Diabetologie und Stoffwechsel 2007; 2(4): 219-220
DOI: 10.1055/s-2007-981182
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neue Pocketguidelines fertig

New Pocket Guidelines AvailableE. Standl1
  • 1Münchner Institut für Diabetesforschung an der GSF, Neuherberg
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Publication Date:
05 July 2007 (online)

Die Pocketversion der gemeinsamen Leitlinie von EASD und ESC zum Thema „Diabetes, Prädiabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen” ist nunmehr fertiggestellt und wird der Öffentlichkeit im Rahmen einer zweitägigen Veranstaltung im Europäischen Heart House Ende Juni in Nizza übergeben. Mit Blick auf die riesige Zahl von Patienten mit Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben die Europäische Diabetesgesellschaft EASD und die Europäische kardiologische Gesellschaft ESC vor zwei Jahren eine Task Force mit der Erstellung von einer gemeinsamen Evidenz-basierten Leitlinie beauftragt. Im Januar 2007 erschien der volle Text auf den Websites beider Fachgesellschaften (www.EASD.org und www.escardio.org). Gleichzeitig wurde ein längeres Executive Summary im European Heart Journal veröffentlicht (2007; 28: 88-136).

Wichtiger ist natürlich der Inhalt, nachdem mittlerweile ca. 70 % aller Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit an einem Diabetes oder einer gestörten Glukosetoleranz leiden und umgekehrt ca. 70 % aller Menschen mit Diabetes an einer Herzkrankheit versterben. Oft handelt es sich also um die zwei Seiten einer Medaille, wie das auch der Untersuchungsalgorithmus zur Diagnostik der jeweils komplementären Problematik darstellt ([Abb. 1]). Die Leitlinienthematik reicht daher von der Identifizierung von Menschen mit hohem Risiko für Diabetes oder Herzkreislauf-Erkrankungen, über deren präventive Behandlung, bis zur Therapie mit Blick auf die Reduktion des kardiovaskulären Risikos, bis zum Management von chronischen und akuten kardiovaskulären Krankheiten wie Koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Arrhythmien, akutem Herztod, Schlaganfall, periphere arterielle Verschlusskrankheit bis schließlich zur Stoffwechselbehandlung auf der Intensivstation. Der diabetologisch versierte Arzt kann damit sehr viel kardiologische Kompetenz gewinnen und der Kardiologe wird zur rechtzeitigen Diagnostik des Diabetes bei seinen Patienten hingeleitet. Bei konsequenter Umsetzung könnte die Zahl der nicht diagnostizierten Diabetiker - allein in Deutschland rechnet man mit mindestens zwei Millionen - drastisch reduziert und einer wirksamen Behandlung zugeführt werden. Allerdings ist dafür die Durchführung einer oralen Glukosebelastung erforderlich, weil die Nüchtern-Blutzuckerwerte in den Frühphasen des Diabetes meist noch unauffällig sind und sich das Problem nur nach Belastung offenbart. Gleichwohl ist aber auch das kardiovaskuläre Risiko bereits erhöht.

Abb. 1 Neue ESC / EASD-Guidelines.

Die Guidelines geben eine sehr gute Anleitung, wie Diabetes heute auf der Stufe einer gestörten Glukosetoleranz verhindert werden kann. Sowohl Hochrisikostrategien, wie im Falle der Patienten mit nachgewiesener Koronarer Herzkrankheit, als auch Bevölkerungs-bezogene Strategien müssen verfolgt werden. Für letzteres Vorgehen sind Instrumente zum Vorscreening sehr hilfreich, z. B. der Findrisk-Fragebogen, der mittlerweile auch für Deutschland validiert wurde, aber auch neue Scores, die speziell anhand deutscher Populationen entwickelt wurden. Einfache Vorgaben für die notwendige Lifestyle-Modifikation werden gegeben. Auch die medikamentösen Präventionsstudien werden zusammengefasst dargestellt, wobei der Diabetes dabei eher maskiert als verhindert wird und medikamentenspezifische Nebenwirkungen auftreten können. Dagegen kann eine Lifestyleänderung sehr lange positiv-präventive Wirkungen zeitigen.

Das Paradigma für die Behandlung von manifesten Diabetikern ist die multifaktorielle Therapie, die alle erkennbaren Risikofaktoren wie Hypertonie, Dyslipidämie, prothrombotischen Zustand und Hyperglykämie Zielwert orientiert kontrolliert. Sowohl bei der Blutdruck als auch der Blutglukose senkenden Therapie geht es in der Regel um frühzeitige medikamentöse Kombinationstherapien in Ergänzung der nicht-medikamentösen Therapie, um die Zielwerte zu erreichen. ACE-Hemmern und Metformin werden - unter Beachtung der Kontraindikationen - in den beiden Bereichen jeweils die Firstline-Position eingeräumt. Letzten Endes aber muss die Therapie sehr individualisiert gestaltet werden, um maximale Wirksamkeit zu erreichen und Nebenwirkungen zu vermeiden. Blutdruck- und Blutzucker-Selbstkontrolle werden ein hoher Stellenwert bei der erfolgreichen Umsetzung der Behandlung zugewiesen. Strukturierte Schulung der Patienten ist unverzichtbarer Bestandteil der Therapie.

Mit Blick auf die Gesamtheit der kardiovaskulären Komplikationen bei Diabetes wird das Management dieser organspezifischen Folgen bei Diabetes in einzelnen Kapiteln leitliniengerecht dargestellt. Dies sollte insbesondere auch dem primär diabetologisch tätigen Arzt helfen, das Gesamtspektrum der Diabeteskomplikationen besser abzudecken. Das Kapitel Herzinsuffizienz sei vielleicht besonders herausgehoben, nachdem diese bei Diabetespatienten überzufällig häufig auftretende Problematik in letzter Zeit besonders in den Blickpunkt getreten ist.

Mit diesen Leitlinien wurde eine echte Win-Win-Situation für Kardiologie und Diabetologie geschaffen. Jetzt kommt es darauf an, dass diese „Gewinnchancen” auch zum Vorteil der betroffenen Patienten genutzt werden. Dafür sind die Pocketguidelines ein ideales Instrument. Sie enthalten im kleinen Taschenformat nur noch das Konzentrat der Botschaften, d. h. die Empfehlungen mit der Stärke des Empfehlungsgrades und den Evidenzklassen. Wichtig wird auch sein, dass die nationalen Fachgesellschaften den Ball aufnehmen und für regionale und / oder lokale Veranstaltungen das Spielfeld bereiten. Die Internationale Diabetesföderation will jedenfalls ihren Teil zur Verbreitung unter den nationalen Diabetesgesellschaften beitragen. Gleichzeitig müssen sich die nationalen Leitliniengremien um die Integration dieser Guidelines kümmern. Auf der Website www.escardio.org kann man sich in Kürze informieren, wie man an die Pocketversion der Leitlinien kommen kann. Denn wie gesagt: die neuen Pocketguidelines sind fertig - und warten auf ihren Einsatz.

Prof. E. Standl

Co-Chairman Task Force · Diabetes, Pre-Diabetes and Cardiovascular Diseases · Forschergruppe Diabetes · Münchner Institut für Diabetesforschung an der GSF

Ingolstädter Landstraße 1

85764 Neuherberg

Email: Eberhard.Standl@lrz.uni-muenchen.de

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