Diabetologie und Stoffwechsel 2009; 4(2): 105-107
DOI: 10.1055/s-0028-1098870
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

diabetesDE – die Vision einer gemeinsamen Diabetologie in Deutschland

diabetesDE – the Vision of a Collaborative Diabetology in GermanyT. Danne
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Publication Date:
30 March 2009 (online)

Derzeit sind rund sieben Millionen Bundesbürger wegen Diabetes in ärztlicher Behandlung, weitere drei Millionen sind erkrankt, ohne es zu wissen – und jeden Tag werden es fast 1 000 Menschen mehr. Trotz der 1 400 Diabetesorganisationen, die sich für die Betroffenen stark machen, sind Menschen mit Diabetes in Deutschland nicht optimal versorgt. In Deutschland existiert ein vergleichsweise gutes Versorgungssystem für Menschen mit Diabetes – nur die Behandlungsergebnisse sind überraschenderweise mittelmäßig. Deutschland belegt im aktuellen europäischen Vergleich lediglich Platz 19 in der Bewertung. Die eingesetzten Mittel scheinen sich nicht gut genug auf die Behandlung der Patienten auszuwirken. Der Euro Consumer Diabetes Index 2008 aller europäischen Länder zeigt, worauf es ankommt: die Länder schneiden besser ab, die auf optimale Prävention und systematische Aufklärung der Bevölkerung über Entstehung und Risiken des Diabetes setzen [1]. Die vorhandenen Möglichkeiten und Kompetenzen lassen sich derzeit jedoch in Deutschland nicht angemessen ausschöpfen, da es an Vernetzung innerhalb der Diabetologie mangelt: Es fehlt an stabilen Kooperationen zwischen Ärzten, Wissenschaftlern, Beratern und anderen Behandlern sowie Patienten ebenso wie an Kooperationen auf interdisziplinärer, internationaler und sektorenübergreifender Ebene. Zu viele Einzelinteressen verhinderten ein kraftvolles und gemeinsames Auftreten gegenüber Entscheidungsträgern aus Politik, Selbstverwaltung und Wirtschaft. Viele Organisationen und Verbände kämpfen in Deutschland für ein besseres Leben der Menschen mit Diabetes. Deren Arbeit ist gut, wertvoll und wichtig – trotzdem fehlt ihr häufig die notwendige Durchschlagskraft, die hilft, Veränderungen herbeizuführen. 

Ähnliche Probleme wie in der Prävention und Versorgung bestehen in der Diabetes-Forschung. Obwohl gegenwärtig mehr als 11 % der Bevölkerung in Deutschland von Diabetes betroffen sind, werden anteilsmäßig erheblich weniger Forschungsmittel für Projekte im Diabetesbereich vergeben, als für Krankheiten, die für unsere Bevölkerung eine geringere Bedrohung darstellen, wie z. B. HIV / AIDS. Dies ist auch eine Folge unzureichender politischer Lobbyarbeit. So könnte auch in der Diabetesforschung eine bessere Koordination viele Synergieeffekte freisetzen. Weder in dem Prozess um den Aufbau des Kompetenznetzes Diabetes oder die Entscheidung des BMBF, in den kommenden 10 Jahren ca. € 400 Mio. in die Diabetesforschung zu investieren, war die wissenschaftliche Fachgesellschaft maßgeblich mit eingebunden worden. Dieser Vorstoß des BMBF stellt sicher positive Weichen, um die Prävention, Früherkennung und Behandlung bei Betroffenen zu verbessern und um diesen Forschungsschwerpunkt in Deutschland zu stärken. Aber die DDG musste mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, dass sie als wissenschaftliche Fachgesellschaft in die Entscheidungen, die nun zu einem neuen nationalen Diabeteszentrum führen sollen, in keiner Weise beteiligt war und im Nachhinein über eine Pressemitteilung diese Information erhielt. Für inhaltliche und konzeptionelle Beratung hätte die DDG sehr gerne schon in dieser Phase ihre Expertise zur Verfügung gestellt, so wie dies bei solchen Entscheidungen international und in vielen fachlichen Bereichen üblicherweise gepflegt wird, um Mittel verantwortungsbewusst und in einem transparenten Vergabeverfahren zu verteilen. In Zeiten eines harten internationalen Wettbewerbs und knapper Ressourcen war ursprünglich vorgesehen gewesen, beträchtliche Mittel in die Schaffung eines neuen Zentrums zu investieren, ohne dass bereits sehr erfolgreich etablierte Strukturen erkennbar eingebunden und die Einrichtungen bestehender Netzwerke in Deutschland mit genutzt werden sollten. Gerade die Bündelung der Forschungsinhalte und Ressourcen verspricht die gesundheitspolitisch gewollten und dringend benötigten Synergieeffekte in der Vorhersage und Vorbeugung des Diabetes mellitus, sowie in der Entwicklung individueller, schlagkräftiger Therapien. 

Unsere Kollegen in Amerika und Großbritannien zeigen uns bereits seit vielen Jahren, dass es auch anders geht – und zwar mit Erfolg. Die amerikanische Diabetesgesellschaft ADA ist die gemeinsame Organisation der Ärzte, Wissenschaftler, Berater und Patienten. Dabei sehen wir, dass sich beispielsweise Patientenvertretung und hoher wissenschaftlicher Anspruch – was manche Kollegen hierzulande befürchten – nicht ausschließen: Die ADA veranstaltet den größten wissenschaftlichen Diabeteskongress der Welt und jeder, der bereits vor Ort war, weiß, wie hochrangig die dort auftretenden Experten, die wissenschaftlichen Vorträge und Diskussionen sind. Gleichzeitig spricht die ADA die breite Bevölkerung mit wirksamen Kampagnen an. Beispielsweise konnte sie mit dem Programm „Safe at School” überall in den USA die Situation von Schulkindern mit Diabetes verbessern – nicht zuletzt weil sie mit ihren vielen Mitgliedern unmittelbaren Einfluss auch auf die Gesundheitspolitik nehmen kann. Das Beispiel ADA zeigt: Wissenschaftliche Ausrichtung, Verbesserung der Versorgungssitution und Patientenorientierung schließen sich nicht aus, sondern bestärken sich gegenseitig. Nicht ohne Grund kommen die aussagekräftigsten Diabetesstudien aus diesen beiden Ländern: DCCT in den USA zu Diabetes Typ 1 durchgeführt, UKPDS in Großbritannien zu Diabetes Typ 2. diabetesDE ist die deutsche Antwort auf die positiven Beispiele der genannten Länder. diabetesDE wird künftig Aktivitäten und Akteure in der Diabetologie bündeln. Vielleicht gelingt es uns dann auch in Deutschland die Finanzierung einer der DCCT oder UKPDS vergleichbaren Studie zur Behandlung von Menschen mit Diabetes durchzuführen. An Ideen und Ansätzen dazu hat es nicht gefehlt. Es ist noch gar nicht lange her, als im Rahmen des Nationalen Aktionsforums Diabetes Mellitus (NAFDM) gute Entwürfe nationaler Studien zur Optimierung der Diabetestherapie (z. B. DOT.de) an mangelnder Durchsetzung einer adäquaten Finanzierung bislang gescheitert sind. DiabetesDE hat nun das Ziel, die Anliegen von Menschen mit Diabetes, Ärzten, Diabetesberatern und Wissenschaftlern zu koordinieren und mit einer Stimme zu vertreten. Eine solche starke Stimme kann gerade auch in der Durchsetzung wissenschaftlicher Großprojekte der Versorgungsforschung von großer Bedeutung sein. 

In der Zwischenzeit sind gerade auch aus der Politik viele positive Signale zu vernehmen gewesen, dass der Schritt zu einer neuen Gesamtorganisation als überaus positiv angesehen wird, gerade auch unter Einbeziehung der Patienten und der Diabetes-Profis aus den vielen Facetten der Diabetologie in Deutschland, in der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Forschungsentwicklung in Zukunft mehr Gehör zu finden. Dabei bietet die Struktur von diabetesDE eine hervorragende Grundlage, die Translation von neuen Forschungsergebnissen in den Behandlungsalltag von Menschen mit Diabetes zu beschleunigen. 

Am 13. Oktober 2008 in Frankfurt gegründet, ist diabetesDE seit Januar 2009 aktiv. Gründungsorganisationen von diabetesDE sind die medizinische Fachgesellschaft Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) und der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD). Es entstehen gemeinsame Ressorts, die die gesamte Diabetologie abbilden. Dabei werden bisherige Arbeitsgebiete zusammengeführt und neu geordnet. Durch die Bündelung von Kompetenzen und Kapazitäten kann die deutsche Diabetologie Fragen der Weiterbildung, der zertifizierten Fortbildung oder auch die Entwicklung von Leitlinien strukturiert und abgestimmt bearbeiten. Geführt wird diabetesDE von sieben Vorstandsmitgliedern. Die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder sind die Impulsgeber für die Bundesgeschäftsstelle von diabetesDE – die mitten im politischen Herzen von Berlin angesiedelt ist. 

Unter dem Motto „Handeln – Helfen – Heilen” ist es das Ziel von diabetesDE, Diabetes mellitus vorzubeugen, Menschen mit Diabetes bestmöglich zu versorgen und die Erkrankung weiter zu erforschen. Ein wichtiger Schwerpunkt von diabetesDE wird es sein, alle in der Diabetologie tätigen Heilberufe zu qualifizieren. In der Fort- und Weiterbildung von Experten sowie in Schulung, Beratung und Begleitung von Menschen mit Diabetes verfügen die Gründungsorganisationen von diabetesDE über umfangreiche Kompetenzen und Erfahrungen. DDG und VDBD mit ihren über 12 000 Mitgliedern haben dieses Know-how in diabetesDE eingebracht, um es dort zu einem umfangreichen Angebot auszubauen. 

Mitglieder der Deutschen Diabetes Gesellschaft sind seit Januar 2009 automatisch auch Mitglied in diabetesDE. Mitgliedsbeiträge und Leistungsangebote haben sich dadurch nicht geändert. Durch die Mitgliedschaft in diabetesDE gewinnen DDG-Mitglieder jedoch hinzu: Sie profitieren außerdem vom Verbund mit anderen beruflichen Partnern sowie den Patienten. Mit Aufklärungskampagnen wird diabetesDE den Präventionsgedanken in der breiten Bevölkerung stärken und Verhaltensänderungen fördern und unterstützen. Außerdem bietet diabetesDE Patienten und Angehörigen ein umfangreiches Service-Paket an: Dieses enthält Maßnahmen, Menschen mit Diabetes in ihrem Leben zu begleiten und es dadurch zu erleichtern. Über eine diabetesDE-Mitgliedscard können Patienten Beratungsleistungen und Informationen beispielsweise telefonisch abrufen. Diese Aktivitäten von diabetesDE unterstützen die Arbeit von Ärzten und Beraterinnen. diabetesDE setzt in der Patientenbegleitung dort ein, wo für Information und ausführliche Gespräche mangels zeitlichem Druck im Arbeitsalltag häufig wenig Zeit verbleibt. Damit ergänzt diabetesDE das therapeutische Konzept und will Diabetologen in Klinik und Praxis in der Arbeit mit den Patienten als Partner zur Seite stehen. 

Denn das Motto „Handeln – Helfen – Heilen” gilt für diabetesDE auf allen Ebenen: Jeder der Beteiligten kann durch die Plattform, die diabetesDE bietet, zum Handelnden werden. Hilfe in Form von Services bietet diabetesDE den Patienten, aber auch den beruflichen Akteuren. Sie unterstützt diabetesDE, sich zu qualifizieren, kontinuierlich fortzubilden, die medizinische Versorgung zu optimieren und medizinische Fortschritte zu erzielen. Diabetes zu heilen ist noch für viele Patienten Zukunftsmusik, aber wir müssen heute die politischen, organisatorischen und wissenschaftlichen Weichen stellen, damit diese Zukunft Realität werden kann. 

Abb. 1 Diabetes-Konsumenten-Score in Bezug auf die eingesetzten Mittel im jeweiligen Gesundheitswesen.

Literatur

Prof. Dr. med. Thomas Danne

Vize-Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) · Vorstandsvorsitzender diabetesDE · Kinderkrankenhaus auf der Bult

Janusz-Korczak-Allee 12

30173 Hannover

Phone: 05 11 / 81 15 33 30

Email: danne@hka.de

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