psychoneuro 2005; 31(9): 426-432
DOI: 10.1055/s-2005-919170
Schwerpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Postpsychotische Depression

Postpsychotic DepressionGeorg Juckel1
  • 1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité, Campus Mitte, Berlin
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Korrespondenzadresse:

PD Dr. med. Georg Juckel

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité, Campus Mitte

Schumannstr. 20/21

10117 Berlin

Email: georg.juckel@charite.de

Publication History

Publication Date:
06 October 2005 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Postpsychotische Depressionen bei schizophrenen Patienten treten in ca. 60 % aller Fälle auf. Jedoch ist die Konzeptualisierung der postpsychotischen Depression als eine allein unmittelbar nach einer psychotischen Exazerbation in der Phase der Remission auftretende depressive Episode vor dem Hintergrund der Unterschiede von ICD-10 und DSM-IV sowie der klinischen Erfahrungen im Langzeitverlauf der chronisch verlaufenden Schizophrenien eher als fraglich anzusehen. Es wird daher vom Autor vorgeschlagen, neben einer rein „postpsychotischen Depression” auch eine „Depression im Intervall” klassifikatorisch vorzusehen, wobei die Abgrenzung von der schizophrenen Negativsymptomatik bei letzterer als besonders schwierig angesehen werden muss. Neben interessanten neueren Ansätzen der kognitiven Verhaltenstherapie ist bei der Pharmakotherapie davon auszugehen, dass zur Behandlung der postpsychotischen Depression Antidepressiva sich als wenig hilfreich erwiesen haben. Besser wird die neuroleptische Medikation mit dem Wechsel auf ein atypisches Neuroleptikum optimiert. Atypika besitzen aufgrund ihrer anderen pharmakologischen Wirkmechanismen auch direkte antidepressive Eigenschaften. Bei der Depression im Intervall ist der Einsatz von Antidepressiva eher zu erwägen, wobei hier je nach Ausmaß der noch vorhandenen psychotischen Symptomatik neuere dual wirksame Antidepressiva oder SSRIs zu wählen wären.

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Summary

Postpsychotic depression in schizophrenic patients affects roughly 60 % of the patients. Against the background of the differences between ICD-10 and DSM-IV, and the clinical experience gained with the long-term course of chronic schizophrenia, however, the conceptualisation of postpsychotic depression as a depressive episode occurring solely immediately following a psychotic exacerbation in the remission phase, must be considered highly questionable. It is therefore proposed that, in addition to a purely postpsychotic depression in the sense of the word, a classification of depression in the interval should also be established, it being acknowledged, however, that in the latter, discrimination from the negative symptom syndrome of schizophrenia is particularly difficult. Apart from interesting new approaches in the area of cognitive behavioural therapy, pharmacotherapy employing antidepressants to treat postpsychotic depression has proved unhelpful. Instead, neuroleptic medication should be optimised by changing over to atypical neuroleptics which, on the basis of their other pharmacological mechanisms of action, also possess direct antidepressive properties. In the case of depression in an illness-free interval, the use of antidepressants can be more readily considered with either mirtazapine (e.g. Venlafaxine) or an SSRI being given preference, depending upon the severity of the persisting psychotic symptoms.

Das Thema der postpsychotischen Depression bei schizophrenen Patienten wurde vor Jahren insbesondere im Zusammenhang mit der eventuellen depressiogenen Wirkung konventioneller Neuroleptika intensiver diskutiert als heute. Jedoch zeigt auch die gegenwärtige klinische Erfahrung, dass postpsychotische Depressionen nicht allein pharmakogen, sondern auch morbogen weiterhin ein relevantes Phänomen darstellen. Diagnostisch müssen sie zur Negativsymptomatik [Tab. 1] abgegrenzt werden, therapeutisch muss der Einsatz von Antidepressiva abgewogen werden, wobei die Gefahr besteht, dass diese ein psychotisches Rezidiv auslösen können. Gegebenenfalls kann auch ein Mood-Stabilizer verordnet werden. Konzeptionell taucht hier das „Gespenst” der Einheitspsychose auf, von der man post-kraepelinianisch immer hoffte, dass es aus dem Reich der Psychiatrie verschwunden wäre. Wenn affektive Beschwerdebilder wie Depressionen oder Manien mit psychotischen Symptomen wie Wahn einhergehen können, wenn es eine nosologische Entität der schizoaffektiven Störung gibt, die beides in sich vereinigt, und wenn eine ganze Reihe von affektiven Symptomen und Syndromen im akuten Querschnitt, aber auch als z.B. postpsychotische Depression im Verlauf schizophrener Erkrankungen auftreten können, so liegt die Vorstellung nahe, dass endogene Psychosen nicht dichotomisch, sondern nur als zwei Seiten einer Medaille als Kontinuum konzeptionalisiert werden können. Entsprechende neurobiologische und genetische Modelle werden gegenwärtig diskutiert [18]. Unklar ist auch, warum sich das psychopathologische Zustandsbild im Rahmen schizophrener Erkrankungen nach Abklingen der psychotischen Symptomatik in Richtung einer postpsychotischen Depression ändert. Im Rahmen jahrelang verlaufender schizophrener Erkrankungen kann es zu postremissiven Erschöpfungsdepressionen kommen (ein früher mehr verwendeter Begriff für die postpsychotische Depression bei schizophrenen Patienten). Ob der Patient depressiv wird und sich leer fühlt, weil die „Buntheit” der Psychose abklingt, bzw. der ungeheure Stress der akuten psychotischen Episode nachlässt und damit das Erschöpfungsgefühl spürbar wird, ist wie die Frage mit der Henne und dem Ei schwierig zu beantworten. Viele Patienten bemerken erst nach Abklingen der psychotischen Symptomatik, welche beruflichen, familiären und persönlichen Belastungen (wieder) auf sie zu kommen, während der Psychose waren diese Probleme dagegen zweitrangig und von der Psychose überlagert. Was sich neurobiologisch in dieser Verlaufsdynamik, die zur Hervorbringung der postpsychotischen Depression führt, abspielt, kann nur vermutet werden. Eventuell spielt hier der Wechsel von einer phasenhaft häufig erhöhten dopaminergen Neurotransmission im mesolimbischen Verstärkungssystem (ventrales Striatum) während der akuten Psychose zu einer eher niedrigen dopaminergen (und vermutlich auch serotonergen) Stoffwechsellage, durch Abklingen der akuten Erkrankung bedingt und/oder durch die Gabe der neuroleptischen D2-Blocker. Eine niedrige dopaminerge Stoffwechsellage ist offenbar, vor allem wenn sie präfrontal auftritt, bei der schizophrenen Negativsymptomatik beteiligt. Auch bei der Depression spielt der Dopaminmangel eine Rolle [7].

Postpsychotische Depressionen bei schizophrenen Patienten sind psychiatriegeschichtlich bereits seit dem 19. Jahrhundert gut bekannt [13]. Kahlbaum lieferte 1863 die erste klinische Beschreibung dieses Phänomens bei 26 Patienten. Obwohl Kraepelin affektive und schizophrene Erkrankungen dichotom betrachtete, berichtete er auch affektive Veränderungen bei Beginn der Dementia praecox. Bleuler fasste in seiner Unterteilung zwischen Haupt- und akzessorischen Symptomen die depressive Symptomatik neben Wahn und Halluzinationen bei den sekundären Symptomen auf. Mayer-Gross betonte Mitte der 1950er-Jahre, dass das Vorliegen einer Depression oder Manie im Zusammenhang charakteristischer schizophrener Symptome die Diagnose einer Schizophrenie keineswegs ausschließt oder schwächt.

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Neuroleptika als Auslöser?

Die Prävalenz postpsychotischer Depressionen, aber auch von Suiziden, nahm mit der Einführung der Neuroleptika zu [10]. Da sich die depressiven Zustandsbilder vor allem als akinetische Symptome manifestierten, wurde vermutet, dass sie allein durch Neuroleptika ausgelöst werden [26]. Frühe Längsschnittuntersuchungen ergaben jedoch, dass depressive Symptome bei nahezu allen schizophrenen Patienten mit einer akuten Exazerbation nach Rückbildung der psychotischen Symptomatik auftreten und dass Antidepressiva keinen Effekt hierauf haben [2]. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass nicht nur moderne, sondern auch konventionelle Neuroleptika sowohl die psychotische als auch die depressive Symptomatik verbessern [12]. Die Lebenszeitprävalenz von postpsychotischen Depressionen bei schizophrenen Patienten liegt bei ungefähr 60 % [19]. Depressive Syndrome im Rahmen schizophrener Erkrankungen treten dabei vor allem in der akuten Phase der Erkrankung auf, vermutlich weniger nach Remission. Später im Verlauf manifestiert sich möglicherweise die Symptomatik, die akut als depressive in Erscheinung tritt, eher als Negativsymptomatik manifestieren. Suizidalität und suizidales Verhalten sind sehr häufig bei schizophrenen Patienten. Ungefähr 10 % der Patienten überleben die ersten zehn Jahre der Erkrankung nicht, vor allem junge Männer am Beginn der Erkrankung. Rund 60 % der schizophrenen Patienten, die einen Suizid dann begehen, litten nach einer Untersuchung von Roy vor ihrem Tode an depressiven Symptomen [22]. Vor allem die Prodromalphase, in der das Vollbild der psychotischen Störung noch nicht vorhanden ist, ist im Durchschnitt durch eine depressive Symptomatik charakterisiert. Häufig wird daher zunächst die Diagnose einer Depression gestellt. Nach Häfner et al. [9] ist die Depression im Frühverlauf der Schizophrenie eine eher basale und unspezifische Folge und Reaktion einer über Jahre gestörten Hirnentwicklung. Bei Fortschreiten dieser dysfunktionalen, wenn nicht degenerativen Hirnstörung kommt es dann zu den psychotischen Zustandsbildern und Schizophrenie.

Bei der postpsychotischen Depression scheint es sich also in erster Linie um ein transientes, phasenhaft auftretendes Phänomen zu handeln, bei der depressiver Affekt und ein deutlicher sozialer Rückzug in der Folge der Remission einer floriden psychotischen Symptomatik auftreten [17]. Dabei beginnt die postpsychotische Depression bei schizophrenen Patienten nicht plötzlich, sondern ist eine sich dann schärfer akzentuierende Fortsetzung bereits aufgetretener depressiver Symptome. Auch wenn die Prävalenzangaben in der Literatur stark schwanken, erleiden vermutlich nur etwa 60 % der Patienten im Laufe ihrer Erkrankung mindestens einmal eine postpsychotische Depression. Damit stellt sich die Frage, ob diese Patienten auf eine besondere Weise charakterisiert sind. Chintalapudi et al. [6] fanden in einer indischen Untersuchung, dass die Patienten, die eine postpsychotische Depression erleiden, durch einen schwereren Verlauf ihrer Gesamterkrankung mit häufigerem und intensiverem Auftreten von sowohl psychotischer als auch depressiver Symptomatik sowie durch eine höhere Zahl von Hospitalisationen gekennzeichnet sind. Dies bestätigten auch die Untersuchungen von an der Heiden et al. [1]. Huppert et al. [11] fanden, dass das Auftreten von Depressionen bei schizophrenen Patienten vor allem mit der Einschränkung von Lebensqualität korreliert war. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass postpsychotische Depressionen insbesondere bei Patienten mit einer paranoiden Schizophrenie im Vergleich zu denen mit einer nicht-paranoiden schizophrenen Erkrankung auftreten [5]. Auch das mögliche Involviertsein depressiver Episoden bei der Entwicklung stärkerer kognitiver Leistungseinbußen wird diskutiert [25]. Möglicherweise erbringen hier genetische Untersuchungen in den nächsten Jahren mehr Aufschluss.

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Postpsychotische Depression - Depression im Intervall

Dass eventuell der Begriff „postpsychotische Depression” unglücklich gewählt ist, und man lieber eine postpsychotische Depression bei schizophrenen Patienten auf der einen Seite von dem Auftreten einer Depression (oder eines depressiven Syndroms) irgendwann im Intervall, d.h. auch in der residualen und chronischen Phase der Erkrankung abtrennen sollte, reflektieren auch die Klassifikationssysteme (z.B. [Tab. 2]). Im DSM-IV kann eine majore Depression und eine Schizophrenie nicht gleichzeitig diagnostiziert werden. Im Appendix B des DSM-IV (Forschungskriterien) wird die postpsychotische Depression als Auftreten depressiver Symptome, die die Kriterien einer majoren Depression erfüllen, irgendwann in der residualen Phase der Schizophrenie beschrieben. Die residuale Phase, die der akuten psychotischen Phase folgt, und die entweder chronisch verlaufen oder zur vollständigen Remission führen kann, ist durch Negativ- und abgeschwächte Positivsymptome charakterisiert. Eine Depression im Sinne von DSM-IV tritt vorzugsweise während und nach der Remission der akuten psychotischen Symptomatik auf, kann jedoch zur Diagnose eines depressiven Syndroms als prodromales Zeichen eines drohenden psychotischen Rückfalls herangezogen werden. Depressive Symptome treten oft im Vorfeld einer erneuten psychotischen Exazerbation auf, jedoch fehlen ihnen diagnostische Spezifität und prädiktive Kraft. Im ICD-10 hat die postpsychotische Depression im Gegensatz zu DSM-IV mit F20.4 eine eigene Ziffer und wird hier definiert als: „Eine unter Umständen länger anhaltende depressive Episode, die im Anschluss an eine schizophrene Erkrankung auftritt. Einige „positive” oder „negative” schizophrene Symptome müssen noch vorhanden sein, beherrschen aber das klinische Bild nicht mehr. Diese depressiven Zustände sind mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden.” Das entscheidende Kriterium bei ICD-10 im Gegensatz zu DSM-IV ist, dass die allgemeinen Kriterien für eine Schizophrenie während der letzten zwölf Monate erfüllt gewesen sein müssen, d.h. nur in diesem Zeitraum können postpsychotische Depressionen als solche mit F20.4 diagnostiziert werden. ICD-10 schlägt vor, dass eine depressive Episode (F32.x) dann diagnostiziert werden sollte, wenn die depressive Symptomatik erst auftritt, nachdem der Patient keine schizophrenen Symptome mehr aufweist. D.h. nach ICD-10 müssten Depressionen im Intervall bei schizophrenen Patienten, die länger als zwölf Monate keine akute psychotische Exazerbation mehr hatten, eher als eine rein affektive, also depressive Episode charakterisiert werden. Hier sollte für „ICD-11” tatsächlich überlegt werden, ob es sinnvoll ist, zwei Kategorien von depressiven Beschwerdebildern bei schizophrenen Patienten zu schaffen, die der eindeutig postpsychotisch auftretenden Depression und die der Depression im Intervall. Die Übernahme der weiten Definition von DSM-IV erscheint dagegen nicht unbedingt sinnvoll. Die Untersuchung von Bressan et al. [3] unterstützt diese Sichtweise. Diese Autoren fanden, dass bei den schizophrenen Patienten mit einer depressiven Symptomatik, die die Kriterien einer majoren Depression erfüllten, die Kriterien von DSM-IV zutrafen, während dies nur bei 10 % der Patienten für ICD-10 der Fall war. Es gab daher keinen Unterschied zwischen der Auftretenswahrscheinlichkeit von Depressionen bei den untersuchten schizophrenen Patienten zwölf Monate nach der letzten psychotischen Episode und außerhalb dieser Zeitperiode. Die Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass sinnvolle Kriterien für depressive Episoden bei schizophrenen Patienten eine zeitliche Relation zu den psychotischen Episoden vermeiden sollten. Dies ist insbesondere sinnvoll, wenn man die Langzeitperspektive über Jahrzehnte bei schizophrenen Patienten betrachtet. Patienten, die langfristig an einer residualen und chronischen Schizophrenie leiden und bei denen es kaum noch zum Auftreten akuter psychotischer Phasen kommt, weisen bis zu 70 % „postpsychotische” Depressionen auf, die unabhängig von der neuroleptischen Therapie sind [20]. Auch rein klinisch betrachtet, stellt das Auftreten depressiver Symptome bei Abklingen einer akuten psychotischen Phase eine andere diagnostische und therapeutische Herausforderung dar als die depressiven Bilder im Intervall. Postpsychotisch ist der „Umschlag” in die Depression oft sehr deutlich an der stark einsetzenden depressiven Verstimmung, sozialem Rückzug, Schlafstörungen, Hoffnungslosigkeit und aufkommenden Suizidideen zu sehen. Medikamentös stellt sich hier häufig die Frage, ob das gewählte Neuroleptikum oder ein zweites, vielleicht eher auch ein gegen Angst und Depression wirkendes atypisches Neuroleptikum die Symptomatik beherrscht oder ein Antidepressivum hinzugefügt werden muss, das wiederum die Gefahr der Reexazerbation in sich birgt. Die Depression im Intervall bei schizophrenen Patienten macht es dem Kliniker oft schwer, aufgrund ihrer sich langsam entwickelnden Manifestation eine sichere Differenzialdiagnose zur Negativsymptomatik zu treffen. Therapeutisch neigt man hier zum raschen Einsatz von Antidepressiva, zumal auch diese im Falle einer eher bestehenden Negativsymptomatik hilfreich sein können. Ob das Vorgehen von DSM-IV zur Differenzialdiagnose einer Depression bei schizophrenen Patienten von prominenter Negativsymptomatik wie Apathie, Anhedonie und sozialer Rückzug, nämlich das Kriterium A1 für majore Depression (depressive Stimmung) und A2 (Interessenverlust), wirklich ausreicht, bleibt dahingestellt. Wissenschaftliche Studien scheinen eher keine Überlappung zwischen depressiven und negativen Symptomen bei schizophrenen Patienten insbesondere psychopathologisch (eher zwischen Negativsymptomatik und den somatisch-vegetativen Symptomen der Depression) zu finden [8]. Klinisch stellt sich dies jedoch oft anders dar.

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Differenzialdiagnose

Differenzialdiagnostisch ist eine postpsychotische Depression abzugrenzen von einer akuten Psychose selbst, in der eine ganze Reihe von depressiven Symptomen auftreten kann, insbesondere im Rahmen der Erstmanifestation. Auf der anderen Seite muss das Vorliegen einer eher rein affektiven Erkrankung im Sinne einer majoren Depression (z.B. mit wahnhaften Zügen) ausgeschlossen sein, insbesondere bei Patienten, bei denen das eindeutige Vorliegen einer schizophrenen Störung in der Vergangenheit eher fraglich ist. Differenzialdiagnostisch muss weiterhin die depressiogene Wirkung typischer Neuroleptika mit erwogen werden, aber auch von einigen Atypika, die eine starke D2-Blockade aufweisen. Atypika, die stärker auch andere Neurotransmittersysteme wie das serotonerge, noradrenerge etc. beeinflussen (wie Aripiprazol, Clozapin, Quetiapin, Ziprasidon), weisen dagegen offenbar eine eigene therapeutische Wirkung auf Depression und Suizidalität auf. Viele schizophrene Patienten (vermutlich um die 50 %) leiden zusätzlich an manifesten somatischen Erkrankungen. Solche Erkrankungen, insbesondere die systemisch verlaufenden wie Hypothyreoidismus, Niereninsuffizienz, Krebs, Tuberkulose, HIV etc, und/ oder auch ihre Behandlung mit psychotrop wirksamen Substanzen können ebenfalls Depressionen auslösen, bzw. sie unterhalten. Bei ebenfalls ungefähr 50 % der Patienten wird vermutet, dass sie Missbrauch mit Alkohol oder Drogen wie Cannabis und Kokain betreiben [4]. Solche Drogen, ihr Gebrauch und auch ihr Entzug, verursachen affektive Veränderungen wie depressive und dysphorische Verstimmungen.

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Pharmakologische Behandlung

Der Einsatz von Antidepressiva bei der postpsychotischen Depression, d.h. bei Depressionen bei schizophrenen Patienten, die unmittelbar nach der Remission der psychotischen Episode auftreten, scheint wenig sinnvoll zu sein [15] [27]. Empfohlen wird die Optimierung der neuroleptischen Medikation, d.h. ein Wechsel auf ein auch antidepressiv wirksames atypisches Neuroleptikum wie Quetiapin, Ziprasidon oder Aripiprazol. Warum atypische Neuroleptika insgesamt besser zur Behandlung auch der depressiven und ängstlichen Symptomatik geeignet sind, wird in erster Linie auf ihr pharmakologisches Profil zurückgeführt [21], das direkte antidepressive Eigenschaften und nicht indirekte über die Reduktion der Positivsymptomatik verspricht. Je nach Medikament [Tab. 3], aber teilweise auch für die gesamte Substanzgruppe kann ein 5-HT1A-Agonismus (der vermutlich für Depression und Angst entscheidendste Mechanismus bei den oben genannten Atypika), Blockade der Noradrenalin- und Serotoninwiederaufnahme (vor allem bei Ziprasidon und Zotepin), geringe D2-Blockade, parzieller D2-Agonismus (Amisulprid, Apripiprazol), selektive Beeinflussung des präsynaptischen Dopamin-Autorezeptors, Loose-binding-Konzept (als Hypothese), 5-HT2-Antagonismus oder limbische Selektivität (vor allem für das ventrale Striatum) beobachtet werden. Bisher wurde jedoch nur für Olanzapin eine (mit Haloperidol) kontrollierte Studie zur Wirksamkeit der Atypika bei depressiven Symptomen durchgeführt [16]. Zudem sollte der Einsatz von Anticholinergika zur Behandlung einer eventuell nur subklinisch vorliegenden, Neuroleptika-induzierten akinetischen Depression erwogen werden. Bei der Depression im Intervall, in der Residualphase, wird schon eher der Einsatz von Antidepressiva als hilfreich angesehen. So konnten Siris et al. [24] zeigen, dass eine Add-on-Therapie mit Imipramin zu Fluphenazin Plazebo gegenüber hinsichtlich der Verbesserung der depressiven Symptomatik bei sonst stabilen schizophrenen Patienten überlegen war. Kontrollierte Studien zur Behandlung von Depressionen im Rahmen schizophrener Erkrankungen sind jedoch insgesamt selten und konzentrieren sich eher auf die Trizyklika. So gibt es offenbar bislang keine plazebokontrollierten Studien zur Wirksamkeit neuerer Antidepressiva wie der SSRI und anderer bei der postpsychotischen Depression. Klinisch-psychopharmakologisch konnten aber vom Autor günstige Erfahrungen mit Mirtazapin (und abgeschwächt mit Venlafaxin) bei depressiven Syndromen nach der Remissionsphase gefunden werden, während SSRIs bei Depressionen im Intervall sinnvoll sein können, einer Phase, in der die Patienten von der Psychose und von der neuroleptischen Einstellung her bereits stabil anzusehen sind. Zunehmend sollte bei depressiven Zustandsbildern bei schizophrenern Patienten auch der Einsatz von Psychotherapie, insbesondere der kognitiven Verhaltenstherapie, erwogen werden, die offenbar nicht nur zur Verbesserung der residual-psychotischen, sondern auch der depressiven Symptomatik beiträgt [23].

Tab. 1 Kennzeichen der schizophrenen Negativsymptomatik

Alogie: Verarmung der Sprache; Verlängerung der Antwortlatenz

Affektverflachung: Verarmung des Fühlens sowie der emotionalen Ausdrucks - und Apathie Mangel an Energie und Antrieb, Interessenlosigkeit, Abschwächung des Willens

Anhedonie: Unfähigkeit, Vergnügen oder Freude zu empfinden

Asozialität: Eingeschränkte oder fehlende Konfliktfähigkeit und dadurch Mangel an sozialen Interaktionen

Aufmerksamkeitsstörungen: Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit

Tab. 2 F20.4 Postschizophrene Depression nach ICD-10

Eine unter Umständen länger anhaltende depressive Episode, die im Anschluss an eine schizophrene Krankheit auftritt. Einige „positive” oder „negative” schizophrene Symptome müssen noch vorhanden sein, beherrschen aber das klinische Bild nicht mehr. Diese depressiven Zustände sind mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden.

Wenn der Patient keine schizophrenen Symptome mehr aufweist, sollte eine depressive Episode diagnostiziert werden (F32.-).

Wenn floride schizophrene Symptome noch im Vordergrund stehen, sollte die entsprechende schizophrene Unterform (F20.0-F20.3) diagnostiziert werden.

Tab. 3 Rezeptorprofile atypischer Neuroleptika im Vergleich zu Haloperidol (in-vitro-Inhibitionskonstanten Ki in nmol/l)

Rezeptor

Haloperidol

Amisulprid

Aripiprazol

Clozapin

Olanzapin

Quetiapin

Risperidon

Ziprasidon

D1

210

> 10000

265

85

31

455

430

525

D2

0,7

3

0,45

126

11

160

4

5

D3

2

3

0,8

473

49

340

10

7

D4

3

> 10000

44

35

27

1600

9

32

5-HT1A

1100

> 10000

4,4

875

> 10000

2800

210

3

5-HT2A

45

> 10000

3,4

16

4

295

0,5

0,4

5-HT2C

> 10000

> 10000

15

16

23

 

25

1

Alpha1

6

> 10000

47

7

19

7

0,7

11

H1

440

> 10000

61

6

7

11

20

50

M1

> 1500

> 10000

> 10000

1,9

1,9

120

> 10000

1000

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Literatur

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Email: georg.juckel@charite.de

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Korrespondenzadresse:

PD Dr. med. Georg Juckel

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité, Campus Mitte

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