Klin Monbl Augenheilkd 2014; 231(1): 73-78
DOI: 10.1055/s-0033-1360210
Offene Korrespondenz
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Auge und Tod

Eye and Death
J. M. Rohrbach
Department für Augenheilkunde, Forschungsbereich Geschichte der , Augenheilkunde/Ophthalmopathologisches Labor, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
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Publication Date:
17 January 2014 (online)

Ophthalmologie und Tod

Das nach Kenntnis des Autors bisher noch nicht in größerem Rahmen beleuchtete Thema „Auge und Tod“ mag zunächst befremdlich wirken, hat doch die Ophthalmologie den Tod, zumindest vordergründig, wie nur wenige andere klinische Disziplinen weitgehend aus ihrem Alltag verbannt. Patienten mit letal verlaufenden Erkrankungen des augenärztlichen Fachgebiets versterben in der Regel zu Hause oder in fachfremden, meist internistischen Abteilungen. Dennoch wird der klinisch tätige Augenarzt beim Thema Tod zunächst an die (tumorösen) Erkrankungen seines Faches denken, die teilweise eine hohe bis sehr hohe Letalität aufweisen und bei denen es dann nicht nur um den Erhalt visueller Funktion, sondern vor allem um das Leben des Patienten geht ([Tab. 1]).

Tab. 1 Letalität ausgewählter Primärtumoren des ophthalmologischen Fachgebiets1.

Tumor

Letalität2

Literatur

1 Alle Tumoren unabhängig von Größe, histologischer Variante oder sonstigen Parametern. 2 Ohne sonstige Angaben nach 5 Jahren. Die Zahlenangaben beziehen sich auf entwickelte Industrienationen. 3 Ohne Berücksichtigung der im späteren Lebensalter häufiger auftretenden Zweitmalignome.

malignes Aderhautmelanom

  • 20–40 % nach 5 Jahren

  • 40–50 % nach 15 Jahren

  • 50–55 % nach 35 Jahren

[1], [2], [3]

Retinoblastom

3–7 %3

[1], [4]

intraokulares Non-Hodgkin-Lymphom

70–80 %

[1], [5], [6]

malignes Bindehautmelanom

20–30 %

[1], [7]

Plattenepithelkarzinom der Bindehaut

1–8 %

[1], [7]

MALT-Lymphom der Bindehaut

ca. 5 %

[1], [7]

Basaliom (Lid)

unter 0,1 %

[1]

Talgdrüsenkarzinom (Lid)

10–40 %

[1], [8]

Plattenepithelkarzinom (Lid)

< 3 %

[1]

Merkel-Zellkarzinom (Lid)

30–50 %

[1]

Rhabdomyosarkom (Orbita)

5–10 %

[1], [9]

adenoid-zystisches Karzinom der Tränendrüse

ca. 90 % nach 15 Jahren

[1]

Plattenepithelkarzinom des Tränensacks

10–40 %

[1]

Auch bestimmte nicht neoplastische Erkrankungen des Auges sind mit einer Verkürzung der Lebenserwartung und damit einem frühzeitigeren Tod assoziiert, wobei sie den Tod naturgemäß nicht unmittelbar selbst herbeiführen, sondern als Indikator für eine lebensverkürzende Systemerkrankung wirken. Bestes Beispiel hierfür ist das früher als „ischämische Ophthalmopathie“ bezeichnete okuläre Ischämiesyndrom (OIS), das zumeist auf einer mehr als 70 %igen arteriosklerotischen Verengung einer A. carotis interna beruht [10]. Auch ein, um nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen, rheumatisches Hornhautulkus ist mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert [11]. Ob z. B. Katarakt, AMD und PEX-Syndrom Indikatoren für eine Verkürzung der Lebenserwartung sind, ist noch nicht abschließend geklärt, aber es gibt Hinweise darauf [12], [13], [14], [15]. Schließlich sollte nicht ganz vergessen werden, dass sehr selten einmal eine vom Ophthalmologen indizierte systemische Therapie, wie z. B. eine Immunsuppression bei Uveitis, oder selbst eine „kleine“, trotzdem für den Patienten mit Stress einhergehende Augenoperation z. B. durch einen akuten Herzinfarkt oder thromboembolische Komplikationen zum Tode führen kann. Ohne dass ihm diesbezüglich genauere Daten bekannt wären, schätzt der Autor die unmittelbare Mortalität der Kataraktextraktion in örtlicher Betäubung aufgrund 30-jähriger Erfahrung auf etwa 1 : 15 000 bis 1 : 20 000. In einer größeren Studie lag die Mortalität innerhalb der ersten 90 Tage nach Kataraktextraktion bei 0,7 % [16]. Immerhin kann der Augenarzt durch die frühzeitige Erkennung eines OIS mit Veranlassung der gebotenen Therapie oder die Intensivierung der Immunsuppression bei rheumatischer Keratitis zum Lebensretter bzw. – korrekter – zum „Lebensverlängerer“ werden [10], [11]. Durch eine erfolgreich verlaufende Kataraktoperation kann der Tod wahrscheinlich hinausgeschoben werden, wobei die Gründe dafür noch nicht ganz klar sind [17]. Neben der Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens dürfte auch die Verminderung des Risikos einer (mitunter letal endenden) Sturzfraktur eine Rolle spielen. Allerdings wird der Zusammenhang zwischen Kataraktextraktion und Sturzfrequenz immer noch kontrovers beurteilt, und nach der Operation des 1. Auges ist die Sturzgefahr wahrscheinlich sogar größer als vor der Linsenextraktion [18]. So hat der klinisch tätige Ophthalmologe – oft ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein – sogar häufig mit dem Tod zu tun, sei es, dass er diesen durch seine Therapie hinausschiebt, dass er (glücklicherweise sehr selten) diesen selbst herbeiführt, oder dass er – zumeist ohne dass dieses zu Konsequenzen führen würde – Indikatoren für eine Verkürzung des Lebens entdeckt.