#

b) Psychosomatische Pathologie:

Einige klinische Befunde werfen durch ihre Paradoxie Fragen auf und sind vielleicht besonders geeignet, die Wundheilung und das Problem der Nichtwundheilung besser zu verstehen.

  1. Die Ursprungsverletzung ist häufig unspektakulär. Anamnestisch bestand sie in 12 Fällen in einer chirurgischen Intervention, davon 5 Mal Nagelung nach Knochenbruch, 6 Mal eine Mamma-OP - davon 4 Mal beide Brüste kosmetisch -, 1 Mal Operation einer Bursitis am Ellenbogen (Krankenbeispiel 4). In 4 Fällen entwickelte sich die chronische Wunde aus einer Bagatellverletzung [2], z. B. Stoßen am Stuhlbein mit oberflächlicher Schürfwunde (die sich zu einer 10x20 cm großen, bis heute persistierenden Wunde am Unterschenkel entwickelte), einmal aus einer paravertebralen Injektion (mit der Folge einer kratertiefen, bis zum Wirbel reichenden chronischen Wunde). Besonders in diesen Fällen entstand der Eindruck, dass die harmlose Verletzung als Gelegenheitsursache benutzt wurde, um der seelischen Wunde sichtbaren Raum zu verschaffen.

  2. Um aus der Bagatellverletzung oder der Operationswunde ein seelisches „Ausdrucksgeschehen” zu machen, bedarf es einer Latenz, einer Art Inkubationszeit, einer „Zeit der psychischen Ausarbeitung” (Charcot 1886). Bei 25 der 30 chirurgischen Patienten kam es nach der Verletzung/der Operation initial zu einer Primärheilung und erst mit Latenz - von einigen Tagen (n = 22) oder sogar Wochen (n = 3) - zur persistierenden Öffnung der Wunde, differentialdiagnostisch ein wichtiger klinischer Hinweis, dass es sich nicht um die übliche Sekundärheilung wegen Infektion oder anderer somatischer Ursache handelt, sondern dass eine ganz neue, andersartige (psychosomatische) Dynamik und Symptomdynamik in Gang kommt. Zu dieser Symptomdynamik gehört, dass die Wunde, wie anamnestisch zu erfahren, sich initial geschlossen, nach kurzer oder längerer Zeit aber, aus scheinbar unerfindlichen Gründen, wieder geöffnet hat. Die Auslösesituation der Wundöffnung ließ sich in einigen Fällen genau eruieren:

    Krankenbeispiel 4: Eine 70-jährige Patientin wird an einer Bursitis am rechten Ellenbogen operiert und mit verheilter Wunde (trotz fragiler Epidermis aufgrund jahrelanger Kortisoneinnahme) aus der Klinik entlassen. Eine Woche später besucht sie eine alte vornehme Freundin. 24 Stunden vor dem geplanten Besuch bemerkt sie eine Schwellung im Wundbereich. Als sie bei der Freundin auf dem edlen Plüschsofa sitzt und die Teetasse zum Munde führt, entleert sich plötzlich eine Menge Eiter aus der frischen Operationsnarbe. Sofa, Tischdecke, Teppich, alles ist beschmutzt. Die Patientin kommt auf die plastisch-chirurgische Station. Die biographische Anamnese ergibt: In Ostpreußen, wo sie aufwuchs, besaß ihre Familie ein vornehmes Anwesen mit auch solchen edlen Möbeln. Dieses Anwesen musste sie mit 17 Jahren innerhalb von 2 Stunden mit Mutter und Bruder für immer verlassen, durch die Vertreibung war alles verloren. Auf der Flucht gen Westen wurde sie von der Mutter - die Geld brauchte, um den Vater zu suchen! - an der Grenze als Pfand zurückgelassen, musste sich mehrere Jahre alleine durchschlagen, gebar in dieser Zeit ein unerwünschtes Kind (Vergewaltigung?), bis die Familie sich wieder meldete. „Warum hat die Freundin alles behalten dürfen?”, diese Frage stand, mit einer Mischung aus Trauer und Groll, im Raum, als die Patienten vom Aufplatzen ihrer Wunde und dem eitergeschändeten Mobiliar erzählte.

    Die erwähnte 17-jährige Patientin (Krankenbeispiel 1) konnte in den beiden Jahren bis zur ersten psychosomatischen Intervention mehrmals mit geschlossener Wunde entlassen werden. Wenige Tage der Berührung mit der traumatischen Situation zu Hause genügten - Selbstverletzung ließ sich ausschließen -, dass sie mit erneut offener Wunde wieder aufgenommen werden musste.

  3. Zwei Drittel unserer Patienten klagten zusätzlich über heftige analgetika-, sogar morphinresistente Schmerzen im Wundbereich, mit paradoxen Schwankungen der Intensität. Der erwähnte 39-jährige Feuerwehrmann (Krankenbeispiel 3), seit 2 Jahren an einer Wunde am Steiß leidend - die ohne eruierbare Verletzung entstanden war -, erlebte mehrmals über Wochen eine Schließung der Wunde, wobei ein quälender Schmerz im Steiß gerade in diesen Phasen jeweils zunahm, sich wieder milderte, wenn die Wunde sich erneut öffnete, schließlich aber auch bei geöffneter Wunde exazerbierte, so dass er auswärtig Dolantin und Tramal, schließlich per infusionem, benötigte. Der Schmerz war nach Absetzen der Analgetika binnen weniger Tage rückläufig, ebenso die Wundsekretion, mit der Möglichkeit frischer Granulation (s. o.).

    Krankenbeispiel 5: Bei einer 74-jährigen Patientin mit schmerzhaften Ulcera cruris am Innen- und Außenknöchel bei Diabetes mellitus - diese waren nach dem Tod ihres Hundes über eine Phase zunehmender Schwellung des Unterschenkels entstanden, die Blutzuckerwerte waren kompensiert - exazerbierten die Schmerzen besonders beim Verbandwechsel, wenn sie ihre offenen Wunden selbst ansah, und milderten sich rasch, sobald die Schwester die Wunde mit dem neuen Verband bedeckte. Auch dieser Schmerz war wie weggeblasen nach Absetzen der Schmerzmittel und den ersten Gesprächen, in denen sich die Patientin zuerst über ihren verstorbenen Hund, dann über den Jahre zurückliegenden Tod ihres Mannes, schließlich über ihre sadistische Adoptivmutter hatte ausklagen können („Ich musste ihr immer dankbar sein und durfte mich nicht beklagen und wehren”). Aufgrund inzwischen gebesserter Wundsituation konnte auf die zuvor geplante plastisch-operative Behandlung verzichtet werden.

    Das Exzessive der Schmerzen, die Analgetikaresistenz sowie die situationsabhängigen Schwankungen der Intensität brachten uns auf den Gedanken, dass die Schmerzen der Wundpatienten die Kriterien eines psychogenen Schmerzes erfüllen [14]. Als diese Schmerzen nach Absetzen aller Schmerzmittel (und Beginn unserer Gespräche) sich regelmäßig milderten und verschwanden, war dies für uns ein weiterer Beweis für ihre Psychogenie (oder eine erhebliche psychogene Ausgestaltung). Von solchen psychogenen/somatoformen Schmerzen wissen wir, dass sie ebenfalls durch - lange zurückliegende und aktuelle - anhaltende seelische Traumen zustande kommen und nur durch Erinnern und Veröffentlichung dieser Traumen verschwinden können.[15],[16]

    Frühere, auch anhaltende Schmerzepisoden (Kopf-, Bauch-, Rücken-, Gelenkschmerzen, Dysmenorrhoen) ließen sich bei 21 Patienten anamnestisch eruieren, als Zeichen lebenslanger „Pain-proneness”[16].

  4. Auch die bereits bei einigen Patienten (Krankenbeispiel 2,4,5) beschriebenen Schwellungen verdienen psychosomatische Aufmerksamkeit. Sie zeigen auffällige, situativ anmutende Schwankungen und könnten besondere pathognomonische Bedeutung haben. Nicht selten lässt sich eine ätiologisch schwer erklärbare Schwellung einer Extremität als Prodromalsymptom, als erstes klinisches Zeichen beginnender Wundheilungsstörung beobachten oder anamnestisch eruieren. Die Patienten berichten, nach der Verletzung oder der Operation und scheinbar abgeschlossener Wundheilung sei der Fuß/Unterschenkel/Arm erneut (schmerzhaft) angeschwollen - in einigen Fällen ein von von der Wunde entfernter Extremitätenbereich -, und zwar tage- oder wochenlang, bis sich dann - plötzlich - die bereits vernarbte Wunde wieder geöffnet habe (s. Krankenbeispiel 4). Auch das Ulcus cruris der 74-jährigen Patientin (Krankenbeispiel 5) hat sich nach einer Phase zunehmender Schwellung am Fußgelenk ohne erinnerliche äußere Verletzung gebildet - in einer Situation zunehmenden affektiven Innendrucks von anschwellender Trauer und Enttäuschungswut. Ob es sich hier um affektiv bedingte Schwellungen handelt, wie sie uns aus der Behandlung psychogener Schmerzen bekannt sind [17], muss offenbleiben.

  5. Wir haben, wie erwähnt, mit den Patienten nicht nur gesprochen, sondern uns, so weit möglich, mehrmals beim Verbandwechsel die Wunden selbst angesehen und ihre Veränderungen verfolgt. Bei den meisten Patienten fiel eine enorme, exzessive Wundsekretion auf, die bei der Versorgung ein eigenständiges Problem darstellte [18]: Das schmutzig-gelbliche, blutvermischte Sekret kann von den Chirurgen nicht häufig genug abgetragen, es muss aus tiefen Wundtaschen gleichsam abgeschöpft werden; durch den frischen Verband ist das Sekret minutenschnell wieder durchgedrungen. Sobald sich die Patienten mit ihrem seelischen Trauma im Gespräch anvertrauen können, ist eine Veränderung der Wundsituation zu beobachten: Die Sekretproduktion versiegt, die Wunde wird „trocken”, die Tiefe der Wunde wird flacher, die Wundtaschen glätten sich, an den Wundflächen und -rändern bildet sich gefäßreiches Granulationsgewebe, so dass die Wunde sich schließen kann, und zwar verblüffenderweise oft rasch, in einigen Fällen binnen weniger Tage!

Pathophysiologisch liegt es nahe anzunehmen, dass sich in dieser Phase des Umschwungs, der drastischen Veränderung der Wundsituation, Nekrose-Vorgänge in Prozesse der Apoptose verwandeln [2]; d. h. , statt der zuvor foudroyanten Zerstörung/Zersetzung und Ausstoßung lädierten Gewebes würde im Zuge der Veröffentlichung traumatischer Erfahrungen der ganz andere Verdauungs-/Reinigungsvorgang möglich, der Weg gleichsam frei, dass körpereigene Zellen (Makrophagen) das kranke, überflüssige Gewebe zerkleinern, inkorporieren und innerhalb des Körpers abtransportieren.

Psychodynamisch lässt sich zu der übermäßigen Sekretproduktion (auch zu den Schmerzen und den Schwellungen) sowie zur Umkehrung von Nekrose in Apoptose folgendes sagen: Das Verhalten der Patienten - die „ihr langes Leiden geduldig ertragen”, die täglichen Säuberungen ihrer Wunden fast mit Zufriedenheit über sich ergehen lassen - erweckt den Eindruck, dass mit der Sekretproduktion und den ärztlichen Prozeduren ein geheimer „Gewinn” verbunden ist.

Die Biographien zeigen, differenzierter gesehen, dass die Betroffenen an einer unbewussten tragischen Schuldproblematik leiden, unter einem Strafbedürfnis - nicht für begangenes, sondern für erlittenes Unrecht, empfangene Kränkungen, Gewalt, Verstoßung (nicht der Täter, das Opfer trägt die Schuld und muss sie abtragen). Es scheint bei den Wundpatienten eine Art verzweifelter Hoffnung zu bestehen, dass das implantierte „Böse”, die drückende Schuld durch die offene Wunde, in Form der foudroyanten Wundsekretion befreiend herauskommen und durch die ärztlichen Säuberungen abgeräumt werden könnte. In dem von Hontschik und v. Uexküll [19] herausgegebenen Lehrbuch „Psychosomatik in der Chirurgie” findet sich im Kapitel über Chronische Osteomyelitis [20] unter dem Stichwort Eiter als Währung eine ähnliche Psychodynamik dargestellt: Die persistierende Eiterproduktion wird als Versuch der inneren Reinigung auf der Körperebene verstanden, einer Bußhandlung vergleichbar, mit der ein schwer belastetes (Schuld-)Konto gleichsam abbezahlt wird. In diesem Zusammenhang werden auch unbewusste Amputationswünsche der Osteomyelitis-Kranken beschrieben und gedeutet: da der (unbewusst) erhoffte Gewinn der Schuldbefreiung durch Eiterproduktion und Schmerz nicht eintritt, muss der ganze Körperteil, das ganze Bein durch Amputation verschwinden. Die für das innere Drama wesentliche Komponente, dass es sich um erlittene Kränkung/Verwünschung/Verstoßung, um fremde, implantierte Schuld handelt, taucht als Gedanke in diesem Kapitel allerdings nicht auf. Latente Amputationswünsche sind uns auch bei einigen unserer Wundpatienten begegnet (s. Krankenbeispiel 2).

Die 70-jährige Patientin (Krankenbeispiel 4) zerbricht nach der ausführlichen Darstellung ihrer schmerzreichen Biographie ihre Brille, kann deshalb den ergänzenden Anamnesebogen nicht ausfüllen. Wir vermuten unüberwindliche Scham- und Schuldgefühle (wegen der Verstoßung durch die Mutter, wegen einer geheimgehaltenen Vergewaltigung?). Sie lehnt schließlich weitere Gespräche ab - die implantierte Spalthaut wächst nicht an -, sie überfällt mich aber später bei einer „zufälligen” Begegnung in der Chirurgischen Ambulanz mit der Bemerkung: „übrigens, ich habe heute Nacht geträumt...”; als ich mich, bereits im Gehen, daraufhin noch einmal umdrehe, fährt sie fort: „mein rechter Arm sollte amputiert werden, es wurde überlegt, wie ich dann gepflegt werden kann”. Inhalt und Herkunft der bislang nur inszenierten Schuldgefühle haben wir nicht erfahren. Die Patientin kommt seit Monaten mehrmals pro Woche in die chirurgische Ambulanz, die Wunde hat sich gebessert, ist aber noch nicht geschlossen.

Überraschenderweise haben wir in mehreren der untersuchten Wundabstriche keine Bakterien gefunden. Die Wundabstriche wurden allerdings nicht systematisch, mehrmals in zeitgleichen Abständen, vorgenommen. Trotzdem ließe sich hypothetisch sagen: Es bedarf bei einigen der Patienten keiner Bakterien, es sind die seelischen Schädlinge, die bösen Erinnerungen, die implantierten Schuldgefühle, die mit dem Sekret drängend heraus wollen. So lässt sich das Versiegen der Sekretproduktion - der Umschwung von Nekrose in Apoptose - verstehen (ebenso das Verschwinden der Schwellungen und Schmerzen), sobald die schmerzhaften Erinnerungen verbal, durch den Mund, herauskommen können.

#

Zusammenfassung:

Unsere Befunde legen den Schluss nahe: Die chronische Wunde ist ein chirurgisch-psychosomatisches Problem, das nur mit Kenntnis der inneren Verfassung der Patienten zu verstehen und zu behandeln ist. Chronische Wunden können ein Hinweis auf seelische Traumatisierung sein. Deren Aufdeckung und affektive Bearbeitung - eingebettet und geschützt in einer therapeutischen Beziehung - kann die Wundsituation drastisch bessern. Je nach Konstellation können die psychosomatischen Interventionen die chirurgischen Maßnahmen hilfreich begleiten (d. h. die günstigen Bedingungen zum Greifen operativer Eingriffe fördern) oder operatives Handeln (vorübergehend oder dauerhaft) sogar ersetzen, wobei auch im letzteren Falle die chirurgische Behandlung die Basis bleibt. In jedem Falle und in jedem Stadium der psychosomatischen Interventionen ist die chirurgische Gegenwart - motivierend, schützend, rezeptiv abwartend - unerlässlich.

Die psychosomatische Pathologie, zu der die genaue Beachtung der klinischen Befunde gehört, liefert neue, aufregende Aspekte: Strenggenommen ist die Wunde keineswegs „chronisch”, sie befindet sich im Gegenteil ständig in Bewegung, zeigt überraschende Änderungen, unscheinbare und dramatische, langsame und rasche, plötzliche, sogar urplötzliche Veränderungen, unerwartete Öffnungen und Schließungen (wie ein Mund). Die Wunde kann spucken und geifern, dann wieder austrocknen; sie kann kratertief einsinken und abflachen, sich verhärten, vernarben, sich keloidartig aufbäumen, sie kann blau, rot, gelb und grün anlaufen und auch leichenblass werden. Die Wunde kann sich mit Schwellungen und Schmerz verbünden. Schwellung, Schmerz und offene Wunde, scheinen, als Ausdrucksmöglichkeit eines inneren Affektdrucks, zuweilen einander abzulösen, als Ventil eines unerträglich gewordenen Schulddrucks einander vertreten zu können.

Die Wunde kann als Fistel unterirdische Gänge bilden, als Phlegmone das Bindegewebe einer ganzen Extremität unterwandern (s. Krankenbeispiel 3) oder tief im Innern des Knochens ihr Unwesen treiben (Osteomyelitis), als Abszess (oder Akne) von innen nach außen drängen, als Dekubitus sich flächig ausbreiten, als Pseudarthrose nach Knochenläsion sich verewigen. (Hier ist bereits ein Programm benannt, die verschiedenen Manifestationen schwer heilender Wunden im selben Sinne psychosomatisch interdisziplinär zu untersuchen, - ein Programm, an dem wir bereits zu arbeiten begonnen haben).

Eine der Bedingungen dieser vielfältigen Veränderungen scheint die jeweilige Verschlossenheit oder Offenheit des Mundes zu sein, seine Fähigkeit oder Unmöglichkeit, Gefühle, Phantasien, Erinnerungen auszusprechen. Der Mund ist die Körperöffnung, durch die sich der Mensch von allen Tieren, allen Lebewesen am meisten unterscheidet: Durch die Fähigkeit der Sprache.

Der Befund, dass Personen eine besonders schlechte Wundheilung aufweisen, die Angehörige mit Morbus Alzheimer pflegen [13], wird jetzt verständlich: Menschen mit Morbus Alzheimer sind unfähig, sich im Gespräch auszutauschen, unfähig natürlich auch, ein anstehendes Familienproblem mit den betreuenden Angehörigen zu klären. Diese sind aber gezwungen, in körperlicher, sogar intimer Nähe pflegerisch mit den Alzheimer-Kranken umzugehen - einer Nähe, die fast zwangsläufig traumatische Erinnerungen, z. B. an sexuelle Übergriffe, weckt - ohne die Möglichkeit, die aufkommenden heftigen Gefühle zu äußern, zu entsorgen, die drängenden Fragen anzusprechen.

Das Aussprechen belastender Geheimnisse als innere Reinigung, Beichte als Katharsis, ist vielen Kulturen geläufig. Die offenen Wunden zeigen, wie vital und lebenswichtig das Bedürfnis nach seelischer Reinigung und Entsorgung ist, wie unerbittlich - man möchte sagen unbestechlich - die Wunde, aller chirurgischen Kunst zum Trotz, offen bleibt, wenn dieses Bedürfnis nicht Raum bekommt, sich aber schließen kann, sobald es gelingt, dass der Mund sich öffnet und die seelische Reinigung übernimmt.

#

Literatur:

  • 1 Mohr V D, Panfile-MM, Zirngibl H. Chronische Wunden: Strukturelle Strategien für Prophylaxe und Versorgung.  Klinikarzt. 1998;  27 116-125
  • 2 Smola H, Eming S A, Hess S, Werner S, Krieg T h. Wundheilung und Wundheilungsstörungen. Moderne Konzepte zur Pathophysiologie und Therapie.  Dt Ärztebl. 2001;  98 2802-2809
  • 3 Marks J, Hughes L E, Harding K G, Campbell H, Riberio C D. Prediction of healing time as an aid to the management of open granulating wounds.  World J Surg. 1983;  7 641-645
  • 4 Stotts N A, Wipke-Trevis D. Co-factors in impaired wound healing. Ostomy Wound Manage 1996 42: 44-54
  • 5 Marucha P T, Kiecolt-Glaser J K, Favagehi M. Mucosal wound healing is impaired by examination stress.  Psychosom Med. 1998;  60 362-365
  • 6 Cole-King A, Harding K G. Psychological Factors and Delayed Healing in Chronic Wounds.  Psychosom Med. 2001;  63 216-220
  • 7 Adam K, Oswald I. Protein synthesis, bodily renewal and the sleep-wake cycle.  Clin Sci. 1983;  65 561-567
  • 8 Irwin M, Mascovich A, Gillin J C, Willoughby R, Pike J, Smith T L. Partial sleep deprivation reduces natural killer cell activity in humans.  Psychosom Med. 1994;  56 493-498
  • 9 Moldofsky H, Lue F A, Eisen J, Keystone E, Gorczynski R M. The relationship of interleukin-1 and immune functions to sleep in humans.  Psychosom Med. 1986;  48 309-318
  • 10 Barbul A. Immune aspects of wound repair.  Clin Plast Surg. 1990;  17 422-433
  • 11 Clark R AF. Basics of cutaneous wound repair.  J Dermatol Surg Oncol. 1993;  19 693-706
  • 12 Herbert T B, Cohen S. Depression and immunity: a meta-analytic review.  Psychol Bull. 1993;  113 472-486
  • 13 Kiecolt-Glaser J K, Marucha P T, Malarkey W B, Mercado A M, Glaser R. Slowing of wound healing by psychological stress.  Lancet. 1995;  346 1194-1196
  • 14 Kütemeyer M. Psychogene Schmerzen.  Hamburger Ärztebl. 1995;  49 215-216
  • 15 Egle U T, Hoffmann S O. Der Schmerzkranke. Grundlagen, Klinik und Therapie chronischer Schmerzsyndrome aus bio-psycho-sozialer Sicht. Schattauer Stuttgart, New York; 1993
  • 16 Engel G L. Psychogenic Pain and the Pain-Prone Patient.  Amer J Med. 1959;  26 1899-1918
  • 17 Kütemeyer M. Rundbrief 2: Psychogener Schwellfuß. St.Agatha-Krankenhaus 2000 Köln;
  • 18 Wozniak G H, Lutz H, Noll T, Alemany J. Behandlung stark sekretierender, chronischer Wunden mit Faktor XIII. II. Endothel und Faktor XIII. III.Klinische Modalitäten und Ergebnisse. Z Wundheilung Heft 19, 10 - 19, Heft 20, 10 - 13 2001 6
  • 19 Hontschik B, Uexküll v Th. Psychosomatik in der Chirurgie. Integrierte Chirurgie - Theorie und Therapie. Schattauer Stuttgart, New York; 2000
  • 20 Winter-Klemm B, Klemm K. Chronische Osteomyelitis. Hontschnik B, v Uexküll Th Schattauer Stuttgart, New York; Psychosomatik in der Chirurgie 2000: 178-190
#

Autoren:

M Kütemeyer
S Eren
A Ghofrani
M Reifenrath
R Krein
A Janssen
Frau Dr. med. M. Kütemeyer

Abteilung Psychosomatik am St. Agatha-Krankenhaus

Feldgärtenstraße 97

50735 Köln

Email: kuetemeyer@st-agatha-krankenhaus.de

#

Literatur:

  • 1 Mohr V D, Panfile-MM, Zirngibl H. Chronische Wunden: Strukturelle Strategien für Prophylaxe und Versorgung.  Klinikarzt. 1998;  27 116-125
  • 2 Smola H, Eming S A, Hess S, Werner S, Krieg T h. Wundheilung und Wundheilungsstörungen. Moderne Konzepte zur Pathophysiologie und Therapie.  Dt Ärztebl. 2001;  98 2802-2809
  • 3 Marks J, Hughes L E, Harding K G, Campbell H, Riberio C D. Prediction of healing time as an aid to the management of open granulating wounds.  World J Surg. 1983;  7 641-645
  • 4 Stotts N A, Wipke-Trevis D. Co-factors in impaired wound healing. Ostomy Wound Manage 1996 42: 44-54
  • 5 Marucha P T, Kiecolt-Glaser J K, Favagehi M. Mucosal wound healing is impaired by examination stress.  Psychosom Med. 1998;  60 362-365
  • 6 Cole-King A, Harding K G. Psychological Factors and Delayed Healing in Chronic Wounds.  Psychosom Med. 2001;  63 216-220
  • 7 Adam K, Oswald I. Protein synthesis, bodily renewal and the sleep-wake cycle.  Clin Sci. 1983;  65 561-567
  • 8 Irwin M, Mascovich A, Gillin J C, Willoughby R, Pike J, Smith T L. Partial sleep deprivation reduces natural killer cell activity in humans.  Psychosom Med. 1994;  56 493-498
  • 9 Moldofsky H, Lue F A, Eisen J, Keystone E, Gorczynski R M. The relationship of interleukin-1 and immune functions to sleep in humans.  Psychosom Med. 1986;  48 309-318
  • 10 Barbul A. Immune aspects of wound repair.  Clin Plast Surg. 1990;  17 422-433
  • 11 Clark R AF. Basics of cutaneous wound repair.  J Dermatol Surg Oncol. 1993;  19 693-706
  • 12 Herbert T B, Cohen S. Depression and immunity: a meta-analytic review.  Psychol Bull. 1993;  113 472-486
  • 13 Kiecolt-Glaser J K, Marucha P T, Malarkey W B, Mercado A M, Glaser R. Slowing of wound healing by psychological stress.  Lancet. 1995;  346 1194-1196
  • 14 Kütemeyer M. Psychogene Schmerzen.  Hamburger Ärztebl. 1995;  49 215-216
  • 15 Egle U T, Hoffmann S O. Der Schmerzkranke. Grundlagen, Klinik und Therapie chronischer Schmerzsyndrome aus bio-psycho-sozialer Sicht. Schattauer Stuttgart, New York; 1993
  • 16 Engel G L. Psychogenic Pain and the Pain-Prone Patient.  Amer J Med. 1959;  26 1899-1918
  • 17 Kütemeyer M. Rundbrief 2: Psychogener Schwellfuß. St.Agatha-Krankenhaus 2000 Köln;
  • 18 Wozniak G H, Lutz H, Noll T, Alemany J. Behandlung stark sekretierender, chronischer Wunden mit Faktor XIII. II. Endothel und Faktor XIII. III.Klinische Modalitäten und Ergebnisse. Z Wundheilung Heft 19, 10 - 19, Heft 20, 10 - 13 2001 6
  • 19 Hontschik B, Uexküll v Th. Psychosomatik in der Chirurgie. Integrierte Chirurgie - Theorie und Therapie. Schattauer Stuttgart, New York; 2000
  • 20 Winter-Klemm B, Klemm K. Chronische Osteomyelitis. Hontschnik B, v Uexküll Th Schattauer Stuttgart, New York; Psychosomatik in der Chirurgie 2000: 178-190
#

Autoren:

M Kütemeyer
S Eren
A Ghofrani
M Reifenrath
R Krein
A Janssen
Frau Dr. med. M. Kütemeyer

Abteilung Psychosomatik am St. Agatha-Krankenhaus

Feldgärtenstraße 97

50735 Köln

Email: kuetemeyer@st-agatha-krankenhaus.de