Zusammenfassung
In den kommenden Jahren ist voraussichtlich einerseits mit einem deutlich steigenden Bedarf an Rehabilitationsmaßnahmen zu rechnen - vor allem deshalb, weil die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge ins „reha-bedürftige” Alter kommen und die Einführung der „Diagnosis Related Groups (DRG)” im akutmedizinischen Bereich zu einer Ausweitung der Leistungen führen wird. Andererseits wird die Finanzlage der Rentenversicherung und die „Deckelung” des Budgets für Rehabilitationsleistungen keine Erhöhung der Ausgaben für Rehabilitationsleistungen zulassen. Aufgrund dieser Entwicklungen wird es in den nächsten Jahren zunehmend zu einer „Schere” zwischen Bedarf und Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich der Rehabilitation durch die Rentenversicherung kommen. Wir sehen zwei prinzipielle Lösungsstrategien mit mehreren Umsetzungsvarianten, die jeweils spezifische Probleme aufweisen. 1. Es könnte versucht werden, die Zahl der genehmigten Anträge an das verfügbare Budget anzupassen. Dazu könnten entweder die Bewilligungskriterien verschärft oder die bewilligten Anträge einer „Priorisierung” unterzogen werden. Aus mehreren Gründen halten wir diese Strategien für juristisch problematisch bzw. für nicht zielführend. 2. Deshalb müsste versucht werden, die durchschnittlichen Fallkosten zu senken, um kostenneutral eine größere Fallzahl bewältigen zu können. Dies könnte über einen Ausbau der Maßnahmen zur ambulanten Rehabilitation geschehen, bei der pro Fall ca. 30 - 40 % der Kosten eingespart werden könnten. Der Versuch, die steigenden Fallzahlen allein über einen Ausbau der ambulanten Rehabilitation aufzufangen, würde allerdings zu massiven strukturellen Veränderungen führen: Um einen Anstieg der Fallzahlen um 15 % auf diese Weise zu kompensieren, müsste die stationäre Rehabilitation um 30 % abgebaut und die ambulante Rehabilitation auf das 10fache (!) des gegenwärtigen Standes ausgebaut werden. Wir empfehlen deshalb, für diejenigen Antragsteller, bei denen nur singuläre (und nicht die sonst für die Rehabilitation typischen mehrdimensionalen) Therapieziele verfolgt werden müssen, neue Formen der Rehabilitation (sog. „Reha-Module”) zu entwickeln und zu erproben, die in niedriger Frequenz - dafür aber ggf. über mehrere Monate - berufsbegleitend ambulant durchgeführt werden. Chancen und Risiken dieser Empfehlung werden im Artikel ausführlich diskutiert.
Abstract
In the years to come, the demand for rehabilitation is expected to increase due to several reasons: first, the high-birthrate generation of the fifties will reach the age in which the need for rehabilitation arises. Secondly, the introduction of „diagnosis related groups” (DRG) will lead to a shortening of length of stay in acute hospitals and to an increasing demand for post-hospital rehabilitation. On the other hand, the fixed budget for rehabilitation by the German Statutory Pension Insurance (as well as its general financial situation) will not allow to increase the financial means available for rehabilitation. In consequence, a situation is expected in which the demand for rehabilitation will increasingly exceed the disposable financial means. There are two possible strategies to cope with this situation: 1.) The number of approved applications could be adjusted to the disposable budget. To this end, either the criteria for approval could be tightened or the approved applications could be ranked according to priority. For several reasons, however, these solutions are problematic in legal terms or not really promising in terms of the intended effects. 2.) Therefore, attempts should be made to reduce the mean costs per case in order to increase case numbers without raising overall expenditure. This could be achieved by increasing the number of patients treated in outpatient rehabilitation facilities (at present, less than 5 % in Germany), thereby saving about 30 - 40 % per case. If, however, an increase of case numbers in rehabilitation by 15 % should be coped with only by extending the use of less expensive outpatient rehabilitation, it would result in very severe structural changes of the whole system of rehabilitation: Inpatient rehabilitation facilities would have to be cut down by 30 %, and outpatient facilities would have to be extended to a capacity almost ten times (!) as large as today. In order to limit such structural consequences, we recommend a moderate extension of outpatient rehabilitation in combination with the introduction of new forms of rehabilitation („rehab modules”) for patients not needing the full amount of multi-dimensional therapies offered in comprehensive in- or outpatient rehabilitation facilities. Such outpatient rehab modules would consist of training therapies and/or health education programmes; they would be performed at low frequencies (2 hours once or twice per week) while patients continue to work and could be continued over longer periods (up to several months). Prospects and risks of this proposal are discussed in the article.
Schlüsselwörter
Rehabilitation - Gesundheitssystemforschung - Gesundheitsökonomie
Key words
Rehabilitation - health systems research - health economics
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Dr. med. Nikolaus Gerdes
Hochrhein-Institut für Rehabilitationsforschung e. V. · Department für Epidemiologie und Sozialmedizin
Postfach 1052
79701 Bad Säckingen
Email: gerdes@hri.de