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DOI: 10.1055/s-2006-947041
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Anti-Angiogenese - Zielgerichtete Therapie beim metastasierten kolorektalen Karzinom
Publication History
Publication Date:
31 May 2006 (online)
- Angiogenese-Hemmung - Zielgerichtete Therapie
- Lebensverlängerung in der First-Line-Therapie
- Sicherheit und Wirksamkeit bestätigt
- Fazit
- Literatur
Erhalten Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom den Angiogenese-Hemmer Bevacizumab[1] in Kombination mit einer Standardchemotherapie, leben sie im Median fünf Monate länger als Patienten, die nur mit einer Chemotherapie behandelt werden. Damit steigt das Gesamtüberleben der Patienten auf über 20 Monate. Das ist ein großer Fortschritt, wenn man bedenkt, dass die Lebenserwartung bis vor zehn Jahren trotz Chemotherapie nur ungefähr zwölf Monate betrug.
Jährlich werden hierzulande jeweils etwas über 35000 Frauen und Männer mit der Diagnose des kolorektalen Karzinoms konfrontiert. In den vergangenen Jahren hat sich das kolorektale Karzinom für Männer und Frauen zusammen genommen zur häufigsten Krebsneuerkrankung in Deutschland entwickelt. Häufig wird die Krankheit erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt, obwohl mit okkulten Bluttests und Koloskopien wirksame Diagnosemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Sind aber bereits Metastasen vorhanden, sind die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt.
Seit Anfang 2005 ist in Deutschland mit Bevacizumab der bisher erste und einzige Angiogenese-Hemmer zur First-Line-Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms zugelassen. Bevacizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper, der spezifisch gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (vascular endothelial growth factor = VEGF) gerichtet ist. Er bindet freies, nicht-rezeptorgebundenes VEGF, das für die Tumorangiogenese, das Tumorwachstum und die Metastasierung als entscheidender Stimulus fungiert.
#Angiogenese-Hemmung - Zielgerichtete Therapie
Wächst der Tumor über eine Größe von ein bis zwei Millimetern hinaus, reicht die Versorgung seiner Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen durch Diffusion nicht mehr aus. Für eine weitere Größenzunahme müssen neue Gefäße gebildet werden. Der Tumor beeinflusst daher die angiogene Balance durch eine gesteigerte Sekretion von angiogenen Faktoren zu Gunsten der Aussprossung neuer Kapillaren aus bestehenden Blutgefäßen. Zu den wichtigsten angiogenen Faktoren gehört VEGF, der von Tumorzellen sezerniert wird und an VEGF-Rezeptoren auf den Endothelzellen benachbarter Blutgefäße bindet. Die Folge: Neu gebildete Kapillaren wachsen im und zum Tumor, der Tumor wird ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und wächst. Gleichzeitig erhalten maligne Zellen über die neu gebildeten Gefäße Zugang zum allgemeinen Blutkreislauf - die Metastasierung wird ermöglicht.
Der Angiogenese-Hemmer Bevacizumab stellt einen zentralen Ansatz zur Bekämpfung der Tumorprogression dar. Er bindet mit hoher Affinität an den Blutgefäßwachstumsfaktor VEGF und verhindert so dessen Andocken auf Endothelzellen benachbarter Blutgefäße. Der Tumor wird nicht vaskularisiert und bereits entwickelte Gefäße bilden sich teilweise zurück. Tumorwachstum und Metastasierung können so gehemmt werden (Abb. [1]).
#Lebensverlängerung in der First-Line-Therapie
Auf dem diesjährigen Deutschen Krebskongress in Berlin stellte der Leiter der Zulassungsstudie Dr. med. Herbert Hurwitz, Duke University, Durham, USA, Studiendaten zur Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms vor. Die Zulassung von Bevacizumab basierte auf der Auswertung einer Phase III-Studie mit 813 Patienten ([1]). Die Studienteilnehmer erhielten randomisiert entweder 5-FU/FS/Irinotecan plus Plazebo (n = 411) oder 5-FU/FS/Irinotecan plus Bevacizumab (n = 402). Als primärer Endpunkt der Studie wurde die Überlebensdauer definiert, sekundäre Endpunkte waren die Tumoransprechrate, das progressionsfreie Überleben sowie Dauer des Ansprechens und die Verträglichkeit.
Die Ergebnisse der Studie belegen, dass Bevacizumab der erste Angiogenese-Hemmer mit einem signifikanten klinischen Nutzen in der Krebstherapie ist: Es konnte gezeigt werden, dass durch die Kombination von Bevacizumab mit der Chemotherapie das mediane Gesamtüberleben signifikant um 4,7 Monate von 15,6 auf 20,3 Monate verlängert wurde (p < 0,001) (Abb. [2]). Auch wurde durch die Kombinationstherapie die mediane progressionsfreie Zeit signifikant um 4,4 Monate verlängert (10,6 versus 6,2 Monate; p < 0,001) (Abb. [3]).
Die Kombinationstherapie war zudem gut verträglich und es wurden keine additiven Nebenwirkungen durch die Kombination mit 5-FU/FS/Irinotecan beobachtet. Bis auf eine mit oralen Antihypertensiva gut beherrschbare arterielle Hypertonie (Grad 3) unterschied sich das Nebenwirkungsprofil der Dreifachkombination mit dem Angiogenese-Hemmer nicht signifikant von der Kontrollgruppe der Zulassungsstudie. Bei 1,5% der Patienten kam es in der Verumgruppe jedoch zu gastrointestinalen Perforationen.
Wie Dr. Hurwitz betonte, ist es mit Bevacizumab zum ersten Mal gelungen, eine Substanz mit anti-angiogenem Wirkprinzip als Medikament zur Zulassung zu bringen. Somit konnte bewiesen werden, dass das Prinzip der Angiogenese-Hemmung bei Menschen tatsächlich funktioniert. Dies, so Hurwitz, hat die Krebstherapie nachhaltig verändert: "Unsere Studie hat gezeigt, dass Bevacizumab in Kombination mit einer First-Line-Standardchemotherapie alle Ergebnis-Parameter signifikant verbessert. Das heißt, die Ansprechrate ist besser, die Zeit bis zum erneuten Tumorwachstum ist länger und die Patienten leben länger. Die grundlegende Bedeutung von Bevacizumab für die Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms wurde durch diese Studie validiert."
#Sicherheit und Wirksamkeit bestätigt
In den USA wurde Bevacizumab im Februar 2004 in Kombination mit einer infusionalen 5-FU-basierten Chemotherapie zugelassen. Mehr als zwei Drittel aller Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom erhalten heute Bevacizumab in der First-Line-Therapie, wobei der Angiogenese-Hemmer in über der Hälfte der Fälle mit einer Oxaliplatin-haltigen Chemotherapie kombiniert wird, sagte Dr. med. Axel Grothey, Mayo Clinic, Rochester, USA.
Um das Sicherheitsprofil von Bevacizumab unter Alltagsbedingungen zu evaluieren, wurde die BRITE-Studie initiiert, eine große Beobachtungsstudie, in die etwa 2000 Patienten eingebracht werden sollten, die Bevacizumab plus Chemotherapie in der First-Line-Therapie erhielten. Die Patienten sollten alle drei Monate untersucht und über insgesamt drei Jahre beobachtet werden. Erste Ergebnisse liegen aus einer aktuellen Auswertung vor, die 1987 Patienten aus 248 US-amerikanischen Zentren umfasst ([2]). Danach erhielten 54% der Patienten Bevacizumab in Kombination mit i.v. 5-FU/FS/Oxaliplatin (FOLFOX), 24% der Patienten wurde Bevacizumab mit i.v. 5-FU/FS/Irinotecan (FOLFIRI) verabreicht, 22% erhielten eine andere Bevacizumab-haltige Kombination.
Wie die Analyse zur Sicherheit des Angiogenese-Hemmers in Kombination mit verschiedenen Chemotherapeutika zeigt, unterscheidet sich das Sicherheitsprofil von Bevacizumab im klinischen Alltag nicht von dem in der Zulassungsstudie beobachteten und wird insgesamt als sehr gut bezeichnet. Auch die gute Wirksamkeit der Bevacizumab-haltigen Therapie konnte bestätigt werden. Nach der ersten Auswertung liegt das mediane progressionsfreie Überleben derzeit bei 12,2 Monaten und ist damit sogar länger, als das in der Zulassungsstudie dokumentierte.
#Fazit
In der Primärtherapie eingesetzt, verlängert Bevacizumab in Kombination mit i.v. 5-FU/FS/Irinotecan das Überleben von Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom median um fünf Monate. Die Überlebensvorteile werden nicht durch zusätzliche Toxizitäten erkauft. Im Gegenteil: Bevacizumab bedingt in Kombination mit der Chemotherapie keine additiven Nebenwirkungen. Nach Ansicht von Dr. Grothey ist es aufgrund des gezeigten Überlebensvorteils durch den Angiogenese-Hemmer nicht vertretbar, Bevacizumab einem Patienten vorzuenthalten. "Die vorgelegte wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig, und deshalb darf heute nicht mehr gefragt werden "Wer sollte Bevacizumab erhalten?", sondern man muss fragen, wer es nicht erhalten sollte."
#Literatur
- 01 Hurwitz H . et al . Bevacizumab plus Irinotecan, Fluorouracil, and Leucovorin for Metastatic Colorectal Cancer. N Engl J Med. 2004; 350 2338-2342
- 02 Kozloff M . et al . GI ASCO, Abstract 247. 2006;
Literatur
- 01 Hurwitz H . et al . Bevacizumab plus Irinotecan, Fluorouracil, and Leucovorin for Metastatic Colorectal Cancer. N Engl J Med. 2004; 350 2338-2342
- 02 Kozloff M . et al . GI ASCO, Abstract 247. 2006;