CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(08): 955-965
DOI: 10.1055/a-1538-2200
GebFra Science
Original Article/Originalarbeit

Anwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung an deutschen Geburtskliniken: Was wird wirklich gemacht?

Article in several languages: English | deutsch
Sven Kehl
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Christel Weiss
2   Abteilung für Medizinische Statistik, Biomathematik und Informationsverarbeitung, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim, Germany
,
Werner Rath
3   Medizinische Fakultät, Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel, Germany
,
Michael Schneider
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Florian Stumpfe
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Florian Faschingbauer
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Matthias W. Beckmann
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Patrick Stelzl
1   Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
4   Abteilung für Gynäkologie, Geburtshilfe und Gynäkologische Endokrinologie, Kepler Universitätsklinikum Linz, Linz, Austria
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Fragestellung Das synthetische Prostaglandin-E1-Analogon Misoprostol ist das effektivste Medikament zur Geburtseinleitung, wobei es meist im Off-Label-Use angewendet wird. Aus diesem Grund sowie wegen seiner potenziellen Nebenwirkungen und der unterschiedlichen Anwendung stand es zuletzt wieder in der Diskussion. Ziel dieser Umfrage war daher die Erhebung der Anwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung an deutschen Kliniken sowie des Einflusses, den die negative Berichterstattung auf den geburtshilflichen Alltag hatte.

Material und Methodik Im Rahmen dieser Querschnittstudie wurden 635 Abteilungen für Geburtshilfe und Gynäkologie in Deutschland angeschrieben und gebeten, im Februar/März 2020 an dieser Umfrage teilzunehmen. Es sollten insgesamt 19 Fragen zur Klinik, Verwendung von Misoprostol vor und nach der kritischen Berichterstattung, Anwendung von Misoprostol (Bezug, Applikationsart, Dosierung, Überwachung) und anderen Einleitungsmethoden online beantworten werden.

Ergebnisse Insgesamt komplettierten 262 (41,3%) der angeschriebenen Kliniken den Fragebogen. Es gab keinen Unterschied bezüglich der Versorgungsstufe (Perinatalzentrum Level I, Perinatalzentrum Level II, Perinataler Schwerpunkt oder Geburtsklinik/Belegklinik; p = 0,2104) und der Anzahl der Geburten (p = 0,1845). Meist wurde Misoprostol in der eigenen Apotheke hergestellt (54%) oder aus dem Ausland importiert (46%) und oral als Tablette (95%) verabreicht. Es kamen verschiedene Misoprostol-Dosierungen zum Einsatz (25 µg [48%], 50 µg [83%], 75 µg [6%], 100 µg [47%] und > 100 µg [5%]). Die meisten Kliniken verwendeten vorgefertigte Tabletten/Kapseln (59%), jedoch wurden auch Cytotec-Tabletten geteilt (35%) oder in Wasser aufgelöst (5%). Die Misoprostol-Gaben erfolgten vor allem in 4-stündigen (64%) oder 6-stündigen Intervallen (30%). Eine CTG-Kontrolle vor und nach einer Misoprostol-Gabe (78% und 76%) bzw. einer Prostaglandin-E2-Gabe (jeweils 88%) wurde meist durchgeführt. Im Falle von Kontraktionen wurde überwiegend kein Misoprostol (59%) oder kein Prostaglandin E2 (64%) verabreicht. Die kritische Berichterstattung führte dazu, dass in 17% der Kliniken, vor allem kleinere Geburtskliniken/Belegkliniken mit weniger als 1000 Geburten, kein Misoprostol mehr verwendet wurde. Wehencocktails kamen vor allem in Geburts- und Belegkliniken zum Einsatz (61%).

Schlussfolgerung Misoprostol zur Geburtseinleitung ist in deutschen Kliniken etabliert. Es kommen verschiedene Dosierungsschemata zum Einsatz. Insbesondere das derzeit übliche Management im Rahmen der Geburtseinleitung (CTG-Kontrolle vor und nach einer medikamentösen Geburtseinleitung, keine Prostaglandin-Gabe bei Wehentätigkeit) sollte jedoch verbessert werden. Die mediale Diskussion um die Verwendung von Misoprostol hat dazu geführt, dass vor allem kleinere Kliniken auf Misoprostol verzichten haben.


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Einleitung

In den letzten 10 Jahren wurde knapp ein Dutzend Metaanalysen zur Anwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung und dessen Effektivität und Sicherheit im Vergleich zu Oxytocin, Dinoproston und Ballonkathetern publiziert [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10]. Misoprostol kann vaginal und oral angewendet werden und gilt bei unreifem Zervixbefund als effektivstes Medikament zur Geburtseinleitung [2], [3]. Wie jedes andere Medikament (Prostaglandin E2, Oxytocin) kann auch Misoprostol zu Überstimulationen mit Veränderungen des CTG-Musters führen. Insbesondere bei vaginaler Applikation und bei der Verwendung höherer Dosierungen steigt das Risiko für eine Überstimulation [3], [5], [11], [12]. Die Verwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung nach einem vorherigen Kaiserschnitt wird nicht empfohlen [13], [14], [15], [16]. Wesentlicher Grund hierfür ist, dass die einzige randomisiert-kontrollierte Studie (Vergleich vaginales Misoprostol versus Oxytocin) nach dem Auftreten von 2 Uterusrupturen und Rekrutierung von 17 Patientinnen vorzeitig abgebrochen wurde [17]. Des Weiteren gibt es hauptsächlich retrospektive Untersuchungen, bei denen ausschließlich vaginales Misoprostol in unterschiedlichen Dosierungen und Zeitintervallen verabreicht wurde [18], [19]. Entsprechend einer Cochrane-Analyse gab es nach oraler Misoprostol-Gabe bei 158 Schwangeren keine einzige Uterusruptur [20]. Ungeachtet dessen, dass Misoprostol mittlerweile in verschiedenen Ländern zur Geburtseinleitung zugelassen wurde, ist es in den deutschsprachigen Ländern immer wieder in Diskussion, da es lediglich zur Prävention und Behandlung von gastroduodenalen Ulzera, aber nicht zur Geburtseinleitung zugelassen ist respektive war. Zuletzt gab es in der deutschen Presselandschaft erhebliche Diskussionen über die Rechtmäßigkeit der Verwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung. Die fehlende Zulassung, fehlende Empfehlungen zur Dosierung und Anwendung und mögliche Zusammenhänge mit Komplikationen (z. B. Überstimulationen, pathologisches CTG, schlechtes kindliches Outcome) standen hierbei im Mittelpunkt [21]. In der Tat ist weder bekannt, wie häufig Misoprostol an deutschen Kliniken zur Geburtseinleitung verwendet wird, noch wie es zubereitet, appliziert und dosiert wird. In der letzten Umfrage aus dem Jahr 2013 gab es zahlreiche verschiedene Regimes, die zur Anwendung kamen [22].

Ziel dieser Studie war daher die Erhebung des Vorgehens zur Geburtseinleitung mit Misoprostol an deutschen Kliniken sowie eine Evaluation des Einflusses, den die negative Berichterstattung auf den klinischen geburtshilflichen Alltag hatte.


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Material und Methodik

Teilnehmer und Setting

Im Rahmen dieser Querschnittstudie wurden 635 Abteilungen für Geburtshilfe und Gynäkologie in Deutschland angeschrieben. Der Leiter oder die Leiterin der jeweiligen Abteilung erhielt einen Link zum Fragebogen per E-Mail in Kombination mit einem Anschreiben, in dem das Ziel und das Design der Studie erläutert wurden. Es wurde ein Fragebogen auf der Grundlage von nationalen und internationalen Empfehlungen bzw. Guidelines entwickelt. Um die Verständlichkeit und Durchführbarkeit sicherzustellen, wurde der Fragebogen schrittweise von 3 erfahrenen Geburtshelfern vorgetestet, die nicht an der Entwicklung der Umfrage beteiligt waren. Auf Grundlage des erhaltenen Feedbacks wurden entsprechende Modifikationen vorgenommen. Die Ergebnisse dieser Vortests wurden für die endgültige Datenbewertung nicht berücksichtigt. Der endgültige Fragebogen bestand aus insgesamt 19 Multiple-Choice- und offenen Fragen, die folgenden 7 Rubriken zugeordnet werden können:

  • demografische Aspekte der jeweiligen Entbindungseinheit (3 Fragen)

  • Verwendung von Misoprostol vor bzw. nach aktueller Diskussion (3 Fragen)

  • Misoprostol-Bezugsquelle (1 Frage)

  • Misoprostol-Applikation (6 Fragen)

  • Misoprostol-Dosier-Schemata (2 Fragen)

  • klinikspezifisches Geburtseinleitungs-Management (1 Frage)

  • klinikspezifische Geburtseinleitungs-Alternativen (3 Fragen)

Die Umfrage wurde pseudonym durchgeführt. Bis zu 2 Erinnerungsschreiben wurden 14 bzw. 21 Tage nach der ersten Aussendung verschickt. Es wurden keine personenbezogenen Daten erhoben.


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Datenerhebung

Die Datenerhebung erfolgte vom 24. Februar bis zum 20. März 2020 auf freiwilliger Basis und ohne Vergütung der teilnehmenden Kliniken. Es wurde ein Online-Umfrage-Format verwendet, um eine deutschlandweite Teilnahme zu ermöglichen. Der Link zur Umfrage war über www.soscisurvey.de verfügbar (Quelle: Stelzl P, Survey [Version 3.2.14i], https://www.soscisurvey.de, Stand: 20.12.2020). Diese Onlineplattform gewährleistete eine hohe Datenschutzsicherheit, da die IP-Adressen der teilnehmenden Kliniken nicht aufgezeichnet wurden. Jeder Teilnehmer konnte während des 26-tägigen Umfragezeitraums den Fragebogen nur einmal komplettieren. Um eine Vollständigkeit der Fragenbeantwortung zu gewährleisten, erhielten Teilnehmer mit fehlenden Antworten eine Warnmeldung, bevor sie zur nächsten Seite des Fragebogens gelangen konnten. Insgesamt 262 von den 635 angeschriebenen Kliniken komplettierten den Fragebogen, was einer Rücklaufquote von 41,3% entspricht. Nach Beendigung des Befragungszeitraums wurden die erhobenen Daten in eine Excel-Tabelle exportiert und zur statistischen Analyse geschickt.


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Statistische Analyse

Alle statistischen Berechnungen und Analysen erfolgten mit dem Statistikprogrammpaket SAS, Release 9.4 (SAS Institute Inc., Cary, North Carolina, USA). Für alle Antworten der Multiple-Choice-Fragen werden absolute und relative Häufigkeiten angegeben. Zum Vergleich von 2 oder mehr Gruppen wurde ein χ2-Test oder (falls dessen Voraussetzungen nicht erfüllt waren) Fishers exakter Test verwendet. Bei ordinal skalierten Merkmalen kam der Mann-Whitney-U-Test bzw. (bei mehr als 2 Gruppen) der Kruskal-Wallis-Test zum Einsatz. Fehlende Werte oder Angaben wie beispielsweise „ich weiß nicht“ wurden bei den Analysen nicht berücksichtigt. Ferner wurde für jedes Outcome eine multiple logistische Regressionsanalyse durchgeführt, um herauszufinden, welche Kombination von Einflussparametern (Versorgungsstufe, Entbindungen pro Jahr, Rate an Geburtseinleitungen) das jeweilige Outcome am besten zu erklären vermag. Ein Testergebnis galt als im Allgemeinen signifikant, wenn der p-Wert unter 0,05 lag. Für die multiplen Regressionsanalysen wurde ein Signifikanzniveau von 0,10 angenommen, um das Zusammenwirken mehrerer Einflussfaktoren besser erkennen zu können.


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Ergebnisse

In der [Tab. 1] sind die demografischen Parameter der Kliniken dargelegt, die vor der kritischen Berichterstattung über Cytotec Misoprostol verwendet oder nicht verwendet haben. Es gab keinen statistisch signifikanten Unterschied bezüglich der Verwendung von Misoprostol, was die Versorgungsstufe (Perinatalzentrum Level I, Perinatalzentrum Level II, Perinataler Schwerpunkt oder Geburtsklinik/Belegklinik; p = 0,2104) betrifft. Die Verwendung war außerdem unabhängig von der Anzahl der Geburten (p = 0,1845). Der Einfluss der Rate an Geburtseinleitungen zeigte einen Trend zur Signifikanz (p = 0,0518). Es zeigte sich, dass Misoprostol besonders häufig in Kliniken mit mittleren Einleitungsraten zwischen 20 und 30% verwendet wurde.

Tab. 1 Vergleich der Misoprostol-Subgruppen bezüglich demografischer Parameter. Die Prozentwerte beziehen sich auf die im Tabellenkopf genannte Subgruppe.

Misoprostol (n = 221, 84%)

kein Misoprostol (n = 41, 16%)

p-Werte

Perinatalzentrum Level I

76 (89%)

9 (11%)

0,2104

Perinatalzentrum Level II

20 (77%)

6 (23%)

Perinataler Schwerpunkt

38 (78%)

11 (22%)

Geburtsklinik/Belegklinik

87 (85%)

15 (15%)

Entbindungen pro Jahr

0,1845

  • < 500

16 (94%)

1 (6%)

  • 500 – 999

72 (78%)

20 (22%)

  • 1 000 – 1 499

49 (84%)

9 (16%)

  • 1 500 – 1 999

42 (86%)

7 (14%)

  • 2 000 – 3 000

27 (90%)

3 (10%)

  • > 3 000

15 (94%)

1 (6%)

Rate an Geburtseinleitungen

0,0518

  • < 20%

69 (78%)

20 (22%)

  • 20 – 30%

143 (88%)

19 (12%)

  • > 30%

9 (82%)

2 (18%)

Bezug und Applikationsart von Misoprostol

Misoprostol wurde in den Kliniken verschieden bezogen und verwendet; dies wird in der [Tab. 2] präsentiert. In jeweils etwa der Hälfte der Fälle wurde Misoprostol in der eigenen Apotheke hergestellt (54%) oder aus dem Ausland importiert (46%). Dabei gab es keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Versorgungsstufen (p = 0,8185). Die Bezugsart war weder mit der Anzahl an Entbindungen pro Jahr noch mit der Einleitungsrate assoziiert (p = 0,8398 bzw. p = 0,8795, [Tab. 8] und [9]).

Tab. 2 Vergleich der Versorgungsstufen bezüglich der Verwendung von Misoprostol vor Berichterstattung. Die Prozentwerte beziehen sich auf die im Tabellenkopf angegebene Versorgungsstufe.

gesamt (n = 221)

PNZ Level I (n = 76)

PNZ Level II (n = 20)

Perinataler Schwerpunkt (n = 38)

Geburtsklinik/Belegklinik (n = 87)

p-Werte

* mehrere Antworten möglich, ** Vergleich Erstgabe 50 µg versus andere Dosis

Wie wurde Misoprostol bezogen?

Herstellung in der eigenen Apotheke

111 (54%)

41 (56%)

11 (58%)

17 (47%)

42 (53%)

0,8185

Import aus dem Ausland

96 (46%)

32 (44%)

8 (42%)

19 (53%)

37 (47%)

Welche Applikationsart(en) haben Sie verwendet?*

oral (Tablette)

209 (95%)

73 (96%)

20 (100%)

35 (92%)

81 (93%)

0,5806

oral (Flüssigkeit)

11 (5%)

3 (4%)

1 (5%)

2 (5%)

5 (6%)

0,9664

vaginal (Tablette)

56 (25%)

22 (29%)

3 (15%)

9 (24%)

22 (25%)

0,6351

vaginal (Insert)

26 (12%)

13 (17%)

2 (10%)

4 (11%)

7 (8%)

0,3660

Welche Dosierung(en) wurde(n) verwendet?*

25 µg

106 (48%)

45 (59%)

12 (60%)

12 (32%)

37 (43%)

0,0175

50 µg

183 (83%)

67 (88%)

13 (65%)

33 (87%)

70 (80%)

0,0802

75 µg

14 (6%)

7 (9%)

0

1 (3%)

6 (7%)

0,4763

100 µg

104 (47%)

38 (50%)

4 (20%)

14 (37%)

48 (55%)

0,0183

> 100 µg

11 (5%)

5 (7%)

2 (10%)

2 (5%)

2 (2%)

0,2966

Wurden generell Dosierungen ab 50 µg verwendet?

ja

196 (89%)

70 (92%)

15 (75%)

34 (89%)

77 (89%)

0,2192

nein

25 (11%)

6 (8%)

5 (25%)

4 (11%)

10 (11%)

Wie erhielten Sie die gewünschte Dosierung?

Kapsel/Tablette in entsprechender Dosierung

129 (59%)

46 (61%)

15 (75%)

20 (53%)

48 (57%)

0,7987

Teilen der Tablette

77 (35%)

25 (33%)

5 (25%)

16 (42%)

31 (37%)

Auflösen der Tablette und Gabe einer entsprechenden Menge der Flüssigkeit

11 (5%)

4 (5%)

0

2 (5%)

5 (6%)

sonstiges

0

0

0

0

0

In welchen zeitlichen Abständen wurde Misoprostol verabreicht?*

alle 2 Stunden

16 (7%)

3 (4%)

5 (25%)

2 (5%)

6 (7%)

0,0316

alle 4 Stunden

139 (64%)

50 (66%)

6 (30%)

26 (68%)

57 (66%)

0,0113

alle 6 Stunden

66 (30%)

26 (34%)

7 (35%)

10 (26%)

23 (26%)

0,7124

sonstiges

8 (4%)

1 (1%)

2 (10%)

0

5 (6%)

0,1064

Wie viele Misoprostol-Gaben bekam eine Patientin am Tag?

1

2 (1%)

0

1 (5%)

0

1 (1%)

0,4921

2

27 (12%)

7 (9%)

3 (15%)

8 (22%)

9 (11%)

3

107 (49%)

37 (49%)

9 (45%)

17 (46%)

44 (52%)

4

65 (30%)

26 (34%)

4 (20%)

10 (27%)

25 (29%)

5

6 (3%)

3 (4%)

0

1 (3%)

2 (2%)

6

8 (4%)

2 (3%)

2 (10%)

1 (3%)

3 (4%)

mehr als 6

3 (1%)

1 (1%)

1 (5%)

0

1 (1%)

Wie viele Tage hintereinander wurde (nur) mit Misoprostol eingeleitet?

1 Tag

11 (5%)

3 (4%)

1 (5%)

2 (5%)

5 (6%)

0,0078

2 Tage

103 (47%)

26 (34%)

11 (55%)

23 (62%)

43 (51%)

3 Tage

84 (39%)

34 (45%)

8 (40%)

9 (24%)

33 (39%)

> 3 Tage

20 (9%)

13 (17%)

0

3 (8%)

4 (5%)

Wie hoch ist die Dosierung der Erstgabe?

25 µg

90 (45%)

36 (51%)

11 (61%)

12 (35%)

31 (39%)

0,1129**

50 µg

110 (55%)

33 (47%)

7 (39%)

22 (63%)

48 (61%)

100 µg

1 (0,5%)

1 (1%)

0

0

0

Tab. 8 Abhängigkeit diverser Parameter von der Anzahl an Entbindungen pro Jahr. Die Prozentwerte quantifizieren den jeweiligen Anteil der Kliniken, für die die Angabe in der Kopfzeile zutrifft.

Verwendung Dosierungen ab 50 µg

Herstellung Apotheke

Erstgabe 50 µg

kein Misoprostol nach Berichterstattung

kein CTG vor oder nach Prostaglandingabe

Verwendung Wehencocktails

Kliniken gesamt

196 (89%)

111 (54%)

110 (55%)

35 (17%)

35 (14%)

114 (46%)

Entbindungen pro Jahr:

< 500

15 (94%)

8 (57%)

6 (46%)

8 (57%)

3 (20%)

8 (53%)

500 – 999

64 (89%)

37 (55%)

41 (61%)

9 (69%)

11 (13%)

55 (63%)

1 000 – 1 499

43 (88%)

20 (45%)

25 (53%)

7 (15%)

9 (14%)

23 (41%)

1 500 – 1 999

35 (83%)

25 (61%)

18 (49%)

6 (15%)

7 (15%)

12 (26%)

2 000 – 3 000

25 (93%)

15 (56%)

10 (43%)

4 (15%)

3 (11%)

10 (36%)

> 3 000

14 (93%)

6 (43%)

10 (71%)

1 (7%)

3 (19%)

6 (38%)

p-Wert

0,8900

0,8398

0,6025

0,0537

0,9677

0,0002

Tab. 9 Abhängigkeit diverser Parameter von der Geburtseinleitungsrate. Die Prozentwerte quantifizieren den jeweiligen Anteil der Kliniken, für die die Angabe in der Kopfzeile zutrifft.

Verwendung Dosierungen ab 50 µg

Herstellung Apotheke

Erstgabe 50 µg

kein Misoprostol nach Berichterstattung

kein CTG vor oder nach Prostaglandingabe

Verwendung Wehencocktails

gesamt

196 (89%)

111 (54%)

110 (55%)

35 (17%)

35 (14%)

114 (46%)

Rate:

< 20%

62 (90%)

35 (55%)

39 (62%)

14 (21%)

10 (12%)

48 (57%)

20 – 30%

125 (87%)

71 (53%)

64 (50%)

20 (15%)

24 (16%)

63 (41%)

> 30%

9 (100%)

5 (56%)

8 (78%)

1 (11%)

1 (10%)

3 (30%)

p-Wert

0,8900

0,8795

0,3992

0,2388

0,5527

0,0117

In fast allen Kliniken wurde Misoprostol oral als Tablette (95%) gegeben ([Tab. 2]). In jeder 4. Klinik wurde es noch vaginal als Tablette (25%), seltener als Insert (12%) eingesetzt. Nur in wenigen Kliniken wurde Misoprostol in Flüssigkeit aufgelöst und getrunken (5%).


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Dosierung von Misoprostol

In den Kliniken wurden verschiedene Dosierungen von Misoprostol verwendet. Generell wurden von den meisten Kliniken Dosierungen ab 50 µg verwendet (89%), unabhängig von der Versorgungsstufe (p = 0,2192). Es kamen Misoprostol-Dosierungen von 25 µg (48%), 50 µg (83%), 75 µg (6%), 100 µg (47%) und > 100 µg (5%) zum Einsatz, wobei geringe Dosen von 25 µg überwiegend in Perinatalzentren und höhere Dosen von 100 µg besonders häufig in Geburtskliniken verwendet wurden (p = 0,0175 bzw. p = 0,0183). Dabei wurde in den meisten Kliniken die entsprechende Dosierung in einer vorgefertigten Tablette/Kapsel geliefert (58%). In den anderen Fällen wurde die Cytotec-Tablette geteilt (35%) oder in Wasser aufgelöst (5%).

Misoprostol wurde meist alle 4 Stunden (63%) oder alle 6 Stunden (30%) verabreicht, seltener alle 2 Stunden (7%) oder in anderen Zeitintervallen (4%). In Perinatalzentren des Levels 2 wurde Misoprostol im Vergleich zu anderen Versorgungsstufen häufiger alle 2 Stunden, seltener alle 4 Stunden verabreicht (p = 0,0316 bzw. p = 0,0113). Je nach Dosierungsintervall gab es hauptsächlich 3 (49%), 4 (30%) oder 2 Gaben (12%) am Tag. Nur mit Misoprostol wurde an 2 (47%) oder 3 Tagen (39%) hintereinander eingeleitet. Selten auch mehr als 3 Tage (9%) oder nur 1 Tag (5%).

Bei der 1. Gabe wurde in fast allen Kliniken eine Dosierung von 50 µg (55%) oder 25 µg (45%) gewählt. Nur in einer Klinik wurde mit 100 µg begonnen. Ob eine Klinik mit einer Dosierung von mindestens 50 µg begann, hing nicht von der Versorgungsstufe ab (p = 0,1129); auch die Anzahl der Entbindungen pro Jahr und die Einleitungsrate hatten keinen Einfluss (p = 0,6025 bzw. p = 0,3922, [Tab. 8] und [9]).


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Einfluss der Berichterstattung auf die Verwendung von Misoprostol

In der [Tab. 3] ist der Einfluss der kritischen Berichterstattung auf die Verwendung von Misoprostol dargestellt. In 17% der Kliniken hat man kein Misoprostol mehr verwendet. Dies war unabhängig von der Versorgungsstufe (p = 0,9436) und der Geburtseinleitungsrate (p = 0,2388, [Tab. 9]). Allerdings konnte beobachtet werden, dass bei Kliniken mit weniger als 1000 Entbindungen pro Jahr ein hoher Anteil (etwa 60%) Misoprostol nach der Berichterstattung nicht mehr verwendete (p = 0,0537, [Tab. 8]). Hauptgründe waren die Angst vor der Reaktion der Patientinnen bzw. weil man sich nicht rechtfertigen wollte und die Angst vor rechtlichen Konsequenzen (jeweils 40%). In 31% der Kliniken wurde die weitere Verwendung vom Chef oder der Klinikleitung verboten. Auch in den Kliniken, die weiterhin Misoprostol verwendeten, gab es Änderungen: Hauptsächlich war mehr Aufklärungsarbeit zu leisten (80%) und nur in wenigen Fällen wurde mit einem anderen Schema (6%) oder einer geringeren Einzeldosis (4%) eingeleitet.

Tab. 3 Vergleich der Versorgungsstufen bezüglich der Verwendung von Misoprostol nach kritischer Berichterstattung. Die Prozentwerte beziehen sich auf die im Tabellenkopf angegebene Versorgungsstufe.

gesamt (n = 211)

PNZ Level I (n = 73)

PNZ Level II (n = 20)

Perinataler Schwerpunkt (n = 35)

Geburtsklinik/Belegklinik (n = 83)

p-Werte

* mehrere Antworten möglich

Wird Misoprostol nach der kritischen Berichterstattung noch verwendet?

ja

176 (83%)

61 (84%)

17 (85%)

28 (80%)

70 (84%)

0,9436

nein

35 (17%)

12 (16%)

3 (15%)

7 (20%)

13 (16%)

Was hat sich geändert?

Wir verwenden es nicht mehr (n = 35), …*

(n = 12)

(n = 3)

(n = 7)

(n = 13)

… weil es uns verboten wurde (Chef/Klinikleitung/…)

11 (31%)

4 (33%)

2 (67%)

1 (14%)

4 (31%)

0,4963

… weil wir Angst vor rechtlichen Konsequenzen haben

14 (40%)

2 (17%)

1 (33%)

4 (57%)

7 (54%)

0,1936

… weil wir uns nicht vor den Patientinnen rechtfertigen wollen/Angst vor der Reaktion der Patientinnen haben

14 (40%)

7 (58%)

1 (33%)

3 (43%)

3 (23%)

0,3404

Wir verwenden es weiterhin (n = 176) …*

(n = 61)

(n = 17)

(n = 28)

(n = 70)

… mit einer geringeren Einzeldosis

7 (4%)

1 (2%)

1 (6%)

1 (4%)

4 (6%)

0,5116

… mit einem anderen Schema (insgesamt eine geringere Gesamtdosis)

10 (6%)

4 (7%)

1 (6%)

2 (7%)

3 (4%)

0,8932

… wie bisher, wir müssen nur mehr Aufklärungsarbeit leisten

141 (80%)

51 (84%)

12 (71%)

23 (82%)

55 (9%)

0,6566

sonstiges

39 (22%)

12 (20%)

5 (29%)

5 (18%)

17 (24%)

0,7479


#

Management bei der Geburtseinleitung

Das Management bei einer Geburtseinleitung ist in [Tab. 4] dargelegt. In 81% der Fälle wurde über den Off-Label-Use von Misoprostol schriftlich aufgeklärt. Falls nach einem vorherigen Kaiserschnitt – unabhängig von der verwendeten Methode – eingeleitet wurde, erfolgte eine schriftliche Aufklärung nur in 24% der Kliniken. Die Geburtseinleitung erfolgt dabei fast immer stationär (97%). Die medikamentöse Geburtseinleitung erfolgt meist unter CTG-Kontrolle: Vor der Misoprostol- und Prostaglandin-E2-Gabe erfolgte dies in 78% und 88% der beteiligten Kliniken. Ebenso häufig erfolgten auch CTG-Kontrollen nach der Misoprostol- (76%) und Prostaglandin-E2-Gabe (88%). Die Tatsache, dass kein CTG vor oder nach einer Prostaglandin-Gabe erfolgte, hing nicht von der Versorgungsstufe, Geburtenzahl oder der Rate an Geburtseinleitungen ab (p = 0,8414, p = 0,9677 bzw. p = 0,5527). Bei Vorliegen von Kontraktionen wurde in 146 Kliniken (59%) kein Misoprostol verabreicht. Auch auf die Gabe von Prostaglandin E2 wurde in 159 Kliniken (64%) bei vorhandenen Wehen verzichtet.

Tab. 4 Vergleich der Versorgungsstufen bezüglich Management bei Geburtseinleitung.

gesamt (n = 249)

PNZ Level I (n = 81)

PNZ Level II (n = 26)

Perinataler Schwerpunkt (n = 44)

Geburtsklinik/Belegklinik (n = 98)

p-Werte

schriftliche Aufklärung über „Off-Label-Use“, wenn Misoprostol verwendet wird

202 (81%)

73

18

31

80

0,0188

schriftliche Aufklärung über „Off-Label-Use“ bei Geburtseinleitung nach vorherigem Kaiserschnitt (Z. n. Sectio)

60 (24%)

26

8

9

17

0,1010

ambulante Geburtseinleitung mit Misoprostol möglich

8 (3%)

2

1

2

3

0,8347

CTG vor Misoprostol-Gabe

193 (78%)

69

16

29

79

0,0149

CTG vor Prostaglandin-E2-Gabe

218 (88%)

70

23

40

85

0,8895

CTG nach Misoprostol-Gabe

189 (76%)

68

15

30

76

0,0272

CTG nach Prostaglandin-E2-Gabe

218 (88%)

70

23

41

84

0,6374

kein CTG vor oder nach Prostaglandin-Gabe

35 (14%)

11

3

5

16

0,8414

keine Gabe von Misoprostol bei Kontraktionen

146 (59%)

51

14

27

54

0,6798

keine Gabe von Prostaglandin E2 bei Wehentätigkeit

159 (64%)

51

16

31

61

0,7943

Erhöhung der Oxytocin-Dosis alle 10 – 20 Minuten

74 (30%)

19

7

12

36

0,2557

Erhöhung der Oxytocin-Dosis alle 30 – 60 Minuten

102 (41%)

39

10

15

38

0,4154

Erhöhung der Oxytocin-Dosis in Intervallen > 60 Minuten

15 (6%)

5

5

2

3

0,8676

Erhöhung der Oxytocin-Dosis bis Wehen alle 2 – 3 Minuten

22 (9%)

9

1

3

9

0,7609

Erhöhung der Oxytocin-Dosis bis Wehen alle 4 – 5 Minuten

48 (19%)

16

7

13

12

0,0693

Stoppen der Oxytocin-Gabe zur Geburtseinleitung nach 5 Stunden

78 (31%)

23

10

10

35

0,3437

Stoppen der Oxytocin-Gabe zur Geburtseinleitung nach 5 – 10 Stunden

36 (14%)

11

3

10

12

0,3839

Stoppen der Oxytocin-Gabe zur Geburtseinleitung nach 10 – 15 Stunden

4 (2%)

0

1

2

1

0,1100

Stoppen der Oxytocin-Gabe zur Geburtseinleitung nur anhand von Klinik und CTG

82 (33%)

31

4

17

30

0,1353

Wehencocktail (ambulant oder stationär)

114 (46%)

25

11

18

60

0,0006

Insbesondere bei der Verwendung von Wehencocktails (ambulant oder stationär) zeigten sich Unterschiede zwischen den Kliniken (p = 0,0006): Diese werden vergleichsweise häufig (61%) in Geburtskliniken verabreicht.


#

Alternative Methoden zur Geburtseinleitung

Alternative Methoden zur Geburtseinleitung bei unreifer Zervix (Bishop Score < 3) werden in [Tab. 5] präsentiert. Neben dem Prostaglandin E2 (vaginal, 84%, oder zervikal, 56%) werden auch Ballonkatheter (53%) häufig in dieser Situation stationär eingesetzt. Ballonkatheter kommen überwiegend in Perinatalzentren des Levels I zum Einsatz (77%), während sie in perinatalen Schwerpunkten eher selten verwendet werden (34%, p < 0,0001). Weitere Optionen sind noch Dilapan (38%), Wehencocktail (35%) und sogar Oxytocin (29%). Ein ambulantes Management mit den verschiedenen Verfahren wird nur selten (in weniger als 10% der Kliniken) angeboten.

Tab. 5 Vergleich der Versorgungsstufen bezüglich Alternativen zu Misoprostol bei unreifer Zervix (Bishop Score 0 – 3).

gesamt (n = 249)

PNZ Level I (n = 81)

PNZ Level II (n = 26)

Perinataler Schwerpunkt (n = 44)

Geburtsklinik Belegklinik (n = 98)

p-Werte

* mehrere Antworten möglich

Dilapan (ambulant)

19 (8%)

5

4

1

9

0,1975

Dilapan (stationär)

94 (38%)

28

11

20

35

0,6013

Ballonkatheter (ambulant)

9 (4%)

3

2

1

3

0,6628

Ballonkatheter (stationär)

133 (53%)

62

14

15

42

< 0,0001

Prostaglandin E2/Dinoproston (Gel, Tablette, Insert) (ambulant)

4 (2%)

2

0

1

1

0,7931

Prostaglandin E2/Dinoproston (Gel, Tablette, Insert) (stationär)

208 (84%)

66

20

39

83

0,5718

Prostaglandin E2/Dinoproston (Zervikalgel) (ambulant)

4 (2%)

2

0

1

1

0,7931

Prostaglandin E2/Dinoproston (Zervikalgel) (stationär)

140 (56%)

46

16

23

55

0,8991

Oxytocin

72 (29%)

23

7

9

33

0,4449

Wehencocktail (ambulant)

12 (5%)

5

0

1

6

0,5788

Wehencocktail (stationär)

87 (35%)

16

10

12

49

0,0002

sonstiges

15 (6%)

3

4

1

7

0,1340

Wenn die Zervix reif ist, wird vor allem Oxytocin (85%), vaginales Prostglandin E2 (73%) und der Wehencocktail (39%) gegeben ([Tab. 6]). Es kommen aber auch Verfahren wie zervikales Prostaglandin E2 (31%), Ballonkatheter (24%) und Dilapan (8%) zum Einsatz. Wehencocktails bei reifer Zervix werden vermehrt an Geburtskliniken verabreicht (p = 0,0431).

Tab. 6 Vergleich der Versorgungsstufen bezüglich Alternativen zu Misoprostol bei reifer Zervix.

gesamt (n = 249)

PNZ Level I (n = 81)

PNZ Level II (n = 26)

Perinataler Schwerpunkt (n = 44)

Geburtsklinik/Belegklinik (n = 98)

p-Werte

Dilapan (ambulant)

3 (1%)

1

1

0

1

0,5040

Dilapan (stationär)

21 (8%)

5

3

6

7

0,4339

Ballonkatheter (ambulant)

5 (2%)

1

2

0

2

0,2142

Ballonkatheter (stationär)

59 (24%)

25

4

7

23

0,1891

Prostaglandin E2/Dinoproston (Gel, Tablette, Insert) (ambulant)

6 (2%)

1

0

2

3

0,5629

Prostaglandin E2/Dinoproston (Gel, Tablette, Insert) (stationär)

181 (73%)

60

22

28

71

0,2885

Prostaglandin E2/Dinoproston (Zervikalgel) (ambulant)

1 (0,4%)

0

0

0

1

1,0000

Prostaglandin E2/Dinoproston (Zervikalgel) (stationär)

77 (31%)

24

6

9

38

0,1166

Oxytocin

211 (85%)

69

24

38

80

0,5755

Wehencocktail (ambulant)

11 (4%)

2

0

2

7

0,3920

Wehencocktail (stationär)

97 (39%)

23

9

17

48

0,0431

sonstiges

16 (6%)

3

2

2

9

0,4753


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Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio

Falls eine Einleitung nach einem Kaiserschnitt in der Vorgeschichte indiziert war, werden neben Oxytocin (63%) und vaginalem Prostaglandin E2 (61%) die mechanischen Verfahren, Ballonkatheter (49%, vermehrt an Perinatalzentren des Levels I mit 73%) und Dilapan (35%), favorisiert ([Tab. 7]). Nur 2% der Kliniken leiten nach einem Kaiserschnitt in der Vorgeschichte generell nicht ein.

Tab. 7 Vergleich der Versorgungsstufen bezüglich Einleitungsverfahren bei Zustand nach Sectio caesarea.

gesamt (n = 243)

PNZ Level I (n = 81)

PNZ Level II (n = 26)

Perinataler Schwerpunkt (n = 42)

Geburtsklinik/Belegklinik (n = 94)

p-Werte

Dilapan (ambulant)

6 (2%)

1

0

1

4

0,6422

Dilapan (stationär)

86 (35%)

25

13

16

32

0,3391

Ballonkatheter (ambulant)

7 (3%)

2

1

1

3

0,9472

Ballonkatheter (stationär)

118 (49%)

59

12

14

33

< 0,0001

Prostaglandin E2/Dinoproston (Gel, Tablette, Insert) (ambulant)

4 (2%)

1

0

1

2

1,0000

Prostaglandin E2/Dinoproston (Gel, Tablette, Insert) (stationär)

149 (61%)

48

21

23

57

0,1666

Prostaglandin E2/Dinoproston (Zervikalgel) (ambulant)

2 (1%)

1

0

0

1

1,0000

Prostaglandin E2/Dinoproston (Zervikalgel) (stationär)

65 (27%)

23

6

8

28

0,5713

Oxytocin

152 (63%)

49

18

27

58

0,8674

Wehencocktail (ambulant)

3 (1%)

0

1

1

1

0,2618

Wehencocktail (stationär)

77 (32%)

19

8

12

38

0,1092

sonstiges

24 (10%)

8

1

6

9

0,6060

Nur für das Outcome „Verwendung von Wehencocktails“ konnte mittels logistischer Regression ein multiples statistisches Modell erstellt werden, wobei ein Signifikanzniveau von 0,10 festgelegt wurde. Dabei ergab sich, dass die jährliche Geburtenzahl (p < 0,0001) und die Versorgungsstufe (p = 0,0893) einen eigenständigen Einfluss auf diese Zielgröße haben. Bei den anderen Zielgrößen (Erstgabe 50 µg, Verwendung von Dosierungen ab 50 µg, kein Misoprostol nach Berichterstattung) ergab sich nach einer multiplen Analyse, dass jeweils nur ein einziger Parameter signifikant war (wobei ein Signifikanzlevel von α = 0,10 zugrunde gelegt wurde).


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Diskussion

In dieser nationalen Umfrage antworteten 41% der angeschriebenen 635 Kliniken verschiedener geburtshilflicher Versorgungsstufen. Es ist anzunehmen, dass diese Untersuchung eine repräsentative Übersicht des Vorgehens im Rahmen einer Geburtseinleitung in Deutschland darstellt. In den meisten Kliniken wurde zum Zeitpunkt der Befragung Misoprostol zur Geburtseinleitung verwendet. Hierbei gab es keinen Unterschied der Versorgungsstufe und der Größe der Klinik. Dies zeigt, dass Misoprostol ein Standardverfahren der medikamentösen Geburtseinleitung ist.

Bereits in einer Umfrage aus dem Jahr 2013 verwendete die Mehrheit der Kliniken (66%) Misoprostol zur Geburtseinleitung [22].

Misoprostol wurde von den Kliniken hauptsächlich in der eigenen Apotheke hergestellt (54%) oder aus dem Ausland importiert (45%). Oral als Tablette war dabei der favorisierte Applikationsweg (95%). In jeder 4. Klinik wurde es noch vaginal als Tablette (25%), in einigen Kliniken auch als Insert (12%) verabreicht. Mittlerweile ist das zugelassene Misoprostol-Insert jedoch nicht mehr erhältlich.

Die gewünschte Dosierung wurde anhand vorgefertigter Tabletten/Kapseln garantiert (59%). In den anderen Fällen wurde die Cytotec-Tablette (200 µg) geteilt (35%) oder in Wasser aufgelöst (5%). Dieses eigenhändige Teilen der Cytotec-Tabletten soll nicht erfolgen. Sowohl in der aktuellen Leitlinien-Empfehlungen als auch in einem Rote-Hand-Brief des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird mittlerweile von diesem Vorgehen abgeraten [13], [15], [16], [23]. Auch das Auflösen in Wasser sollte aufgrund der Ungenauigkeit der Stabilität und Wirkstoffkonzentration unterlassen werden, auch wenn es von der WHO so empfohlen wird [24].

Zur Dosierung von Misoprostol gibt es keine einheitlichen Empfehlungen. International werden Gaben von 25 µg empfohlen und beschrieben, dass niedrigere Dosierungen (bis 50 µg) mit ähnlichen Outcomes wie höhere Dosierungen (100 µg) assoziiert sind [24]. Neben der Dosierung ist aber auch der Applikationsweg entscheidend: In einer sehr großen Metaanalyse (611 Studien, 31 verschiedene Methoden) wurde konstatiert, dass vaginales Misoprostol mit einer Dosierung von ≥ 50 µg im Vergleich zu Placebo zu mehr Überstimulationen (OR 4,40, 95%-KI 2,22 – 7,94) führte, die Rate an Verlegungen in die Kinderklinik sich jedoch nicht unterschied (OR 0,85, 95%-KI 0,57 – 1,23) [11]. Ähnliches wurde für die orale Gabe von Misoprostol in einer Dosierung von ≥ 50 µg pro Tablette (OR 2,85, 95%-KI 1,41 – 5,20 und OR 0,83, 95%-KI 0,55 – 1,20) gezeigt. Die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat in ihrem Expertenbrief No. 63 aus dem Jahr 2019 Dosierungen von 25 – 50 µg vaginal und 20 – 50 µg oral empfohlen [13]. In der S2k-Leitlinie Geburtseinleitung werden Einzelgaben von 25 – 100 µg als möglich dargestellt [15], [16]. Ein voraussichtlich in diesem Jahr in Deutschland verfügbares orales Misoprostol-Präparat ist für Einzelgaben bis 50 µg und einer Tagesmaximaldosis von 200 µg zugelassen worden. In Österreich ist es bereits erhältlich [25]. Bereits in der Umfrage aus dem Jahr 2013 gab es zahlreiche verschiedene Regimes, die zur Anwendung kamen [22]. Auch in Studien zur Geburtseinleitung mit Misoprostol in deutschen Kliniken variierten die Schemata [26], [27], [28]. An dieser Diversität hat sich nichts geändert: Laut der aktuellen Umfrage kamen hauptsächlich Misoprostol-Dosierungen von 25 µg (48%), 50 µg (83%) und 100 µg (47%) zum Einsatz. Dosierungen > 100 µg (5%) stellten eine Ausnahme dar, sollten aber gemäß aktueller Empfehlungen unterlassen werden. Die Dosierung der Erstgabe betrug fast immer 50 µg oder 25 µg. Die Intervalle zwischen den einzelnen Gaben betrugen meist 4 Stunden (64%) oder 6 Stunden (30%). Dies führt dazu, dass pro Tag hauptsächlich 3 (49%), 4 (30%) oder 2 Gaben (12%) erfolgten. Die Verwendung verschiedener Dosierungen oder Intervalle war dabei unabhängig der Versorgungsstufe.

Da es sich bei der Verwendung von Misoprostol zum Zeitpunkt der Umfrage um einen Off-Label-Use handelte, war die Durchführung einer entsprechenden Aufklärung obligat. Diese Aufklärung wurde in 81% der Fälle auch schriftlich durchgeführt. Im Fall eines Off-Label-Use wird eine Aufklärung in schriftlicher Form generell empfohlen [13], [15], [16].

Die Geburtseinleitung mit Misoprostol erfolgte fast immer stationär (97%). Auch wenn es international im ambulanten Setting durchgeführt wird [29], wird hiervon in aktuellen Empfehlungen abgeraten. Eine medikamentöse Geburtseinleitung soll unter CTG-Kontrolle stationär erfolgen [13], [15], [16].

Bereits in älteren, abgelaufenen Leitlinien wurde empfohlen, dass eine Gabe von Prostaglandinen unter CTG-Kontrolle und nicht bei Vorhandensein von Wehen erfolgen sollte [30]. Jedoch erfolgte eine vorherige CTG-Kontrolle lediglich in 78% der befragten Kliniken, wenn Misoprostol gegeben wurde, und in 88% bei der Gabe von Prostaglandin E2. Der Prozentsatz einer CTG-Kontrolle nach Gabe von Misoprostol und Prostaglandin E2 war ähnlich (76% und 88%). Zudem wurde in 41% der Kliniken Misoprostol und in 36% Prostaglandin E2 trotz vorhandener Kontraktionen verabreicht. Dies ist kritisch zu sehen, da Prostaglandine zu Überstimulationen führen können. Eine CTG-Kontrolle vor und nach einer Gabe von Prostaglandinen und der Verzicht auf Prostaglandine bei Wehen erhöht somit die Sicherheit dieser medikamentösen Geburtseinleitung und soll erfolgen [15], [16]. Es zeigt sich, dass Komplikationen im Zusammenhang mit Misoprostol bzw. Prostaglandinen allgemein zur Geburtseinleitung nicht nur eine Frage der Dosierung ist. Vielmehr kommt es auf das Management mit Medikamenten zur Geburtseinleitung generell an. Umso wichtiger sind die Hinweise in der neuen S2k-Leitlinie bezüglich dieser Punkte zu bewerten.

Die Geburtseinleitung nach vorherigem Kaiserschnitt ist einem höheren Risiko für eine Uterusruptur verbunden, auch wenn das absolute Risiko gering ist. Dementsprechend wird in älteren als auch in aktuellen Leitlinien die Geburtseinleitung nach Sectio caesaerea als mögliche Option dargestellt [15], [16], [31], [32]. In der aktuellen Umfrage wurde auch in fast allen Kliniken in dieser Situation eine Geburtseinleitung durchgeführt (98%). Über den Off-Label-Use der zur Verfügung stehenden Verfahren wird jedoch nur in 24% schriftlich aufgeklärt. Dies kann forensisch relevant werden, weshalb eine schriftliche Aufklärung empfohlen wird [15], [16].

Die kritische Berichterstattung über Cytotec hat dazu geführt, dass in 17% der Kliniken kein Misoprostol zur Geburtseinleitung mehr verwendet wurde. Hauptgründe waren die Angst vor der Reaktion der Patientinnen bzw. weil man sich nicht rechtfertigen wollte und die Angst vor rechtlichen Konsequenzen (jeweils 40%). In vielen Fällen (31%) wurde dabei vom Chef oder der Klinikleitung die weitere Verwendung verboten. Dies zeigt eindrücklich, dass medialer Druck auch einen Einfluss auf die geburtshilfliche Versorgung hat. Insbesondere in kleineren Kliniken, die auf jede Geburt angewiesen sind: Während vor allem Kliniken mit weniger als 500 Geburten auf die weitere Verwendung von Misoprostol verzichtet haben, hatte die kritische Berichterstattung in den anderen Kliniken lediglich zu einer höheren Aufklärungsarbeit (80%) geführt. Nur in wenigen Fällen wurde mit einem anderen Schema (6%) oder einer geringeren Einzeldosis (4%) eingeleitet.

Dieser Sachverhalt ist kritisch zu sehen, da als eine der alternativen Einleitungsverfahren der Wehencocktail angegeben wurde. Der Wehencocktail erfüllt gerade die Kritikpunkte, die (medial) kritisiert wurden: Er ist nicht zugelassen, es gibt keine Evidenz über die Sicherheit und die Effektivität – und das, obwohl er bereits seit etwa einem Jahrhundert zur Geburtseinleitung eingesetzt wird [33], [34]. Der Nutzen ist nicht evidenzbasiert [35] und Nebenwirkungen/Komplikationen sind bekannt [36]. Daher wurde er in internationalen Leitlinien nicht zur Geburtseinleitung empfohlen [37]. Dies ist auch plausibel, da der Wirkstoff, die Rizinolsäure, über Prostaglandin-Rezeptoren ihre Wirkung an Muskelzellen in der Gebärmutter und des Darms entfaltet. Damit sind die gleichen potenziellen Nebenwirkungen wie bei der Verwendung von Misoprostol und Prostaglandin E2 zu erwarten. Rinusöl sollte zur Geburtseinleitung daher nur stationär und im Rahmen von Studien angewendet werden [15], [16].

Da der Wehencocktail vor allem in kleineren Kliniken (Geburtsklinik/Belegklinik, p = 0,0006) mit weniger als 1000 Geburten pro Jahr und bei einer geringeren Rate an Geburtseinleitungen (< 20%, p = 0,0117) verwendet wird, ist zu befürchten, dass die Kliniken, die aufgrund der kritischen Berichterstattung auf Misoprostol verzichten, vermehrt auf den Wehencocktail zurückgreifen werden [38]. Dies stellt dann eine Verschlechterung der Geburtseinleitung und ein höheres Risiko für die Patientinnen und Kinder dar.

Zusammenfassend stellt diese Umfrage einen guten und aktuellen Überblick über den Ablauf einer Geburtseinleitung an deutschen Kliniken dar. Andere Umfragen sind teilweise schon älter (aus dem Jahr 2013 [22]) oder waren primär an Hebammen gerichtet [38]. Da es nicht Inhalt dieser Untersuchung gewesen ist, die Rate an Komplikationen zu erfragen, sollten in zukünftigen Untersuchungen das Spektrum an Nebenwirkungen/Komplikationen im Rahmen einer Geburtseinleitung, insbesondere bei der Verwendung von Misoprostol, analysiert werden.


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Fazit

Diese Untersuchung zeigt eindrücklich, dass Misoprostol respektive die Verwendung von Prostaglandinen ein etabliertes Verfahren in Deutschland ist. Es zeigt sich jedoch auch, dass bestimmte Vorgänge (z. B. Dosierung von Misoprostol, Überwachung) noch verbessert werden müssen. Dieser Wunsch war schon länger bekannt, weshalb vor Jahren die Entwicklung der S2k-Leitlinie Geburtseinleitung initiiert und letztlich im Dezember 2020 publiziert wurde. Diese wird zur Verbesserung des Ablaufs einer Geburtseinleitung beitragen. Auch wenn einige der medial ausgetragenen Kritikpunkte ihre Berechtigung haben, ist die Art und Weise, wie dies erfolgt ist, zu kritisieren. Es wurde gezeigt, dass die Berichterstattung dazu geführt hat, dass vor allem kleinere Kliniken auf die weitere Gabe von Misoprostol verzichtet haben und es ist zu befürchten, dass auf kaum untersuchte Methoden wie die Gabe von Rizinusöl zurückgegriffen wird. Dies würde eine Verschlechterung der Geburtseinleitung und eine Erhöhung des Risikos für Mutter und Kind bedeuten.


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

The authors declare that they have no conflict of interest./Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. habil. Sven Kehl
Universitätsklinikum Erlangen
Frauenklinik
Universitätsstraße 21 – 23
91054 Erlangen
Germany   

 

DDr. Patrick Stelzl
Abteilung für Gynäkologie, Geburtshilfe und Gynäkologische Endokrinologie
Kepler Universitätsklinikum Linz
Altenberger Strasse 69
4040 Linz
Austria   

Publication History

Received: 07 April 2021

Accepted after revision: 25 June 2021

Article published online:
09 August 2021

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