Diabetologie und Stoffwechsel 2023; 18(01): 30-31
DOI: 10.1055/a-1987-4427
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Kommentar: Die diabetische Ketoazidose ist vermeidbar

Rezensent(en):
Olga Kordonouri

Die klinische Manifestation des Typ-1-Diabetes im Stadium der diabetischen Ketoazidose (DKA) bei jedem dritten bis fünften Kind ist die traurige Realität in Deutschland und weltweit. Dabei handelt es sich um eine Krankheitsentität mit hoher Morbidität und Mortalität sowie negativen langfristigen Konsequenzen für die kognitive Entwicklung und die metabolische Stoffwechsellage der betroffenen Kinder. Birkebaek et al. stellten in ihrer internationalen Studie fest, dass die jährliche Zunahme der DKA-Prävalenz bei Manifestation des Typ-1- Diabetes im Kindesalter ein Phänomen ist, das bereits seit 15 Jahren beobachtet wird und im Rahmen der COVID-19-Pandemie signifikant beschleunigt wurde [1].

Typ-1-Diabetes entwickelt sich nicht über Nacht. Monate bis Jahre vor der Entwicklung der typischen klinischen Symptome der Polyurie, Polydipsie und/oder der ungewollten Gewichtsabnahme (Stadium 3) startet der Autoimmunprozess, der zur Destruktion der insulinproduzierenden Zellen führt [2]. Dieser ist in der absoluten Mehrheit der Betroffenen durch die Anwesenheit zwei oder mehr Diabetes-assoziierter Autoantikörper gegen Insulin, Glutamat-Dekarboxylase, Insulinoma-assoziiertes Antigen-2 oder Zinktransporter 8 im Blut gekennzeichnet (Stadium 1). Eine Progression der Erkrankung in das noch subklinische Stadium 2 wird durch den Beginn einer metabolischen Dysbalance charakterisiert in Form von erhöhten aber noch nicht pathologischen Glukosewerten im nüchternen Zustand (100–125 mg/dl bzw. 5,6–6,9 mmol/l) oder zwei Stunden nach standardisierter Belastung im Rahmen des oralen Glukosetoleranztests (140–199 mg/dl bzw. 7,8–11,0 mmol/l) bzw. bei erhöhten HbA1c-Werten (5,7–6,4% bzw. 39–47 mmol/mol).

Der Typ-1-Diabetes tritt in jedem Alter auf: auch Säuglinge vor dem ersten Lebensjahr wie Kinder und Jugendliche erreichen das klinische Stadium mit den typischen Symptomen. Der Beginn der Diabetes-assoziierten Autoimmunität hat seinen Peak bereits um den 18.-24. Lebensmonat, bis zum 6. Lebensjahr haben 80 Prozent der Personen, die bis zu ihrem 18. Lebensjahr einen klinischen Diabetes entwickeln, bereits das Stadium 1 erreicht. Gerade in der Gruppe der jungen Kinder ist die Geschwindigkeit der Stadienentwicklung höher und die Phase zwischen Symptomerscheinung und DKA-Entwicklung kürzer.

Der Typ-1-Diabetes kann jeden unvorbereitet treffen, vor allem Personen ohne eine positive Familienanamnese. Nur eins von 10 Kindern mit Manifestation eines Typ-1-Diabetes hat einen erstgradigen Verwandten mit der gleichen Erkrankung.

Die Prävention der diabetischen Ketoazidose ist machbar. Die Aufklärung der Allgemeinbevölkerung über die Bedeutung der typischen Symptome gerade in empfindlichen Lebensphasen wie z.B. bei Eltern, Erziehern oder Lehrern von jungen Kindern kann helfen, die Entwicklung einer DKA vorzubeugen. Eine erfolgreiche Verminderung der DKA-Rate bei Manifestation konnte teilweise durch Öffentlichkeitskampagnen auch in Deutschland erreicht werden [3]. Eine Metaanalyse internationaler nicht-randomisierter Studien unterstützt den positiven Effekt von Öffentlichkeitskampagnen auf die Reduktion von DKA bei Diabetesmanifestation [4].

Früherkennungsstrategien wie z.B. durch die Messung der Diabetes-assoziierten Autoantikörper bei Kindern führen auch zur signifikanten Reduktion der DKA bei klinischer Manifestation der Erkrankung [5].

Wir alle sind aufgefordert, aus diesem Wissen Konsequenzen und Strategien zu entwickeln, die das Vorbeugen einer DKA bei Manifestation des Typ-1-Diabetes ermöglichen: Kinder- und Hausärzte, Fachgesellschaften, Politiker und Kostenträger.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
06. Februar 2023

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  • Literatur

  • 1 Birkebaek NH, Kamrath C, Grimsmann JM. et al. Impact of the COVID-19 pandemic on long-term trends in the prevalence of diabetic ketoacidosis at diagnosis of paediatric type 1 diabetes: an international multicentre study based on data from 13 national diabetes registries. Lancet Diabetes Endocrinol 2022; 10: 786-794
  • 2 American Diabetes Association. 2. Classification and Diagnosis of Diabetes: Standards of Medical Care in Diabetes-2022. Diabetes Care 2022; 45 (Suppl. 01) S17-S38 DOI: 10.2337/dc22-S002. (PMID: 34964875)
  • 3 Holder M, Ehehalt S. Significant reduction of ketoacidosis at diabetes onset in children and adolescents with type 1 diabetes – The Stuttgart Diabetes Awareness Campaign, Germany. Pediatr Diabetes 2020; 21: 1227-1231 DOI: 10.1111/pedi.13064. (PMID: 32579294)
  • 4 Cherubini V, Marino M, Carle F. et al. Effectiveness of ketoacidosis prevention campaigns at diagnosis of type 1 diabetes in children: A systematic review and meta-analysis. Diabetes Res Clin Pract 2021; 175: 108838 DOI: 10.1016/j.diabres.2021.108838. (PMID: 33901625)
  • 5 Ziegler AG, Kick K, Bonifacio E. et al. Yield of a Public Health Screening of Children for Islet Autoantibodies in Bavaria, Germany. JAMA 2020; 323: 339-351 DOI: 10.1001/jama.2019.21565. (PMID: 31990315)