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DOI: 10.1055/s-2005-922237
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Depressionsbehandlung heute
Current Treatment of DepressionKorrespondenzadresse:
Dr. med. univ. Dietmar Winkler
Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien, Österreich
Email: dietmar.winkler@meduniwien.ac.at
Publication History
Publication Date:
22 November 2005 (online)
- Zusammenfassung
- Summary
- Epidemiologie
- Womit und wie lange behandeln?
- Switch bei bipolaren Patienten vermeiden
- Prognose
- Literatur
Zusammenfassung
Depressionen sind die häufigste psychiatrische Erkrankung. Rund 15 bis 20 % aller Menschen leiden mindestens einmal in ihrem Leben an einer depressiven Episode. Zur Therapie schneidet eine Kombination aus psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung besser ab als die jeweilige Monotherapie. Neue pharmakologische Optionen bieten der selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmhemmer Duloxetin sowie der enantiomerenreine selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Escitalopram. Bei bipolaren Depressionen sollte bei der Behandlung berücksichtigt werden, dass Antidepressiva einen Switch in die Manie auslösen können, weswegen gegebenenfalls eine phasenprophylaktische Therapie mit Stimmungsstabilisierern eingesetzt werden sollte.
#Summary
Depressive states are the most common mental diseases. During the course of their lives some 15 to 20 % of the general population suffer from a depressive episode on at least one occasion. With regard to treatment, a combination of psychotherapeutic and pharmacotherapeutic measures proves to be superior to the respective monotherapy. New pharmacological options are available in the form of the selective serotonin and norepinephrine reuptake inhibitor, duloxetine, and the pure enantiomer selective serotonin reuptake inhibitor escitalopram. When treating bipolar depression, account must be taken of the fact that antidepressants may trigger a switch-over to the manic state, which implies that, whenever necessary, phase prophylactic therapy with mode-stabilizing drugs should be employed.
Depressionen sind psychischer Schmerz, und schwere depressive Episoden gehören wahrscheinlich zu den unangenehmsten Erkrankungen, an denen Menschen leiden können [3]. Betroffene beschreiben die Qualen, die sie im Rahmen von Depressionen erleiden als weit gravierender als jegliche nur erdenkliche körperliche Beschwerden. Der englische Autor Samuel Johnson (18. Jahrhundert), der in der Mitte seines Lebens unter schweren Depressionen litt, schrieb, dass er sich für seine psychische Gesundheit gerne Gliedmaßen amputieren ließe.
#Epidemiologie
Depressive Erkrankungen haben weltweit eine überragende epidemiologische Bedeutung: die Lebenszeitprävalenz beträgt zwischen 15 und 20 %, wobei Frauen etwa doppelt so häufig betroffen sind [9]. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird die Depression bis zum Jahr 2020 in der westlichen Welt der führende Grund für Invalidität und vorzeitigen Tod sein [13]. Die sozioökonomischen Folgen von Depressionen sind enorm, das Leiden der Patienten tangiert auch deren Familien und Freunde; die Folgekosten durch die Erkrankung zum Beispiel durch Ausfall der Arbeitskraft haben einen gravierenden Einfluss auf die Wirtschaft. Depression ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung: 10-15 % der stationär aufgenommenen depressiven Patienten sterben unbehandelt an Suizid [1]. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die adäquate Therapie depressiver Erkrankungen von überwältigender Bedeutung ist.
#Womit und wie lange behandeln?
Prinzipiell können vom behandelnden Arzt sehr verschiedenartige Therapieformen angeboten werden: antidepressive Psychopharmakotherapie, Psychotherapie und die heterogene Gruppe nicht-pharmakologischer Verfahren, zu denen unter anderem Elektrokrampftherapie, transkranielle Magnetstimulation [2] Lichttherapie (besonders bei der saisonal abhängigen Depression vom Herbst-Wintertyp) sowie Schlafentzugstherapie zu zählen sind.
Für viele Patienten stellt sich bei der Eröffnung der Diagnose die Frage: Psychotherapie oder Medikamente? Bei leichter bis mittelschwerer Depression gibt es keinen Beleg, dass die Pharmakotherapie in der Akuttherapie wirksamer als die Psychotherapie wäre [4]. Deshalb entscheidet hier primär der Wunsch des (informierten) Patienten; Psychotherapie setzt aber Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit voraus. Psychotherapiemethoden, die durch wissenschaftliche Studien mit hoher Evidenz in Hinblick auf ihre Wirksamkeit evaluiert wurden, sind die kognitive Therapie nach Aaron Beck [15] sowie die interpersonelle Therapie nach Gerald Klerman [10]. Auch wenn sich dies i.W. auf nur eine Studie stützt, so gilt derzeit als akzeptiert, dass die Pharmakotherapie bei Depression in der Akuttherapie überlegen ist [6]. Die antidepressive Wirkung alleiniger Psychotherapie setzt später als diejenige der Pharmakotherapie ein. Einiges spricht für additive Effekte gleichzeitiger Pharmakotherapie kombiniert mit IPT oder CBT in der Akutbehandlung schwererer Depression [14] [16].
Bei antidepressiver Therapie ist die Mindestdauer von sechs bis zwölf Monaten bei einer erstmaligen depressiven Episode zu berücksichtigen [Abb. 1]. Eine kürzere Therapie ist aufgrund der hohen Rückfallgefahr nicht vertretbar. Bei Patienten mit einer rezidivierenden depressiven Störung oder einem besonders schweren Verlauf (etwa bei Suizidalität oder psychotischen Symptomen) muss eine antidepressive Langzeittherapie durchgeführt werden [19].
Bei unipolarem Verlauf werden in der Regel selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin aufgrund ihrer Wirksamkeit und guten Verträglichkeit bei gleichzeitig niedrigen Behandlungskosten als Mittel der ersten Wahl eingesetzt. Bei Unverträglichkeit oder Therapieresistenz selbst in höherer Dosierung und ausreichend langer Therapiedauer (die therapeutische Latenz aller Antidepressiva beträgt rund zwei bis drei Wochen) ist ein Wechsel auf eine andere Substanzklasse angezeigt: aus dem psychopharmakologischen Armamentarium seien hier beispielhaft die dualen (serotonergen und noradrenergen) Antidepressiva (Venlafaxin, Duloxetin), der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Reboxetin, sedierend-anxiolytische Substanzen wie Mirtazapin und Trazodon sowie reversible MAO-Hemmer (Moclobemid) genannt. Trizyklische Antidepressiva sollten aufgrund ihrer höheren Toxizität und schlechteren Verträglichkeit nur bei besonderer Indikation eingesetzt werden [8].
#Switch bei bipolaren Patienten vermeiden
Besondere Berücksichtigung verdienen Patienten mit einer Depression, die im Längsschnitt an einer bipolaren affektiven Störung [Tab. 1] leiden: tatsächlich stellt die Verkennung einer bipolaren Depression als eine unipolare eine der häufigsten Fehldiagnosen dar [7]. Das ist deshalb besonders fatal, da eine antidepressive Monotherapie bei dieser Störung aufgrund des hohen Switch-Risikos in eine manische Episode abzulehnen ist. Diese Patienten benötigen eine phasenprophylaktische Therapie als Eckpfeiler ihrer Behandlung, z.B. mit Lamotrigin, Lithium oder Valproinsäure. Jüngst wurde auch die Kombination von Antidepressivum und atypischem Antipsychotikum (z.B. Fluoxetin plus Olanzapin) als potente antidepressive Therapie ohne Risikoerhöhung für einen manischen Switch postuliert [18].
#Prognose
Insgesamt weisen die meisten Formen depressiver Erkrankungen eine gute Prognose auf. Die Remissionsraten liegen in plazebokontrollierten Studien unter 50 % [11] [17]. Über die Remissionsraten unter Alltagsbedingungen (Effectiveness) gibt es nur wenige Daten. Montgomery et al. fanden für Venlafaxin vs. Escitalopram nach acht Wochen knapp 80 % Remissionen [12]. Auch sogenannten „therapierefraktären” Patienten kann durch Kombination von Therapiestrategien, Anwendung von adjuvanten Verfahren und spezifischen Augmentationsverfahren geholfen werden.
Eine Alternative bei Nichtansprechen einer depressiven Symptomatik auf mehrere suffiziente Therapieversuche ist die Elektrokrampftherapie. Diese Methode, deren Anwendung spezialisierten Zentren vorbehalten ist, zeichnet sich zwar durch ausgezeichnete Wirksamkeit und vergleichsweise geringe Nebenwirkungen aus, doch wird sie teilweise aufgrund von unbegründeten Resentiments und Vorurteilen von Seiten der Patienten, aber auch der Ärzte, zu selten angewendet [5].
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Depressive Episode (Erste Episode: F32; im Rahmen eines bipolaren Verlaufs: F31; im Rahmen eines unipolaren Verlaufs: F33)
Anhaltende affektive Erkrankungen (F34) Zyklothymie (F34.0) (Anhaltende Stimmungsinstabilität mit zahlreichen Episoden leichter Depression und leicht gehobener Stimmung, die nicht die Schwerekriterien für manische (F30) oder depressive (F32) Episoden erfüllen) Dysthymia (F34.1) (Chronische, gewöhnlich > 2 Jahre anhaltende, milde depressive Verstimmung, die nie oder nur selten („double Depression”) die Schwerekriterien der depressiven Episoden erfüllt) |
F30: Erste Episode ohne vorangegangene manische, hypomanische oder depressive Episode; F31: Im Rahmen einer bipolaren Erkrankung (wenigstens 1 vorangegangene manische, hypomanische oder depressive Episode)
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Literatur
- 1 Arsenault-Lapierre G, Kim C, Turecki G. Psychiatric diagnoses in 3275 suicides: a meta-analysis. BMC Psychiatry. 2004; 4 37
- 2 Avery DH, Holtzheimer PE III, Fawaz W, Russo J, Neumaier J, Dunner DL, Haynor DR, Claypoole KH, Wajdik C, Roy-Byrne P. A Controlled Study of Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation in Medication-Resistant Major Depression. Biol Psychiatry 2005
- 3 Blier P. The burden of depression and the challenge of its recognition and treatment. CNS Spectrum. 2002; 7 119
- 4 DeRubeis RJ, Gelfand LA, Tang TZ, Simons AD. Medications versus cognitive behavior therapy for severely depressed outpatients: mega-analysis of four randomized comparisons. Am J Psychiatr. 1999; 156 1007-13
- 5 Dowman J, Patel A, Rajput K. Electroconvulsive therapy: attitudes and misconceptions. J ECT. 2005; 21 84-87
- 6 Elkin I, Shea MT, Watkins JT, Imber SD, Sotsky SM, Collins JF, Glass DR, Pilkonis PA, Leber WR, Docherty JP. et al. . National Institute of Mental Health Treatment of Depression Collaborative Research Program. General effectiveness of treatments. Arch Gen Psychiatry. 1989; 46 971-82
- 7 Furukawa TA, Konno W, Morinobu S. et al. . Course and outcome of depressive episodes: Comparison between bipolar, unipolar and subthreshold depression. Psychiatry Research. 2000; 96 211-220
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- 12 Montgomery SA, Huusom AK, Bothmer J. A randomised study comparing escitalopram with venlafaxine XR in primary care patients with major depressive disorder. Neuropsychobiology. 2004; 50 57-64
- 13 Murray CJL, Lopez AD. The global burden of disease and injury series, volume 1: a comprehensive assessment of mortality and disability from diseases, injuries, and risk factors in 1990 and projected to 2020. Cambridge, MA: Published by the Harvard School of Public Health on behalf of the World Health Organization and the World Bank, Harvard University Press 1996
- 14 Pampallona S, Bollini P, Tibaldi G, Kupelnick B, Munizza C. Combined pharmacotherapy and psychological treatment for depression: a systematic review. Arch Gen Psychiatry. 2004; 61 714-9
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- 16 Thase ME, Greenhouse JB, Frank E, Reynolds 3rd CF, Pilkonis PA, Hurley K, Grochocinski V, Kupfer DJ. Treatment of major depression with psychotherapy or psychotherapy-pharmacotherapy combinations. Arch Gen Psychiatry. 1997; 54 1009-15
- 17 Thase ME. Achieving remission and managing relapse in depression. J Clin Psychiatry. 2003; 64 3-7
- 18 Tohen M, Vieta E, Calabrese J. et al. . Efficacy of olanzapine and olanzapine-fluoxetine combination in the treatment of bipolar I depression. Arch Gen Psychiatry. 2005; 60 1079-1088
- 19 Winkler D, Tauscher J, Kasper S. Maintenance treatment in depression. Curr Op Psychiatry. 2002; 15 63-68
Korrespondenzadresse:
Dr. med. univ. Dietmar Winkler
Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien, Österreich
Email: dietmar.winkler@meduniwien.ac.at
Literatur
- 1 Arsenault-Lapierre G, Kim C, Turecki G. Psychiatric diagnoses in 3275 suicides: a meta-analysis. BMC Psychiatry. 2004; 4 37
- 2 Avery DH, Holtzheimer PE III, Fawaz W, Russo J, Neumaier J, Dunner DL, Haynor DR, Claypoole KH, Wajdik C, Roy-Byrne P. A Controlled Study of Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation in Medication-Resistant Major Depression. Biol Psychiatry 2005
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Dr. med. univ. Dietmar Winkler
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Währinger Gürtel 18-20
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Email: dietmar.winkler@meduniwien.ac.at